Surreale Welt des Wahns
Die Suche nach dem Mörder einer Schülerin deckt in der US-Kleinstadt Twin Peaks ein Dickicht aus Drogen, Sex und Gewalt auf: Die radikale Düsternis der gleichnamigen Serie von Regisseur David Lynch war Anfang der 1990er-Jahre etwas Neues - und wurde Kult. Die geplante dritte Staffel wird allerdings wohl ohne Lynch auskommen müssen.
Was für ein Cliffhanger!
"Hello, Agent Cooper!"
Hallo, Agent Cooper, meint Laura Palmer im Traum des FBI-Agenten. Um dann die Ankündigung zu machen:
"I´ll see you again in 25 years!"
Ich sehe dich in 25 Jahren wieder! Und der Kleinwüchsige, der tanzend und sinnierend vor den roten Vorhängen in Coopers Traum geistert, meint, Coopers Lieblingsfernsehsendung werde bald wieder auftauchen. - So war es zu hören, damals, in der letzten Episode von Twin Peaks.
Und diesen Cliffhanger wollte der Pay-TV-Sender Showtime ein Vierteljahrhundert später dann in einer dritten Staffel auflösen. Wieder sollte David Lynch Regie führen, wieder sollte Kyle MacLachlan die Hauptrolle spielen. Doch nun ist nicht das Projekt gestorben, sondern David Lynch ausgestiegen. Das Budget sei zu gering, meinte er, um das Drehbuch so zu gestalten, wie er es für richtig halte. 1990 und 91 jedenfalls schlugen Staffel 1 und 2 ein wie eine Bombe im TV-Alltag.
1990 war die Serien-Welt noch berechenbar
Agent Cooper kommt in die Kleinstadt mit den Zwillingsgipfeln.
"Diane, 11 Uhr und dreißig Minuten. 24. Februar. Ankunft in der Kleinstadt Twin Peaks. Sieben Kilometer südlich von Kanada, fünfzehn Kilometer westlich der Staatsgrenze. Ich habe noch nie so viele Bäume auf einmal gesehen ..."
... aber vielleicht auch noch nie so viele Abgründe, wie sie sich in dieser Kleinstadt auftun, wenn FBI-Mann Dale Cooper im Mordfall Laura Palmer ermittelt. 1990, da war die Serien-Welt mit Dallas und dem Denver-Clan, mit Baywatch, mit Magnum und Macgyver noch berechenbar. Jede Woche die Wiederbegegnung mit einem Liebling beim neuen Fall oder der zigsten Drehung der Intrige. Doch die gruselige Horror-, Mord-, Sex-, Drogen-, Gewalt- und Wahnsinns-Platte, die David Lynch mit Twin Peaks präsentierte, war eine Seifenoper der vollkommen anderen Art.
"Ich habe Angst vor diesem Tag gehabt."
Überraschenderweise auch beim Publikum sehr erfolgreich
Vom FBI-Ermittler ...
"Wegen meines Traumes."
... bis zur Barfrau waren alle - mit Verlaub - gehörig durchgeknallt. Und die Polizeisekretärin - keine Ausnahme. Nicht fragen, worum's hier geht:
"Da auf dem Telefon am Tisch mit dem roten Sessel. Der rote Sessel da an der Wand. Das kleine Tischchen mit der Lampe drauf. Der Lampe, die wir von da weggenommen haben. Das schwarze Telefon. Nicht das braune."
In der heutigen Serienkultur - True Detective oder Kommissarin Lund sind nur zwei Bespiele - ist es inzwischen selbstverständlich, im Rahmen der Seriendramaturgie eine Geschichte über Stunden zu erzählen. Doch die radikale Düsternis, dieser Kosmos einer surrealen Welt des Wahns, der Obsessionen und Sünden, die David Lynch in Twin Peaks entwarf, war Anfang der Neunziger neu auf dem TV-Bildschirm und veränderte die Sehgewohnheiten.
"Laura, wo warst du, ich meine es verdammt ernst. - Los, verschwinde, Bobby!"
Twin Peaks war zur Verblüffung des produzierenden TV-Senders nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim Publikum sehr erfolgreich. Die Produzenten hatten nämlich anfänglich die Sorge, nur cinephilen Minderheiten etwas zu bieten.
"Wir werden hier nicht über Judy sprechen. Wir werden Sie da raushalten."
Hätte Lynch eine Fortsetzung gefunden?
Dass die neuen TV-Serien der Roman des 21. Jahrhunderts sind, die globale Kultur-These ist ja inzwischen aus den Feuilletons beim Party-Small-Talk gelandet. Dass alles mit den Sopranos begann, von denen eine direkte Linie zu Breaking Bad und - wie erwähnt - True Detective oder House of Cards führt, auch diese Erkenntnis ist Allgemeingut. Doch Twin Peaks, eine knappe Dekade vor den Sopranos entstanden, kann in diesem Abgleiten in die Atmosphäre des Traums in zwei Staffeln, einem Pilotfilm und 29 Episoden als dunkle Mutter der heutigen Serien gelten. Gerade mit dem Nichtfassbarem und seinem Personal - dem rätselhaften Zwerg, dem bösartigen Geist BOB oder der Frau, die ständig einen Holzscheit bei sich trägt - geht von Twin Peaks eine verstörende Faszination aus.
Aber wäre es überhaupt vorstellbar, dass eine dritte Staffel - die Lynch nun nicht drehen wird -, können wir uns vorstellen, dass der Meister des Kinos des Unterbewussten mit dieser Staffel drei eine Fortsetzung gefunden hätte? Die Antwort ist zugegeben spekulativ, aber auch ziemlich ernüchternd: Schon Twin Peaks - Der Film von 1992, der die Vorgeschichte zur Serie erzählt, fiel bei Kritik wie Publikum verständlicherweise durch. David Lynchs Besessenheit, die Welt als Hölle zu zeichnen und die Menschen als ihre Monster, schien manieriert und wie eine Wiederholung.
Die dänische Serien-Produzentin Camilla Hammerich sagte einmal in einem Interview: "Und seien wir doch ehrlich, wenn wir die sechste oder siebte Staffel einer amerikanischen Serie sehen, dann wissen wir doch im Prinzip schon alles, oder?" Vielleicht wussten wir ja auch schon am Ende der zweiten Staffel von Twin Peaks alles. Oder? David Lynch jedenfalls wird uns jetzt nicht mehr eines Besseren belehren.