"Brauchen Frankfurter Klos Wasser aus dem Vogelsberg?"
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Der Vogelsberg in Hessen ist der größte erloschene Vulkan Mitteleuropas – dort entspringen viele Quellen, das Wasser ist sehr rein. Die Stadt Frankfurt am Main bekommt einen Großteil ihres Wassers von dort. Dagegen wehrt sich seit 1990 ein breites Bündnis.
Es ist ruhig an diesem Mittag am Nidda-Stausee im Vogelsberg. Nur wenige Besucherinnen und Besucher aus dem Rhein-Main-Gebiet flanieren an diesem Werktag zu Jahresbeginn am Seeufer. Die Temperaturen liegen Mitte Januar um zehn Grad Celsius, Schnee ist auch auf den umliegenden Höhen nicht zu sehen, obwohl sie – wie der nahegelegene Hoherodskopf – manchmal mehr als 700 Meter über das Rhein-Main-Gebiet heraustragen. Trotz des auch hier deutlich spürbaren Klimawandels hat die junge Mutter Jessica aus Hanau mit ihrem kleinen Sohn heute zum ersten Mal das Gebiet der Vogelsbergstadt Schotten besucht, um sich den dortigen Campingplatz für einen möglichen Sommeraufenthalt anzuschauen. Der Nidda-Stausee ist immerhin einer der größten Seen Hessens.
"Ich finde, dass das was Besonderes ist, dass man hier so einen Stausee hat." Sie finde es auch gut, dass man dann darin baden kann – und dass der Campingplatz nah dran ist. "Es macht einen guten Eindruck."
Der See ist gut gefüllt mit Wasser. Dass das nicht immer so ist, hat Jessica erst kurz vor unserem Gespräch erfahren: "Der Platzwart hat uns vorhin erzählt, dass es 2018 Probleme an der Staumauer gab und der komplette See abgelassen wurde."
Immerhin: Der Nidda-Stausee war bisher nicht ausgetrocknet, trotz der heißen Sommer der letzten Jahre und der wachsenden Probleme mit dem Grundwasserspiegel im alten Vulkangebiet des Vogelsbergs. Das Grundwasser wird hier auch deswegen weniger, weil die rund 70 Kilometer entfernte Großstadt Frankfurt am Main einen Großteil ihres Trinkwassers aus dem Vogelsberggebiet bezieht.
"Ich kann verstehen, dass man sagt: Wir wollen Wasser für uns. Aber wem gehört das Wasser?"
Flusswasser statt Grundwasser nutzen?
Die Hanauerin Jessica antwortet abwägend, als ich sie auf den Streit um das Wasser anspreche, in dem sich die Vogelsberg-Kommunen nun angesichts des Klimawandels mit der Mainmetropole befinden:
"Ich finde, man kann nicht entscheiden, wem das Wasser gehört und wem nicht." Man müsse schauen, wer es braucht und wie man die Ressourcen schonen kann und es alle benutzen können. "Und dann müssen alle zusammen arbeiten."
Hans-Otto Wack sieht das ganz ähnlich. Mit dem Ökologen, der hier in Schotten lebt, bin ich wenig später verabredet. Wir treffen uns ein paar Kilometer südlich des Nidda-Stausees, an einer Imbissbude am Ortsausgang des Schottener Stadtteils Rainrod unten einem Straßenschild "Frankfurter Straße". Hans-Otto Wack erklärt, warum genau dort:
"Es gibt hier um die Ecke in der Aue, vielleicht 500 Meter von hier, eines der ganz großen Grundwasserwerke, die für Frankfurt fördern." Im Niddatal seien es insgesamt drei große Grundwasserwerke, die schon lange betrieben werden. "Und hier in Rainrod ist das recht speziell. Hier darf eigentlich nur die Hälfte der genehmigten Menge gefördert werden pro Jahr, weil ansonsten die gesamte Aue trockengelegt würde." Und Trockenlegen der Aue hieße letzten Endes Vernichtung des Bodens, weil der dann kollabiere.
Die Aue ist tatsächlich markant, wenn man hier hochfährt: ein breites Auengebiet an der Nidda. Die Nidda ist ja auch der Fluss, der dann in Frankfurt in den Main mündet. Es gibt wirklich geografisch eine Menge Verflechtung.
"Ja, die Nidda ist sozusagen die oberirdische Pipeline für das Vogelsberg-Wasser, und zwar immer energie- und klimaneutral", erklärt der Ökologe Hans-Otto-Wack. Die fließe nämlich von ganz alleine, während das Grundwasser, das hier gefördert wird, mit einem sehr großen Energieaufwand gepumpt werden müsse. Es sei völlig unverständlich, warum in Frankfurt das Nidda-Wasser nicht genutzt wird, während hier das Grundwasser abgepumpt werde. "Wir haben natürlich einen Verdacht oder eine Vermutung, oder auch das Wissen: Das Wasser von oben nach unten zu befördern ist wesentlich billiger, als das Wasser dort unten vor Ort zu nehmen, weil das nämlich aufbereitet werden muss."
"Frankfurt sitzt auf einer großen Menge an gutem Wasser"
Das Vogelsberg-Wasser hat hingegen ohne große Aufbereitung Trinkwasser-Qualität. 30 Jahre lang kämpft Hans-Otto Wack nun schon mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in der Schutzgemeinschaft Vogelsberg – eine der größten hessischen Bürgerinitiativen – dagegen, dass die Stadt Frankfurt am Main zu viel Grundwasser aus dem Vogelsberg abpumpt. Denn dadurch wird Lebensraum seltener Arten etwa in Hochmooren gefährdet. Das sagt der Biologe Wolfgang Dennhöfer und gründete die Initiative deshalb vor 30 Jahren mit:
"Das Besondere ist in der Tat einmal diese Höhenlage und dann dieser unglaubliche Reichtum an Quellen." Der Vogelsberg sehe auf der Karte betrachtet aus wie ein Stern: "Nach allen Seiten gehen die Wasserstrahlen weg und viele davon landen eben tatsächlich in Frankfurt, im Klo!" Im Vogelsberg gebe es Naturschätze wie zum Beispiel Schnecken, die es sonst in Deutschland nur noch in der Rhön gibt. "Die Rhön-Quellschnecke heißt die, die ist spezialisiert auf kleine Quellen in hohen Lagen. Und genau da wirkt natürlich die Wasserentnahme auf dieses Biotop ein."
Jetzt könnte man natürlich sagen: Die Menschen in Frankfurt, die sauberes Trinkwasser brauchen, sind wichtiger als eine Schnecke.
"Die Wahl ist: Muss die Schnecke sterben, weil wir ihr das Wasser abgraben?", so Dennhöfer. "Oder muss die Stadt Frankfurt sich überlegen, wie sie in die Klos Wasser bringt, das nicht aus dem Vogelsberg kommt, sondern zum Beispiel aus dem Untergrund von Frankfurt?" Frankfurt sitze auf einer riesengroßen Menge an gutem Wasser, das zum Klospülen und für technische Zwecke allemal gut genug sei.
Dass die Mainmetropole Trinkwasser aus dem alten Vulkan bezieht, ist für die Schutzgemeinschaft, in der auch viele Vogelsbergkommunen Mitglied sind, noch akzeptabel. Dass aber das gute Vogelsbergwasser für die Toilettenspülungen etwa der Frankfurter Wolkenkratzer verschwendet wird, dagegen haben sie überall im Vogelsberggebiet Protestplakate an die Straßen gestellt.
"Ein Frankfurter Bürohochhaus hat etwa 80 Prozent Bedarf an Nicht-Trinkwasser, nämlich für die Toilettenspülung, und ein durchschnittlicher Haushalt etwa 60 Prozent", erklärt Ökologe Hans-Otto Wack. Mit den Plänen, die schon 1990 im Frankfurter Umweltamt vorlagen, gäbe es heute diese großen Grundwasserentnahmen mit ziemlich großer Sicherheit nicht, ist Wack überzeugt. Die Pläne sehen es vor, Gebäude mit einem doppelten Leitungssystem auszurüsten, so dass Toilettenspülung nicht mit Trinkwasser betrieben würde.
Protestplakate: "Frankfurt nimmt zu viel Wasser!"
Hans-Otto Wack hat zum Gespräch in Schotten-Rainrod auch Anne Archinal mitgebracht. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft "Rettet den Burgwald". Der Burgwald gehört nicht zum Vogelsberggebiet, sondern liegt in Mittelhessen bei Marburg. Doch auch von dort bezieht Frankfurt am Main Trinkwasser. "Der Burgwald ist eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in Hessen", erläutert Archinal. Es gebe mittlerweile dort zehn Naturschutzgebiete. "Als ich meinen Verein gründete, wollte man da noch eine Autobahn durchbauen, und man wollte seinerzeit vor 40 Jahren eine Bohrung machen, um Grundwasser zu fördern." Das sei im Buntsandstein-Untergrund sehr einfach. "Aber damit hätte man die Moore, die es dort gibt, trockengelegt." Im Burgwald gebe es etwa 20 Arten, die es hessenweit nur an drei, vier Stellen gebe. So gebe es etwa von 60 Libellenarten in Hessen 40 im Burgwald. "Das zeigt, welche Güte es dort gibt. Das ist wirklich ein tolles Gebiet", sagt Archinal.
In Zeiten des Klimawandels ist auch der Burgwald gefährdet, wenn zusätzlich das Grundwasser nach Frankfurt gepumpt wird. So sieht das Anne Archinal. Gibt es auch dort im Burgwald solche Plakate wie hier: "Frankfurt nimmt zu viel Wasser!"? Ja, sagt Archinal. Aber im Moment sei keines aufgestellt. "Wir müssen unbedingt mal wieder Plätze finden, wo wir sie aufstellen."
(abr)