25 Jahre Performance-Theater von "She She Pop"

"Wir glauben an das Theater als Raum der Öffentlichkeit"

Performancegruppe "She She Pop" am Berliner Hebbel am Ufer
Das Theaterkollektiv "She She Pop" am Berliner Hebbel am Ufer mit ihrem Stück "Ende" © picture alliance / dpa / Foto: Claudia Esch-Kenkel
Von Gerd Brendel |
Sieben Frauen und ein Mann stehen mit "She She Pop" für eine Theaterform, die dem Experiment verpflichtet ist. Was vor 25 Jahren als studentische Idee begann, hat längst Theatergeschichte geschrieben.
Das Berliner Theaterkollektiv "She She Pop" sieht seine Aufgabe in der Suche nach den gesellschaftlichen Grenzen der Kommunikation – und in deren gezielter und kunstvoller Überschreitung im Schutzraum des Theaters. Dabei erhält auch das Publikum häufig die Aufgabe als Mitmacher und Ideengeber.
Sebastian Barg: "Das sieht so aus, dass wir keine Dramen spielen von vorne nach hinten, sondern wir entwickeln Situationen, Szenarios."

Von ZZ-Top zu "She She Pop"

Und das seit 25 Jahren. Als sich in den 90er Jahren fünf Studentinnen für angewandte Theaterwissenschaften in Gießen falsche Bärte umhängten und mit einer Parodie auf die Rockmachos von ZZ-Top beim Diskurs-Theaterfestival als "She She Pop" ihre Bühnenkarriere begannen.
Sebastian Bark kam später dazu. Er und seine sechs Kolleginnen vom Performance-Kollektiv She She Pop befolgen einen Glaubenssatz:
"Wir glauben an das Theater als Raum der Öffentlichkeit."
Und ein Anti-Credo. Lisa Lucassen:
"Deswegen hab ich diesen Unglauben an die vierte Wand, die so so tut als seien die gar nicht da."
Was bedeutet dann Theater für "She She Pop"?
Lisa Lucassen: "Das bedeutet nur, dass Leute dabei zugucken. Aber es bedeutet nicht, dass man irgendwie einen literarischen Text und einen erfundenen Namen für sich benutzt und sagt, was man zu sagen hat, und nicht was andere Leute wie Goethe oder Shakespeare für einen aufgeschrieben haben."

Das Publikum muss mitmachen

Und deswegen werden "die anderen", die Zuschauer, von Lisa Lucassen und ihren Mit-Performern gefordert:
"Worum geht es? Es geht um ein Thema. Dieses Thema möchte ich von ihnen bekommen. Das ist die Relevanz-Show - wichtig sein."
Egal, ob "She She Pop" mit dem Publikum eine "Relevanz-Show" veranstaltet und wie in einer TV-Show Kandidaten mit ihren Themen castet oder die eigenen Väter auf die Bühne bringt und mit ihnen nach dem Preis von Eltern- und Kinderliebe fragt.
"Ich machs wie Lear. Gebe alles ganz schnell ab und kriege dafür diese Liebe der Tochter. Die fällt aber auch ganz schnell wieder ab."
Die Alten rechnen vor, die Jungen halten dagegen: "Ich möchte Ausgleich fordern, für die Enkel die Mittel erhalten."
"Testament" nach Motiven von Shakespeares König Lear ist die bisher erfolgreichste Produktion der sieben Theaterforscherinnen. 2011 wurden "She She Pop" damit zum Theatertreffen eingeladen.

Kreisen um soziale Scham

Über 30 Stücke haben "She She Pop" in einem Vierteljahrhundert produziert. Sie gastierten in Frankreich und Japan, haben an großen Häusern gespielt, und mehr als einmal hing die Existenz des Kollektivs am seidenen Faden, weil mal wieder ein Förderantrag nicht bewilligt wurde. Aber durch all die Jahre sind sie einem Thema treu geblieben:
"Das ist ein Leitmotiv unserer Arbeit: 'Soziale Scham' ", sagt Gründungsmitglied Ilia Papatheodorou. "Das hat schon damit angefangen, weil unsere Anträge nicht durchgegangen sind. Wir landen immer im Rahmenprogramm – diese Scham offen anzunehmen und damit zu spielen und die ganze Zeit mit den Zuschauern über soziale Scham zu sprechen. An so Punkte ranzugehen, wo es uns weh tut. Das klingt ganz schrecklich, lass uns das machen."

Die große Familie feiert

Und so lautet auch der Titel der Geburtstagsgala "Shame, Shame, Shame", die "She She Pop" an diesem Wochenende sich und ihrem Publikum schenken. Irgendwann stehen sie da, die sechs Theatermacherinnen und der eine Theatermacher in ihren langen Paielletenkleidern und ziehen Bilanz. Aufrichtig, ein bißschen pathetisch und ein bißchen rührend. In der Probe zur Gala singt das Kollektiv:
"In den vergangenen 25 Jahren – wir wissen ja d-g-H ist d-g-H – der größte Horror ist zugleich die größte Hoffnung. Das gilt für uns und für euch. Ihr wolltet irgendetwas für uns sein, eine utopische Zwangsgemeinschaft am Lagerfeuer und unsere Famile. Wir haben euch zu unseren Fans, Produzenten, Kritikern gemacht und uns mit Tomaten und rohen Eiern bewerfen lassen und wir haben euch gezwungen die Welt durch unsere Augen zu sehen."
Dann gibt es Wodka für alle. Glückwunsch "She She Pop"!
(mle)
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