Die Illusion vom "Dritten Weg"
Für einen kurzen Moment geisterte vor 25 Jahren die Idee eines demokratischen Sozialismus zwischen Markt- und Planwirtschaft durch die Debatten in der DDR. Heute ist der so genannte "Dritte Weg" weitgehend in Vergessenheit geraten.
Eine "sozialistische Alternative zur Bundesrepublik" wollen sie. Nicht mehr und nicht weniger. Hunderttausende unterschreiben den Aufruf: "Für unser Land". Knapp drei Wochen nach dem Fall der Mauer. Zu den Erstunterzeichnern gehört Bernd Gehrke, damals Mitglied der Oppositionsgruppe "Vereinigte Linke".
"Worum es ging, war, eine Transformation in der DDR selber zu bewirken, für eine demokratische, soziale usw. DDR einzutreten, und mit diesem Aufruf unter anderem dafür zu mobilisieren. Um zu verhindern, dass wir gänzlich von der Bundesrepublik geschluckt werden."
Soeben hat Bundeskanzler Helmut Kohl sein "Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas" vorgelegt. Ab jetzt wird es für die DDR zunehmend kompliziert, einen eigenständigen dritten Weg zu gehen. Auch die Reformkräfte in der Übergangsregierung unter Hans Modrow arbeiten mit Hochdruck an Alternativkonzepten. Das bestätigt Christa Luft, Ministerin für Wirtschaft, auf einer Podiumsdiskussion im Januar 1990.
"Die Möglichkeit, volkseigene Betriebe in Kombinate, Holdings umzuwandeln, ist in unserem Denkmodell, es gibt dazu Entwürfe, aber es gibt keine Beschlüsse. Aber ich will mich deutlich bekennen, es gibt solche Überlegungen."
Der Zentrale Runde Tisch der DDR setzt eine Arbeitsgruppe ein, die bis zum April 1990 eine neue Verfassung entwerfen soll. Mit dabei Klaus Wolfram, damals Mitglied in der Bürgerbewegung "Neues Forum".
"Die Frage war immer die: wie kann man Demokratie und Volkseigentum zusammenhalten? In der Verfassungsarbeit hat das schon erhebliche Spuren hinterlassen. Das sieht man an solchen Stellen, dass Genossenschaftseigentum am Wohnraum privilegiert wurde, das wäre also, wäre die Verfassung durchgekommen, kein rein privater Wohnungsmarkt geworden, jedenfalls auf dem Territorium der neuen Bundesländer nicht, dann gab es eine Privilegierung, dass der Boden im öffentlichem Eigentum bleibt."
Für kurze Zeit nimmt der Traum vom dritten Weg Gestalt an – wenn auch nicht in Form des demokratischen Sozialismus, erinnert sich Bernd Gehrke.
"Die Realität war eher: die Schaffung einer sozial und ökologisch regulierten Marktwirtschaft. Das war, glaube ich, das Mehrheitsverständnis der meisten am Runden Tisch, was sich dann auch in diesem Verfassungsentwurf niederschlug. Und das war aus meiner Sicht allerdings eine real durchaus machbare Alternative, keine Utopisterei abstrakter Vorstellungen, sondern sehr konkrete Paragraphen und Regelungen, wie die künftige Gesellschaft aussehen soll."
Bundesregierung verhindert Verfassungsentwurf
Der Verfassungsentwurf kommt jedoch nie zur Abstimmung. Auf Druck der Bundesregierung wird der Termin für die ersten freien Volkskammerwahlen auf März vorgezogen, so dass der Entwurf nicht mehr rechtzeitig fertig wird. Der Traum vom dritten Weg platzt. Hinzu kommt, dass sich die Stimmung in der DDR massiv und rasant ändert. Ende November 1989 sprechen sich noch 86 Prozent der DDR-Bürger für "den Weg eines besseren, reformierten Sozialismus aus", Anfang Februar 1990 sind es nur noch 56 Prozent. Die Zahl der Vereinigungsbefürworter steigt im gleichen Zeitraum von 48 auf 79 Prozent. Für Lothar de Maiziére, nach dem Erdrutschsieg der CDU bei den Volkskammerwahlen zum Ministerpräsidenten gewählt, ist das Ende der DDR folgerichtig.
"Ich habe im November schon in der Modrow-Zeit das so genannte Schürer-Papier zu Gesicht bekommen, das war eine Wirtschaftsanalyse, die im Grunde genommen auswies: die DDR ist wirtschaftlich am Ende. Da war mir klar: Dieser Staat kann so nicht überleben. Abgesehen davon, dass nach dem Fall der Mauer pro Tag 2-3000 Menschen gingen. Also bis zur Verkündung, dass die Währungsunion kommt, sind rund 600.000 Menschen gegangen. Und wir wussten: es sitzen noch viel mehr Leute auf gepackten Koffern."
"Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr": Die Botschaft auf den Spruchbändern der Demonstranten in der DDR ist unmissverständlich. Unter Hochdruck arbeiten die Regierungen in Ost und West am Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Klaus Wolfram, damals "Neues Forum", bedauert es bis heute, dass sich der Zentrale Runde Tisch mit seinen Forderungen nicht durchsetzen konnte.
"Auf einem Weg, wo sich die beiden deutschen Gesellschaften aufeinander zureformiert hätten, da hätte natürlich ein großes Wirtschaftsprogramm stattfinden müssen, wie es dann später die Treuhand auf so bittere Art umgesetzt hat, nur dass es eben in unserer Perspektive nicht um Privatisierung, also Verkauf der ostdeutschen Betriebe an die westdeutschen Eigentümer gegangen wäre, sondern um Sanierung der ostdeutschen Betriebe, so dass ne eigenständige selbst tragende Wirtschaft in den neuen Ländern entstanden ist, die wir ja nun bis heute vermissen."
Klar ist aber auch: der dritte Weg verschwindet von der politischen Agenda, weil er inhaltlich viel zu unbestimmt ist. Außer den Abfassungen über das Eigentum an Wohnraum und Grund und Boden bietet er wenig Konkretes.