Steueränderungen der Ampel
Auch das künftige Steuermodell ist ein Splittingverfahren. © Getty Images / Viktor Morozuk
Ehegattensplitting, nur anders
06:55 Minuten
Das bisherige Ehegattensplitting ist umstritten, weil es konservative Familienmodelle zementieren kann. Die Koalition hatte deswegen vereinbart, ein neues Verfahren zu entwickeln. Von einer Familienbesteuerung war die Rede. Was hat sich verändert?
Im Koalitionsvertrag auf Seite 92 heißt es: „Wir wollen die Familienbesteuerung so weiterentwickeln, dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden.“
Übersetzt: Das von der Ampel angestrebte Modell sieht vor, dass Ehepartner und Menschen in einer eingetragenen Partnerschaft zukünftig weiterhin gemeinsam eine Steuererklärung abgeben, jedoch nicht mehr wie bisher in den Steuerklassen 3 und 5, sondern beide in der Klasse 4 mit Faktor. Heißt: Das Finanzamt berücksichtigt den sogenannten Splitting-Vorteil bereits während des Jahres.
Gleiche Steuerklasse
„Beim Ehegattensplitting wird das zu versteuernde Einkommen zunächst durch zwei geteilt, also gesplittet, dann wird die Steuer berechnet und der Betrag wieder verdoppelt“, sagt Stefan Heine. Er ist Rechtsanwalt für Steuerecht und betreibt die Plattform und Software Smartsteuer. „So zahlt jeder die Hälfte – unabhängig von der Höhe des jeweiligen Einkommens.“
Er ist überzeugt: „Bei der Einkommensteuererklärung ist die Steuerlast egal. Welche Kombination ich habe, ist gleich. Es ist eigentlich nur geregelt: Wieviel Lohnsteuer zahle ich praktisch als Vorauszahlung für die Einkommensteuer monatlich voraus.“
Das neue Faktor-4-Modell
Das künftige Faktor-4-Modell ist weiterhin ein Splittingverfahren. Neu dagegen ist, dass die monatliche Steuerlast gerechter auf beide Partner verteilt wird. Das Faktor-4-Modell soll zukünftig für alle Paare mit unterschiedlich hohem Einkommen gelten und die bisherige Kombination der Steuerklassen 3 und 5 ersetzen.
„Bei der Steuerklassenkombination 3 und 5, da wird der Grundfreibetrag und eine Vorsorgepauschale ausschließlich der Steuerklasse 3 zugeordnet, und der Lohnsteuerabzug in der Steuerklasse 5 fällt im Verhältnis zu den Gesamtbezügen dann viel zu hoch aus“, erklärt Stefan Heine. „Sehr hoch, weil dort der Freibetrag und die Vorsorgepauschale gar nicht berücksichtigt werden.“
Beim Ehegattensplitting im 4-Faktor-Modell wird der Grundfreibetrag sowie die Vorsorgepauschale hingegen anteilig auf beide Partner verteilt. Somit fällt die monatliche Steuerlast gerechter aus, ohne dass sich an der Höhe der jährlich insgesamt gezahlten Steuer irgendetwas ändert.
Anreize, beruflich durchzustarten
Das 4-Faktor-Modell existiert bereits heute, wird aber lediglich von 0,6 Prozent aller infrage kommenden, also aller ungleich verdienenden Paare, genutzt. 99 Prozent all jener, die weniger verdienen als ihr Partner, sind bislang in Steuerklasse 5 veranlagt und haben damit monatlich nur extrem wenig Netto zur Verfügung.
In aller Regel sind das die Ehefrauen. Sie arbeiten nach der Familiengründung meist in Teilzeit, stecken beruflich zurück. Die überproportional hohe Steuerlast ist für sie ein weiterer Demotivationsfaktor, um beruflich durchzustarten – mit Auswirkungen auch auf Rentenbezüge und Sozialleistungen.
Das neue Modell könne hier Anreize schaffen, meint Stefan Heine. „Ich glaube, dass es auch psychologische Effekte haben kann. In der Realität ist es so, dass häufig die Ehefrau weniger verdient und dass dann die Aufnahme einer Tätigkeit, wo relativ wenig dann netto wegen der hohen Steuerlast bei rauskommt, gar nicht so attraktiv ist. Oder dass auch der geringer verdienende Partner einen Minijob annimmt statt einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, was auch nicht gewollt ist. Wir sprechen auch immer vom Fachkräftemangel. Da wäre es auch ein gutes Symbol, wenn sich die Aufnahme beider Tätigkeiten lohnt.“
Mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und in den Familien durch die Reform zu stärken, das hofft auch die Soziologin Uta Meier-Gräwe. Die Hochschulprofessorin und grüne Sozialpolitikerin hat verschiedene Bundesregierungen familienpolitisch beraten und setzt sich seit langem für einen fairen Familien- und Arbeitsalltag ein.
Sie ist überzeugt: Dass Frauen ökonomisch noch immer deutlich schlechter gestellt sind, liegt vor allem daran, dass sie den Großteil der unbezahlten Care- und Familienarbeit übernehmen und mit Familiengründung oft massive Einbußen in ihrem Erwerbseinkommen erleiden.
Und das, obwohl Frauen die Männer längst bildungsmäßig eingeholt, wenn nicht gar überholt haben, so Uta Meier-Gräwe. „Wenn man aber heute sieht, dass die Lebenserwerbseinkommen von heute 35-jährigen Frauen um 62 Prozent niedriger liegen werden, wenn die in Rente gehen als in der männlichen Vergleichsgruppe, dann sieht man, dass dieses Bildungsversprechen überhaupt nicht eingelöst ist.“
Care-Arbeit muss aufgewertet werden
Frauen vor dem Finanzamt gerechter zu stellen und nicht auch noch steuerrechtlich zu benachteiligen, sei fundamental wichtig, meint die Soziologin. Doch um mehr Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, brauche es noch grundsätzlichere Veränderungen, erklärt Uta Meier-Gräwe. „Wir brauchen eine neue Erzählung von Wirtschaft, die im Grunde diese unbezahlte Care-Arbeit mit als das Fundament betrachtet und die Voraussetzung, auf der das produzierende Gewerbe überhaupt nur aufbauen kann. Das wird leider in unserer Gesellschaft nicht gesehen.“
Kein Familientarifsplitting
Auch mit Blick auf das Steuerrecht könne man schon heute viel mehr tun, um Familien stärker zu entlasten, meint Fachanwalt für Steuerrecht Stefan Heine: Etwa, indem man das Familiensplitting einführt, das auch die Zahl der Kinder eines Paares berücksichtigen würde.
Entgegen zahlreicher Spekulationen sage der Koalitionsvertrag darüber jedoch nichts aus, erklärt der Fachanwalt. „Ein Familientarifsplitting, wo Kinder beispielsweise mit dem Faktor 0,5 oder 1 gerechnet werden, dass eine Familie mit zwei Kindern beispielweise nicht das Einkommen durch zwei dividiert, sondern durch drei – das ist absolut nicht absehbar aus dem Koalitionsvertrag. Das wäre eine wirkliche Reform.“
Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Abgabefrist für die Steuererklärung 2021 im Audio korrigiert.