May Ayim: "Grenzenlos und unverschämt"
Schriften, Aufsätze, Reden und Interviews
Unrast Verlag, 2021
192 Seiten, 14,50 Euro
Ika Hügel-Marshall, Nivedita Prasad und Dagmar Schultz (Hrg.): "May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin"
Anthologie mit Texten verschiedener Autorinnen und mit unveröffentlichten Gedichten von May Ayim
Unrast Verlag, 2021
304 Seiten, 19,80 Euro
Natasha A. Kelly (Hrg.): "Sisters and Souls 2. Inspirationen durch May Ayim"
Texte verschiedener Autorinnen sowie bislang unveröffentlichte Texe von May Ayim
Orlanda Verlag, 2021
200 Seiten, 19,50 Euro
Kämpferin für afro-deutsches Selbstbewusstsein
Die Dichterin May Ayim löste 1986 mit ihrem Buch "Farbe bekennen" eine Welle des Empowerments aus. Sie habe der Realität von Afro-Deutschen damit einen Namen gegeben, sagen Weggefährtinnen und Bewunderinnen. Vor 25. Jahren starb die Aktivistin.
"Mein Stift ist mein Schwert", sagte die Aktivistin May Ayim anlässlich der Konferenz "African Women in Europe" in London 1992. Ayim schrieb Gedichte wie
"Grenzenlos und Unverschämt" [AUDIO]
, in denen sie sich mit ihrem Leben als Schwarze in Deutschland auseinandersetzt. Sie forschte zu Rassismus und war Mitbegründerin der Initiative "Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland", die es bis heute gibt.
Sie prägte, gemeinsam mit unter anderem der US-Aktivistin Audre Lorde, den Begriff "afro-deutsch". Für sehr viele Schwarze Deutsche und People of Colour war das von ihr 1986 herausgegebene Buch "Farbe bekennen" Empowerment pur.
Heute jährt sich Ayims Todestag zum 25. Mal. Die Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen wurde 1960 als Sylvia Andler geboren und wuchs bei (weißen) Pflegeeltern im Münsterland auf. Es muss, nach eigenem Bekunden, eine traumatische Jugend gewesen sein. Dieses Trauma prägte auch ihr Erwachsenenleben. Mehrfach begab sie sich in psychiatrische Behandlung.
Ihr Wirken: ein Weckruf
Kurz vor ihrem Tod kam eine Multiple-Sklerose-Diagnose hinzu. Die Angst, wegen dieser Krankheit nicht mehr schreiben zu können, ihres "Schwertes" beraubt zu werden, muss nach Aussagen der Menschen, die sie gut kannten, überwältigend gewesen sein. 1996 nahm sie sich das Leben.
May Ayims Wirken, vor allem aber "Farbe bekennen", sei seinerzeit wie ein Weckruf gewesen, sagt ihre Freundin und Weggefährtin Nivedita Prasad, studierte Sozialarbeiterin und Professorin an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule. "Für afro-deutsche Menschen war das total wichtig, weil endlich ihre Realität einen Namen hatte. Wir wissen, dass Dinge, die keinen Namen haben, häufig übersehen werden. So auch menschliche Realitäten."
Unvermindert wichtig
Auch für sie selbst sei das Buch bei Erscheinen sehr wichtig gewesen, betont Prasad, die zwar nicht afro-deutsch, aber indischer Herkunft ist und im Alltag ebenfalls Rassismus erfährt. "Eine rassistische Gesellschaft unterscheidet nicht zwischen Afro-Deutschen, Migrant:innen und so weiter."
Deshalb sei das Werk für alle People of Colour sehr wichtig und ist es offenbar unvermindert, denn nach wie vor wird es, auch im Ausland, gelesen und rezipiert. Das gelte auch für ihre Gedichte, die einerseits kämpferisch seien und zugleich sehr emotional und sehnsuchtsvoll, weil sie auch Kindheits- und Liebeserfahrungen thematisieren, sagt Prasad.
Das Buch bekam sie vom Deutschlehrer
Für die Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin und Künstlerin Natasha A. Kelly war die Begegnung mit den Schriften und Gedichten von May Ayim wie ein Erweckungserlebnis. [AUDIO]
Die 1973 geborene Kelly wuchs in einem kleinen Dorf in Norddeutschland auf und war in ihrer Schule das einzige Schwarze Kind. "Ich hatte immer viel mit Rassismus zu tun, habe aber immer versucht, es von mir zu drängen."
Eines Tages, Kelly war in der achten Klasse, habe ihr Deutschlehrer ihr "Farbe bekennen" zu lesen geben, erzählt sie. Sie sei sehr irritiert gewesen, dass sie, als einzige in der Klasse, dieses Buch lesen sollte. "Ich habe damals gar nicht verstanden, dass das gar nicht als Strafe gedacht war, sondern um mich zu empowern und aus meiner Isolation herauszuholen. Das war tatsächlich meine allererste Begegnung mit May Ayims Texten."
Kelly betrachtet es als ihre Aufgabe, das geistige Erbe von Ayim weiterzugeben. 2015 brachte sie den Band "Sisters and Souls" heraus, der Texte von überwiegend jungen afro-deutschen Autorinnen und Dichterinnen enthält. Anlässlich des 25. Todestages ist nun ein zweiter Band erschienen.
Wie würde Ayim auf die heutige Situation blicken?
Nivedita Prasad hat gemeinsam mit Dagmar Schultz und Ika Hügel-Marshall ebenfalls in Erinnerung an das Leben und Wirken May Ayims ein Buch herausgebracht: "May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin". Familienmitglieder, Kolleginnen und Kollegen, Weggefährtinnen und Freundinnen schildern darin ihre Begegnungen und Eindrücke von May Ayim.
Wie würde May Ayim wohl heute auf die Situation blicken? "Mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge", sagt Prasad. Lachend, weil sie so vielen mit ihrem Wirken Selbstbewusstsein gegeben habe. Weinend, weil sich trotz aller Aufmerksamkeit für das Thema Rassismus auch nach 30 Jahren nicht so sehr viel an den Strukturen geändert habe.
Vielleicht hätte ihr gefallen, dass in Kreuzberg eine Uferstraße nach ihr benannt wurde. Und vielleicht hätte sie auch über Berliner Aktivisten geschmunzelt, die den U-Bahnhof Mohrenstraße schon 2004 - illegal - kurzzeitig in May-Ayim-Straße umbenannt hatten.
(Quellen: Nivedita Prasad, Natasha A. Kelly, mkn)
(Quellen: Nivedita Prasad, Natasha A. Kelly, mkn)