Auf der Suche nach alter Größe
Von Punks Ende der 70er über eine der wichtigsten New-Wave-Bands der 80er zu Stadionrock-Giganten - zuletzt hatten sich die Simple Minds ihrem relativ avantgardistischen Frühwerk zugewandt. Jim Kerr und Charlie Burchill über das neue Album und die alten Zeiten.
Da ist sie wieder, diese Gitarre, die wie ein schottischer Dudelsack klingt - und doch nicht altbacken. Ich hab die Simple Minds lieben gelernt als moderne New-Wave-Band fernab des Mainstreams, ganz am Anfang ihrer Karriere vor über 30 Jahren.
Dann mit mehr Pomade im Haar als New Romantics - ganz romantisch in die neuen digitalen Klangwelten verliebt, wurden sie zu Vorreitern für viele andere Bands.
Dieses Frühwerk stand zuletzt im Fokus der Schotten - und das hört man noch ein bisschen auf dem neuen Album, erzählt Gründungsmitglied Charlie Burchill im schönsten schottischen Akzent:
"Ich würde sagen, da sind definitiv Echoes aus dieser Zeit, aber wir haben einen zeitgemäßen Pop-Dreh auf der neuen Platte. Denn damals waren wir ziemlich experimentell. Und die neuen Songs sind vor allem fokussiert auf unsere Vorstellungen heutzutage."
Liebe zum Breitwandformat
Und das ist scheinbar - wie auf dem jüngsten Studioalbum "Graffiti Soul" von 2009 - eine möglichst breite Mischung aus allem, was die Simple Minds ausmacht: Stadionrock, elektronisch inspirierter Pop und im Titeltrack jetzt vor allem: Liebe zum Breitwandformat:
"Gib mir den Spirit, die Kraft, die Freude, gib mir die Musik, die großen Melodien. Ich hab erkannt, wie viel mir Musik immer noch bedeutet. Und darum geht’s in Big Music: Was wir fühlen, was uns die Musik gibt. Und so ist das sicher die größte Hymne vom Album."
Und auf die war Jim Kerr gekommen, als er im vergangenen Jahr nach dem Prince-Konzert in Montreux voller Frust war, als der eben nicht die großen Hits in bekannter Form gespielt hatte. Ich war ja auch bei diesem Konzert und gerade davon begeistert.
Und so bin ich auch in meiner alten Begeisterung für die Simple Minds jetzt etwas gebremst. Waren sie früher oft ziemlich vorne im Klangbild, klingt einiges auf dem neuen Album doch ziemlich von gestern. Zum Beispiel diese schlichten Synthesizer-Sounds und mageren Melodien.
Kein Wunder also, dass die Simple Minds zuletzt Schwierigkeiten hatten, ein Label zu finden. Ohne Major-Vertrag sind sie nun bei der Berliner Embassy of Music gelandet. Das passt: Mit Berlin haben sie eine lange Geschichte: Hier hatten sie ihren internationalen Durchbruch. Und als vor 25 Jahren die Mauer fiel, waren sie natürlich ziemlich bewegt. Auch wenn wie bei einem alten Paar - der eine dieser Männer Mitte 50 dem anderen etwas auf die Sprünge helfen muss mit der Erinnerung:
Charlie: "Unser Road Manager war damals an der Berliner Mauer - und ich glaube, ich war zuhause …"
Jim: "Nee, ich weiß, wo Du warst. Wir waren in Australien."
Charlie: "Oh, wirklich?"
Jim: "Wir waren auf Tournee. Und das war so schade, weil wir nah dran sein wollten. Aber wie auch immer: Wir haben im Fernsehen diese wirklich bemerkenswerten Szenen gesehen."
Moralische Institution der Rockmusik
"Kill or cure" gehört noch zu den besseren Songs vom neuen Album. Neue Fans werden die Simple Minds damit jedenfalls nicht gewinnen, aber wenigstens die alten nicht verprellen.
Und nicht nur die kennen die Band ja auch als politisch engagierte Musiker, die sich oft eingesetzt haben gegen Apartheid und Hunger, für Gerechtigkeit und für Amnesty International.
Sänger Jim Kerr war lange Zeit eine moralische Institution der Rockmusik – und heute?
"Ich denke: Die Ziele waren damals sichtbarer, die Polarität war präziser. Es gab Ost und West, Apartheid und Anti-Apartheid, es gab Thatcher und Reagan. Und heute ist alles so in der Mitte."
Ich hab dieses "Yes we can" geliebt vom ersten schwarzen US-Präsidenten. Aber er kam damit nicht durch gegen die realen Herausforderungen - eine große Enttäuschung. Und wo ich älter werde, ist das für mich ein weiterer Nagel am Sarg meines Idealismus."