"Sie können als Künstler sehr, sehr viel machen in China"
Nach dem Tiananmen-Massaker im Juni 1989 gab es direkte künstlerische Reaktionen, erläutert der China-Experte Andreas Schmid. Auch wenn dies heute nicht mehr möglich sei, hätten die Freiheiten für Künstler trotzdem zugenommen.
Katrin Heise: Es gibt Bilder, die stehen für ein Ereignis, für ein Geschehen, man könnte sagen, geradezu ikonografisch stehen sie dafür, das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Das verbinden wir im Westen mit einem Foto, mit dem Foto eines jungen Mannes, der alleine vor einer Reihe von vier Panzern steht, sich ihnen in den Weg stellt, ihnen gegenübersteht jedenfalls, ihren Weg kreuzt. In China ist dieses Bild aber nahezu unbekannt. Die chinesische Regierung hat jahrelang daran gearbeitet, dass das Tiananmen-Massaker nicht im Bewusstsein der Bevölkerung ist. Und insofern ist es wahrscheinlich auch nicht erstaunlich, dass das Ereignis in der chinesischen Kunst auch nicht wirklich auftaucht.
Der Künstler Andreas Schmid ist seit vielen Jahren regelmäßig in China, hat zur dortigen Künstlerszene engen Kontakt. Derzeit läuft ja in Berlin den Ausstellung "Die 8 der Wege. Kunst in Beijing", die Andreas Schmid mit kuratiert. Und jetzt ist er hier im Studio zu Gast – schönen guten Tag!
Andreas Schmid: Ich grüße Sie, guten Tag!
Heise: Es geht in der Ausstellung ja um die zeitgenössische, also aktuelle Kunst, und Sie haben im Vorfeld, Sie haben mir gesagt, jetzt, also die Ausstellung läuft jetzt schon eine ganze Weile, aber für das letzte Mal sind Sie vor sechs Wochen in China gewesen. Sie haben also ständigen Kontakt zu chinesischen Künstlern, sind in ihren Ateliers, besuchen sie, können sich mit ihnen austauschen. Spielt da jetzt eigentlich Tiananmen eine Rolle in den Gesprächen?
Schmid: Bei manchen Künstlern spielt es eine Rolle. Manche haben mich angesprochen, manche haben auch auf den Titel angesprochen, "Die 8 der Wege", da sagen sie acht und neun, weil wir in der Erklärung haben, dass Duchamps gesagt hat, ab neun kann man nicht mehr, acht, neun kann man nicht mehr, hat eine Vielzahl an Bedeutungen, die kann man nicht mehr …
Heise: Da sind wir bei dem Jahr, '89.
Schmid: Ja, genau, und die haben das sofort so gelesen. Aber nicht alle natürlich, sondern nur ein Teil. Also ein Teil der Kuratoren.
Heise: Denn dazu muss man sagen, das Jahr 89, wird in China zum Teil einfach ausgespart. Es wird nicht erwähnt, wegen der Vorfälle, wegen des Massakers. Das heißt, da muss aber dann schon eine sehr vertrauensvolle Basis da sein, wenn man doch das Thema ansprechen kann.
"Nicht alle gleich mit dieser Frage bedrängen"
Schmid: Das ist richtig. Man muss auch vorsichtig sein und nicht alle gleich mit dieser Frage bedrängen. Das finde ich auch sehr wichtig, dass man nicht immer mit der Tür ins Haus fällt und sagt, so, jetzt müsst ihr aber mal sagen, was euch dazu einfällt, sondern mit manchen kommt man dann auf diese Frage, mit anderen weniger. Ich muss Ihnen übrigens sagen, es gab chinesische Künstler, die sich damit beschäftigt haben, nämlich direkt nach dem Massaker, nach 89 haben wirklich gleich Künstler wie Wang Guangyi, zum Beispiel "Weather Report" oder "Weather", ein Ölbild, gemalt, das dann Tiananmen gezeigt hat mit Minusgraden, mit einer Temperaturskala, auf der Minusgrade angezeigt waren. Das war eine direkte Reaktion auf Tiananmen. Das war allerdings gleich Anfang der 90er-Jahre.
Heise: Was ist aus dem Bild und aus dem Künstler geworden?
Schmid: Also gut, der Künstler ist nach wie vor einer der bekanntesten chinesischen Künstler, und dem Bild geht es auch – ging es auch gut, das heißt, wir haben es gezeigt 1993 in der Ausstellung "China Avantgarde", damals im Haus der Kulturen der Welt. Es gab auch andere Künstler in Amerika, die reagiert haben und von Fotos, die aufgenommen waren um den Platz nach dem Massaker, die das dann ins Bild gesetzt haben in Öl und auch darauf reagiert haben. Aber im Land selber eben bedingt.
Heise: Und Sie haben gesagt, es hat direkt danach diese Reaktionen und diese Bilder gegeben, dann aber irgendwann nicht mehr.
"Die Freiheiten für Künstler haben trotzdem zugenommen"
Schmid: Es wurde nicht mehr direkt Bezug genommen, weil das Thema dann irgendwann – sozusagen das Thema – die Anlässe sind nicht vom Tisch, aber die Aktion ist gelaufen und die Repression gab es direkt danach, die Depression sozusagen. Jetzt ist es eher so, dass – was ich gut finde, die Freiheiten für Künstler haben trotzdem zugenommen. Sie können als Künstler sehr, sehr viel machen in China, das zeigt sich auch in unserer Ausstellung. Und gleichzeitig beschäftigen sich Künstler mit Geschichte.
Heise: Wie beschäftigen sie sich mit Geschichte, und mit welcher Geschichte?
Schmid: Sie beschäftigen sich einerseits mit ihrer Geschichte, das betrifft zum Beispiel den Künstler Li Ran, der in unserer Ausstellung ist, der befasst sich mit der Moderne, was heißt denn die Moderne. Und der macht das mit Videomitteln, also mit den Mitteln des Videos. Er spielt aber meistens auch selbst drin und führt Regie, und geht dann den Spuren nach, wie zum Beispiel die Ölmalerei von Paris nach China gekommen ist, aber immer mit Ironie und auch mit Reflexion, mit eigenen Gedanken, auch aus dem Tagebuch von Leuten, die eben in Paris waren. Auf der anderen Seite gibt es Künstler, Künstlerinnen, zum Beispiel Fang Lu, die hat mit zwei anderen Kollegen und Freunden ein sogenanntes Videobüro eingerichtet in Peking, in dem einfach autonome Filme gesammelt werden und wo sich jeder, der das möchte, die Filme ansehen kann. Die machen richtig gutes Programm. Das ist natürlich jetzt nicht die große Aktion, aber solche Dinge fördern eine Veränderung des Bewusstseins.
Heise: Mit dem Kurator und Experten für chinesische Kunst, Andreas Schmid, unterhalte ich mich über Tiananmen 25 Jahre später, welche Rolle das Geschehen in der Kunst einnimmt. Herr Schmid, was beobachten Sie für künstlerische Ausdrucksformen? Wie äußern sich Zeitgenossen zu, ja, geschichtlichen Themen? Kommen wir noch mal auf Tiananmen zurück, auf diese Bilder zurück. Sie haben jetzt so ein bisschen was uns angedeutet, was allerdings jetzt nicht unbedingt direkte Kritik an der Gesellschaft sein kann, sondern immer hintergründig gelesen werden muss?
"Meistens ist es nicht total deutlich apostrophiert"
Schmid: Meistens ist es nicht total deutlich apostrophiert, also anders ausgedrückt, es gibt von Zhao Zhao eine Arbeit in der Ausstellung, das ist sozusagen ein Stolperstein auf dem Tiananmen. Das ging halt gar nicht mehr, das könnte man heute gar nicht mehr machen. Die ist von 2008, die Arbeit. Es gab früher von Sun Dung, einem anderen Pekinger Künstler, eine Fotoarbeit. Er zeigt ihn einmal am Boden liegend, wie er den Tiananmen-Platz anhaucht, und es passiert nichts. Und dann ist er dahinter, hinter dem Tiananmen gibt es die Seen, und am See, zeigt ihn auch an einem See, und da bewegt sich die Erde. Das ist natürlich auch wieder ein Bild, was nur zwischen den Zeilen gelesen werden kann, aber gelesen wurde. Das war in den 90ern.
Heise: Sie beobachten die chinesische Künstlerszene oder Kunstszene, aber natürlich immer im Zusammenhang mit der gesamten gesellschaftlichen Debatte. Sind das eigentlich Pole, sag ich mal? Denn wenn ich zum Beispiel heute in der "Frankfurter Allgemeinen" lese, da wird im Feuilleton sich darüber Gedanken gemacht über den Mainstream, und der Mainstream in der Gesellschaft, der chinesischen Gesellschaft, ist ein komplett anderer. Der will sich nicht mit geschichtlichen Themen beziehungsweise nicht mit der, gerade mit Tiananmen auseinandersetzen. Müssen Künstler dann also dagegen bürsten und sich wirklich so als Outcasts da an den Rand stellen?
Schmid: Ich weiß nicht, ob sie sich an den Rand gestellt fühlen. Wenn man generell das künstlerische Schaffen als eines der kleinen Ereignisse in China nehmen will oder die Intellektuellen, dann haben Sie recht, dann sind sie tatsächlich nicht Mainstream. Dann hat die Kunst ihr Spielfeld sozusagen, wo sie agieren kann, und durch die Kapitalisierung der Kunst ist das natürlich noch viel mehr möglich, sich da abdriften zu lassen. Wie ich aber beobachtet habe, gibt es unter den Künstlern und aber auch in der Führung von Museen zum Beispiel in den mittleren Bereichen, in der mittleren Etage, Personen, die eben zum Beispiel Programme machen, die dann wirklich eine Veränderung evozieren. Die haben so ein tolles Programm oder so ein spannendes Programm, was das Denken eben nicht ausschließt. Das ist jetzt nicht direkt auf Tiananmen bezogen oder auf eine ganz geschichtliche Basis, aber es zielt auf die Veränderung des Bewusstseins. Und ich traue dem viel zu.
Heise: Wie groß ist da dann der Besucherandrang, also wie stark werden derlei Ausstellungen dann auch angenommen?
"Das war sagenhaft, wie viele jüngere Leute das interessiert"
Schmid: Groß! Der Besucherandrang ist sehr groß. Man muss wirklich sagen, also ich war ganz erstaunt, ich habe sowohl 2008 bei der Guangzhou-Triennale die Eröffnung mitbekommen und die ersten drei Tage. Das war sagenhaft, wie viel jüngere Leute da, vor allem jüngere, wie sie das interessiert, und nicht nur als jetzt ein Konsumereignis, das man einfach mal abhakt und nette Bilder sieht, denn das war überhaupt nicht so, sondern bei vielen Dingen, konnte man wirklich auch, hatte man viel drüber nachzudenken und war viel Kritisches dabei, aber eben nie in diesem direkten Sinne, wie wir das vielleicht gerne hätten.
Heise: Ein interessanter Ansatz, wo Sie sagen, wie wir das gerne hätten. Weil wir natürlich komplett erstaunt sind, dass das trauern in China, im Moment, ich habe gelesen, das Wort "Trauer" wird im Moment gerade zensiert im Internet, weil man sich auf die Trauer der Tiananmen-Opfer da kaprizieren könnte – das sind Dinge, auf die wir zugreifen. Sie sehen aber auf der anderen Seite Hoffnung?
Schmid: Das ist natürlich traurig-skurril, was Sie beschreiben. Es gibt auch – "free" oder so was, dieses Wort, "frei" oder "free", darf man auch nicht googeln. Bestimmte Dinge oder überhaupt der Zugang zu Google ist eher eingeschränkt, wie wir heute gehört haben noch mal in den Nachrichten. Also, das ist alles schon auch traurig. Oder dass die Anführerin der Mütter vom Tiananmen auch jetzt erst mal verbannt ist und nicht nach Peking darf. Das sind alles so Dinge – das ist wirklich sehr traurig. Oder Liu Xiaobos Frau, die da in Haft gehalten wird, das finde ich wirklich empörend. Und auf der anderen Seite – nicht auf der anderen Seite, es gibt nicht nur eine oder andere, sondern es gibt ganz, ganz viele Seiten und viele Zustände, und da sind wirklich Leute auch am Arbeiten, dass sich wirklich was verändert und vielleicht eine politische Teilhabe in eine größere Nähe rückt, sage ich mal.
Heise: Hoffnungen, die sich Andreas Schmid macht, Künstler und Kurator, Experte für chinesische Kunst. Einer der Kuratoren der zurzeit in Berlin laufenden Ausstellung "Die 8 der Wege. Kunst in Beijing". Sie läuft noch bis Mitte Juli. Vielen Dank, Herr Schmid, dass Sie bei uns zu Gast waren!
Schmid: Ich danke Ihnen auch!
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