25 Jahre Neue Länder

Aufstieg und Fall der Thüringer CDU

CDU-Fraktionschef Mike Mohring (links) bei einer Sondersitzung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik im Thüringer Landtag.
Thüringer Landtag: CDU-Fraktionschef Mike Mohring (links) bei einer Sondersitzung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik © dpa / picture alliance / Michael Reichel
Von Henry Bernhard |
Nach der Wende hat die CDU in Thüringen rund 24 Jahre lang regiert - bis sie vergangenes Jahr von der Linken um Bodo Ramelow abgelöst wurde. Unser Autor Henry Bernhard blickt zurück auf eine wechselvolle Parteigeschichte.
"Auf den Wahlvorschlag der Linken, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, den Abgeordneten Bodo Ramelow, entfielen 46 Ja-Stimmen."
Der 5. Dezember 2014 war für die Thüringer CDU ein Desaster. Ein linker Ministerpräsident in dem Bundesland, das seit 1990 ununterbrochen von Christdemokraten regiert worden war. Ein linker Ministerpräsident in dem Bundesland, in dem sich die CDU wie eine Thüringer Variante der CSU empfand – als "Thüringenpartei". Noch ein knappes Vierteljahr zuvor, am Wahlabend, war die amtierende Regierungschefin Christine Lieberknecht hemmungslos optimistisch:
"Wir sind mit Abstand stärkste Partei, und wir haben von den im Landtag vertretenen Parteien am meisten zugelegt; wir werden eine größere CDU-Landtagsfraktion haben als wir sie bisher hatten; wir haben zugelegt. Wir haben gewonnen, liebe Freunde!"
Ihrem Parteifreund und damals Noch-Innenminister Jörg Geibert ging es ähnlich:
"Das kann ich mir nicht vorstellen, dass es eine andere Landesregierung geben würde, der die CDU nicht angehören würde."
Und in der Tat hatte die CDU eine Chance. Aber die heftig umworbene SPD entschied sich gegen eine neue große Koalition, für Rot-Rot-Grün. Bodo Ramelow wurde der erste Linke Ministerpräsident. Christine Lieberknecht sitzt seitdem zum ersten Mal seit 1990 nicht in der ersten Reihe der Verantwortung.
"Es ist spannend! Ich bin wieder im Leben angekommen und eingetaucht. 'Resozialisierung', wenn man so will. Mein Mann sagt immer. Wenn ich in der Kaufhalle bin, dann begucke ich die Regale immer von oben bis unten und wundere mich, was es alles gibt!"
Christine Lieberknecht mit ihrer ununterbrochenen Polit-Karriere steht für den Erfolg, aber auch den Niedergang der CDU in Thüringen. 1989 war sie eine junge Dorfpfarrerin, die sich in der CDU engagierte, eher reformsozialistisch als rebellisch angehaucht. Damals startete sie in die große Politik, mehr zufällig als bewusst, indem sie den "Weimarer Brief" unterschrieb, den ersten Versuch innerhalb der gleichgeschalteten DDR-CDU, sich aus der Umarmung der SED zu lösen.
"Und dann war ich plötzlich bekannt! Und dann war tatsächlich die Berichterstattung in der FR, der FAZ, in der Tagesschau. Und seitdem bin ich eigentlich aus der Öffentlichkeit auch nicht wieder weggetreten."
Ein Glück wie Zufall für Lieberknecht und ihre Partei, findet ihr Biograf Martin Debes:
"Sie hat es genutzt, um in der Politik etwas zu werden; und die Partei hat es auch genutzt, um Lieberknecht quasi als "Postergirl" der reformerischen CDU darzustellen und zu benutzen. Also, ohne den Brief aus Weimar wäre sie nicht geworden, was sie jetzt ist."
Lieberknecht war jung und unbelastet
Die damals 31-Jährige fand schnell Geschmack an der Politik. Sie war jung und unbelastet, wurde schnell amtierende Parteivorsitzende. Sie setzte – gegen einen Parteitagsbeschluss – Josef Duchač als Spitzendkandidaten zur Landtagswahl durch, einen Ingenieur und Alt-CDU-Funktionär. Die Thüringer CDU erhielt zur ersten Landtagswahl üppige 45 Prozent und Duchač stand einer CDU-FDP-Koalition vor. Nach einem guten Jahr aber war die Regierung zerrüttet, die Umfragewerte im Keller und der Ministerpräsident überfordert und verschlissen. So erinnert sich Gerd Schuchardt, damals Fraktionschef der SPD im Landtag:
"Ein großes Ärgernis war damals durchaus, dass von der CDU-geführten Landesregierung auf den Weg gebracht es Kriterien gab hinsichtlich der Vergangenheitsbelastung, wer in der Lage ist zum Beispiel noch, in Thüringen Lehrer zu sein. Und nach diesen Kriterien hätte Duchač – nach seinen eigenen Kriterien! – letzten Endes nicht mehr Lehrer sein können. Aber Ministerpräsident – das ging. Also, das war eine sehr absurde Situation."
Josef Duchač war nicht mehr zu halten. Seine Kultusministerin Christine Lieberknecht zwang ihn mit ihrem Rücktritt zum eigenen Rücktritt. Es übernahm der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel:
"Ich bin sehr freundlich, aber auch sehr erwartungsvoll aufgenommen worden. Und natürlich: Einiges gleicht sich; in Rheinland-Pfalz gab es ein Kabinett, eine Fraktion und dergleichen, genau wie hier. Aber im Übrigen der Vollzug war in den ersten Jahren völlig anders. Er war so wie in Rheinland-Pfalz in den allerersten Jahren nach '45! Es musste alles aufgebaut, alles angestoßen werden."
Vogel kam gern, brachte vieles auf den Weg, erst mit der FDP, später mit der SPD und schließlich in einer CDU-Alleinregierung. Dabei kamen ihm die Blockpartei-Strukturen der DDR durchaus entgegen.
"Die Thüringer CDU macht aus, dass sie – im Gegensatz zu den anderen politischen Parteien, insbesondere zur SPD – von Anfang an ein flächendeckendes Netz über das ganze Land besaß und noch heute besitzt."
Bernhard Vogel, der alte Fuchs aus dem Westen, scharte eine junge Truppe um sich, die ihm unbelastet von der DDR schien. Und er ließ sich jenseits der Parteigrenzen auf das Land und seine Leute ein – und setzte damit Maßstäbe, wie eine seiner Nachfolgerinnen bekennt. Christine Lieberknecht:
"Die Thüringer aufgrund ihrer Historie – herkommend aus diesen kleinen Fürsten- und Herzogtümern – waren es gewöhnt, dass der Fürst, der Herzog, die Obrigkeit sozusagen, immer vor der Haustür war und kein Fest ohne stattfand. Das hat Bernhard Vogel sehr vorbildlich bedient und damit auch einem Bedürfnis der Thüringer Rechnung getragen."
Auch der frühere SPD-Politiker Gerd Schuchardt kann sich gut an die volksnahe Regentschaft Bernhard Vogels erinnern:
"Na ja, er hat der Thüringer CDU das Gefühl vermittelt, die staatstragende Partei hier zu sein und ein unausgesprochenes Gefühl, auf immer und ewig hier die Regierungsführerschaft zu haben."
Vogel führte die CDU auf den Gipfel der Macht
Doch zuvor führte Bernhard Vogel die Thüringer CDU auf den Gipfel der Macht. 1999 erreichte sie mit 51 Prozent die absolute Mehrheit, alle Direktmandate, eine Alleinregierung über zwei Legislaturperioden. Der Journalist Martin Debes:
"Also, Bernhard Vogel wird innerhalb der Partei im Nachhinein immer wieder gerne als Glücksfall bezeichnet. Das ist nicht ganz falsch, weil Vogel das Wichtigste gebracht hat nach Thüringen, was man damals haben konnte, nämlich Stabilität. Die Nachteile, die die Vogelsche Regierung gebracht hat, sind eigentlich im Nachhinein mehr zu besichtigen; nämlich, dass er die Stabilität hauptsächlich mit Geld erkauft hat."
14 Milliarden Euro Schulden hat Thüringen bis heute angehäuft. Eine Bürde für die Zukunft. Vogels dritte Legislaturperiode stand ganz im Zeichen der Machtübergabe an seinen Zögling, Dieter Althaus, einem jungen Lehrer, den er erst zum Kultusminister, später zum Fraktionsvorsitzenden im Landtag und zum Parteivorsitzenden machte.
Vogel: "Das ist die Voraussetzung um die Wettbewerbsfähigkeit um andere Ämter."
Problematisch war nur, dass Vogel die ganze Legislaturperiode über darum bemüht war, Ruhe zu bewahren und einen glatten Übergang zu seinem Nachfolger zu organisieren – und darüber hinaus das Gestalten vernachlässigt hat, meint Martin Debes:
"Es ist immer so: Wenn man lange regiert, muss man sich neu erfinden. Das ist der CSU in Bayern zum Beispiel mehrfach geglückt. Und dieser Versuch, zu sagen, 'Wir sind jetzt das, was die CSU in Bayern ist, die Bayernpartei, sind wir in Thüringen die Thüringenpartei!', der ist grandios gescheitert."
Der Wechsel zu Dieter Althaus aber glückte. Sechs Jahre, von 2003 bis 2009, war der Ministerpräsident von Thüringen. Er habe das Amt gar nicht so schlecht ausgeführt, meinen Beobachter. Aber zu selbstherrlich, auch gegenüber den eigenen Leuten. So erlebte es auch Gerd Schuchardt, SPD, im Landtag:
"Ich persönlich bin mit Dieter Althaus immer gut zurechtgekommen. Andererseits hat er später dann in der CDU-Alleinregierung doch einen ziemlich scharfen Kurs gegen die Opposition gefahren. Er hat sich dann eine Menge Gegner geschaffen durch sein Agieren, sodass es für die spätere SPD-Führung in Thüringen unvorstellbar war, mit Althaus noch einmal eine Koalition einzugehen."
Im Wahljahr 2009 geschah ein Unglück, dass neben den unmittelbar Betroffenen die Thüringer CDU nachhaltig verändern sollte. Bei einem Skiunfall verletzte der Ministerpräsident Dieter Althaus eine Österreicherin tödlich. Ein Gericht verurteilte ihn wegen fahrlässiger Tötung. Lange Zeit war unklar, ob er wieder ins Amt zurückkehren könnte. Doch seine CDU wählte ihn noch in Abwesenheit zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl.
Als Althaus zurückkam, wirkte er teilnahmslos, geschwächt, autistisch, überfordert. Die CDU verlor in Folge im Landtag ein Drittel ihrer Mandate und war auf die SPD als Koalitionspartner angewiesen. Völlig unerwartet und ohne Absprache mit seiner Partei und ohne Nachfolgeregelungen trat Althaus vier Tage nach der Wahl zurück, als Ministerpräsident und als CDU-Vorsitzender. In dem Moment ergriff Sozialministerin Christine Lieberknecht die Chance. Sie wollte nun Ministerpräsidentin werden und erklärte im Deutschlandfunk:
"Auf jeden Fall ist die Ära von Dieter Althaus mit dem Rücktritt, den er selbst erklärt hat, zu Ende."
Am gleichen Tag aber kehrte Althaus nach Erfurt zurück, um die Kabinettssitzung zu leiten, als wäre nichts geschehen. Der Rücktritt vom Rücktritt. Die CDU war vor dem Zerbersten. Wieder sprach Christine Lieberknecht Klartext:
"Die Verfassungslage ist eindeutig auf Seiten von Dieter Althaus. Aber die Verfassungslage ist das eine, die politische Wahrnehmung ist das andere; und es gab doch einen großen Druck von vielen Parteifreunden, die gesagt haben: Es muss jetzt Klarheit her."
"Der Sinn von Politik ist Freiheit"
Lieberknecht sorgte für Klarheit und ging eine Koalition mit der SPD ein, die eigentlich schon mit den Linken und den Grünen geliebäugelt hatte.
"Der Sinn von Politik ist Freiheit. Ich verstehe mich so, dass ich Rahmenbedingungen setze, in der Wirtschaft ihr eigenes Wort macht, indem Menschen selber entscheiden können, wie sie leben wollen, wo sie ihrer Prioritäten setzen. Ich bin weit entfernt von dieser Weltbeglückermentalität, die nun mal leider im linken Lager zu Hause ist."
Und so verwaltete sie Thüringen wieder mehr, als es zu gestalten. Die dringend nötige Gebiets- und Verwaltungsreform blieb aus. Lieberknecht verkaufte Thüringen trotz weniger werdender CDU-Bürgermeister und -Landräte weiter als genuines CDU-Land und sich selbst als Landesmutter.
"Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Frau, die unser Land in eine gute Zukunft führt: Unsere Landesmutter Christine Lieberknecht, eine Thüringerin aus Leidenschaft."
Lieberknecht: "Thüringen ist das Land der Originale. Und dafür müssen wir stehen."
Lieberknechts letztes Regierungsjahr war geprägt von schweren politischen Skandalen. Ihre Personalpolitik geriet zum Desaster. Auch ihre mütterliche, pastorale, auf Ausgleich mit dem Koalitionspartner SPD bedachte Art hat ihr nicht nur Freunde in der Partei gemacht. Ihr stärkster Gegner, Fraktionsvorsitzender Mike Mohring, suchte, wo immer es ging, den Konflikt mit ihr. Schließlich hält er sich für den besseren Parteivorsitzenden, den besseren Ministerpräsidenten; schließlich sollte er einmal Dieter Althaus beerben.
"Ich freue mich immer auf Parteitage, weil das für einen guten Parteipolitiker dazu gehört, dass Parteitage das Leben der Partei zugespitzt gemeinsam erleben lässt."
Weit vorgewagt hat sich Mike Mohring nach der Landtagswahl im vergangenen Dezember. Nachdem sich die SPD für das rot-rot-grüne Experiment entschieden hatte, versuchte Mohring, den Machtverlust der CDU mit allen Mitteln zu verhindern und selbst an die Spitze zu gelangen. Auf eigene Faust führte er Gespräche mit der AfD, erwog gar, sich von ihr und möglichen Abweichlern von Rot-Rot-Grün zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Doch Mohring hatte sich verkalkuliert: Seine Chancen waren minimal, das Risiko jedoch hoch, durch den Kontakt mit der Rechtsaußen-AfD politisch verbrannt zu werden. Er bezahlte das Experiment mit der Nicht-Wiederwahl in den CDU-Bundesvorstand. Die Wahl zum Thüringer Parteivorsitzenden im vergangenen Dezember brachte ihn jedoch zurück:
"Viele Grüße nach Berlin! Willkommen zurück im Bundesvorstand nach vier Tagen!"
Von den AfD-Gedankenspielen will er heute nichts mehr wissen. Nun macht er der SPD und den Grünen Avancen und bringt sich als Fraktions- und Parteivorsitzender in Stellung für die nächste Landtagswahl:
"Ich sage den Leuten jetzt immer, wenn sie mich fragen, 'Ist Opposition Mist?', was Franz Müntefering gesagt hat, dann sage ich: Nein, Opposition macht Spaß, wenn es nur noch, von heute an gerechnet, drei Jahre und zehn Monate dauert."
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