25 Jahre DGB in Ostdeutschland

Enttäuschte Erwartungen

Demonstration in Bischofferode im August 1993
Ein arbeitsloser Bergmann demonstriert mit anderen am 01.08.1993 im thüringischen Bischofferode für den Erhalt der Zeche. © picture alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger
Von Wolf Sören Treusch |
Fast zwölf Millionen Menschen waren 1991 im Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert. So viele wie niemals zuvor und nie wieder seitdem. Vor allem ostdeutsche Mitglieder verbanden nach der Wende große Hoffnungen mit den Arbeitnehmervertretern. Oft allerdings vergeblich.
11.800.412 so viele Mitglieder hatte der DGB 1991. Fast 4,2 Millionen Arbeitnehmer aus der ehemaligen DDR waren in einen der neu gegründeten Ableger einer West-Gewerkschaft eingetreten. 1991 war jeder zweite Arbeitnehmer in den fünf neuen Bundesländern Gewerkschaftsmitglied - eine traumhafte Organisationsquote.
Wegen der massenhaft drohenden Kündigungen nahmen sie vor allem den Rechtsschutz des DGB in Anspruch. 230 der 290 DGB-Sekretäre in den neuen Bundesländern kümmerten sich Mitte 1991 fast ausschließlich darum. Mit wenig Erfolg.
"Sind eigentlich deprimierende Erfahrungen: dass man eigentlich mehr oder weniger nur ein Rad im großen Getriebe ist, und dass letztendlich der Gang der Geschichte von anderen bestimmt wird."
Die Gewerkschaften konnten De-Industrialisierung und Massenarbeitslosigkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht verhindern. Enttäuschte Erwartungen: Zwischen 1991 und 1994 traten im Osten 1,6 Millionen Mitglieder aus der Gewerkschaft wieder aus. Tendenz der Mitgliederzahlen: weiter fallend. Waren die Gewerkschaften wirklich die Interessenvertreter der ostdeutschen Arbeitnehmer? Diese Frage spielte auch eine Rolle. Beispiel Bischofferode in Thüringen. 1993 sollte dort das Kalibergwerk dicht gemacht werden, obwohl das Salz von bester Qualität war und noch Jahrzehnte reichen würde. Zwölf Kumpel traten in den Hungerstreik.
"Die Leute, die in den Hungerstreik gegangen sind, sind zu allem bereit, und wenn hier auch noch Tote raus getragen werden, ich weiß nicht, wie das der Bundeskanzler verantworten will. Das ist ein Feuer, was wahrscheinlich in ganz Ostdeutschland zu brennen beginnt."
IG Bergbau und Energie fiel den Streikenden in den Rücken
Auch die Gewerkschaften unterstützten den Protest. Doch die Branchengewerkschaft IG Bergbau und Energie fiel den Streikenden in den Rücken: Sie war bereit, die Schließung des Werks mitzutragen. Mitglieder der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen besetzten aus Wut darüber die Berliner Zentrale der Bergbaugewerkschaft. Der Vorwurf lautete: Die Gewerkschaft war bereit, Ost-Arbeitsplätze zu opfern, um West-Arbeitsplätze zu sichern. Der Kampf der Kumpel war erfolglos, das Werk wurde geschlossen.
Und noch eine ernüchternde Erfahrung: Die Einzel-Gewerkschaften stritten sich um die weniger werdenden Mitglieder. IG Bergbau-Energie und ÖTV beanspruchten jeweils für sich die Arbeitnehmer der ostdeutschen Energieversorgungs- und Wasserwirtschaftsbetriebe. Viele Beschäftigte waren über diese Revierkämpfe erbost und kehrten ihrer Organisation den Rücken.
Kein Streik aus Angst um den Arbeitsplatz
Der Netto-Organisationsgrad in Ostdeutschland, arbeitslose und verrentete Gewerkschaftsmitglieder werden dabei nicht mitgerechnet, sank zwischen 1991 und 2004 von 50,1 Prozent auf 17,8 Prozent, nach einer Statistik des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft. Die Gewerkschaftsfunktionäre machten die Erfahrung, dass sich ihre Mitglieder aus Angst um den Arbeitsplatz nicht für jeden Arbeitskampf mobilisieren ließen.
"Unter den Pfiffen ihrer Arbeitskollegen bahnten sich heute Morgen an die 300 Arbeiter des ZF-Getriebewerkes in Brandenburg an der Havel den Weg zu ihrer Arbeitsstätte."
2003 kämpfte die IG Metall in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Vergeblich. Die IG Metall war gerichtlich gezwungen worden, den arbeitswilligen Beschäftigten eine drei Meter breite Gasse durch das Werkstor freizumachen. Das ist eine große Sauerei, denn die Leute, die hier rumgammeln, die sind keine ZFler. Das sind alles bestellte Leute.
Nach vier Wochen brach die IG Metall den Streik ab. Ein Desaster. Die Basis wollte ihn nicht. Mitten in der Rezession war der Kampf um kürzere Arbeitszeiten nicht vermittelbar, weil die Belegschaften um die Konkurrenzfähigkeit ostdeutscher Betriebe fürchteten. In Sachsen hatten bei der Urabstimmung zwar knapp 80 Prozent der Metaller für den Streik gestimmt, aber dahinter stand eine verschwindend geringe Zahl von Beschäftigten. Unter den 125.000 Arbeitnehmern in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie gab es zu jener Zeit kaum mehr als 12.000 stimmberechtigte Gewerkschaftsmitglieder. Das waren gerade mal zehn Prozent der Beschäftigten.
Die Talfahrt bei den Gewerkschaftsmitgliedern im Osten war rasant. Inzwischen haben sich die Zahlen stabilisiert. 2012 lag der Organisationsgrad in Ostdeutschland wieder bei 17,2 Prozent, wie vor zehn Jahren. Im Westen lag er bei 21,4 Prozent.
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