Bundesliga statt Bestenermittlung
Das Jahr der Einheit markiert auch den Umbruch im deutschen Frauenfußball. Im Westen wird die Bundesliga eingeführt, noch in der untergehenden DDR startet die Oberliga Nordost und löst die bis dahin übliche "Bestenermittlung" ab. 1991 geht die gesamtdeutsche Bundesliga in ihre erste Saison.
"Herzlich willkommen, Steffi Jones!"
150 Mädchen und Jungen einer Berliner Grundschule bereiten der ehemaligen deutschen Nationalspielerin einen lautstarken Empfang. Steffi Jones ist gekommen, um für den Mädchenfußball zu werben. Eine Routineaufgabe. Weit mehr als einhundert Schulen hat sie in den vergangenen sieben Jahren besucht, seitdem sie beim Deutschen Fußball-Bund in leitender Funktion tätig ist.
Am Ende der Veranstaltung nimmt sie sich einen kurzen Moment Zeit, um in alten Erinnerungen zu kramen. 1990 Gründung der Frauenfußball-Bundesliga? Ja, erzählt die spätere Abwehrchefin, aber da spielte sie noch im Sturm.
"Wir hatten die Aufstiegsrunde Oberliga, waren eigentlich auch Außenseiter mit der SG Praunheim und sind dann auch durch mein Tor aufgestiegen, ich wurde Torschützenkönigin, mit 17 Toren, das war total witzig, weil: normalerweise denkt man so 30 Tore und so, und ich mit meinen popeligen 17 Toren, oder 15, ich weiß es gar nicht mehr genau, bin dann Torschützenkönigin geworden, bin aber dann zum FSV gewechselt und habe dann eher weniger gespielt, war dann eher Einwechselspielerin, also das erste Jahr Frauenbundesliga war für mich auch ein sehr lehrreiches Jahr."
Sportlich war die neue Liga zweifellos ein Gewinn. Bis dahin herrschte Langeweile: in fast allen Landesverbänden des DFB stand der Regionalmeister quasi schon zu Saisonbeginn fest, weil ein Team die Liga in der Regel dominierte, erinnert sich Steffi Jones:
"Ich war ja auch erst 17, und für mich war das so ein Riesenschritt, überhaupt bei den Frauen spielen zu dürfen und jetzt in die Bundesliga aufzusteigen, aber dass das jetzt so ein Meilenstein war, das habe ich nicht erkannt direkt."
Riesiger Schritt für den "Damenfußball"
Die Einführung der Bundesliga 1990 war für den Damenfußball, wie er damals noch hieß, ein riesiger Schritt. Endlich trafen die Besten der Besten regelmäßig aufeinander. Zunächst nur in der alten Bundesrepublik, zweigleisig, in einer Nord- und einer Südgruppe mit jeweils zehn Mannschaften, ab 1997 eingleisig mit zwölf Mannschaften. Schmalfelder SV, TuS Niederkirchen oder SC Klinge Seckach hießen die Mannschaften der ersten Stunde. Auch wenn die Namen der Teams gewöhnungsbedürftig waren: das Sportmagazin ‚Kicker’ veröffentlichte zur Premierensaison sogar ein Sonderheft. Steffi Jones:
"Ich habe noch alle zuhause, also alle Sonderhefte: ob jetzt Kicker, Sportbild, kann ich mich noch dran erinnern, weil das sogar auf der Titelseite halt sichtlich war. Und das war halt sehr besonders."
Rainer Holzschuh war damals Chefredakteur des ‚Kicker’, heute ist er der Herausgeber.
"Ich habe mir das Heft jetzt noch mal in den letzten Tagen vorgenommen, es ist ein für damalige Verhältnisse des Frauenfußballs wirklich sensationelles Heft geworden."
68 Seiten stark war das Sonderheft. Auf dem Titelbild: ein dynamisches Kopfballduell zweier ‚Damen’, im Heft: interessante Storys über die Geschichte des Frauenfußballs. Aber auch altbackene Überschriften wie ‚Frauen kommen langsam, aber gewaltig’.
Heute wird dieses Heft für stolze 22 Euro 40 im Internet gehandelt, damals war es ein Wagnis, sagt Rainer Holzschuh. Die bundesdeutsche Nationalmannschaft hatte ein Jahr zuvor, 1989, zum ersten Mal den Europameistertitel geholt und damit einen regelrechten Boom im Frauenfußball ausgelöst. Von dem Sonderheft zur Einführung der Damen-Bundesliga erhoffte sich die Verlagsleitung ähnliche Verkaufszahlen wie bei den Sonderheften zur Männer-Bundesliga. Rainer Holzschuh:
"Bei den Männern war damals eine verkaufte Auflage um eine Million gang und gäbe, und der Verlag träumte natürlich davon, die Geschäftsführung, dass wir bei den Frauen ähnliches machen würden. Ich war eigentlich dagegen, weil ich dachte: es ist noch nicht so weit, es ist erst in den Kinderschuhen, und verdienen kann man nicht viel damit. Was herausgekommen ist, war ein Riesenflop, wir haben nicht mehr als 5.000 Hefte verkauft, und wir haben dann, logischerweise, in den nächsten Jahren es nicht mehr neu probiert."
Bärbel Friedel:
"Natürlich kenne ich den Kicker! Also das habe ich erstaunlicherweise mitbekommen, ich weiß gar nicht, ob nicht sogar ein Exemplar bei mir rumkullert, jaja…"
Spielerisches Niveau kaum vergleichbar mit dem Fußball im Westen
Bärbel Friedel spielte damals Fußball im Osten Deutschlands, beim Universitäts-Sportverein Jena.
"Natürlich hat man – das Fußballinteresse geht ja über den Frauenfußball hinaus – hat man dann schon auch in westliche Medien geschaut, nachdem es möglich war, und von daher denke ich, dass mir dieses Heft schon irgendwo in Erinnerung ist. Ich bin mir nicht sicher, aber ich weiß, dass ich es gesehen habe."
1990 war das Niveau des Frauenfußballs in der DDR mit dem in der alten Bundesrepublik wenig vergleichbar. Die Sportart nicht olympisch, internationales Renommee für die DDR nicht zu gewinnen. Der Staat hatte kein Interesse an Frauenfußball. Die Funktionäre schoben ihn in den Freizeit- und Erholungsbereich ab. Offizielle Meisterschaften gab es nicht. Der Wettbewerb um den inoffiziellen Meistertitel des Landes hieß ‚Bestenermittlung’.
"Ich meine, schön wäre es schon gewesen, wenn das den offiziellen Titel der Meisterschaft gehabt hätte, und nicht nur eine Bestenermittlung, aber das war letztlich zweitrangig, es ging um den Spaß an dem Spiel bzw. auch um die Gemeinsamkeit in der Mannschaft. Wir haben sehr viele Dinge nebenher auch gemeinsam getan."
Bärbel Friedel begann 1985 mit dem Fußballspielen. Während des Sportstudiums an der Universität Jena. Ihr Werdegang ist typisch für den Frauenfußball in der DDR: wie sie kamen viele Spielerinnen als Quereinsteiger aus der Leichtathletik.
Im Jahr der Wiedervereinigung 1990 wurde endlich die eingleisige Oberliga Nordost eingerichtet. Der USV Jena gehörte sogleich zu den dominierenden Mannschaften und holte in der Saison 1990/91 die Meisterschaft. Bekam Bärbel Friedel damals ein Angebot aus dem Westen, den Verein zu wechseln? Sie nicht, lacht sie, aber zwei Spielerinnen von Turbine Potsdam seien damals abgeworben worden vom TuS Ahrbach, einem kleinen Verein aus dem Westerwald. Der spielte von 1991 bis 1997 in der Bundesliga. Bärbel Friedel:
"In der Anfangseuphorie über die Vereinigung gab es eben große Hilfsbereitschaft, uns auch mal Dinge zu ermöglichen, die uns damals finanziell nicht möglich gewesen sind, und der TuS Ahrbach hatte eine Wettkampfreise nach Kanada geplant und hat es uns angeboten, daran teilzunehmen, das haben sechs Spielerinnen von uns wahrgenommen. Die sind alle wieder zurückgekommen, aber die haben alle bei dem Trainer des Vereins Autos gekauft. Alte Autos."
Für die Sponsoren nicht so attraktiv wie der Männerfußball
Natürlich waren die Geschäftspraktiken der Vereine, die sich im Frauenfußball engagierten, nicht vergleichbar mit denen im Männerbereich. Rainer Holzschuh vom ‚Kicker’-Sportmagazin.
"Wenn sich örtlich irgendein Mäzen bereit fand, sei es dass er aus dem Handwerk kam, sei es dass er als Bäcker oder Metzger Frauenfußball für interessant genug fand, dann hat der ein paar tausend Euro dazugegeben, das reichte damals, um eine attraktive Mannschaft aufzubauen, und wenn man sich vorstellt, dass die erste deutsche Meisterschaft 1974 von TuS Wörrstadt, einem kleinen Verein in einer Stadt, die kaum jemand in Deutschland kennt, gewonnen wurde, dann weiß man, was eigentlich der Frauenfußball für eine Entwicklung nehmen musste."
Die herausragende Mannschaft im Jahr 1990, als die Bundesliga an den Start ging, war der TSV Siegen. Für den Erfolg verantwortlich zeichneten hier ein Busunternehmer: Klaus-Dieter Wern, Präsident des Vereins, und ein Blumengroßhändler: Gerd Neuser, Trainer, Manager und Arbeitsvermittler in einem. Wern erinnert sich:
"Wir hatten Deutschlands beste Mannschaft, die haben wir so zusammengeholt. Natürlich nicht für dieses Geld, wie sie es heute kriegen, das ist klar, das waren andere Dimensionen damals. Damals ging es um Arbeitsstellen, um kleine Vergütungen und um Wohnungssuche usw. usf."
Gerd Neuser:
"Da ich aus Siegen bin und auch zur Wirtschaft gute Kontakte hatte, da haben wir die Mädchen halt untergebracht in zahlreichen Berufen im kaufmännischen Bereich, im Arbeitsbereich, in allem eigentlich."
Die besten Fußballerinnen Deutschlands wechselten zum TSV Siegen, darunter etliche Nationalspielerinnen. Prominentester Neuzugang jener Zeit: Silvia Neid. Sie beschäftigte der Blumengroßhändler gleich selbst. Tulpen, Rosen und Orchideen kutschierte die heutige Bundestrainerin durchs Siegerland.
In den zehn Jahren zwischen 1986 und 1996 holte der Klub insgesamt sechs deutsche Meistertitel und fünfmal den DFB-Pokal. Der Provinzverein aus Südwestfalen galt als der ‚FC Bayern des Frauenfußballs’. Anfangs als Ersatzspielerin mit dabei war Gudrun, genannt ‚Emmy’ Winkler. Die heute 61-Jährige gehört zu den Pionierinnen des bundesdeutschen Frauenfußballs:
"Meine Schwestern haben Puppen gehabt, was mich überhaupt nicht interessiert hat. Und ich war total neidisch, wo mein kleiner Bruder den Lederball kriegte als Jüngerer, eigentlich wäre ich dran gewesen, einen Ball zu kriegen, aber ich war ja ein Mädchen, ich durfte nicht."
Frauen-Bundesliga - das Höchste der Gefühle
Später setzte sich ‚Emmy’ Winkler doch noch durch. Ihren Stammplatz in Siegen verlor sie allerdings wegen der vielen Neuzugänge. Egal, sagt sie heute, Spaß machte ihr der Fußball trotzdem. Zum einen, weil das Training mit den Nationalspielerinnen enorm lehrreich war, zum anderen, weil sie immer noch dabei war: nun als Betreuerin auf der Ersatzbank. Dem Bekanntheitsgrad tat das keinen Abbruch.
"Wir hatten einen guten Kontakt zu den Reportern, und wir hatten jede Woche mindestens einen Artikel in der Zeitung, man war so irgendwie jemand auf einmal, wie so ein kleiner Star. Man wurde auch erkannt im Siegerland hier als Fußballspielerin, also irgendwie fand man sich da schon als Fußballstar."
Klaus-Dieter Wern:
"Früher konntest du fragen: ‚Siegen, ich komme aus Siegen. Wo ist Siegen, wat is Siegen’? Und dann habe ich meistens erklärt: ‚Ich komme daher, wo die Frauen diesen Fußball spielen’. ‚Ach ja, dat wissen wir, wo es ist’. Ich glaube, dass sie für die Stadt Werbung gemacht haben wie fast kein anderer mehr in der Region."
Gudrun Winkler:
"Es war natürlich schon was besonderes, dass der Frauenfußball an sich dann immer besser anerkannt wurde. Dass es auf einmal eine Frauen-Bundesliga gab, das war eigentlich schon so das Allerhöchste der Gefühle."
Am 16. Juni 1991 erlebte der bundesdeutsche Damenfußball eine Premiere. Im Siegener Leimbachstadion wurde der erste Bundesliga-Meister gekürt. In einem echten Endspiel. Noch war die Bundesliga zweigleisig. TSV Siegen und FSV Frankfurt hatten sich fürs Finale qualifiziert. 4.500 Zuschauer kamen, auch ein Reporter des WDR, der Siegens Betreuerin Emmy Winkler begleitete. Es ist die 34. Spielminute, gerade hat Siegen das 3:1 erzielt, noch immer läuft das Aufnahmegerät;
"Ist super jetzt. Also mit zwei Toren Vorsprung, da sind wir schon so gut wie sicher. Das gibt unseren Mädels auch Auftrieb, ich denke, dass wir noch ein oder zwei … (Tor zum 4:1 fällt) Ja, juh, huuuuuh, geil, jetzt ist es, jetzt simmer Deutscher Meister, hoffe ich, hoffe ich."
Heute sagt Emmy Winkler:
"Ich war immer mit vollstem Herzen dabei. Und ich war auch jemand, der immer mitgegangen ist. Der die Mädels aufgeputscht hat, der auch immer lautstark dabei war. Wenn der mir nicht das Mikrofon unter die Nase gehalten hätte, wäre ich wahrscheinlich da rum gesprungen und quer über den Platz gelaufen oder irgend so was."
"TSV ist Meister, TSV ist deutscher Meister!"
4:2 gewann der TSV Siegen das Endspiel. Emmy Winkler:
"Bei dem Schlusspfiff haben wir uns natürlich alle riesig gefreut, und jeder rennt auf den Platz, um uns in die Arme zu nehmen. Freudentränen sind gekullert, die ganze Tribüne im Leimbachstadion gefühlsmäßig auf den Platz gelaufen, alle Zuschauer waren dabei, wildfremde Leute mit Fahnen, irgendeiner hat, glaube ich, eine Sektflasche aufgemacht und rumgespritzt, und anschließend ein ganz toller Empfang mit Ehrungen, mit einem ganz tollen Essen, ja: überwältigend!"
Zur gleichen Zeit bemühten sich die Fußballfrauen im Osten Deutschlands, einen geordneten Spielbetrieb hinzubekommen.
"In fünf Spielen in der Saison kein Linienrichter. Und einmal waren keine Schiedsrichter angetreten. Also da waren Schiedsrichter und Linienrichter nicht gekommen."
Sabine Seidel war Staffelleiterin, als 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, auf dem Gebiet der DDR die eingleisige Oberliga Nordost eingeführt wurde.
"Schon ein Unding, wenn in der höchsten Spielklasse kein Schiedsrichter da ist. Na ja, das war das erste Jahr, sonst haben wir ja immer in Turnierform gespielt, diese Besten-Ermittlung, und da war das natürlich organisiert: bei so einem Turnier waren mehrere Schiedsrichter."
Damals war Sabine Seidel noch der ‚Star’ des DDR-Frauenfußballs. Mit Turbine Potsdam gewann sie fünf Mal die so genannte Besten-Ermittlung. Ihr Trainer Bernd Schröder lobte sie als die erste Spielerin, die den Ball aus vollem Lauf flanken konnte.
Startschwierigkeiten für die Vereine aus der Oberliga Nordost
1990 arbeitete sie mittlerweile als Nachwuchstrainerin. Es war ein turbulentes Jahr. Als Staffelleiterin der Oberliga Nordost saß Sabine Seidel auch am Verhandlungstisch mit den Vertretern des DFB, als es darum ging, den deutsch-deutschen Frauenfußball zusammenzuführen. Im Mittelpunkt stand eine Frage: wie viele Mannschaften aus der ehemaligen DDR würden zur Saison 1991/92 in die Bundesliga aufsteigen? Sabine Seidel
"Bernd Schröders Vorschlag waren vier Mannschaften, sie haben dann gesagt: ‚das müssen wir uns erst erarbeiten, wir können das noch nicht so einschätzen, unsere Leistungsstärke’, und dass erstmal nur zwei aufsteigen, und wenn wir so gut sind, können ja jedes Jahr wieder welche aufsteigen."
Sabine Seidel hat sogar noch das Protokoll der Sitzung vom 17. Oktober 1990. Schröders Argument: wenn keine vernünftige Eingliederung stattfinde, sei der Zusammenbruch des Fußballs im Osten unabwendbar, ist 25 Jahre danach Makulatur. Zum Glück, sagte Sabine Seidel:
"Ich meine, unsere Basis war lange nicht so groß wie die im Westen, also muss man schon auch mal die Kirche im Dorf lassen, was nützt es: vier Mannschaften hoch, und die kommen nächstes Jahr postwendend wieder zurück. Ist doch besser, die halten sich dort, und wir kommen immer mehr nach. Und wenn man heute guckt, wie viele Mannschaften vom Osten sind denn in der Bundesliga? Zwei. Simmer immer noch bei dem Stand."
In der Saison 1991/92 wurde die Bundesliga auf jeweils elf Mannschaften pro Staffel aufgestockt. Turbine Potsdam war nicht dabei, die Mannschaft hatte den Aufstieg verpasst. Geschafft hatten es Wismut Aue und als Meister der Oberliga Nordost: der Universitäts-Sportverein Jena. Bärbel Friedel
"Ich erinnere mich an unser erstes Bundesligaspiel gegen Brauweiler, und wir gehen nach ein paar Minuten mit 1:0 in Führung, wo ich gedacht habe: ‚Oh, so schwierig wird es wohl doch nicht werden’, aber dann haben wir noch 5:2 verloren, und, ja, es war einfach sehr faszinierend, oder auch Spiele gegen Bettina Wiegmann oder Maren Meinert, wo man klar unterlegen war, in allen Belangen, wo man sich aber trotzdem gefreut hat, wenn die einen auf dem Bierdeckel drei Mal geradeaus gespielt hat, dass man gegen sie spielen durfte."
Der Qualitätsunterschied zwischen Ost- und Westfußball war enorm, fügt Bärbel Friedel hinzu. Physisch hätten sie mithalten können, aber technisch-taktisch gab es doch erhebliche Defizite. Und auch sonst war die Bundesliga Neuland für den USV Jena.
"Es gab dann zum ersten Mal auch Sponsoren mit Trikotwerbung usw. und man trug eben nicht mehr irgendwelche selbst gestrickten Trikots aus der Strickwarenfabrik Apolda, sondern es waren dann eben Hummel und adidas und was weiß ich. Da machte sich schon ein kleiner Sprung bemerkbar in der Ausrüstung."
Für die langen Fahrten stellte die Universität der Mannschaft einen Bus zur Verfügung.
"Dann waren das alles so Vereine, ohne jetzt despektierlich zu sein, Dorfvereine, wer wusste schon, wo Schmalfeld liegt. Irgendwo ganz weit im Norden, und als wir ankamen, graste dort angepflockt an das Geländer ein Ziegenbock. Und dann haben wir uns angeguckt und haben gesagt: ‚Oho, wo sind wir denn jetzt gelandet? Das ist also der goldene Westen’."
Zwei Siege, ein Unentschieden, siebzehn Niederlagen, Torverhältnis 14:71, Platz 11 von 11 - die Ergebnis-Bilanz des ersten Ostklubs in der Frauen-Bundesliga klingt trostlos. Bärbel Friedel bucht das Jahr als wertvolle Erfahrung ab: die Mannschaft sei trotz allem weiter zusammengewachsen.
"Es hat nie jemand daran gedacht aufzugeben oder die Sachen hinzuschmeißen. Ja, klar war der Frust relativ groß, aber ich denke: die Motivation und der Wille zu lernen war bei allen vorhanden. Letztlich haben wir ein paar respektable Ergebnisse erreicht, keiner von uns möchte diese Saison missen, obwohl sie mit dem direkten Wiederabstieg endete."
Auch Wismut Aue stieg sofort wieder ab. Auf höchstem Niveau waren die Ostklubs, wie prognostiziert, noch nicht konkurrenzfähig. Erst 1994 schaffte es wieder eine Mannschaft aus den fünf neuen Bundesländern nach ganz oben: Turbine Potsdam, der spätere Serienmeister. Der USV Jena stieg 2008 wieder in die Bundesliga auf. Und ist seitdem immer dabei.
Sehr viel härter traf es dagegen die Übermannschaft aus den Anfangsjahren der Bundesliga: den TSV Siegen. Der Klub geriet in große finanzielle Schwierigkeiten, obwohl die Frauen-Mannschaft 1996 noch einmal die Meisterschaft gewann. Anschließend wechselte sie komplett zum Ortsrivalen Sportfreunde Siegen. Dort spielte sie weitere fünf Jahre erstklassig, bis 2001, bis der Verein keine Bundesliga-Lizenz mehr beantragte. 100 Besucher im Schnitt pro Heimspiel waren den Verantwortlichen einfach zu wenig.
"Für mich war das ein Zusammenbruch der Welten."
Erinnert sich die treue Seele der Mannschaft: Gudrun, genannt ‚Emmy’ Winkler.
"Das letzte Spiel, das war noch hier im Leimbachstadion, ich saß als Betreuer auf der Bank, die ganze Tribüne war voll von anderen Bundesligisten, und nach dem Abpfiff, ja wirklich: der eine Verein zog an dem Arm, und der andere Verein zog an dem Arm. Das war wie ein Ausverkauf auf dem Wühltisch. Also das Gefühl will ich auch nicht noch mal im Leben haben."
Sichtungstraining Potsdam:
"So, das sind alles mal Sachen, Jonglieren, was ihr zuhause üben könnt. Das lernt man nicht, wenn man sie hier mal fünf Minuten macht."
Ein Vierteljahrhundert nach Gründung der Bundesliga und anschließender Vereinigung des Ligabetriebs in Ost und West steht der Frauenfußball in Deutschland am Scheideweg. Wieder einmal. Wollen die Vereine professioneller werden, ihre Spielerinnen so gut entlohnen, dass sie sich ausschließlich auf Fußball konzentrieren können? Oder reicht den Verantwortlichen das Nischendasein als Randsportart?
"So, es geht jetzt immer um das Quadrat außen rum, …"
Vieles hängt ab von der Nachwuchsarbeit. Seit 25 Jahren kümmert sich Ex-DDR-Fußballstar Sabine Seidel um die Ausbildung junger Mädchen – an der Eliteschule des Sports in Potsdam und im Fußball-Landesverband Brandenburg. Obwohl der deutsche Frauenfußball reichlich Erfolge feiern konnte, tut sich viel zu wenig, findet sie.
"Wir kämpfen trotzdem in Brandenburg immer noch um eine Basis, wir haben vielleicht 30, 35 Nachwuchs-Mannschaften, von D bis B, das ist alles im Land. Also aufgeteilt auf drei Altersklassen, und das ist fast nix. Nicht mal die WM damals in Deutschland: wir haben zwar viel gemacht zu der Zeit in Schulen und alles, aber nachhaltig war das auch nicht. Zumindest nicht bei uns."
"Richtig abdrücken. Auf Höhe kommt es an!"
"Die Einstellung ist ganz anders geworden der Jugend, das ist auch eine Frage der Zeit jetzt, wo wir leben, es sind zu wenig, die wirklich professionell das auch leben. Diesen Sport. Da gehört ja mehr dazu als sich trainieren lassen, wir sagen immer: die lassen sich trainieren. Wenn du es nicht sagst, machen die keinen Nachschuss."
Immer weniger Mädchen spielen Fußball
Auch die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Der Deutsche Fußball-Bund erfreut sich ständiger Steigerungsraten. Zurzeit hat er fast 7 Millionen Mitglieder. Aber die Zahl der Mädchen bis 16 Jahre ist rückläufig. Sie fiel innerhalb der letzten fünf Jahre um 3.000 auf 336.000.
Die Länderspiele der Frauen-Nationalmannschaft haben bemerkenswerte TV-Einschaltquoten. Im starken Kontrast dazu steht das weiterhin geringe Interesse der Öffentlichkeit am Bundesliga-Alltag. Die Zahlen sind zwar bei weitem nicht so schlecht wie beim Start der Bundesliga vor 25 Jahren. Aber Luft nach oben gibt es immer noch genug. Selbst bei Spielen der Topklubs wie dem deutschen Meister Bayern München oder Champions-League-Gewinner 1. FFC Frankfurt finden kaum mehr als tausend Zuschauer den Weg in die Stadien. Sportlich und wirtschaftlich entwickelt sich nur dort etwas, wo Vereine, die vorrangig in den Männerfußball investieren, Frauenfußballabteilungen als lohnenswerte Nebenbeschäftigung erachten. Den Trend bestätigt auch Bärbel Friedel, die ehemalige Spielerin des USV Jena:
"Alle finanzkräftigen Vereine, die im Herrenbereich eine Rolle spielen, haben erkannt, dass da schon auch ein gewisses Potenzial im Frauenbereich steckt und springen jetzt auf diesen Zug auf. Ist sicherlich schön, dass sich diese Vereine engagieren, aber auf Dauer bedeutet das sicherlich, dass wenn wir die Tabellen aufeinander legen, dass dort die Mannschaften identisch sind mit denen der ersten Männer-Bundesliga."
Aktuell sind es sieben der zwölf Mannschaften in der Frauen-Bundesliga. Ein kleiner Verein wie der USV Jena ist vor allem von den Zuschüssen abhängig, die die Allianz-Versicherung als zentraler Vermarkter der Bundesliga gibt: 100.000 Euro pro Saison pro Verein.
Die Bundesliga muss noch kommerzieller werden. Fordert Hannelore Ratzeburg, Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball im DFB. Ihr Appell an die Klubs, mehr zu tun, ist heute noch genauso aktuell wie damals, 2010:
"Das ist eine ganz schwere Aufgabe der Vereine. Hier attraktiv zu sein, etwas zu bieten, denn es ist nicht so, dass die Leute nur noch kommen um Sport zu sehen, sondern sie möchten ein Event. Wir haben zwar schon 20 Jahre Frauen-Bundesliga, aber in manchen Punkten eben noch ganz viel zu tun."