Mehr Stimmenvielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur
Ob aus Afrika, Asien oder Lateinamerika – seit den 70er-Jahren übersetzt der Verein und Verlag Baobab-Books Kinderbücher aus der ganzen Welt. Es gehe darum kulturelle Vielfalt, Respekt und Dialog zu fördern, sagt die Geschäftsleitung Sonja Matheson.
Joachim Scholl: Der Baobab, das ist der Affenbrotbaum, den es so in der Schweiz definitiv nicht gibt, aber in Basel residieren Baobab Books, die laut eigenem Statut Fachstelle zur Förderung der kulturellen Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur sind – ein gemeinnütziger Verein und ein Verlag, der sich seit den 1970er-Jahren für die Verbreitung internationaler Kinder- und Jugendbücher engagiert. Jetzt gibt es ein besonderes Jubiläum zu feiern, und davon soll uns jetzt Sonja Matheson erzählen, die Programm- und Geschäftsleiterin von Baobab Books ist. Sie ist uns aus Basel zugeschaltet. Guten Morgen, Frau Matheson!
Sonja Matheson: Guten Morgen!
Scholl: Der Glückwunsch zum 25., der gilt einem quirligen Vögelchen, einem Kolibri. Was ist das denn für ein Geburtstag, den Sie in diesem Jahr feiern?
Matheson: Der Geburtstag ist der 25. von diesem Verzeichnis "Kolibri", das ist eine Empfehlungsliste für Kinder- und Jugendliteratur, die die Thematik – wie Sie es auch schon gesagt haben – der kulturellen Vielfalt in sich trägt. Wir möchten mit dieser Empfehlungsliste eine Handreichung geben, aktuelle Bücher auszuwählen, die eine Vielfalt darstellen oder bei jungen Leserinnen und Lesern den Zugang zu Vielfalt ermöglichen.
Andere Kulturen in der Kinderliteratur
Scholl: Es gibt ein besonderes Geschenk noch zu diesem Jubiläum, davon später, Frau Matheson, aber erläutern Sie uns erst mal den Kontext: Was ist Baobab Books eigentlich genau – ein kultureller Verein, der einen Verlag betreibt, oder ein Verlag, der gleichzeitig ein Verein ist? Wie müssen wir uns das vorstellen?
Matheson: Wir sind ein Verein, genau. Wir sind gemeinnützig, wir sind eine Fachstelle. Und so hat alles eigentlich angefangen mit diesem Anliegen, die Fragen zu erläutern: Was bedeuten denn kulturelle Zuschreibungen? Was passiert in der Kinderliteratur, wenn wir anderen Kulturen begegnen? Wer stellt sie dar? Sind es authentische Stimmen? Schreiben wir über andere Kulturen. Und das war unser Anliegen schon in den 70er-Jahren, und daraus ist später der Verlag entstanden. Also so gesehen sind wir zuerst eine Fachstelle und dann ein Verlag. Aber heute sind wir definitiv beides, und wir versuchen ganz gezielt, auch beides zu verbinden.
Baobab, der Baum des Geschichtenerzählens
Scholl: Wie kam man denn auf den Namen? Baobab verbindet man nicht unbedingt mit Basel.
Matheson: Wir haben von Anfang an gesagt, gerade auch beim Verlagsprogramm, dass wir Autorinnen und Autoren aus nichteuropäischen Ländern fördern möchten. Das war in einer Zeit, in der das in der Kinderliteratur eigentlich noch überhaupt nicht vorkam. Und da haben wir nach einem schönen Symbol, einen Namen gesucht, der diesem Anliegen Rechnung tragen könnte. Und der Baobab – viele kennen ihn vermutlich noch aus "Der kleine Prinz" –, der Baobab-Baum, der ist vor allem in Afrika zu Hause. Und dort ist er ein sehr symbolträchtiger Baum. Er steht oft traditionell in der Mitte eines Dorfes, ganze Dörfer werden drumherum gebaut. Man trifft sich dort, man erzählt sich Geschichten, man löst Konflikte, man verhandelt Anliegen untereinander und man überliefert eben auch Geschichten von einer Generation an die andere, und das gefiel uns für unser Anliegen sehr gut.
Scholl: Wer trägt denn Baobab Books? Wie finanziert sich das Unternehmen, rein über den Verlag? Vermutlich nicht, ne?
Matheson: Nein, der Verlag ist knapp mal selbsttragend. Wir finanzieren uns einerseits durch Mitgliederbeiträge, wir finanzieren uns durch Spenden, aber auch Projektbeiträge und zu etwa rund einem Drittel Strukturbeiträge auch aus der öffentlichen Hand.
Respekt und Dialog fördern
Scholl: Sie haben eigene Statuten mit einem Wertekanon, kann man sagen. Was sind denn das für Werte?
Matheson: Unsere Werte, würde ich mal knapp zusammengefasst sagen: Wir sprechen von Wertevielfalt, wir sprechen von Gleichwertigkeit, wir sprechen von Respekt und Dialog. Natürlich sind das erst mal Schlagworte, die man erst eigentlich verhandeln muss, und genau das tun wir eigentlich auch, oder dazu regen wir an, dass wir sagen, mit jedem Buch, auch das jetzt im "Kolibri" empfohlen wird, in dem Empfehlungsverzeichnis, steht eine Debatte dahinter genau um diese Fragen: Was wird denn eigentlich transportiert? Und was heißt Respekt ganz konkret? Oder wie findet denn der Dialog statt? Gerade im Moment oder in einer Zeit, in der der Dialog immer schwieriger zu werden scheint.
Eine Jury wählt empfehlenswerte Bücher aus
Scholl: Wer wählt denn die "Kolibri"-Empfehlung eigentlich aus?
Matheson: Das sind rund 20 bis 25 Leserinnen und Leser, die ehrenamtlich für unseren Verein tätig sind. Es gibt eine fest angestellte Redakteurin und diese Ehrenamtlichen. Wir wählen die Bücher aus, wir bestellen alle Bücher, die auf dem deutschsprachigen Markt erscheinen, die zu diesem Themenfeld im weitesten Sinne passen. Jedes Buch wird von drei Personen gelesen und anhand eben auch von unserem Wertekatalog geprüft und diskutiert, und dann kommt es in eine Plenumssitzung, und dort wird vorgestellt, was dieses Buch will und was es kann und ob wir es empfehlen möchten oder nicht. Und dort wird letztlich der Entscheid gefällt, ob es in die Liste aufgenommen wird oder nicht.
Scholl: Und nach welchen Kriterien veröffentlichen Sie eigene Bücher im Baobab-Books-Verlag?
Matheson: Grundsätzlich auf den gleichen Kriterien, allerdings haben wir das spezifische Anliegen, außereuropäische Autorinnen und Autoren oder auch Künstler zu fördern. Das heißt, bei uns erscheinen ausschließlich Übersetzungen aus Asien, Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten oder auch europäischen Minderheiten, das ist auch für uns durchaus ein interessantes Thema.
"Buchbesuche" in Schulen
Scholl: Und es gibt auch eine ganze Reihe von literarisch-kulturellen Projekten ja jenseits des Bücherverlegens und Bücherbewerbens. Welche Beispiele gäbe es da aktuell?
Matheson: Ja, es ist uns eben ein Anliegen, einerseits den Buchmarkt zu bereichern, aber wir möchten auch diese Themen vermitteln und diesen Büchern einen besonderen Platz geben, also dabei gar nicht nur unseren eigenen, sondern auch andere Bücher aus anderen Verlagen, die eben einen anderen Blick auch ermöglichen. Und da gehen wir in Schulen, wir haben ein Projekt mit dem Titel "Buchbesuch". Da kommt jemand mit einem Buch in eine Schulklasse für zwei Stunden und das Thema des Buches wird erörtert. Wir bieten Unterrichtsmaterialien an für die Begleitung in der Schullektüre. Wir sind einerseits im deutschsprachigen Raum tätig, aber wir sind auch in der Entwicklungszusammenarbeit punktuell tätig, dass wir gerade auch mit unseren Künstlern und unseren Autoren Projekte in ihren eigenen Ländern zur Leseförderung unterstützen.
Scholl: Und jetzt, zum Geburtstag des "Kolibri", haben Sie sich ein ganz besonderes Geschenk ausgedacht: Vor mir auf dem Tisch liegt eine hübsch gestaltete Buchkassette, "Ein neues Kapitel", so der Titel. Was ist denn da drin, in dieser Kassette?
"Was bedeutet es, in unserer Gesellschaft anzukommen?"
Matheson: Da sind sieben Hefte drin, insgesamt neun Sprachen – ein Heft ist dreisprachig, die anderen sind zweisprachig, jeweils Deutsch und eine Fremdsprache, nämlich die Mutter- oder allenfalls Vatersprache des Autoren oder der Autorin. Anlässlich der 25. Ausgabe von "Kolibri" wollten wir feiern, aber wir wollten es auf eine besondere Art feiern, und wir wollten eigentlich an den Grund von "Kolibri" oder an den Kern noch mal zurückgehen, und sagen, was wir möchten, ist, eben diese Vielfalt, diese Stimmenvielfalt fördern. Und gerade in der heutigen Zeit, wo die Debatten um Migration, um Identität, um Integration so hochgehen, wollten wir einen etwas anderen Beitrag leisten und haben zehn Menschen eingeladen, einen Beitrag zu verfassen zum Thema, was es heißt, anzukommen. Wir wollten nicht fragen, warum man geht, unter welchen Umständen man angekommen ist, sondern was bedeutet es eigentlich, in unserer Gesellschaft anzukommen.
Scholl: Wer sind die Autoren, aus welchen Ländern kommen sie?
Matheson: Die kommen aus Syrien, aus Ägypten, aus Griechenland. Wir haben einen malischen Autoren, Brasilien, Tibet, Argentinien und der Iran sind vertreten.
Scholl: Und was sind das so für Texte, was, würden Sie sagen, ist dabei herausgekommen?
Matheson: Das Schöne ist, dass es so vielfältig geworden ist, so unterschiedlich: Es gibt Graphic Novels, es gibt einen Comic, es gibt Gedichte, Kurztexte, eigentlich quasi kurze Essays, es gibt einen literarischen Text, es gibt Bilderbücher. Formal wurde diese Aufgabe sehr unterschiedlich gelöst und auch von der Aussage her. Es gibt sehr persönliche Erfahrungen, es gibt aber auch etwas distanziertere Betrachtungen: Was heißt es eigentlich als Gesellschaft, mit neu Ankommenden umzugehen?
Ein Geschenk machen, wo es gebraucht wird
Scholl: Dieses neue Kapitel wird nicht verkauft im herkömmlichen Sinn, die Kassette kommt nicht in den Buchhandel, sondern, Sie verschenken sie. An wen denn?
Matheson: Ja, wir wollten eben zu unserem Geburtstag anderen ein Geschenk machen, und das war für uns von Anfang an wichtig, dass wir nicht einen weiteren Beitrag für den Buchhandel machen, wo stellt man das hin und was soll es für einen Preis haben, sondern wir wollten, dass es dort hinkommt, wo es eben gebraucht wird: Nämlich in Institutionen, die mit Menschen arbeiten, die zurzeit daran sind, bei uns anzukommen, die daran sind, Deutsch zu lernen. Das sind Bibliotheken, das sind Flüchtlingstreffpunkte, es sind Schulen. Wir haben einen ganzen Bogen, wo diese Box auch hingeht und gelesen und diskutiert werden soll. Und das Interesse wächst und wächst mit der Bekanntheit der Publikation.
Scholl: 25 Jahre "Kolibri"-Leseempfehlungen von Baobab Books, dem interkulturellen Verein zur Förderung der Kinder- und Jugendbuchliteratur. Alles Gute und viele weitere produktive Jahre wünschen wir von der "Lesart". Im Studio war Sonja Matheson, die Programmgeschäftsführerin von Baobab Books. Vielen Dank Ihnen für dieses Gespräch!
Matheson: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.