25 Jahre nach dem Völkermord

Kriegsfotograf kehrt nach Ruanda zurück

06:03 Minuten
Der Photojournalist Karsten Thielker fotografiert sich in einem Spiegel selbst, während ihm ein Barbier in Kigali den Bart stutzt. Das Bild ist schwarz/weiß.
Für ein originelles Selfie ließ sich Karsten Thielker von einem Barbier in Kigali den Bart stutzen. © Karsten Thielker
Karsten Thielker im Gespräch mit Ute Welty |
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Als die Hutu vor 25 Jahren die Tutsi in Ruanda töteten, war Karsten Thielker vor Ort. Nun besuchte der Fotograf das Land erneut, um diesmal ein anderes Bild der Menschen zu zeigen.
Ute Welty: Schon vor dem 6. April 1994 ist Ruanda ein vom Bürgerkrieg erschüttertes Land. Aber dann, heute vor 25 Jahren, als die Maschine des Präsidenten abgeschossen wird und alle Insassen ums Leben kommen, eskaliert die Lage. Hunderttausende werden ermordet. Angehörige der Hutu-Mehrheit töten etwa 75 Prozent der Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu.
Fotograf Karsten Thielker war damals für die Nachrichtenagentur AP in Ruanda, und er ist jetzt wieder dort, zum ersten Mal nach all diesen Jahren. Was haben Sie gedacht, als Sie in der Hauptstadt Kigali angekommen sind?
Thielker: Ich hab vor 25 Jahren wenig Zeit gehabt für eine Stadtbesichtigung. Nun habe ich mit Erstaunen gemerkt, wie modern sich die Stadt entwickelt hat; für ein kleines afrikanisches Land schon erstaunlich.

Flughafen als Anlaufpunkt

Welty: Haben Sie überhaupt irgendwas wiedererkannt oder war auch die Erinnerung sofort wieder da?
Thielker: Die Erinnerung war eigentlich schon da, als ich gelandet bin. Der Flughafen war damals auch ein zentraler Anlaufpunkt für Journalisten, wo wir gelandet und auch wieder abgeflogen sind. Dann gibt es natürlich das Stadion, das damals auch attackiert worden ist. Es gibt so ein paar Symbole, wo ich gemerkt habe, okay, die kenne ich noch. Aber vieles ist natürlich wirklich schon lange her.
Flüchtlinge, die Wassercontainer tragen vor einem Flüchtlingscamp aus Hütten. Die Flüchtlinge tragen farbenfrohe Kleidung. Zwischen den Hütten steht ein Baum.
Flüchtlinge, die Wassercontainer tragen, kehren zurück zu ihren Hütten im Benaco-Flüchtlingslager in Tansania, nahe der Grenze zu Ruanda, Ostafrika, Dienstag, 17. Mai 1994. Benaco ist mit über 300.000 Einwohnern die größte Flüchtlingssiedlung der Welt . © picture alliance / AP / Karsten Thielker
Welty: Heute wissen wir, welches Ausmaß die Gewalt in Ruanda erreichte. Wie haben Sie unter diesen Umständen überhaupt arbeiten können, was mussten Sie alles organisieren?
Thielker: Man wird bei solchen Einsätzen als Agenturfotograf erst mal in einen Flieger von Frankfurt nach Kigali oder über Nairobi gesetzt. Man versucht sich dann zu organisieren, hier zum Beispiel mithilfe der UNO. Ich war ja verpflichtet, jeden Tag irgendwie Bilder zu liefern. Das heißt, ich brauchte Wasser, Strom und Telefon, um zu arbeiten. Das sind immer die primären Sachen.

Zweimal täglich Bilder geschickt

Welty: Hatten Sie einen direkten Draht nach Deutschland zu der Zeit?
Thielker: Das lief direkt über die Agentur in New York. Wir hatten Satellitentelefone und haben die Bilder dann entweder von Kigali aus und dann auch viel aus der Afrikazentrale in Nairobi aus gesendet.
Ein Mann mi einem schweren Sack auf dem Rücken, wahrscheinlich aus einer Hilfslieferung verliert Teile des Inhalts. Ein kleiner Junge fängt selbigen auf.
Eine Straßenszene aus dem Benaco Camp in Tanzania im Mai 1994.© Karsten Thielker
Welty: Sie haben diese Gewalt fotografiert. Wie Sie sagten, waren Sie verpflichtet, jeden Tag Bilder zu liefern. Haben Sie diesen Auftrag erfüllen können?
Thielker: Hier gibt es natürlich Grenzen. Erst mal muss ich sagen, es gibt pressemäßig immer zwei Deadlines: eine europäische und eine amerikanische. Ich musste zweimal am Tag Bilder liefern.
Und es gibt natürlich Grenzen zum Beispiel bei dem Kirchenmassaker in Nyamata im Süden von Kigali. Irgendwann weiß man nicht mehr weiter. Dann nimmt man die Kamera weg und hat keine Interpretationsmöglichkeit mehr.
Welty: Hat die Kamera Sie auch ein Stück weit geschützt? Hat sie Abstand geschaffen zu dem, was Sie sich da anschauen mussten, was Sie erleben mussten?

Überblick über Lage erst im Nachhinein

Thielker: Ja, natürlich. Die Kamera ist eine Art Schutz und sie ist auf der anderen Seite mein Interpretationswerkzeug. Das heißt, ich schütze mich damit auf eine Art, aber ich lasse sie eigentlich selten vom Auge, weil ich auch irgendwie versuche, das zu visualisieren.
Aber es ist immer so bei Einsätzen, dass man erst im Nachhinein wirklich einen Überblick über das Geschehen bekommt. Wenn man in solche Sachen reingeht, hat man meistens erst mal ganz wenig Überblick oder Verständnis für die Lage.
Ein Kleinkind liegt mit verbundenen Kopf auf einem eisernen Bettgestell in eine blaue Decke gehüllt und schläft.
Im Flüchtlingslager Benaco in Tanzania 1094.© Karsten Thielker
Welty: Konnten oder wollten Sie noch entscheiden, welche Bilder veröffentlicht werden und welche nicht?
Thielker: Man muss sagen, dass im Laufe der 90er durch die Kriege in Bosnien und so weiter die Bilder blutiger geworden sind. Ich hab natürlich auch angefangen, härtere Bilder zu schicken, als ich sie früher geschickt habe. Die gehen natürlich durch einen Filter in der Bildredaktion. Dort wird letztendlich entschieden, was weiter veröffentlicht wird. Der Filter ist immer da von AP. Aber die Grenzen haben sich wirklich verschoben, dass mehr Brutalität gezeigt wird.

Alte Bilder sind in der Schublade

Welty: Welches Bild von damals ist Ihnen heute noch das wichtigste?
Thielker: Das wichtigste – das ist schwer zu sagen. Ich bin ein Mensch, der harmoniebedürftig ist. Deshalb ist es mir lieber, dass ich heute Bilder habe, die zeigen, wie Ruanda jetzt lebt oder wie Menschen hier wieder tanzen können und glücklich sind. Die alten Bilder sind eigentlich in der Schublade.
Welty: Sollten da auch bleiben?
Thielker: Ja, nein, man bewältigt das schon im Laufe der Jahre. Das ist jetzt 25 Jahre her, und da hat auch eine Bewältigung stattgefunden. Ich hab mich nicht davor gedrückt, aber es ist ein Kapitel, das für mich eigentlich abgeschlossen ist. Ich bin dankbar, dass ich jetzt über dieses Stipendium die Gelegenheit habe, noch mal das neue, lebendige Ruanda zu erleben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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