Bergsteigen
Bergsteiger und Bergführer auf dem Mount Everest. © picture alliance / dpa / Narendra Shahi Thakuri
Neue Herausforderungen durch den Klimawandel
25:21 Minuten
Bergsteigen ist atemberaubend schön und lebensgefährlich; das gilt für Profi-Alpinisten ebenso wie für Amateure. Doch genau dieser schmale Grat macht die besondere Anziehungskraft aus.
Felsstürze in den Dolomiten, weggespülte Wanderwege im Tiroler Lechtal, Tote durch Stein- und Eisschlag am Mont Blanc. Die objektiven Gefahren in den Bergen haben zugenommen. Das fortschreitende Schmelzen der Gletscher in den Alpen und das Abtauen des Permafrosts machen das Bergsteigen unkalkulierbarer. Gleichzeitig werden aus dem Himalaja neue Rekorde gemeldet: Nach einem erfolgreichen Gipfeltag kommerzieller Expeditionen vervollständigten gleich 15 Menschen auf einmal die Serie aller 14 Achttausender.
Die Achttausender sind im Bergsteigerjahr 2024 Schauplatz vieler Geschichten. Erfolg und Misserfolg liegen oft eng beieinander. Einige versuchen, ihre Besteigungen mit Superlativen oder Rekorden aufzuwerten, um sich abzuheben von der Vielzahl der Gipfelaspiranten. Das ist nicht die Sache von Anja Blacha. Die in Bielefeld geborene Bergsteigerin hat in diesem Jahr vier Achttausender geschafft. Die 34-jährige avancierte dadurch zur erfolgreichsten deutschen Höhenbergsteigerin, mit insgesamt zehn Achttausender-Gipfeln. "Ich tu mich immer noch ein wenig schwer mit dem Wort ‚erfolgreichste Höhenbergsteigerin‘, weil ich glaube, dass Erfolg an ganz vielen Faktoren gemessen werden kann: Wieviel Support habe ich, wieviel Eigenleistung war dabei, wie waren die Bedingungen in dem Jahr. Bin ich auf der Normalroute oder auf einer neuen Route den Berg hochgekommen usw.“
Neun ihrer zehn Achttausender hat Anja Blacha ohne Flaschensauerstoff bestiegen. Nur am Mount Everest nutzte sie Zusatzsauerstoff. Zum Bergsteigen kam Anja Blacha relativ spät und durch einen Zufall. Beim Urlaub mit ihrer Schwester in Peru ging sie zum ersten Mal wandern. Das war vor zehn Jahren. Ein entscheidender Moment in ihrem Leben.
"Wir hatten eineinhalb Tage Puffer in unserem Reiseplan und ich hatte gehört, da gibt’s einen Vulkan in der Nähe unseres Hostels, wo wir gerade sind. Ich hab‘ noch nie einen Vulkan gesehen. Ich stellte mir das unglaublich spannend vor, da hochzugehen und einen Vulkankrater zu sehen, all das, was ich nur aus Büchern kannte.“
"Wir hatten eineinhalb Tage Puffer in unserem Reiseplan und ich hatte gehört, da gibt’s einen Vulkan in der Nähe unseres Hostels, wo wir gerade sind. Ich hab‘ noch nie einen Vulkan gesehen. Ich stellte mir das unglaublich spannend vor, da hochzugehen und einen Vulkankrater zu sehen, all das, was ich nur aus Büchern kannte.“
El Misti, so heißt der Vulkan, ist gut 5800 Meter hoch, eine stattliche Höhe, um sie in einem Tag zu bewältigen. Anja Blacha organisierte einen einheimischen Guide. Mit dem Jeep fuhr sie bis auf 3400 Meter hinauf, dort begann der Aufstieg zu Fuß. „Dann ging’s auf die 5800 Meter hoch und es wurde immer zäher für mich. Aber ich hatte ja die Idee. Da konnte ich nicht stehen bleiben und sagen: War doch nicht die beste Idee. Und ich hab‘ erst im Nachhinein verstanden, was eigentlich Höhe bedeutet und Höhe mit einem macht und dass man sich meistens akklimatisieren sollte.“
Am Ende ging alles gut, nur der Kopf hat etwas gedröhnt in Folge des raschen Aufstiegs. Das war Anja Blachas erste Bergerfahrung mit 23 Jahren.
Keine Gipfelchance aufgrund extremer Witterungsverhältnisse hatte dieses Jahr der Berchtesgadener Extremkletterer Thomas Huber am Latok III, 6.946 m hoch, in Pakistan. Sein Bruder Alexander kämpfte sich nach der Operation eines Hirntumors wieder ins Leben und an den Fels zurück, mit einer Erstbegehung, die den bezeichnenden Namen "Überleben" trägt. "Das war so dramatisch für uns, dass wir uns gedacht haben: Jetzt haben wir nur mit viel Glück überlebt", erinnert sich Thomas Huber. "Lieg einmal im Zelt und dann kommen so 100 bis 150 kmh Wind mit einer gewissen Dichte, weil dieser Eisstaub eine Wucht hat, das ist eine Wand, die einen fast umweht. Da haben wir Glück gehabt, dass es uns nicht runtergeblasen hat.“
Während der Expedition in diesem Herbst kamen diese Lawinen fünfmal. Doch Thomas Huber weiß mittlerweile, wie er mit den Druckwellen umgehen muss. Die Zelte müssen im Schnee eingegraben werden, um die Druckwelle der Lawine unbeschadet zu überstehen. Keine Frage, wer sich an diesen 6949 Meter hohen Gipfel heranwagt, braucht gute Nerven. Und noch viel mehr.
"Man muss die Sprache der Berge verstehen und die Sprache der Berge ist nicht einfach. Da muss man sich mit der Natur verbinden." Für Thomas Huber, den älteren der Huberbuam, heißt das: den Berg genau beobachten, die Natur „lesen“, um gewappnet zu sein, wenn wieder ein Eisturm zusammenbricht und seine Trümmer sich in eine lebensbedrohliche Lawine verwandeln.
Eineinhalb Monate hat der Berchtesgadener Extremkletterer am Latok III verbracht. Er kehrte ohne Gipfelerfolg zurück, aber mit starken Eindrücken. „Ich gehe auf Expedition, wo ich einfach eine Auszeit haben möchte. Dort bin ich dann im Basislager und da san nur wir. Wir hatten nicht mal Internet, wir waren wirklich für eineinhalb Monate abgeschnitten und das war so eine Naturdusche für die Seele.“
Starker Schneefall am Ende hat die Chancen auf den Gipfelerfolg des deutsch-amerikanischen Teams zunichte gemacht. Trotzdem zeigt Thomas Huber keine Spur von Frustration. Im Gegenteil. Er hat sogar einen Teil seiner Ausrüstung in Pakistan gelassen und sein Social-Media-Post endet mit: „Berg, i kimm wieder!“ Seinem Motto bleibt er auch im Alter von 58 Jahren treu. „Klettern ist Kunst, und ich bin nach wie vor Künstler und ich brenne für diese Linien und diese Unmöglichkeit.“
Größeres Umweltbewusstsein
Der Ansturm auf die Achttausender ist 2024 unvermindert weitergegangen. Aber in manchen Punkten hat sich das Bewusstsein geändert. So wurden bei einer Säuberungsaktion der nepalesischen Armee am Mount Everest elf Tonnen Müll heruntergebracht – alte Zelte, Kochgeschirr, Sauerstoffflaschen, Bierdosen waren von früheren Expeditionen am Berg zurückgelassen worden.
Nach Ansicht der Nepal-Expertin Billi Bierling, die selbst ein halbes Dutzend Achttausender bestiegen hat, gibt es ein Umdenken. „Gerade die jungen Sherpas haben inzwischen ein Gespür dafür und die wollen ja auch ihren Everest oder ihren Himalaja sauber halten, gerade auch die Bergführer, die sehen jetzt den Wert ihres Himalaja schon.“
Dieses Jahr hat in den Bergen weltweit neue Herausforderungen durch den Klimawandel gebracht, allein schon durch den Anstieg der Temperaturen. Extrembergsteiger Thomas Huber: „Das Bergsteigen in Pakistan hat sich dahingehend verändert, dass die Null-Grad-Grenze teilweise im Sommer auf 6800 Meter bis 7000 Meter krabbelt.“ Das Schmelzwasser dringt in Felsrisse ein und sprengt das ursprünglich kompakte Gestein.
Ähnlich bedrohlich ist die Situation in den Alpen geworden. "Wir sprechen von Bergstürzen, wo riesige Gesteinsmengen von einem Moment auf den anderen ins Tal rauschen und das ist teilweise tödlich gefährlich.“ Betroffen sind davon populäre Gipfel wie der Mont Blanc, der höchste Berg der Alpen. Im August gab es dort mehrere Fels- und Eisstürze mit Todesopfern.
Mehr Gefahren durch den Klimawandel
Auch der Deutsche Alpenverein ist alarmiert und spricht von einer deutlichen Zunahme von Naturgefahren für Menschen, die am Berg unterwegs sind. "Der Klimawandel hat Folgen, die uns betreffen, und da muss man sich schulen lassen. Mehr denn je ist der selbständige Bergsteiger gefordert, und da setzen wir als Alpenverein an. Wir wollen ja den mündigen Hochtouristen im Gebirge“, sagt Stefan Winter, Ressortleiter Sportentwicklung und Sicherheitsexperte beim Deutschen Alpenverein. Er weist darauf hin, dass sich im Alpenraum die Erwärmung stärker auswirkt als im globalen Mittel und fordert mehr Eigenverantwortung und eine detaillierte Tourenplanung.