28. Open Mike 2020

Kollekte für den literarischen Nachwuchs

56:05 Minuten
Ein Mikrofon vor einem Vorhang
Der Saal beim Open Mike blieb 2020 weitgehend leer. Die Lesungen fanden im Netz statt. (Symbolbild) © picture alliance/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen
Von Mechthild Lanfermann |
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Der Open Mike, die wichtigste Bühne für den literarischen Nachwuchs, fand erstmals im Netz statt. Die Wettbewerbslesungen wurden gestreamt, die Party fiel aus, die Aufregung nicht. Zwei Tage im November mit Maske und zeitverzögertem Jubel.
Beim Open Mike haben die Karrieren von Zsuzsa Bánk, Karen Duve und Terézia Mora begonnen. Der literarische Wettbewerb, ein kleiner Bruder des Klagenfurter Wettlesens, gilt als wichtigste Bühne des literarischen Nachwuchses. In diesem Jahr wählten Verlagslektorinnen aus 600 Bewerbungen 20 Finalistinnen aus. Sie alle sind höchstens 35 Jahre alt und haben noch kein Buch veröffentlicht. Am zweiten Novemberwochenende traten sie im Berliner "Heimathafen Neukölln" gegeneinander an - das heißt: Wegen des Lockdown trat niemand persönlich an.
Der Festsaal blieb weitgehend leer. Nur zwei Jurorinnen waren vor Ort, die Veranstalter vom Berliner Haus für Poesie, die Techniker und wenige Journalisten. Die Finalisten hatten ihre Lesung vorab aufgenommen und harrten am heimischen Rechner der Dinge, die möglichst so ablaufen sollten wie im letzten Jahr, nur eben nicht analog. Die Bandbreite der Formen war groß, die der Themen auch. Und anders als 2019 gab es Beiträge mit queeren und migrantischen Perspektiven.

"Kaut Fingernägel. Hält sich über Wasser. Schreibt."

Vier Preise wurden vergeben, zwei räumte Nail Doğan ab ("Sohn eines Gasttaxifahrers, einer Gastputzfrau. Lebt in Hamburg. Kaut Fingernägel. Hält sich über Wasser. Schreibt."): den taz-Publikumspreis und den Lyrikpreis des Open Mike. Die zwei ebenfalls mit 2500 Euro prämierten Open-Mike-Auszeichnungen für Prosa erhielten Rebecca Gisler und Josefine Soppa.
Im letzten Jahr war der langjährige Sponsor des Open Mike, die Crespo-Stiftung, ausgestiegen. Sie rief zwischenzeitlich einen Essay-Preis namens "Wortmeldungen" ins Leben. Das Haus für Poesie hatte nach längerer Suche Verlage und Buchhandlungen um Spenden gebeten, und die "Kollekte" (Leiter Thomas Wohlfahrt) war erfolgreich. Von weiteren Veränderungen – im Gespräch war die Aufgabe der Kategorien Prosa und Lyrik, denen sich die Texte der Jungen oft nicht mehr eindeutig zuordnen lassen – hatte man abgesehen. Das Coronavirus band vermutlich alle Kräfte.
(pla)
Das Manuskript zur Sendung finden Sie hier.

Autorin und Sprecherin: Mechthild Lanfermann
Ton: Christoph Richter
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Jörg Plath

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