"Ich bin ein Monster"
William Goldings erster Roman "Lord of the Flies" von 1954 wurde ein Welterfolg und zur Pflichtlektüre in Schulen. In seinen Romanen lotete er die Natur des Menschen und dessen dunkle Seiten aus. 1983 erhielt Golding den Literatur-Nobelpreis, heute vor 25 Jahren starb er.
Mit der Bruchlandung auf einer unbewohnten Tropeninsel und einem Häuflein Überlebender, englischen Schuljungen zwischen sechs und zwölf Jahren, nimmt das Drama mit der Schicksalhaftigkeit einer griechischen Tragödie seinen Lauf. Der anfängliche Pfadfindergeist schlägt um in Barbarei.
Mit "Lord of the Flies" ("Herr der Fliegen"), seinem ersten 1954 veröffentlichten und erfolgreichsten Roman, stellt der englische Autor William Golding bereits die großen Themen seines Werks vor. Schon darin zeigt er, wie schnell die Fassade der Zivilisation zu bröckeln beginnt, wenn die archaischen Triebe einmal losgelassen zu Mord und Brandschatzung führen.
Die Gemeinheit des Menschen
Wie der Roman hat auch die dokumentarische Verfilmung von "Lord of the Flies" von 1963 in der Regie von Peter Brook bis heute seine Wirkung nicht verloren. Selbst die Nobelpreisjury verwies 1983 ausdrücklich auf das "unterhaltende und spannende" Literaturereignis der 50er-Jahre, das zugleich einen scharfen Blick auf die Gemeinheit des Menschen, seinen ewigen Kampf zwischen Gut und Böse werfe. Für Golding war das kein Ausnahmezustand, sondern die condition humaine:
"Es ging hier ja nicht um einen wilden Stamm im Kongo oder so ähnlich, sondern es ging um europäische Kinder. Wir waren damals noch gezeichnet von Krieg und Holocaust, und wir waren erschrocken über uns selbst. Ich habe dieses Werk also geschrieben, weil ich meinem eigenen Volk, den Engländern, sagen wollte: Ihr braucht nicht zu denken, dass ihr die Guten seid, vielleicht wart ihr’s ja, aber so etwas könnte auch in England geschehen, wenn man nicht aufpasst. Denn diese Dinge sind in unserer menschlichen Natur angelegt."
Ein weiter Weg
Es war ein weiter Weg, bis der am 19. September 1911 im englischen Cornwall geborene Lehrersohn William Golding an seinem Wunschziel, frei schaffender Schriftsteller zu werden, angelangt war. Haupthindernis war das ungeliebte Lehrerdasein, ein Brotberuf, den Golding erst 1962 ganz aufgab.
Entscheidend für sein pessimistisches Menschenbild waren die fünf Jahre bei der englischen Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg. Der Roman "Lord of the Flies" sei für ihn wie ein Rettungsanker gewesen, um dem Kriegstrauma zu entkommen. Wie die Kinder darin versuchen, mit einem in der Gruppe verübten Mord umzugehen, zeigen Ralph und Piggy. Ralph klagt an: Es war Mord! Piggy relativiert, es sei im Getöse des Unwetters ein Unfall gewesen.
Ein konservativer Außenseiter
William Golding war immer ein konservativer Außenseiter. Seine tiefschwarze Weltsicht, seine Vorliebe für archetypische Symbole, seine aufdringliche Gelehrsamkeit sowie seine Neigung zur Polarisierung haben ihm viel Kritik eingebracht. Golding war ein Moralist, der bis zuletzt die Natur des Menschen und seine dunklen Seiten in allegorischer Gestaltung zu unterschiedlichen Zeiten auslotete. Die Geschichte war für ihn eine "Chronik der Erbsünde". Nur im Tagebuch hat der Autor zu seinen wahren Motiven Stellung genommen:
"Eines Tages, wenn meine literarische Wertschätzung anhält, werden sie mein Leben unter die Lupe nehmen und zu dem Schluss kommen, dass ich ein Monster bin. (…) Wie tief sie auch immer graben, sie werden nicht zur Wurzel vordringen, zu dem, was mich zum Monster gemacht hat, in Taten, Worten und Gedanken. Niemand außer mir weiß das, oder leidet darunter. Das ist kein Schuldbekenntnis, sondern Selbsterkenntnis."
William Golding starb am 19. Juni 1993 in seiner Heimat Cornwall. Sein einst umstrittenes Werk scheint angesichts zunehmender weltweiter Konflikte heute aktueller denn je. Im Gedenkgottesdienst zu seinen Ehren in der Salisbury Cathedral, erklangen noch einmal die himmlischen Stimmen aus der Hölle von "Lord of the Flies".