Im Podcast der Weltzeit spricht Westafrika-Korrespondent Marc Dugge auch über die Mitverantwortung der Europäer an den Langzeitherrschern in Afrika.
Popstar will Museveni ablösen
25:39 Minuten
Bobi Wine ist ein Popstar in Uganda. 2021 will der 37-Jährige die Sensation schaffen und Langzeitpräsident Yoweri Museveni ablösen. Der regiert seit 33 Jahren mit harter Hand, was nicht nur die Getto-Jugend zunehmend auf die Straße bringt.
Aufbruchsstimmung in Ugandas Hauptstadt Kampala: Knapp hundert junge Leute drängen sich in der prallen Mittagshitze vor die Tore des Hauptquartiers der Polizei: 20-Jährige mit zerschlissenen T-Shirts und Mopedhelmen. Daneben: Geschäftsmänner mit Sonnenbrille und Anzug. Gemeinsam recken sie ihre Fäuste in die Luft und singen.
Das Lied hat der 37-jährige Robert Kyagulanyi Ssentamu geschrieben, Künstlername: Bobi Wine. Er ist ihr Idol und Oppositionspolitiker. Deshalb ruft ein abgesagtes Konzert auch gleich Demonstranten wie Tony auf die Straße.
"Bobi Wine sollte letzte Woche auftreten. Aber die Polizei hat die Show blockiert. Wine bekam Hausarrest. Zu Hause hat er dann gefordert, dass die Regierung und die Polizei die Meinungsfreiheit in Ugandas Verfassung respektieren sollen. Aber der Präsident instrumentalisiere die Polizei und mache so Politik. Diese Aussagen haben der Regierung gar nicht gefallen: Sie warf Bobi Wine vor, er stachele die Menschen an. Und befahl ihn hierher zum Polizeihauptquartier, um sich zu erklären."
Ein paar Meter weiter klingelt ein Handy: Bobi Wines Anwalt ist am Apparat. Gerade eben, auf dem Weg zur Polizeistation, haben Polizisten den Popstar und Politiker aus seinem Auto gezerrt. Er wurde auf die Ladefläche eines Lastwagens geschubst und ins Hochsicherheitsgefängnis gebracht. Zum dritten Mal in diesem Jahr. Da schlägt die Stimmung plötzlich um in der Spontan-Demo.
"Wir haben keine Freiheit hier und trotzdem unterstützt das Ausland Uganda und spricht von Demokratie. Seht ihr nicht, wie wir hier leiden? Manche hier haben heute ihre Kioske geschlossen, andere die Vorlesung an der Uni geschwänzt. Freiheit gibt’s vielleicht im Stadtteil Kololo, wo die Reichen abends feiern. Aber dieses Land ist eine Diktatur."
Polizisten mit Helm, Stock und Schild schleudern Tränengas zwischen die Anhänger von Bobi Wine. Die jungen Leute fliehen, pressen ihre T-Shirts vors Gesicht und husten. Doch sobald das Gas verpufft, stürmen sie zu den Polizisten und Journalisten zurück, allen voran der Mopedtaxi-Fahrer Innocent.
"Bobi Wine kämpft für Gerechtigkeit in Uganda. Er will die Regierung ablösen. Deshalb unterstützen wir ihn. Er hat die Kraft, etwas in diesem Land zu verändern, er setzt sich für uns ein. Also sind wir jetzt auch da für ihn."
Uganda auf Platz drei der Langzeitherrscher in Afrika
Nach dem Sturz der Regime in Algerien und im Sudan ist Uganda nun auf Platz drei vorgerückt in Afrika, in der Rangliste der am längsten regierenden Präsidenten. Seit 33 Jahren hält sich Yoweri Museveni an der Macht. Inzwischen hat er mit 74 Jahren ein hohes Alter erreicht. Ganz im Gegensatz zur Bevölkerung: 70 Prozent der Ugander sind jünger als 25 Jahre und haben nie einen anderen Präsidenten gekannt.
Zwar gab es in Uganda immer wieder Politiker, die gegen Museveni kandidierten. Aber die waren meist genauso alt wie er und ähnlich sozialisiert. Der 37-jährige Bobi Wine hingegen wuchs im Getto auf, bekannt wurde er mit seinen sozialkritischen Songs. Bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren zog er ins Parlament ein – und ist fest entschlossen, bei den nächsten Wahlen in zwei Jahren den Langzeit-Präsidenten abzulösen.
Der Popstar ist längst nicht der einzige, der inzwischen gegen Museveni mobilisiert.
Schweine ins Parlament als Sinnbild für Politiker
"Als junger Mensch in Afrika musst du erstmal lernen, wie ein Stoßdämpfer zu funktionieren. Jedes Mal, wenn dich Schläge treffen, musst du sie absorbieren", sagt Norman Tumuhimbise. Er ist 33 Jahre alt und Leiter des "alternative movements", einer in Uganda gegründeten Jugendbewegung.
Der kleine, drahtige Mann im Sakko redet so schnell, dass er jedes dritte Wort verschluckt. Heute hatte er wieder keine Zeit zum Mittagessen. Stattdessen trifft er seinen Anwalt im chronisch verstopften Zentrum von Kampala. Tumuhimbise braucht den Anwalt, nachdem er sich über Politiker lustig machte. 2014 hängte er Schweinen Namensschilder von Politikern um den Hals und schleuste sie ins Parlament.
"Damit wollten wir zeigen, wie gierig und selbstsüchtig Politiker in Uganda sind – genau wie Schweine. Deshalb haben wir die Tiere als Symbol genutzt."
Tumuhimbise veröffentlichte auch ein Buch, in dem er zeigt, wie sich die Regierung an den rund 35 Millionen Bürgern Ugandas bereichert. Mehrmals wurde der Regimegegner inhaftiert. Ein Beispiel, das unterstreicht, was auch das panafrikanische Forschungsinstitut Afrobarometer herausgefunden hat: Die Zivilgesellschaft in Uganda hat immer weniger Freiräume. Deshalb setzt Tumuhimbise auf kreativen Protest – ohne Konfrontation – dafür trainiert er Studenten und Schüler.
"Es macht keinen Sinn, auf die Straße zu gehen und einen Konflikt mit der Polizei zu provozieren. Man verliert nur sein Auge und der Diktator ist immer noch da. Wir müssen das Risiko für unsere Mitglieder minimieren. Wenn du Schweine ins Parlament schleust, schlägt dich die Polizei zwar auch, aber nicht so brutal, wie bei einem Steinwurf von Demonstranten. Wir kämpfen für Menschenrechte, deshalb müssen wir uns selbst an sie halten. Unser Leben steht an erster Stelle. Wenn jemand von der Polizei fast totgeschlagen wird, schreckt er sowieso nur Menschen ab, sich der Demo anzuschließen."
Norman Tumuhimbise will, dass Protest Spaß macht. Ansonsten sei es für jemanden wie ihn, der kein Musikstar ist, schwierig, Menschen in Uganda zu mobilisieren. Viele dächten in erster Linie an sich. Tumuhimbise glaubt, dass das an dem Regierungsstil des Präsidenten liegt: Museveni provoziert lokale Konflikte, finanziert die ehemaligen Königreiche und spaltet so die Gesellschaft, die sich dann nicht mehr gegen ihn vereint, so der Aktivist, der gern mehr Menschen auf die Straße bringen würde:
"Als Bobi Wines Auftritt verboten wurde, waren die Anwälte in ihren Büros. Die Verkäufer hatten in ihren Läden zu tun. Wir suchen noch nach einer Formel, die alle Menschen in Uganda vereint. Wenn Anwälte gegen Ungerechtigkeit demonstrieren, sollten die Aktivisten wachwerden und den Menschen klarmachen, dass das uns alle angeht. Dieses Verständnis fehlt hier. Wir brauchen mehr staatsbürgerliche Erziehung."
Frauen für den politischen Neuaufbau in Uganda
Mit wiegendem Schritt führt Rebecca Achom Adile, 26 Jahre, in einen Hinterhof in Kampala, ihre Haare wippen im Takt mit. Hier besprechen gerade an die 15 Jugendliche das Grundsatzprogramm ihrer neuen Partei. Die Mehrzahl von ihnen sind Frauen. Adile ist gekommen, um sich mit ihnen zu vernetzen.
"Viele Leute in Uganda erkennen nicht, wie wichtig ein politischer Wandel für dieses Land ist. Sie denken, irgendwann wird diese Veränderung schon eintreffen. Spätestens dann, wenn Museveni alt ist und stirbt. Aber das ist nicht die Art von politischem Machtwechsel, den wir brauchen. Wir brauchen ein neues System und das müssen wir selbst organisieren. Wir brauchen einen Präsidenten, der Verantwortung für die Menschen übernimmt. Nicht Menschen, die Verantwortung für ihren Präsidenten übernehmen."
Adile glaubt, dass Frauen diesen Wandel herbeiführen sollen. Den Frauen traut sie am meisten zu.
"Seit 30 Jahren gab es immer wieder Versuche, unseren Präsidenten abzulösen, aber ohne Erfolg. Deshalb gehen wir anders ran. Wir setzen auf junge Leute und auf Frauen. Frauen organisieren unser zu Hause, unsere Büros. Wenn sie eine Bewegung anführen, wird sie erfolgreich sein. Deshalb habe ich 'Rising Women Uganda' mitgegründet: Wir organisieren Frauen auf Gemeindeebene und vernetzen sie miteinander. So wollen wir das ganze Land verändern."
Adile glaubt daran, dass Frauen die fragmentierte Gesellschaft in Uganda vereinen können – und die Menschen für das Gemeinwohl mobilisieren. Wie im Sudan. Aber über 80 Prozent der Menschen in Uganda leben auf dem Land. Dort sind Frauen selten über ihre Gemeinde hinweg vernetzt. Deshalb reist Rebecca seit Monaten durch Dörfer, um ein Register mit allen einflussreichen Frauen zu erstellen. Auch in Orten, in denen sie Frauen erstmal an ihre Rechte erinnern muss.
"Frauen versorgen die Familien in Uganda, auch auf dem Land. Und die Männer? Die schlagen sie und nehmen ihnen das Geld weg. Deshalb müssen wir die Frauen erstmal dazu bringen, zu sagen, das ist falsch. Und dann müssen sie sich zusammenschließen und gegen die Männer behaupten."
Adile ging letztes Jahr in Kampala auf die Straße, um gegen Frauenmorde in Uganda zu demonstrieren. Deshalb wurde die 26-Jährige niedergeschlagen und inhaftiert. Ein Jahr lang war ihr Fall vor Gericht. Aber Adile ließ sich davon nicht einschüchtern. Kaum wurde die Anklage fallengelassen, machte sie weiter, junge Frauen im Norden Ugandas zu trainieren.
"Indem wir über Aktivismus sprechen, verändern wir die Mentalität der jungen Leute. Sie fangen an, ihre Gemeindevorsteher zu kritisieren. Das zeigt mir: Der Wandel, nach dem wir uns sehnen, ist gerade voll im Gang! Protest entzündet sich zwar überraschend. Aber dahinter steckt viel Ermutigung und Netzwerkarbeit und jedes Mal, wenn es jemand wagt, offen zu sprechen, reißt er andere Menschen mit."
Wie zum Beispiel Bobi Wine.
Bobi Wines Fahrer wurde getötet
Drei Tage lang haben seine Anhänger in Ugandas Hauptstadt Kampala demonstriert und ganze Straßen blockiert. Dann wurde der Popstar vorübergehend aus dem Gefängnis entlassen. Am Tag darauf lehnt er auf einem Plastikstuhl vor seiner Villa am Stadtrand von Kampala, im Schatten einer Palme. Seine Schultern hängen schlaff nach vorne, seine Augen sind geschwollen. Er wirkt ausgezehrt. Aber seine Stimme ist voller Kraft.
"Ich fühle mich stark, weil ich nicht allein bin. Weil Millionen von Ugandern und Afrikanern und Menschen aus der ganzen Welt hinter uns stehen und unseren Stolz teilen. Ihre Nachrichten und Tweets erinnern mich daran, dass wir nicht alleine im Dunkeln leiden, sondern dass wir so vieles mit ihnen teilen."
Letztes Jahr wurde Bobi Wines Fahrer getötet, viele sagen, der Anschlag galt eigentlich ihm. Inzwischen ist der Musiker und Politiker so beliebt, dass sich seine Gegner das nicht mehr leisten können. Bobi Wine hat sich verändert. Seine Sätze klingen nicht mehr wie aus dem Getto, sondern wie aus den Büchern von Nelson Mandela und Malcolm X.
"Die jungen Leute in Uganda waren lange Zeit apathisch und interessierten sich nicht dafür, wie der Präsident ihr Land regiert. Deshalb habe ich mich entschieden, selbst aktiv zu werden und andere junge Leute aufgerufen, sich auch politisch zu engagieren."
Statt konkreter Rezepte gegen Korruption und Arbeitslosigkeit verbreitet er Slogans wie "people power" - "Alle Macht dem Volk". Unter Hausarrest produziert er einen Widerstandssong nach dem anderen und lädt die Videos auf YouTube hoch. Rastlos arbeitet er an seiner Karriere, und an seinem Ziel:
"Museveni hält sich so lange an der Macht, weil er die Gesellschaft spaltet. Nach ethnischer Gruppe, politischer Partei, sozialer Klasse. Wir bringen die Menschen zusammen und machen ihnen klar: Egal, welcher Religion oder sozialen Klasse ihr angehört, ihr seid alle Sklaven in diesem Land, solange Museveni das Gesetz ist. Aber alle Diktaturen haben ein Ablaufdatum und Musevenis Tage sind bald gezählt."
85 Prozent der Bevölkerung jünger als 35 Jahre
Bobi Wines Kampf ist einer gegen alteingesessene Diktatoren, auf dem ganzen Kontinent. Auch wenn er nicht als Held in die Geschichte Ugandas eingehen sollte. Auch wenn sich bei den nächsten Wahlen nicht der Massenprotest entzünden sollte, den Tumuhimbise und Adele vorbereiten, so haben sie zusammen doch etwas bewirkt. Sie vermitteln einer Generation das Selbstbewusstsein, um sich selbst zu behaupten und sich zu engagieren – nicht nur im Sozialen. Sondern auch in der Politik.
"Unsere Väter und Großväter haben uns Freiheit versprochen. Und wir sind die Generation, die sich diese Freiheit erkämpft. Denn wir sind viele und Uganda war noch nie so geschlossen und dynamisch. Zum ersten Mal sind 85 Prozent der Bevölkerung unter 35 Jahre alt. Wir leiden unter denselben Problemen. Und wenn jemand für Freiheit kämpft, dann kämpft er für Freiheit für alle. Obwohl wir eine Steuer auf Facebook oder WhatsApp zahlen, sind wir die am besten vernetzte Generation. Und wir wissen, die sozialen Medien für unsere Zwecke zu gebrauchen."