Tafelsilber oder Altlast?
Tagebau-Mondlandschaften, braun schäumende Flüsse und kaum noch atembare Luft: Gründe, die DDR-Bürger in den 80er-Jahren zum offenen Aufbegehren gegen ihren Staat brachten. Wie fällt die Ökobilanz 25 Jahre nach der Wende aus?
Ralf Elsässer: "Daten durften nicht veröffentlicht werden, andererseits konnte man das sehen, riechen, schmecken, wie die Situation war, es bedurfte eigentlich keiner Zahlen dazu."
Pionierlied: "Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald"
Hans Zimmermann: "Links ist der tote Wald, ein Phänomen, was sich hier aufgebaut hat, dieser Wald steht schon sehr lange tot und trocken da, und verrottet eigentlich nicht. Denn das Holz ist so vollgesogen mit Chemikalien, dass da einfach kein Wurm drangeht."
Pionierlied: "Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluss sind die Heimat"
Ernst Paul Dörfler: "Ich weiß, als es Fischsterben in der Elbe gegeben hat, wurde peinlichst darauf geachtet, dass kein toter Fisch die Grenze überschritt. Lebende Fische durften die Grenze passieren, tote Fische nicht. Es ging also darum, kein schlechtes Bild der DDR nach draußen zu transportieren."
Pionierlied: "Und wir lieben die Heimat, die schöne. Und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört."
Rolf Weier: "Nach der Wende hatte ich die Hoffnung, dass wir nun endlich aus dieser Gegend wieder eine lebenswerte Heimat machen können."
Das Dreieck zwischen Bitterfeld, Leipzig und Halle gehörte vor 1990 zu den schmutzigsten Regionen Europas. Die Kinder in Bitterfeld hatten dreimal so häufig mit Bronchitis zu kämpfen wie anderswo, Grundschüler wurden klassenweise zur Luftkur an die Ostsee geschickt. Hier ballte sich die Chemie-Industrie der DDR, Kraftwerke verbrannten schwefelhaltige Braunkohle zur Stromerzeugung und Tagebaue hinterließen tote Mondlandschaften. Noch schwerer aber wog die Leugnung dieser Probleme, erinnert sich Ralf Elsässer von der Umweltorganisation Ökolöwe aus Leipzig:
"Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die zog sich ja über alle Themenfelder. Das hatte nicht nur mit Umweltschutz zu tun sondern das ist einem an jeder Ecke im Leben begegnet, dass der Staat nicht ehrlich und nicht aufrichtig war. Und das hat natürlich in großem Maße zur Frustration beigetragen und das hat sich bei den Umweltthemen genauso widergespiegelt wie in der Bildung, der ganzen Friedenserziehung, in dem Anspruch an vernünftigen Wohnraum, oder anderen Fragestellungen, die den Leuten wichtig waren."
Kein Geld für sauberere und effektivere Produktion
Es war nicht allein Ignoranz, die die DDR-Führung dazu brachte, die massiven Umweltprobleme auszublenden und geheim zu halten. Cord Schwartau vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, aus Westberlin, gleich nach der Wende:
"Das heißt, die DDR hält Produktionen aufrecht, von denen sie auch weiß, sie sind umweltschädlich, sie sind unrentabel, man dürfte sie gar nicht mehr machen, besonders, wenn man so ein kleines Land ist. Nur es gibt das Problem: Im RGW sind die Waren nicht zu bekommen, weil der RGW auf vielen Gebieten technologisch rückständig ist, hinzukommt, dass RGW-Länder jetzt auch zunehmend harte Währung haben wollen. Vom Westen wollte man sich nicht abhängig machen. Und wenn ich mir die Verschärfung der Umweltprobleme in der DDR angucke, dann kann man bei der Braunkohle überhaupt nicht übersehen, dass es Zahlungsschwierigkeiten, Devisenschwierigkeiten auch waren, die die DDR veranlassten, etwas zu tun, was ökologisch heute zu einer Katastrophe führt."
Die Leiter und Mitarbeiter der Betriebe sahen die Probleme tagtäglich. Sie entwickelten auch Pläne, wie durch Sanierung der Anlagen, Abwasserreinigung und Rauchgasentschwefelung die Produktion sauberer und effektiver werden könnte. Doch diese Maßnahmen hätten hunderte Millionen DDR-Mark gekostet. Allein für das Bitterfelder Chemiekombinat zum Beispiel 850 Millionen. Geld, das die Betriebe von der Zentralen Plankommission nie bekamen. Und erwirtschaftete Gewinne gingen in den Staatshaushalt, durften nicht selbst investiert werden. Rolf Weier, der spätere Gründer der oppositionellen Umweltbibliothek von Bitterfeld war zuvor selbst Produktionsleiter in der Schwefelsäurefabrik:
"Es wurde praktisch jedes Jahr der Plan um viele Prozente erhöht, aber die notwendigen Reparaturen, Investitionen blieben aus. Genau wie viele meiner Betriebsleiterkollegen ist es uns nicht gelungen, diese Anlagen auf dem Stand der Technik zu halten und die Anlagen verschlissen so stark, dass die Arbeitsbedingungen auch von Jahr zu Jahr immer schlechter wurden und viele unter akuten Belästigungen toxischer Stoffe litten. Für mich war das Schwefeldioxid in großem Umfang, durch undichte kaputte Rohrsysteme und Anlagenteile. Und ich bin dann mit einer chronischen Bronchitis als Berufskrankheit aus diesem Betrieb 1978 ausgeschieden."
Viele der Belastungen im Chemie-Dreieck waren schon in der DDR-Zeit Altlasten. Im ersten Weltkrieg hatten Betriebe hier Benzin für die kaiserliche U-Bootflotte produziert und aus Braunkohle Kunststoffe gemacht. Die DDR führte das dann fort.
Was Luft und Boden zu ertragen hatten, schlug sich noch deutlicher in den Gewässern nieder. Ernst Paul Dörfler erarbeitete am Institut für Gewässerschutz in Berlin von 1978 bis 1982 eine Schadstoffstudie, die gleich im Tresor verschwand, weil sie zu brisant war. Der Biologe erinnert sich:
"Die Flüsse waren Sammelbecken für alle Abfälle, die die Industrie nicht mehr verwerten konnte. Das war nicht nur die chemische Industrie, das war auch die Papier- und Zellstoffindustrie, die Textilindustrie. Das Hauptproblem war, dass der Sauerstoffhaushalt gegen Null tendierte. Das heißt, höheres Leben war in vielen Flüssen wie der Mulde und der Saale nicht mehr vorhanden. Ein weiteres Problem waren die Schadstoffe. Vor allem die Schwermetalle, Blei, Kadmium, Kupfer, Zink, Quecksilber. Und natürlich diese Gifte, die man auch heute noch kennt die polychlorierten Kohlenwasserstoffe, also die schwer abbaubaren organischen Verbindungen."
Viele Menschen wollten den Dreck nicht länger schlucken und dazu schweigen. Gelber schwefelstinkender Smog in Leipzigs Innenstadt nahm ihnen die Sicht, Chemiegestank verschlug einem den Atem beim Durchfahren von Bitterfeld. Schaumkronen in allen Regenbogenfarben wirbelten auf der Mulde und Elster. Auch deshalb gingen die Montagsdemonstranten gerade in Leipzig auf die Straße, erinnert sich Angelika Kell, die damals Politikwissenschaften studierte:
"Ich muss sagen, ich kam 1986 aus dem beschaulichen Thüringen nach Leipzig und war doch einigermaßen erschrocken, wie sich hier die Umweltprobleme auch konzentriert haben. Und während des Studiums lernt man dann ja Leute kennen, die man vorher nicht kannte, da war ein Freund dabei, der sich bei der dann schon entstehenden Grünen Liga schon engagiert hat und über den ich im Prinzip in diese Szene gekommen bin. Und das fand ich ausgesprochen spannend, weil es mich wirklich umgetrieben hat, wie die Stadt aussah, wie das gerochen hat, wie das Wasser aussah. Dass teilweise die Flussläufe beschildert waren, Bürger wascht hier nicht euer Obst und Gemüse, das Wasser ist giftig. Ich dachte, um Gottes willen, wo bin ich hier hingeraten? Und konnte mir auch gar nicht vorstellen, dass ich jemals einen Tag länger, als das Studium dauert, in Leipzig bleiben würde."
Dass sie blieb, lag auch an den gleichgesinnten Menschen, die sie traf und an den Möglichkeiten zur Veränderung, die sich mit der friedlichen Revolution 1989 eröffneten. Zu den Mitstreitern gehörte Roland Quester, der unter dem Dach der Kirche die oppositionelle Leipziger Umweltbibliothek gegründet hatte:
"Wir haben ganz am Anfang, 1990 eine Aktion gehabt, die hieß stoppt Cospuden 90. Das war ein Tagebau im Süden Leipzigs, der schon bis ins Stadtgebiet vorgetrieben wurde, in dem im Vorfeld die Wälder abgeholzt wurden. Und da haben wir damals mit Bürgerinitiativen in Markkleeberg, was hier gleich anschließt, diese große Initiative gegründet und haben einen Sternmarsch mit 10.000 Leuten gemacht, um diesen Tagebau stillzulegen und anzuhalten, was auch gelungen ist. Das ist heute die Badewanne der Leipziger und das Naherholungsgebiet."
Nach der Wende: Abschalten der schlimmsten Dreckschleudern
Die einfache Abschaltung der schlimmsten Dreckschleudern war eine der ersten und wirksamsten Umweltschutzmaßnahmen nach der Wende. Viele Experten plädierten schon Anfang 1990, als eine schnelle Wiedervereinigung noch nicht abzusehen war dafür. Cord Schwartau vom DIW.
"Wenn ich 25 Prozent der DDR-Industrieanlagen stilllege, die ihre Berechtigung nur aus der Politik hatten, die aber sonst ökonomisch nicht zu halten waren, zum Beispiel die Betonung der Braunkohle, der Ausstieg ist ja beschlossen. Das kann man nicht von heute auf morgen machen, das muss man sozial abfedern, dann habe ich 50 Prozent der Belastung weg."
Stilllegung besonders schmutziger Betriebe brachte auch das erste Aufatmen für besonders belastete Flüsse, erinnert sich der Biologe Ernst Paul Dörfler:
"Das Verschmutzungsproblem unserer Flüsse hat sich schlagartig weitestgehend gelöst durch die Stilllegung der Verschmutzungsindustrie. Danach kam ein Käranlagenbauprogramm."
Allerdings arbeiteten in der Region um Leipzig Hunderttausende Menschen in den Tagebauen, Braunkohlekraftwerken und der Chemischen Industrie. Abschalten hieß also auch massenhafter Verlust von Arbeitsplätzen. Daher mussten auch Umweltaktivisten wie Roland Quester Rückschläge einstecken:
"Später ist das Thema Stilllegung der Tagebaue nicht mehr auf so eine breite Resonanz gestoßen, weil dann natürlich das Thema: Was wird aus Arbeitsplätzen? immer präsenter auch geworden ist und von denen, die in der Braunkohle gearbeitet haben dann auch Gegenreaktionen gekommen sind. Und es war nicht mehr so klar und eindeutig, bestimmte belastende Industrien auch stillzulegen."
So werden auch heute noch Dörfer geräumt und abgebaggert, verschwindet natürlich gewachsene Landschaft für den Abbau von Braunkohle für Kraftwerke. Und das ist in jeder Hinsicht teuer. Zusätzlich zu den Rekultivierungsmaßnahmen der DDR-Zeit hat die Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung allein in die Sanierung der Braunkohletagebaue umgerechnet fast 10 Milliarden Euro investiert. Ein Ende ist nicht abzusehen.
1990 reiste ein Filmemacher aus Hessen auf eigene Rechnung durch die untergehende DDR und dokumentierte Sünden der Vergangenheit, die unsere Zukunft belasten. Robert Blum:
"Dann bin ich in die Chlorfabrik hineingekommen, wo das Quecksilber auf dem Boden lag und es mit dem Kehrblech aufgenommen wurde. Oder wo die eine Mischung aus flüssigen, halbflüssigen, breiigen, Puder und was auch immer Abfallformen alles wahllos in die Grube Freiheit geschüttet wurde. Da sind ganze Güterzüge, von morgens bis abends haben die tonnenweise Abfälle da einfach, hochgiftig, halb giftig weg mit dem Zeug, drüber mit der Planierraupe, bisschen Erde drüber. Wenn man sich überlegt, dass in der Grube Antonie 50.000 Tonnen Hexachlorzyclohexan, da kann man die halbe Menschheit mit umbringen, dort lagert. Und behandelt werden muss. Und mit unendlichem Aufwand unter Kontrolle gehalten wird. Aber noch ein ungelöstes Problem darstellt."
Eine Einschätzung, die das Umweltbundesamt teilt. An den besonders belasteten Standorten der Chemieregion werden noch Generationen arbeiten müssen, sagt der Altlastenexperte Jörg Frauenstein:
"Wir haben hier unter dem Standort Bitterfeld eine riesige Schadstofffahne. Mit verschiedensten Schadstoffen, die sich also weiträumig über den Untergrund verbreiten. Und wir haben diese Verbindung zum Braunkohlebergbau. Wir haben eine großräumige Grundwasserabsenkung in diesem Bereich, haben jetzt den Grundwasserwiederanstieg, und insofern auch eine deutlich instabilere Situation, was das Grundwasser angeht. Also hier ist an erster Stelle zu nennen, das man Sorge tragen muss dafür, dass die im Moment klar abgrenzbar Schadstofffahne nicht den Standort selbst weiter verlässt. Und in Richtungen sich aufmacht, dass weitere Kommunen oder weitere andere Schutzgüter gefährdet werden."
Grundwasserverschmutzung nach Flutung von Braunkohletagebau-Gebieten
Für die Braunkohletagebaue musste jahrzehntelang Wasser abgepumpt werden. Allein in der Lausitz fehlten unvorstellbare 13 Milliarden Kubikmeter, das entspricht einem Drittel des Wassers im Bodensee. Wenn die Bagger abziehen, strömt das Wasser zurück in die klaffenden Wunden der Landschaft. Es sucht sich neue Wege, dringt durch die einstigen Abraumhalden und löst daraus Stoffe, die es zu Säure werden lassen. Und wenn es auf Verseuchungen im Boden stößt, schwemmt es sie aus nimmt sie mit, auch an bislang saubere Orte. Der hessische Filmemacher drehte auch im Jahr 2000 und 2013 wieder in Bitterfeld. Trotz nun sauberer Luft fand er eine tickende Zeitbombe, erzählt Robert Blum:
"Die Grundwassersituation in Bitterfeld ist so, das es sicher noch 100 Jahre dauern wird, bis man das Grundwasser unbehandelt in die Kläranlage von Bitterfeld einleiten kann. Das ist so lässig daher gesagt, es ist eigentlich unvorstellbar. Grundwasser, das ist eigentlich das Reinste, was es geben sollte, nach unserem Verständnis. Da sollte man sich eigentlich auf den Bauch legen können und es wegtrinken. Das sieht aber eher aus wie eine Öllache. Und so ist auch noch sehr viel offen."
Der Kalibergbau in Thüringen entlässt auch heute noch massenhaft sein salziges Abwasser in die Werra. Etwaige Umweltschäden bezahlen Bund und Land. Ein Skandal, findet Grit Tetzel von der Grünen Liga in Weimar:
"Kali und Salz ist ein wichtiges Unternehmen. Sie produzieren das Kali was auf unseren Äckern wieder ausgebracht wird und Kali und Salz ist einfach eine Firma, die derart gut vernetzt ist, in politischen Ebenen, dass das einfach nicht angefasst wird. Wenn eine Firma es schafft, so einen Vertrag für sich, zu ihren Gunsten ausgestaltet zu bekommen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass das mit rechten Dingen zugegangen ist damals. Das quasi alle Kosten, die zur Sanierung notwendig sind, dass die vom Bund bzw. vom Land getragen werden und das finde ich schon beachtlich, dass das einer Firma gelungen ist, so was hinzubekommen."
Zu den schweren, bis heute spürbaren Altlasten der DDR gehört auch der Uranabbau der Wismut AG. Im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht wurde der Süden der DDR zur weltweit viertgrößte Produktionsstätte von Uran. Rund um Schneeberg, Zwickau, Ronneburg, Königstein und Freital waren radioaktiv strahlende Abraumhalden und Gewässer die Folge. Mit einem enormen Sanierungsaufwand von bislang sechs Milliarden Euro konnten viele der Probleme schon eingedämmt werden. Bei Ronneburg zeugt heute nur noch das Gelände der Bundesgartenschau von den alten Halden. Die Sanierung ist aber erst zu zwei Dritteln abgeschlossen, sagt Jörg Frauenstein vom Umweltbundesamt:
"Also es ist noch einiges zu tun. Man muss aber auch realisieren, dass Sanierung im Verständnis des Bürgers, der meint, Sanierung heißt Saubermachen, dass das nicht ganz korrekt ist. Im Verständnis des Bundesbodenschutzgesetzes heißt Sanierung Gefahrenabwehr. Das heißt, wir wehren mit unseren Maßnahmen Gefahren ab, für den Menschen und für alle anderen bedrohten Schutzgüter. Das ist insbesondere in unserem Fall das Grundwasser, das ist natürlich auch der Boden und alle Pfade, wo entsprechende Schadstoffe mit den Menschen oder mit solchen Schutzgütern in Kontakt kommen. Und insofern muss man sagen, dass Gefahrenabwehr nicht gleichbedeutend ist mit komplett sauber und jungfräulicher Zustand, wenn man das so formulieren darf."
Gefahren können auch plötzlich neu auftauchen. Zum Beispiel in Rositz, südlich von Altenburg in Thüringen. Hier stand schon 1918 ein Teerverarbeitungswerk der Deutschen Erdöl AG. In zwei großen Gruben wurden hochgiftige Industrieabfälle aus der Produktion von Koks und Gas gelagert, so entstanden die sogenannten Teerseen. Nach der Wende wurde der stinkende Schlamm aus den Seen zum Teil thermisch behandelt, um die giftigen Kohlenwasserstoffe zu zerstören, der Rest abgedichtet.
Seit 2012 gelten die Teerseen als saniert. Die Kosten dafür betrugen 80 Millionen Euro, doppelt soviel wie einst geplant. Aber Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg hatten die hochgiftige Substanzen auch über die Teerseen hinaus verteilt, was zunächst unbeachtet blieb. Nach dem Ende eines nahen Tagebaus stieg das Grundwasser im Ortsteil Schelditz um zehn Meter an und spült seitdem die Gifte aus dem Boden an die Oberfläche und in die Keller der Häuser. Die Landesentwicklungsgesellschaft, LEG, muss handeln, fordert Lothar Schumann, Sprecher der Bürgerinitiative:
"Das Oberflächenwasser ist belastet, das Kanalsystem ist belastet und auch das Abwasser. Das heißt wir haben jetzt in Schelditz ungefähr 20, 21 Häuser, wo die Keller überflutet sind, wenn die messen, stehen die Häuser 30 cm im Wasser. Also die Bausubstanz ist gefährdet, die Statik ist gefährdet. Die LEG gibt uns ein Schriftstück und sagt, gefährlich ist die Gasphase für die Gesundheit der Menschen. Das hat zur Folge, dass jetzt dieses Jahr, wir haben noch mal aktuelle Messungen verlangt, dass jetzt in dem großen Block, das sind 32 Wohnungseinheiten, die Menschen ausziehen müssen, die Wohnungen verlassen müssen, weil die durch Benzole und krebserregende Stoffe so verseucht sind."
Vom Bund ist kein Geld zu erwarten, da das Land Thüringen nur für die schon bekannten Altlasten eine Vereinbarung getroffen hat. So sind jetzt Gemeinde, Landratsamt, Thüringer Umweltminsterium, LEG und der ehemalige Braunkohleförderer LMBV zuständig. Es gibt 14,6 Millionen Euro für eine gemeinsame Sanierungsplanung, aber noch keine Hilfe für die Betroffenen. Lothar Schumann, Sprecher der Bürgerinitiative kämpft mit den Ämtern:
"Es ist keine Vorbereitung getroffen, was wird mit den Leuten, wenn's über Nacht auf einmal nach Phenolen und Benzolen stinkt, keine Vorbereitung wenn die nicht mehr darin wohnen können. Keine Vorbereitung getroffen, keine Abwehrmaßnahme festgelegt. Die Leute stehen dann da, und wissen nicht was los ist."
Heute noch 300.000 Verdachtsflächen für Altlasten
In der gesamten heutigen Bundesrepublik gibt es 300.000 Verdachtsflächen für Altlasten. 90.000 davon liegen auf dem ehemaligen DDR-Gebiet, zwei Drittel sind alte Deponien. Zu 90 Prozent geht von ihnen keine akute Gefahr aus. Östlich der Elbe sind heute 14.900 Altlasten registriert, doppelt so viele Sanierungen gelten schon als abgeschlossen. Aktuell wird an fast 5000 Stellen gearbeitet. Aufgaben für Generationen, die auch neue Arbeitsplätze und Berufsbilder geschaffen haben. So wurden die Demonteure des einzigen aktiven DDR-Atomkraftwerks bei Greifswald zu gefragten Experten für die sowjetische Atom-U-Boot-Flotte und westdeutsche Kernkraftwerke, die heute stillgelegt werden.
Die DDR war nicht nur maroder Industriestandort mit Umweltproblemen. Dokumentarfilmer Robert Blum erzählt in seinem aktuell erschienenen Film "Mitgift" auch von einzigartiger Natur:
"Ich habe das erste Mal in meinem Leben im Erzgebirge, neben quadratkilometergroßen abgestorbenen Wäldern, Sonnentau gesehen. Es gab wunderbare Nischen in dieser Landschaft. Uferseeschwalben an der Warnow. Die Insel Vilm, die Urlaubsinsel von Erich Honecker und seinen Freunden. Mit Wäldern, die hatte ich mir nicht so vorstellen können, das hat mich schon sehr beeindruckt. Die industrielle Landwirtschaft der DDR, also diese LPGn waren zwar auch riesige Unternehmen gewesen aber durch Mangel gab es immer noch diese kleine Nischen auch in den Agrar-Strukturen. Das ist leider verloren gegangen an vielen Stellen."
Schon in den 1950er-Jahren gab es in der DDR Menschen, die sich für Naturschutz engagiert haben. Oft im Widerstreit mit staatlichen Stellen oder in privaten Bündnissen mit Verantwortlichen vor Ort. Als sie nun mit der Wende die Chance bekamen, arbeiteten sie rund um die Uhr, um schutzwürdige Gebiete auszuweisen, im Auftrag der Modrow-Regierung. In der kurzen Phase zwischen Frühjahr und Herbst 1990 gelang es ihnen, fast fünf Prozent der DDR-Landesfläche für die Natur zu reservieren. Ein Landschaftsplaner aus West-Berlin konnte diesen Prozess begleiten. Heute lehrt er an der Hochschule Neubrandenburg, Herrmann Behrens:
"Das war ein enormer Flächenzuwachs, der allein in dem Jahr 1989/90 dem Naturschutz zugute kam, mit dem Nationalpark-Programm. Der berufliche Naturschutz hatte plötzlich einen ganz anderen Stellenwert. Plötzlich gab es nicht mehr nur den Ein-Mann-Naturschutz wie in der DDR, der zur Hälfte für den Naturschutz tätig war, zur Hälfte für Jagd. Plötzlich gab es richtige Verwaltungen mit mehreren Beschäftigten. Mit ganz anderen Rechten, Zuständigkeiten. Die, die damit beschäftigt waren, die waren regelrecht euphorisch. Also es war eine einzige Erfüllung eines Wunschtraumes, den viele Naturschützer hatten."
Umweltgruppen hatten in der DDR teils in der Gesellschaft für Natur und Umwelt beim Kulturbund, teils unter dem Schutz und Dach der Kirche gearbeitet. Sie schufen ein Bewusstsein für den Wert von Natur und gesunder Umwelt, auf dem das Schutzprogramm entstand. In weniger als einem Jahr erreichten sie, dass fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks ausgewiesen werden konnten. Herrmann Behrens:
"Die Ausgangssituation war geradezu optimal. Akteure, die in Verantwortung kamen ein erklärter Wille der Bevölkerung, das mitzutragen, und vorhandene Flächen. Also die GUS Streitkräfte, die sowjetischen Streitkräfte, die würden bald abziehen. Diese alten, schon lange im Blick des Naturschutzes befindlichen Gebiete, standen nun für eine andere Disposition bereit."
Damit diese Schutzgebiete auch nach der Wiedervereinigung Bestand hatten, mussten sie juristisch wasserdicht nach bundesdeutschem Recht beschrieben werden. Umweltminister Klaus Töpfer erkannte den Wert dieser unberührten Naturlandschaften mit Bibern und Adlern. Er nannte sie das Tafelsilber, das die DDR in die deutsche Einheit als Mitgift einbrachte und half seinen ostdeutschen Amtskollegen, sie zu schützen. Heute drängen andere Prioritäten in den Vordergrund. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die vielerorts halfen, Schutzgebiete auch zu pflegen und zu bewahren, gibt es nicht mehr. Und die Länder sparen gern beim Naturschutz, beklagt Angelika Kell vom Ökolöwen in Leipzig:
"Da braucht man sich nur einmal anzuschauen, wie die Finanzierung der Naturschutz-Stationen in Sachsen ist. Also wenn man da über Jahrzehnte die Gelder kürzt, dann hat man irgendwann keine Struktur mehr, um Umweltengagement zu ermöglichen. Und da ist der Freistaat Sachsen nicht der einzige, wo es eine unglückselige Konstellation ist, dass der Umwelt- und Landwirtschaftsminister eigentlich eher ein Bauernlobbyist ist und kein Umweltminister."
Die alte Bundesrepublik hatte weniger sichtbare Umweltverschmutzung, weil bereits in den 70er-Jahren Erdöl und Gas die Kohleindustrie ablösten und wirksame Filter- und Kläranlagen installiert wurden. Zugleich gab es wegen der dichteren Besiedlung, der vielen Straßen und der intensiver bewirtschafteten Landschaft viele Pflanzen und Tierarten nicht mehr. Mit der Angleichung der Lebensverhältnisse greift dieser Artenschwund nun auch auf den Osten über, beobachtet Herrmann Behrens von der Hochschule Neubrandenburg:
"Es fängt an, bei Tümpeln, die genutzt wurden für die Wasserversorgung für das Kleinvieh. Man denke an alle möglichen Arten von Vögeln, Hausrotschwanz, Mehlschwalbe, Rauchschwalben. In Thüringen bin ich zu Gange, da gibt es Untersuchungen, wo Rauchschwalben aus den Dörfern völlig verschwunden sind, Mehlschwalben drastisch zurückgehen, weil eben die Koexistenz mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft nicht mehr existiert. Weil Wirtschaftsgebäude weggehen, modernisiert werden, Tierhaltung im Dorf, und daran gebundene Biotop-Strukturen, Zunahme von Ziergärten, Obstwiesen, dass die brach fallen, lohnt sich auch nicht mehr. Selber essen oder trinken kann man das nicht alles, wer mehr als drei Bäume hat, hat ein Problem."
Die DDR musste sich weitgehend selbst versorgen. Das führte zu den gewaltigen Umweltproblemen der Braunkohleindustrie aber auch zu einer vielfältigen Landwirtschaft. Dank des globalen Handels bauen Landwirte heute nur noch an, was genug Geld bringt. Mit Folgen für die Artenvielfal, der Biologe Ernst Paul Dörfler:
"Die Lebensbedingungen vieler Arten in der Agrarlandschaft haben sich deutlich verschlechtert, aufgrund der Monokulturen. Wir haben eigentlich nur noch Mais und Raps und Getreide. Und da verschwinden eben auch viele Feldvögel und die Insektenverarmung haben wir, weil eben auch keine Wildpflanzen, keine blühenden Wildkräuter mehr in der Landschaft vorhanden sind, vor allem die Wildbienen, von denen wir eigentlich 500 Arten in Mitteleuropa haben, die gibt es kaum noch."
Düngemittel landen auch heute noch im Trinkwasser
Der Artenschwund ist nicht das einzige Problem. Die großflächigen Verschmutzungen aus der Landwirtschaft mit Düngemitteln wie Nitrat und Phosphat und die Rückstände von Pestiziden landen auch heute noch in unserem Wasser, bis hin zum Trinkwasser. Ein unhaltbarer Zustand, meint Michael Bender von der Grünen Liga Berlin:
"In der anstehenden Düngeverordnung, muss jetzt mal was passieren, dass wenigstens die Grundregeln mal eingehalten werden. Und letztendlich ist es ja auch so, dass diese steigenden Grundwasserbelastungen auch ankommen bei den Wasserwerken. Das heißt, die müssen jetzt auch höhere Aufwendungen vornehmen obwohl sie ja nicht Verursacher der ganzen Geschichte sind und das kann es, denke ich, nicht sein.
Der notorische Geldmangel der DDR hatte auch Vorteile. Weniger Straßenbau zum Beispiel oder der Verzicht auf ehrgeizige Flussausbauprojekte aus den 1930er-Jahren. Leider hatten sich die Verkehrsminister einen Vorrang des Bundesverkehrswegeplans gegenüber dem Naturschutz in den Einigungsvertrag schreiben lassen. Ernst Paul Dörfler:
"Da begann nach der Wende leider eine Entwicklung, die uns Hunderte von Millionen von Euro gekostet hat, nämlich der Ausbau der ostdeutschen Flüsse zu modernen Wasserstraßen nach westlichem Vorbild. Die Schifffahrt hat nicht zugenommen, sie ist stark zurückgegangen, mit dem Ergebnis, dass die Natur Schaden erlitten hat. Deshalb habe ich meinen Schwerpunkt auf dieses Thema gelenkt, lebendige Flüsse ist nach wie vor ein Ziel, es wird aber noch Jahre und Jahrzehnte dauern, auch im Hinblick auf den vorsorgenden, nachhaltigen Hochwasserschutz, bis wir erkannt haben, dass Flüsse und Auen einen Mindestfreiraum brauchen."
Die Umwelt der einstigen DDR hat sich in den vergangenen 25 Jahren fast wundersam erholt. Luftschadstoffe wie Staub und Schwefeldioxid sind kein Problem mehr. Dafür kommen Feinstaub aus dem Verkehr und Ozonbelastungen neu hinzu. Verstärkt haben sich auch die Belastungen aus der intensiven Landwirtschaft wie Überdüngung und Pestizidrückstände. Was uns noch lange beschäftigen wird, sind die Altlasten der Industrie in Ost- wie Westdeutschland. Jörg Frauenstein vom Umweltbundesamt prophezeit:
"Wir werden auch in 25 Jahren das Altlasten Problem nicht gelöst haben. Wir schätzen gegenwärtig ein, dass wir so die Hälfte des Weges im Altlastenbereich geschafft haben. Und die Anstrengungen für diese Sünden, die man im Umweltbereich begeht, kosten enorm viel Geld. Und in einer Größenordnung, dass die öffentlichen Hände allein für die Untersuchung von Altlasten jährlich immer noch so eine halbe Milliarde aus ihren Budgets aufbringen müssen um einfach erst einmal den Beweis zu erbringen, dass dort etwas zu unternehmen ist. Das ist schon eine Größenordnung, die natürlich an vielen anderen Stellen auch fehlt."
Die Umweltschützer aus der DDR sind oft bei ihrem Herzensthema geblieben. Sie freuen sich über die Fortschritte in ihrer Heimat, auch für ihre Kinder. Zugleich verkennen sie nicht die globale Dimension unserer heutigen Wirtschaftsweise. Roland Quester von der Leipziger Umweltbibliothek bewegt heute:
"Diese Verlagerung von Umweltthemen, dass wir in der Bundesrepublik, in Westeuropa, von Umweltleistungen leben, die anderswo in der Welt für uns erbracht werden. Also Rohstoffe werden zum großen Teil nicht bei uns erschlossen, sondern zum Teil noch unter viel katastrophaleren Bedingungen, als wir es in der DDR kannten, in anderen Ländern. Und das sollten wir hier insbesondere wahrnehmen und uns bewusst machen. Denn wir haben mal eine Vorstellung davon gehabt, was das heißt."
Linkhinweise: