30 Jahre nach Hoyerswerda "Wir haben 1991 als Bürger dieser Stadt versagt", sagt Grit Maroske, die als junge Frau die gewalttätigen Übergriffe auf ein Wohnheim in Hoyerswerda durch Zufall mitbekommen hat. Erst heute habe sie das Gefühl, dass man in der Stadt auch kritisch über diese Zeit sprechen könne und dass man den damaligen Opfern, den Asylsuchenden und den Vertragsarbeitern, eine Stimme geben möchte. [AUDIO]
Schwieriges Gedenken
05:24 Minuten
Am 18. September 1991 griffen Neonazis in Hoyerswerda ein Wohnheim von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambik an. 30 Jahre später erinnert die Stadt an das mehrtägige Pogrom. Auch Opfer von damals sind in die Stadt zurückgekehrt.
Ein halbes Jahr hat Emmanuel Adu-Agyeman in Hoyerswerda gewohnt – im Sommer 1991 zusammen mit anderen geflüchteten aus Ghana, Nigeria und Angola. Das ehemalige Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße wurde inzwischen abgerissen. Doch die Erinnerungen sind noch da. "Viertel vor elf sind die gekommen, die haben mit Raketen geschossen zu unserem Haus. Steine und Flaschen, alles das haben sie auf unser Haus geschmissen."
Generation Hoyerswerda: Wie prägten die Ausschreitungen das Land?
"Wir haben 1991 als Bürger der Stadt versagt", sagt Grit Maroske, die damals als junge Frau die rassistischen und gewalttätigen Übergriffe auf ein Wohnheim in Hoyerswerda durch Zufall mitbekommen hat. Erst heute habe sie das Gefühl, dass man in der Stadt auch kritisch über diese Zeit sprechen könne und dass man den damaligen Opfern, den Asylsuchen und den Vertragsarbeitern eine Stimme geben möchte. Hören Sie hier das komplette Interview.
"Wir haben 1991 als Bürger der Stadt versagt", sagt Grit Maroske, die damals als junge Frau die rassistischen und gewalttätigen Übergriffe auf ein Wohnheim in Hoyerswerda durch Zufall mitbekommen hat. Erst heute habe sie das Gefühl, dass man in der Stadt auch kritisch über diese Zeit sprechen könne und dass man den damaligen Opfern, den Asylsuchen und den Vertragsarbeitern eine Stimme geben möchte. Hören Sie hier das komplette Interview.
Nachbarn feuerten die Neonazis an. Die Polizei war überfordert. Und die Gewalt hatte Erfolg. Nach sechs Tagen werden die Asylbewerber aus der Stadt gebracht, ebenso die meisten verbliebenen Vertragsarbeiter aus Mosambik und Vietnam – insgesamt rund 300 Menschen.
Rückkehr nach Hoyerswerda
Emmanuel Adu-Agyeman hat sich ein Leben in Darmstadt aufgebaut. Dieses Wochenende ist er aber wieder in Hoyerswerda, um seine Geschichte zu erzählen.
In der Lausitzhalle, dem früheren Betriebskulturhaus, bereit Sabine Proksch alles vor. Mehrere Diskussionsveranstaltungen soll es am Wochenende hier geben. Neben Emmanuel Adu-Agyeman hat die Stadt weitere ehemalige Asylbewerber und Vertragsarbeiter eingeladen – und auch Betroffene der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Mölln.
Proksch lebte 1991 auch in der Neustadt. "Relativ in der Nähe der Ausschreitungen", sagt sie. Dennoch habe sie davon nur über die Medien erfahren: "Weil ich arbeiten war, mit meinem Leben zu tun hatte."
Erst mit einigen Jahrzehnten Abstand begann die Kulturmanagerin, sich näher mit den Geschehnissen zu beschäftigen. "Das ist so ein schwarzer Fleck, leider, wie ein kleines Trauma für mich. Das würde ich gerne bearbeiten. Ich möchte wissen: Wie haben die sich gefühlt. Ich möchte mich damit auseinandersetzen. Ich glaube, dass es für meine Aufarbeitung, für mein Selbstbewusstsein in unserer Heimatstadt wichtig ist. Und noch wichtiger natürlich für die Betroffenen, dass die ihren Frieden finden. Das würde ich mir so wünschen."
Engagement und Aufarbeitung
Im Einkaufszentrum nebenan werden Porträts ehemaliger Vertragsarbeiter gezeigt, um das Gedenken in die Stadt zu tragen. "Ich bin froh, dass in meiner Familie viel darüber gesprochen wird, weil meine Eltern damals in der alternativen Szene aktiv und auch selber Opfer von Angriffen von Rechtsextremen waren", erklärt der 18-jährige Laurens Sauer. Deswegen hätten seine Eltern auch von dieser Zeit berichtet.
"Dann habe ich mich tiefer damit auseinandergesetzt, weil viele junge Leute eben doch keine Ahnung haben, was passiert ist", sagt Sauer, der in Hoyerswerda ein Gymnasium besucht. Mit anderen Jugendlichen organisierte er einen Workshop. Ein ehemaliger Vertragsarbeiter kommt an seine Schule.
Das Interesse ist da, doch auch eine rechte Szene gibt es immer noch: "Die Leute, die damals Steine geworfen und gepöbelt haben, die haben ja auch Kinder in meinem Alter. Und ich würde behaupten, dass diese Ideologie auch nicht verschwinden wird, wenn wir nicht die Bildung in den Schulen und auch durch sowas hier leisten und den Leuten sagen: Das darf nie wieder passieren."
Rassistische Einstellungen bleiben
Allerdings halten sich hartnäckig andere Sichtweisen auf das, was bei den Ausschreitungen passiert ist – zum Beispiel, dass hauptsächlich organisierte Rechtsextreme aus dem Westen beteiligt gewesen seien. "Die meisten kamen von auswärts", sagt eine Frau. "Es wird immer auf Hoyerswerda geschoben und das ist nicht so. Sicher haben sich ein paar mit drangehängt. Und die Medien machen vielmals aus einer Mücke einen Elefanten."
Pfarrer Jörg Michel sagt über diese Interpretationen: "Das ist immer der erste Reflex, weil diese Erinnerung mir unangenehm ist. Aber es gehört zur Stadtgeschichte inzwischen dazu." Der Pfarrer in der Neustadt ist Mitglied der Initiative Zivilcourage, die das Gedenkwochenende organisiert hat.
Erst auf Druck der Initiative ist vor einigen Jahren ein Denkmal gebaut worden: "Dieses aktive Beschäftigen damit bringt mehr, als das zu verdrängen, und auch irgendwo einen inneren Frieden", sagt Michel.
Mehrerer Initiativen engagieren sich inzwischen in der Stadt für Geflüchtete und kulturellen Austausch. Doch verschwunden sind die rassistischen Einstellungen nie.
Als Emmanuel Adu-Agyeman 2011 zum 20-jährigen Jubiläum schon einmal nach Hoyerswerda zurückkam, wurde er wieder angepöbelt vor dem alten Arbeiterwohnheim. "Als wir dort waren, waren da Leute, die hatten Alkohol getrunken. Als die uns gesehen haben, haben die gesagt: 'Oh die Schwarzen kommen wieder. Wir wollen hier keine Schwarzen.' Und sie haben versucht, uns zu beleidigen."
Versöhnt mit Hoyerswerda
Trotzdem freut er sich über die Einladungen, sagt Emmanuel Adu-Agyeman. Rassistische Gewalt hat er nicht nur im Osten erlebt. Ende der 90er-Jahre habe ihn ein Sicherheitsmitarbeiter am Frankfurter Bahnhof bei einer Fahrkartenkontrolle verprügelt.
Mit Hoyerswerda habe er sich versöhnt. Die Initiativen machen ihm Mut. Emmanuel Adu-Agyeman glaubt, dass die Stadt sich verändert hat. "Alles in Hoyerswerda hat gewechselt. Und jedes Mal, wenn die mich einladen: Ich glaube, das ist gut für mich, dass ich hierher komme."