Als alle schwiegen
Am 24. November 1990 wurde in Eberswalde der 28-jährige Amadeu Antonio Kiowa von Neonazis zusammengeschlagen. Einer von ihnen sprang dem zu Boden gegangenen mit beiden Füßen auf den Kopf. Die Polizei griff nicht ein, der Richter sprach später mehrmals von "Negern".
Gadischke: "Nicht bloß diese Tat, sondern auch dieses total rassistisch Straßenklima, wo Leute verfolgt wurden, das war für viele überhaupt nicht auszuhalten. Und das wurde von ner großen Zahl der Bevölkerung schweigend hingenommen."
Munjunga: "Amadeu war keine aggressive Person. Der ist eine ruhige Person. Da weiß ich wirklich nicht. Also bis heute ich kann nicht glauben, ich kann nicht das, also verstehen, warum jemand, der einem hat gar nichts getan ... ich kenne ihn auch, wenn er im Wohnheim war, haben manchmal auch zusammen gefeiert, oder so. Der hat gar keine Probleme mit gar keinem Menschen. Aber der ist weg."
Das war ein Tag von einer Gruppe aus Mozambique, die auch hier als Vertragsarbeiter waren, die haben eine Feier organisiert zum Verabschieden, mit Kollegen, also natürlich auch Deutsche, und Ausländer, also wir, Angolaner, und da haben wir gefeiert
Die feuchte Kälte kriecht unter den Mantel. Es mag ein solch unwirtlicher Herbsttag gewesen sein, vor 25 Jahren. Kaum Menschen auf der Straße. Auf jeden Fall war es dunkel, an dieser Ausfallstraße zwischen dem Eberswalder Zentrum und dem Stadtteil Finow, als die Mosambikaner im Hüttengasthof ihren Abschied aus Deutschland feiern. Auch einige Angolaner sind gekommen.
Kaum Möglichkeiten für Vertragsarbeiter sich zu treffen
Seyb: "Das war die einzige Gaststätte, tatsächlich, wo die Vertragsarbeiter vor der Wende, und danach eben auch, nicht nur die angolanischen, sondern auch aus Mozambique, aus Kuba, und so, überhaupt Zutritt hatten. Ansonsten hatten die überhaupt gar keine Möglichkeit, sich dort in der Region, oder in Eberswalde, sich öffentlich zu treffen, in Räumen, die nicht ihr Wohnheim waren, quasi. Ja?"
Eine Gruppe aus Neonazis und rechten Schlägern macht sich auf den Weg zum Hüttengasthof. Unter den Augen der Polizei.
Seyb: "Dass da was geschehen wird, das war schon tagelang vorher ... war das klar! Weil sich Neonazis aus der Region verabredet hatten, und schon öffentlich verkündet hatten, dass sie einen Angriff auf den Hüttengasthof beziehungsweise auf die Gäste dort planen. Das war alles klar, die wurden den ganzen Tag schon bei der Anreise beobachtet, von der Polizei, und der Wirt vom Hüttengasthof hat in der Nacht dann auch eine Mitteilung von der Polizei gekriegt, so jedenfalls seine Aussage damals vor Gericht, dass die Neonazis jetzt sich auf den Weg machen, Richtung Hüttengasthof."
Leichsenring: "Es gab an diesem Tag schon am Nachmittag im Stadtgebiet Sachbeschädigungen durch diese Gruppe. Den Sachbeschädigungen ist nicht nachgegangen worden. Die Polizei hat beobachtet. So muss man es heute nennen. Sie ist nicht eingeschritten. Zu einem Zeitpunkt, wo ohnehin schon hätte eingeschritten werden müssen. Weil es einfach Straftaten schon waren."
Auf ihrem Weg durch die Stadt in Richtung Hüttengasthof bleibt die randalierende Meute unbehelligt. Die Polizei treibt sie nicht auseinander. Stattdessen empfiehlt sie dem Hüttengastwirt, die Gäste hinauszubitten und seinen Laden zu schließen.
Leichsenring: "Das war der nächste Fehler. Sie wären im Hüttengasthof viel sicherer gewesen. Als außerhalb. Nämlich als sie dann auf dem Weg nach Hause waren, dann ging die Jagd auf die Gruppe der Afrikaner los."
Zu fünft gegen 60 Rechte mit Baseballschlägern
Amadeu Antonio verlässt den Hüttengasthof zusammen mit vier Begleitern. Dann treffen sie auf die 60 Rechten. Die prügeln mit Baseballschlägern und Zaunlatten auf sie ein. Zwei Mosambikaner und zwei weiße Frauen werden verletzt, können aber fliehen. Amadeu Antonio rennt um sein Leben, in Richtung der benachbarten chemischen Fabrik. Sein Landsmann und Weggefährte Auguste Jone Munjunga:
Munjunga: "Und danach die Skinheads haben das gewusst, und die Skinheads haben blockiert die ganze Straße."
Die Neonazis kreisen ihn ein, treten auf ihn ein, bis er zu Boden geht. Springen ihm mit beiden Stiefeln auf den Kopf. Immer wieder. Amadeu Antonio fällt in ein Koma, aus dem er nicht mehr aufwachen wird.
Munjunga: "Und am 6. Dezember unser Kollege ist gestorben."
Als alle schwiegen in Eberswalde.
Leichsenring: "Es waren ja drei Zivilpolizisten vor Ort, in dieser Pförtnerloge der Chemischen Fabrik."
Die spätere Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring.
Leichsenring: "Die aber wiederum – und da kommen wir denn auch wieder zu anderen Unzulänglichkeiten – keinen Funkkontakt in die Einsatzleitstelle im Kreisamt hatten. Sie konnten auch nur telefonieren von der Pförtnerloge aus. Aber sie hatten immerhin Waffen. Und wenn sie sich hinausbegeben hätten, als die Gruppe der Afrikaner darauf zu kam, die ja auch Schutz gesucht haben, ist ja ganz klar – sie hätten natürlich auch polizeilich handeln können, indem sie – wie das so ist, sie müssen erst mal mehrfach auffordern, bevor ne Schusswaffe gebraucht wird – aber in die Luft schießen und versuchen, das aufzulösen, das hätten sie gekonnt."
Seyb: "Und das war das eigentlich unfassbare in der Situation."
Sabine Seyb, damals Antirassistische Initiative Berlin.
Seyb: "Das eigentlich unfassbare in der Situation und auch danach, als dass dann so überaus deutlich wurde, dass da jemand aus rassistischer Motivation erschlagen wurde, andere verletzt wurden, die Täter unter Beobachtung waren, und die Ermittlungsbehörden nicht eingegriffen haben währenddessen, obwohl sie vor Ort waren, sie waren in der Situation vor Ort, und haben wenige Meter weiter in ihren Einsatzfahrzeugen gesessen."
Uta Leichsenring wird nur wenige Monate später Polizeipräsidentin von Eberswalde werden. Und der Frage nachgehen, warum weder die 20 voll ausgerüsteten Polizisten noch die drei Zivilpolizisten in das Geschehen eingriffen.
Leichsenring: "Das war mir nicht nur ein Bedürfnis, das war eine Notwendigkeit, auch für den inneren Zustand der Polizei, und ich hab mich mit allen Unterlagen, die mir zur Verfügung standen aus diesem Einsatz intensiv befasst. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, relativ schnell, dass der Totschlag verhindert hätte werden können. Es hätte verhindert werden können an diesem Tag das Jagen der ehemaligen afrikanischen Vertragsarbeiter."
Das Versagen der Polizei
Die ehemalige Bürgerrechtlerin ist entschlossen, das Versagen der Polizei aufzuklären.
Leichsenring: "Und ich habe mitbekommen, dass die Ermittlungen sehr, sehr schleppend vorangekommen sind, einerseits, und andererseits habe ich eine Stadtgesellschaft erlebt, die überhaupt nicht gern darüber geredet hat, was in Eberswalde passiert ist. Ich muss das jetzt mal so ganz pauschal sagen. Natürlich gab's einige Leute, mit denen konnte ich darüber reden, und wir haben auch überlegt, was hier in der Stadt auch zu tun sei, zivilgesellschaftlich, damals schon. Aber insgesamt habe ich ne Stadt vorgefunden, auch einige Kommunalpolitiker, die überhaupt nicht gern darüber geredet haben. Und das mündete sehr häufig so in dem Satz: Das ist zwar alles ganz schlimm, aber woanders ist es ja vielleicht noch schlimmer oder genauso schlimm."
Seyb: "Und das konnte man auch daran sehen, dass es von der lokalen Presse direkt nach dem Angriff einfach nur eine kleine Pressemeldung und sonst nichts gab. Müssen sie sich vorstellen, wie so ne Polizeimeldung halt aussieht, ne? Wenige Zeilen dazu, dass das geschehen ist. Skandalisiert wurde das im Grunde genommen erst Wochen danach durch die überregionale Presse."
Amadeu Antonio Kiowa war nicht nur Vertragsarbeiter in der DDR, sondern auch Musiker in Berlin. So erfahren auch Sabine Seyb und ihre Mitstreiter von der Antirassistischen Initiative Berlin von dem Vorfall, der von der überregionalen Öffentlichkeit zunächst unbemerkt bleibt. In Eberswalde werden die Aktivisten aus Berlin misstrauisch beäugt.
Seyb: "Eine Stimmung die uns, quasi als Fremde, in Anführungszeichen, deutlich machte, dass wir nicht willkommen sind, und dass Eberswalde auch nicht schlimmer ist als andere Städte und andere Regionen, darum ging es uns aber gar nicht, Eberswalde hervorzuheben."
Amadeu Antonio Kiowa, Vertragsarbeiter im "Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde", ist einer der wenigen Vertragsarbeiter, die nach dem Zusammenbruch der DDR in Eberswalde bleiben. Als er stirbt, ist seine deutsche Freundin Gabi Schimanski hochschwanger.
Seyb: "Es ging uns ja darum, die Lebensgefährtin von dem ermordeten Amadeu Antonio zu unterstützen in ihrem Wunsch, dass die Täter, die Mörder, zur Verantwortung gezogen werden. Darum ging es uns eigentlich."
Gabi Schimanski hat wenige Wochen nach Amadeus Tod den gemeinsamen Sohn zur Welt gebracht hat, Sie gibt ihm den Namen des Vaters. Amadeu Antonio Junior, sagt man, sieht aus wie seinem Vater aus dem Gesicht geschnitten.
Der Hass geht weiter.
Der Hass geht weiter.
Seyb: "Na ja, sie hat ihn so gespürt, dass sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln beschimpft wurde, aufgrund der Tatsache, dass der Amadeu Antonio ihr Lebensgefährte war, sie wurde erst recht beschimpft, als dann das gemeinsame Kind geboren wurde, es gab Situationen, wo sie regelrecht bedroht wurde, der Kinderwagen wurde angezündet, im Hausflur. Und es gab dann einen Punkt, wo sie gesagt hat, sie hält es nicht mehr aus, und sie hält auch diese Gefahr nicht mehr aus, und dann quasi nach Berlin gekommen ist."
Die offene rechtsextreme Szene in Eberswalde beherrscht die Straße. Eberswalde schweigt, schaut weg. Die ehemaligen Vertragsarbeiter spüren, dass die deutschen Kollegen, mit denen sie früher Tag für Tag gearbeitet haben, sie plötzlich hassen.
Uta Leichsenring.
Uta Leichsenring.
Seyb: "Es gab ne Vernetzungsstruktur, auf jeden Fall, und es gab Verabredungen zu gewalttätigen Übergriffen, zu Brandstiftungen, es gab Verabredungen, Hitlers Geburtstag zu begehen, damit haben wir uns in Eberswalde natürlich richtig auseinandersetzen müssen. Auch wieder einerseits als Polizei, andererseits als Gesellschaft. Die Stadtbevölkerung hat sich auch nicht engagiert, wenn die Rechten nen Aufmarsch angemeldet haben. Der fand dann statt. Hab ich mich gefragt, wo ist denn hier ... wo sind denn die Bürger? Die deutlich machen, das wollen wir hier nicht, dass Rechtsextreme durch die Stadt marschieren."
Die im Kampf für Demokratie und Zivilcourage engagierte Polizeipräsidentin sucht sich Verbündete in der Stadt.
Leichsenring: "Also von einem Kommunalverantwortlichen hab ich da mal gehört, da soll die Polizei mal ordentlich draufhauen und dann erledigt sich das Thema von selber. Und mir war da schon lange klar, dass sich das Thema gar nicht von selber erledigt. Sondern dass es in einer Demokratie ganz wichtig ist, dass sich die Bevölkerung selber – oder was wir immer so als Zivilgesellschaft bezeichnen – dass sie auch deutlich zeigen, dass sie das nicht mitmachen, und dass sie das nicht wollen und dass sie auch dagegen aufstehen."
Im Juli 1992 wird das Verfahren gegen sechs der Täter eröffnet. Unter schlechten Voraussetzungen: Schlampige Spurensicherung am Tatort, viele Zeugen sind gar nicht mehr im Lande.
Munjunga: "Also bei Mosambikaner war noch schlimmer, dass sie auch die nach Hause geschickt haben, also mit Verletzungen, sogar wo man könnte so sagen: Na ja, der Mann ist so schwer verletzt, den soll man hier behandeln, und danach denn nach Mozambique schicken, aber nein, das hat es nicht gegeben, die sind auch mit der Wunde nach Mozambique geflogen. Abgeschoben worden? Ja genau. Also das ist jetzt so ne Sache, wo man hört – und heutzutage denkt: Das war nicht einfach. Das war total krass."
Seyb: "Und dazu zählten eben auch Männer, die Ansprüche in diesem Verfahren hätten geltend machen können, Schmerzensgeldansprüche. Die wichtige Zeugen gewesen wären, und die waren teilweise eben schon gar nicht mehr in Deutschland. Die wurden vor dem Prozess abgeschoben."
Die Antirassistische Initiative Berlin sorgt dafür, dass eine Nebenklage beantragt wird. Ronald Reimann, ein junger Berufsanfänger aus den Reihen der Initiative, vertritt Gabi Schimanski, die Freundin Amadeu Antonios. Sabine Seyb ist sich sicher, ohne Reimann hätte es den Prozess in dieser Form nicht gegeben.
Der Richter sprach mehrfach von "Negern"
Die Internationale Juristenkommission in Genf, die sonst Verfahren in Diktaturen und Krisengebieten auf Vereinbarkeit mit internationalem Recht prüft, schickt einen Prozessbeobachter nach Eberswalde.
An Prozesstagen werden Zeugen und Prozessbeobachter von Neonazis durch die Stadt gejagt. Der Richter spricht in der Verhandlung mehrfach von "Negern".
An Prozesstagen werden Zeugen und Prozessbeobachter von Neonazis durch die Stadt gejagt. Der Richter spricht in der Verhandlung mehrfach von "Negern".
Seyb: "Und danach befragt, warum er das tut, hat er dann gesagt: Weil er in der Sprache der Zeugen und der Angeklagten mit ihnen reden möchte. Und dementsprechend war die Stimmung dort vor Gericht, die Angeklagten haben gegenüber der Nebenklägerin, also gegenüber Gabi Schimanski, damals gefeixt, gelacht, Zeichen gemacht, in der Mimik zum Ausdruck gebracht, dass sie für sie das Letzte ist, das war ne permanent bedrohliche Situation."
Die Täter werden verurteilt. Nicht wegen Mordes. Nicht einmal wegen Totschlags. Sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Zu Jugendstrafen zwischen zwei und vier Jahren oder zu Bewährungsstrafen.
Die damalige Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg mahnt, ein solches Urteil könne geradezu als Ermutigung für ausländerfeindliche Übergriffe gewertet werden. Die Verfahren gegen die beteiligten – oder besser: unbeteiligten Polizisten werden allesamt eingestellt. Jone Munjunga und die anderen Afrikaner, die geblieben sind in Eberswalde, erleben in den Folgejahren permanent Bedrohungen, Gewalt und Hass.
Munjunga: "Kinder, mit sieben, acht, zehn Jahre und so: Die haben ... das war so wie ein Song. Plötzlich, wenn die sehen eine Schwarze oder einen Ausländer, die sagen Ausländer raus, und so. Und die Erwachsene, die haben gleich solche, egal welche, Gegenstände in der Hand gehabt, um uns, sagen wir mal, Angst zu machen, oder haben uns auch verprügelt. Das gab's schon, das gab's schon. Mit die Hunde zum Beispiel, dass jemand sagt, na, "fass", und Hund hat hier meine Kollegen gebissen, das gab es, so viele, viele, viele Sachen passiert."
"Wir schlagen dich tot"
Gadischke: "Na ja, es ist einerseits so ein Bewusstseinsprozess, dass es immer bei Rassismus auch um Platzanweisung geht."
Dieter Gadischke, Kreisjugendwart der Evangelischen Jugend im Landkreis Barnim.
Gadischke: "Also: 'Du, Amadeu Antonio, du hast hier keinen Platz. Wir schlagen dich tot." Das war die blutigste Konsequenz, die daraus gezogen wurde, und eigentlich natürlich indirekt auch die Botschaft an alle anderen ist: Bleibt nicht hier, verschwindet, also ne deutliche Platzanweisung, und das ist einerseits auch ne Frage im Bewusstsein, in der Diskussion, dass es tatsächlich um Plätze, um Platz halten geht, und auch deutlich zu sagen: Wir werden hier nicht verschwinden."
Munjunga: "Früher haben wir gesagt: Wenn wir alle Angst zeigen, und weggehen, dann die Skinheads und Nazis haben es geschafft. Was die wollen. Und wenn die wollen, dann können sie uns alle töten. Und die gesamte Welt muss auch sehen, wir sind hier nach Deutschland gekommen, und wir sind auch hier in Deutschland gestorben, ohne Grund. Natürlich, der Grund: Weil ich schwarz bin."
Die schwarze Community in Eberswalde organisiert sich bereits 1994. Sie gründet den Afrikanischen Kulturverein "Palanca". Jone Munjunga ist ihr Vorsitzender.
Munjunga: "Und von unserem Platz wir zeigen unsere Kultur. Wir trommeln bis heute. Mit Kindern und Jugendlichen zusammen, die wirklich uns akzeptiert haben, da haben wir mit Kindern getanzt, und Kochen, und dann kommt das auch langsam. Dass wir an die Schule gehen, können wir auch mit der Kita arbeiten, und auch in vielen Veranstaltungen teilgenommen haben, und dann kommt langsam diese Akzeptanz. Weil: Unsere Musik, die hat auch den Leuten gefallen. Und da haben auch die Leute getanzt."
Gadischke: "Und das ist wirklich unheimlich wichtig, was Palanca eben da leistet, über die Jahre, es wurde ja auch im Jahr 2000 Palanca noch mal abgebrannt, also die sind ja auch noch mal ... also klare Nazi-Botschaft gewesen, also verschwindet hier, nochmal, und sie haben wieder aufgebaut und sich neu eingerichtet, und sich neu konstituiert, und ich find det unheimlich mutig von den Schwarzen, dass sie da vor Ort bleiben, und sagen: Ja, wir sind hier, ihr werdet mit uns leben müssen."
Dieter Gadischke gründet Ende 2006 mit Gleichgesinnten die "Barnimer Kampagne Light Me Amadeu". Junge und ältere Bürger engagieren sich hier gemeinsam gegen Rassismus, ganz praktisch vor Ort. Sie gehen in Schulen, organisieren das Gedenken an Amadeu Antonio. Vor einigen Jahren fordern sie - gemeinsam mit der schwarzen Community - das Teilstück der Eberswalder Straße, an dem Amadeu Antonio ermordet wurde, nach ihm zu benennen.
Gadischke: "Und als dieser Vorschlag auf den Tisch kam – erst hieß es: Na ja, gute Idee, das wird wohl fast ein Selbstläufer werden, und nur durch gewisse Erfahrungen über lange Jahre haben wir gesagt, na ja, erst mal warten, was daraus wird, und auch die schwarze Community hat gesagt: Naaa, wolln wir mal wirklich warten, am Ende kommt immer was anderes raus. Und tatsächlich, dann schlug man wieder einen anderen Platz vor, also ne andere Straße, ne Nebenstraße danach zu benennen, bis hin zu ganz witzigen Fragen, also einen Parkplatz danach zu benennen, also es gab alle möglichen ablenkenden Vorschläge."
Die Eberswalder wollen die Amadeu-Antonio-Straße nicht: 3.000 Unterschriften werden gegen eine Umbenennung gesammelt.
Gadischke: "Und die Straße ist es ja letztlich auch wirklich nicht geworden, aber trotzdem sind wir nicht unglücklich ganz damit, dass immerhin ne ganze Reihe von anderen Maßnahmen von der Stadt beschlossen wurden, die damit natürlich ein deutliches Signal gesetzt hat, aber auf der anderen Seite auch das Signal gesetzt wurde: Liebe Freunde, vom afrikanischen Kulturverein, dieser Platz, diese Straße, kann nicht umbenannt werden."
Ein Backsteinbau als "Amadeu-Antonio-Haus"
Die Stadt Eberswalde bewegt sich trotzdem. Ein alter, aufwändig sanierter Backsteinbau trägt jetzt den Namen "Amadeu-Antonio-Haus". Es beherbergt das städtische Bürgerbildungszentrum. Zu dessen Eröffnung vor einem Jahr sagt der Bürgermeister, der Mord an Amadeu Antonio habe nicht nur Eberswalde verändert, sondern auch die Menschen: "Wir alle wollten ein anderes Eberswalde und wir haben es geschafft. Die Stadt ist heute weltoffen und tolerant." So der Bürgermeister
Neubacher: "Ich finde, dass diese Namengebung nach ihm zu seinem Haus mit seinen Inhalten sehr gut passt."
Kulturamtsleiter Stefan Neubacher.
Neubacher: "Hier im Haus sind ja eine Kindertagesstätte, die Bibliothek und einige andere Träger im Bereich Bildung und Erziehung untergebracht, ja und das ist ja einfach auch der entscheidende Schlüssel für antirassistische Arbeit, an die Menschen, und an den Kindern und Jugendlichen anzuknüpfen, und denen vernünftige Inhalte nahezubringen."
In der großzügigen Bibliothek findet an diesem Tag eine musikalische Lesung mit dem ostdeutschen Musiker André Herzberg statt.
Neubacher: "Eine Veranstaltung, die wir im Rahmen der Reihe "Tohuwabohu – Anstiftung zu Vielfalt und Verstehen" durchführen, und heute Abend ist noch ne besondere Situation, weil diese Veranstaltung eine Benezifveranstaltung für Amcha Deutschland ist, eine Selbsthilfeorganisation, die in Israel Holocaust-Überlebenden hilft."
In wenigen Tagen wird hier zum ersten Mal der Amadeu-Antonio-Preis verliehen. Mit ihm würdigen die Stadt Eberswalde und die Amadeu-Antonio-Stiftung Künstler, deren Werke sich mit Rassismus, Menschenrechten und Migration auseinandersetzen.
Gabi Schimanski, die ehemalige Lebensgefährtin von Amadeu Antonio, zieht zeitweilig mit ihrem Sohn zurück nach Eberswalde, entscheidet sich aber später endgültig für Berlin. Sie hangelt sich von Job zu Job, hat finanzielle und psychische Probleme. Bekommt keinen Fuß mehr auf den Boden. Vor wenigen Wochen ist sie gestorben. Woran, weiß niemand so genau. "Sie ist am Leben gestorben", sagt eine Weggefährtin.
Und Eberswalde? Das rassistische Straßenklima von einst gibt es nicht mehr. Die Afrikaner, die sich in den 90er-Jahren nur tagsüber und nur in Gruppen auf die Straße wagten, fühlen sich etwas sicherer. Viele Eberswalder sind bemüht, einige engagiert.
Gadischke: "Der unsichtbare Rassismus, der eben nur wahrgenommen wird von Schwarzen selber, der ist deutlich untergründig vorhanden, auch nicht mehr in der Vielzahl wie damals ...Und in Eberswalde berichten auch junge schwarze Deutsche, die sagen, seit der Flüchtlingszunahme im letzten Jahr hat sich auch das alltägliche Klima schon wieder verschlechtert, dass auch Sprüche öfter kommen: Geht nach Hause, was wollt ihr hier, und so ... also auch das passiert schon wieder."
Heute vor 25 Jahren traten rechte Schläger Amadeu Antonio ins Koma. Elf Tage später, am 6. Dezember 1990, starb er. An seinem 25. Todestag laden engagierte Bürger, Freunde und Weggefährten zu einem Gedenken an der Gedenktafel in der Eberswalder Straße.
"Wir sind hier, Bruder Amadeu", ist die Einladung überschrieben.