Erschütterung und Entlastung im Kino-Sessel
Vor 25 Jahren kam Steven Spielbergs "Schindlers Liste" in die Kinos. Ausgezeichnet mit sieben Oscars und allein in Deutschland sechs Millionen Zuschauern war er sehr erfolgreich. Doch bot der Film eine zu einfache Holocaust-Entlastung an?
Es war eine Nachmittagsvorstellung, "Schindlers Liste" hatte schon seine sieben Oscars gewonnen, als Imke Brosch, damals 15 Jahre alt, ins Kino ging.
"Und dann war ja der ganze Abend noch… ja, bedrückend irgendwie. Dass man immer wieder daran denkt, wie schrecklich das nun ist, dieser Film. Und wie schrecklich das dann auch wirklich war, und dass sich das hier abgespielt hat alles. Und das eben in diesem Volk. Wir waren alle ziemlich schweigsam, als wir wir aus dem Kino kamen."
Tränen im Kinosaal
Und Elham Sumek, 1994 18 Jahre alte Schülerin, fasste die Erwartung an "Schindlers Liste" und ihre Reaktion nach dem Kinobesuch so zusammen:
"Ich hatte nicht erwartet, dass mich das, ja, so erschüttert. Und ich dachte, vielleicht bin ich selber mehr davon betroffen, weil ich halt, ja, weil ich halt Jude bin, aber das war es nicht."
Die Rezeption von "Schindlers Liste" war durchaus unterschiedlich bei Publikum und Kritik. Sechs Millionen deutsche Kinozuschauer sahen Spielbergs Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die sich bei ihm in der Geschichte von Oskar Schindler kristallisierte, diesem Nazi und Frauenhelden, der 1939 als Kriegsspekulant in das von der SS beherrschte Polen zieht, in seiner von Juden betriebenen Fabrik immensen Profit macht und – 1945 – 1200 seiner jüdischen Arbeiter vor der Vernichtung in Auschwitz rettet. Ein Opus magnum, drei Stunden und 15 Minuten lang. In Schwarzweiß. Und die Kritiker? Sie waren gespalten.
Die abscheuliche Schlagzeile über Will Trempers Artikel in der "Welt" lautete: "Indiana Jones im Ghetto von Krakau". Aber auch Claude Lanzmann verurteilte "Schindlers Liste" als scheinauthentisch; nichts von dem, was geschehen sei, meinte der Regisseur von "Shoah", habe auch nur die Ähnlichkeit mit dem, was Spielberg zeige. Der Verriss des Auschwitz-Überlebenden und Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész bezog sich auf das "positive Denken", das ja einer Erzählung zugrunde liege, in der einer wie Schindler mitten im Holocaust 1200 Juden rettet. Damit schienen sich die Vorbehalte gegenüber Steven Spielberg, dem größten Märchenerzähler Hollywoods, zu bestätigen.
Dem widersprach Andreas Kilb in der "Zeit": Spielberg sei es gelungen, die Geschichte der Ghettos und Konzentrationslager in eine "Kino-Fiktion" zu verwandeln, ohne sie durch "kitschige oder billig-brutale Effekte zu entstellen". Auch für die Kinogänger damals aber war die Frage nach dem Happy End strittig und ebenso die nach dem Sündenerlass, den Spielberg womöglich anbot für die Deutschen.
"Der Film bietet eine geschichtliche Entlastung an", ...
...meinte der Student Sven nach seinem Kinobesuch; die Hausfrau Gisela Peters und der Kaufmann Karl-Heinz Kaluzza widersprachen:
"Das denke ich, tut er nicht. - Da bin ich anderer Meinung, nein, das kann man überhaupt nicht sagen. Keine Entlastung, eine generelle Entlastung ganz bestimmt nicht."
Schindler als Ausnahmefigur
Also bot Spielberg nun mit seinem deutschen Judenretter den Sünden-Ablass an oder nicht? Keineswegs, meinte Micha Robeni, Hamburger Jude, 1994:
"Ich finde, es ist trotzdem noch sehr wenig. Auch wenn es einen oder zehn oder hundert Menschen gab, die sich dagegen aufgebäumt haben. Es gab Millionen, die nichts getan haben. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass Oskar Schindler eine Ausnahmefigur war."
Und Tränen im Kinosaal über das Grauen angesichts der Mordes an sechs Millionen, während hier die Rettung von 1200 erzählt wird?
"Während des gesamten Filmes habe ich nicht geweint, dann kam die Schlussszene, wo Oskar Schindler sich von den Juden verabschiedet hat und daraufhin die Szene, wo die Überlebenden an seinem Grab in Israel sind. Und nach dem Film war ich in einer so deprimierten Stimmung, dass mir auf dem Heimweg im Auto plötzlich dann die Tränen runter kullerten."
Es stellten sich viele Fragen an den Film, auch die, ob Tränen, also Betroffenheit Erkenntnis oder gar historisches Bewusstsein fördern können. Oder waren sie falsch? Manipulatives Ergebnis der Hollywood-Maschine eines Filmemachers, der bei den Dreharbeiten zu "Schindlers Liste" via Satellit die Postproduktion seines im gleichen Jahr herauskommenden Blockbusters "Jurassic Park" abschloss. Aus der Rückschau zeigt sich allerdings deutlich, dass Spielbergs Film, ebenso wie die 1978 ausgestrahlte TV-Serie "Holocaust", ebenso wie Lanzmanns Dokumentarfilm "Shoah", wichtiger Bestandteil für die quälende, mühsame Auseinandersetzung mit dem Holocaust war.
Zu "Schindlers Liste" schrieb der Filmkritiker Andreas Kilb vor 25 Jahren: Die Zuschauer w(!)ollten das "Vergessen überwinden". Das sei Spielbergs Ziel gewesen; er hätte es erreicht. Das "Überwinden von Vergessen" und damit die Erinnerung - Wenn heute etwas offensichtlich ist, dann dies! -, sie sind ein Prozess, der nie zum Ende kommen kann.