40.000 Jahre Kunst im Lonetal

Einmal Steinzeit und zurück

Optiker Michael Rompf mit Brille aus Mammut-Elfenbein
Optiker Michael Rompf ist einer der ganz wenigen in Deutschland, der Brillen aus Elfenbein herstellt. © Deutschlandradio / Gerhard Richter
Von Gerhard Richter |
Das Lonetal zwischen Stuttgart und München gilt als die Wiege der Kunst: Die archäologischen Funde von dort sind weltweit die frühesten Zeugnisse menschlicher Kulturhandlungen. Mit einfachen Steinklingen, viel Geschick und Ausdauer etwa haben die frühen Künstler aus Elfenbein Figuren geschnitzt. Ein Besuch.
Die schwäbische Alb war in der Eiszeit ein beliebter Wohnort. Jäger und Sammler fanden Unterschlupf in den Höhlen an den schroffen Hängen im Lonetal. Auf den Feuern brutzelte Mammut oder Wildpferd. Mit einfachen Steinklingen schnitzten hier die Menschen aus Mammutelfenbein kleine Tierfiguren wie den berühmten Löwenmenschen, Frauenkörper, Mischwesen.
Sogar Flöten aus Schwanenknochen haben die Archäologen gefunden. Es sind weltweit die frühesten Zeugnisse menschlicher Kulturhandlungen. Das Lonetal gilt deshalb als die Wiege der Kunst.

40.000 Jahre später wandert mit dem Reporter Gerhard Richter ein Homo Mikrofonensis durchs Lonetal und entdeckt Spuren neuzeitlichen Marketings. Rund um den frisch errichteten Archäopark trifft er Eiszeitfreaks und Touristen, moderne Jäger und Optiker, die die Welt durch die Mammutbrille sehen.
Homo Sapiens
Nachbildung des Homo Sapiens© Deutschlandradio / Gerhard Richter

Das Manuskript im Wortlaut:
"Und wenn man sich vorstellt, was das für ein Schritt ist, der da passiert ist, von erst gar keine Kunst und dann der Beginn von Kunst. Das ist natürlich eines der bedeutendsten und wichtigsten Objekte, die wir Menschen überhaupt haben."
Ewa Dutkiewicz steht neben einer Vitrine aus Panzerglas. Darin ist ein kleines Mammut, nicht größer als eine Streichholzschachtel. Vor ca. 40.000 Jahren hat ein Homo Sapiens aus einem Mammutstoßzahn mit einer Steinklinge diese Figur geschnitzt. Gefunden wurde sie in der Vogelherdhöhle im Lonetal, auf der Ostalb. So klein das Mammut auch ist, es ist die älteste vollständig erhaltene künstlerische Skulptur der Menschheit. Dieses Mammut soll die ganze Region stärken.
"Wir wollen jetzt ein Feuer machen und dazu brauchen wir … - kennt ihr den Feuerstein?"
"Und kennt ihr den zweiten Stein auch?"
"Pyrit ..."
"Pyrit, oder Katzengold. Und wenn wir das jetzt so entlang schlagen … - seht ihr die Funken?"

Ramon ist 19 Jahre alt und ein bisschen verschnupft. Es ist auch ziemlich kalt und zugig in dem Zelt aus Tierhäuten. So ungefähr könnten Ramons Vorfahren gelebt haben. Ein Gerüst aus Ästen, fest verschnürt mit Lederriemen und darüber Felle gezurrt. Kein wirklicher Schutz gegen die Kälte. Ein Lagerfeuer wäre jetzt wirklich sehr willkommen. Zum Glück weiß der Gymnasiast, wie das geht.
Mammut hinter Panzerglas. 
Mammut hinter Panzerglas. © Deutschlandradio / Gerhard Richtre
"Da ist es wichtig, dass es eine Bewegung von oben nach unten ist. Wenn wir das gegeneinander schlagen würden, würden wir den Feuerstein einfach zerbrechen."
Ramon greift in einen Plastikbeutel, das ist nicht gerade authentisch eiszeitlich, hilft aber, den Inhalt trocken zu halten. Ein feinfaseriges Geflecht, gelb wie Pfifferling. Ist aber aus einem anderen Pilz. Einem Baumpilz.
"Zunderpilz wächst an Buche und Birke, einfach so am Stamm. Allerdings an abgestorbenen Bäumen."
Ein paar Flocken des Zunderschwamms zupft Ramon auf seinem Knie breit und schlägt darüber die Feuersteine. Ein Funken fällt in den Zunder und beginnt zu glühen. Ein roter qualmender Punkt. Aus einem anderen Beutel holt Ramon trockene Distelsamen und legt sie vorsichtig um das Glutnest. Distelsamen enthalten Öl und fangen leicht Feuer. Um die Distelsamen wiederum legt er trockenes Gras.
Vorsichtig pustet Ramon in die kleine Glut. Es qualmt, aber es brennt nicht. Genauso mühsam war es für die Menschen, die vor 40.000 Jahren hier gelebt haben.
"Hier am Vogelherd haben wir zum Beispiel eine Pyritknolle gefunden, mit eindeutigen Schlagspuren. Also wir wissen, das hier auf diese Art und Weise Feuer gemacht wurde."
Der Vogelherd ist eine Höhle nur zwei Steinwürfe entfernt. Am Abhang des Lonetals. Das zieht sich über rund 30 Kilometer von Hürben bis Amstsetten, nordwestlich von Ulm. Lauter kleine Dörfer auf der schwäbischen Alb. In der Steinzeit gab es hier fast nichts.
"Das hier war eine Eissteppe, einfach eine kalte Steppe. Das meiste Wasser war an den Polen gebunden, es gab sehr wenig Niederschlag, was das ganze sehr sehr trocken gemacht hat."
Deshalb sagt Ramon, war es damals leichter, trockenes Gras zum Feuermachen zu finden. Sein Versuch ist nämlich grade gescheitert. Das Glutnest im Zunderschwamm ist erloschen. Das eiszeitliche Zelt aus Fellen ist zwar ziemlich verqualmt, aber immer noch kalt. Die Zuschauer frösteln. So fühlt sich Eiszeit an. Jedem wird klar, wie wichtig es damals war, ein Feuer hinzukriegen.
"Die hatten einen ganz großen Vorteil allerdings damals. Die haben das jeden Tag gemacht. Anders als ich, ich mach das halt jedes Wochenende. Und die hatten nie den Vorführeffekt."

Alles über das Leben der Steinzeitmenschen im Lonetal

Ramon ist ein sogenannter Archäoguide. In mehreren Wochenendseminaren an der Universität Tübingen hat er sich erklären lassen, was die Archäologen über das Leben der Steinzeitmenschen hier im Lonetal herausgefunden haben. Welche Waffen sie benutzt und welche Tiere sie gejagt haben. Und dieses Wissen zeigt er jetzt den Besuchern des Archäoparks in Stetten. Seine Absicht: Sie für die Funde hier zu begeistern. Verständnis zu wecken für die Lebensweise unserer Vorfahren. Er selbst hat schon Feuer gefangen für die Grabungen und die Arbeit der Archäologen von der Universität Tübingen. Nach dem Abitur will Ramon selbst in diese Richtung studieren.
"Ja, Archäologie oder Urzeitarchäologie tatsächlich. Muss ich noch sehen, ich weiß es noch nicht ganz genau, da möchte ich so in die Richtung studieren. Also das war der Ausschlag, dass ich das gemacht habe."
Die Vogelherdhöhle besteht aus drei Räumen im Fels, der mittlere ist bestimmt drei Meter hoch. Ewa Dutkiewicz kann bequem drin stehen, hinter ihr, rechts und links wölbt sich die Kalksteindecke hinunter zur staubigen Erde. Hier drin ist es trocken und sicher. Durch die große Öffnung fällt genug Licht herein. Es gibt noch zwei andere kleinere Nebenröhren mit eigenen Ausgängen. Die große Öffnung weist nach Süden, zur Sonne. Ein Luxus-Appartement für die Menschen, die hier vor 40.000 Jahren im Zeitalter des Aurignacien‘ gewohnt haben. Aber was waren das für Leute?
Ewa Dutkiewicz: "Also wir sprechen im Aurignacien durchweg vom anatomisch modernen Menschen. Anatomisch modern heißt, der ist anatomisch nicht mehr zu unterscheiden von uns. Das sind im Prinzip wir. Mit denselben körperlichen Fähigkeiten, genauso aber auch mit denselben geistigen Fähigkeiten. Also alles, was wir können von der Natur her, konnten die Menschen damals auch."
Nur das die Natur außen rum deutlich anders war. Die Durchschnittstemperaturen im Sommer waren bis zu 10 Grad kälter als heute und im Winter bis zu 20 Grad kälter. Entsprechend sah die Landschaft damals aus.
"Gehen wir einfach kurz rüber, dann kann man sich das besser vorstellen."
Ewa Dutkiewicz geht aus dem Dämmer der Höhle ein paar Schritte hinaus auf ein Felsplateau. Von hier hat die Archäologin einen weiten Blick über das Lonetal. Heute wachsen Ahorn, Buchen und Eichen auf den steilen Hängen, eine Strasse führt durchs Tal, auf den sattgrünen Wiesen grasen Kühe. Eine Landschaft für Ackerbauern und Viehzüchter.

"Eine sehr schroffe, karge, offene Landschaft"

Die Archäologin schließt die Augen und stellt sich vor, was die Menschen vor 40.000 Jahren von hier aus wohl gesehen haben.
"Also wir haben hier eine kalte trockene Steppe vor uns. Die ganzen Bäume sind weg. Wir selber stehen jetzt auf einem Kalkmassiv, uns gegenüber ist ein zweites Kalkmassiv und auf der anderen Seite des Lonetals ebenso. Wir sehen also eine sehr schroffe, karge, offene Landschaft."
Ewa Dutkiewicz kennt die Vogelherd-Höhle wie ihre Westentasche. Als Archäologin an der Uni Tübingen hat sie hier gegraben, als Kustodin hat sie den Archäopark entworfen und gestaltet, der sich jetzt unterhalb der Vogelherdhöhle erstreckt , wie ein eiszeitlicher Spielplatz. Dort unten brennt ein Lagerfeuer, man kann Speere werfen oder sich im Cafe aufwärmen. Aber von hier oben, vor dem Eingang der Vogelherdhöhle, kann man am besten nachfühlen, warum es die Menschen damals vor 2000 Generationen zu diesem Ort, zu dieser Höhle zog.
"Man sitzt dann einfach oben auf den Felsen und kuckt runter, wie sich Hunderte von Tieren, von Rentieren, von Pferden, Steppenbisons, und was sonst auch immer da gerade gewandert ist, da durch diese engen Täler pressen. Das ist wirklich ein Leichtes, diese Tiere zu erbeuten."
Über den Kiesweg kommt Hermann Glatzle heraufgestapft. Ein hochgewachsener Mann mit grauem frischgestutztem Vollbart, Fleecejacke und Wollmütze. Ein Naturmensch, der sich für die Lebensweise seiner Vorfahren aus der Eiszeit interessiert. Und wie seine Urahnen kommt auch der pensionierte Biologie-Lehrer immer wieder gern hierher und fachsimpelt.
Hermann Glatzle: "Ich meine, dass die Vogelherd Höhle nicht nur deshalb so intensiv besiedelt war, weil hier ein Seitental rein kommt in das Lonetal. Und die Tiere, die zum Wasser gingen, halt relativ bequem herunterkamen. Die Hänge an sich sind sehr, sehr steil und fallen 30 Meter ab und so größere Tiere wie Mammuts, die sind sicher nicht gerne den Steilhang heruntergekommen, sondern über die Seitentäler. Und der andere Grund: die Lage ist natürlich hervorragend, man sieht relativ weit und man hat Sonneneinstrahlung, die sicherlich auch zu der Zeit einfach für ein angenehmes Dasein gesorgt hat, für ein entsprechend positives Feeling."
Und genau dieses positive Feeling war offensichtlich ein Grund, warum die Menschen ausgerechnet hier angefangen haben, künstlerische Werke zu schaffen. Mit einfachen Steinklingen, viel Geschick und Ausdauer haben die frühen Künstler aus Elfenbein Figuren geschnitzt. 16 solcher Kleinskulpturen hat man hier gefunden. Nachbildungen von Rentier, Bison, Höhlenbär, Wildpferd und Mammut.
Hermann Glatzle: "Dass sie so filigrane, so formvollendete Skulpturen geschaffen haben, das ist für mich etwas so Faszinierendes, dass ich einfach den Hut ziehe und mich vor dem Können verneige. Ich habe manchmal etwas Probleme mit moderneren Kunstrichtungen, wo man Schwierigkeiten hat, die nachzuvollziehen. Dort ist es einfach eine Stufe, die meines Erachtens jeden ansprechen kann, auch wenn man nicht ganz genau weiß, welche Bedeutung jetzt diese Tier- oder Menschenfiguren letztendlich hatten."

Alltagsobjekte - integriert ins tägliche Leben

Ewa Dutkiewicz: "Also die Kunst oder die Kunstobjekte, wie wir sie heute finden, waren sicherlich Alltagsobjekte. Nicht im Sinne von Werkzeug, sondern sie waren integriert ins tägliche Leben. Sei es als Amulette, sei es als Gottheiten oder als mythische Vorstellungen, die die in diesen Tieren festgehalten wurden, dass die darüber hinaus künstlerisch äußerst wertvoll gestaltet sind, ist eine ganz andere Sache."
"Das ist doch fantastisch, oder?"
Hermann Mader hält eine Steinklinge ins Licht, ein sogenannter Silex-Splitter. Die Kanten sind messerscharf. Damit haben die Steinzeitmenschen Werkzeuge gebaut, Figuren geschnitzt, Tiere zerlegt.
Hermann Mader: "Also es überrascht immer wieder. Ich mach ja auch Führungen im Archäopark.Und in der Regel gebe ich den Frauen ein Messer in die Hand und geb denen das Leder und lasse die das durchschneiden. Dann kriegen die glasige Augen, weil das Messer in der Küche zuhause keineswegs so gut schneidet, wie das Steinzeitmesser."
Hermann Mader ist ein Macher. Acht Jahre lang war er Landrat des Heidenheim-Kreises, ein Verwaltungs-Mensch des 21. Jahrhunderts mit einem sauber getrimmten Schnurrbart. Seitdem er pensioniert ist, ist der 62-Jährige der emsigste Werbeträger für die Eiszeitkunst. Jetzt sitzt er im Nebenraum eines Hotels, ein paar Speerwürfe vom Archäopark entfernt und zeigt, wie und womit die Eiszeitmenschen gelebt und gewerkelt haben. Er hat eine schwere Tasche dabei, eine Art Musterkoffer der Eiszeit. Faustgroße fossile Zähne vom Mammut, Silex-Splitter und Hornknöpfe. Ausgegraben aus den Höhlen des Lonetals. Wenn man so will "Bodenschätze" einer Landschaft, die sich nördlich der Donau über die Ostalb erstreckt.
Hermann Mader: "Die Ostalb ist eine wunderschöne Landschaft, aber es ist auch eine karge Landschaft, das heißt sie gibt nicht viel her. Wir hatten viele Schäfereien, Ziegen-Bauern auch Kleinbauern, die auf kargen Ackerböden eigentlich ihr Einkommen oder ihr Auskommen gefristet haben."
An der Theke im Gastraum sitzen ein paar Männer und trinken ein Samstagsnachmittagsbier. Vielleicht arbeiten sie in den kleinen und großen Industriebetrieben, die es mittlerweile gibt. Vielleicht haben sie noch eine Nebenerwerbslandwirtschaft. Fast alle kennen die Geschichte vom Mundartdichter und Heimatforscher Hermann Mohn aus Heidenheim. Der hat sich Anfang der 30er Jahre für die Höhlen der Alb interessiert.
Hermann Mader: "Und er ging dann eines Tages im Lonetal wieder mit seinem Hund spazieren und sah vor einem Dachsbau einen Auswurf, sah ein paar Knochen und wie er dann weiter ein bisschen scharrt, sieht er Silex-Splitter. Und Silex-Splitter ist immer ein Hinweis auf menschliche Besiedlung. Das wusste er, dieses Wissen hatte er. Er hat dann den Gustav Riek, Professor Gustav Riek von der Uni Tübingen informiert. Riek kam vor Ort und hat gesagt Bingo, das ist die Höhle, wo Menschen zumindest gelebt haben."

Wildpferd, Bison, Nashorn, Löwe, Mammut, alles kunstvoll aus Elfenbein

Mit Hilfe der Landwirte ringsum und ein paar Tagelöhnern hat Professor Gustav Riek das Dachsloch ausgraben lassen. 35 Pfennig gab es für die Stunde, fürs Hacken, Schaufeln und Schubkarren fahren. Drei Monate lang schafften die Arbeiter tonnenweise Aushub aus dem Loch und kippten ihn den Abhang hinunter. Gefunden hat Riek insgesamt 11 Tierplastiken. Wildpferd, Bison, Nashorn, Löwe, Mammut, alles kunstvoll aus Elfenbein geschnitzt.
Die Funde hat Professor Riek mit nach Tübingen genommen, ins Museum. Kein einziges dieser Werke ist im Lonetal geblieben.
Zurück blieb nur die leere Höhle, die man da erst in ihren ganzen Ausmaßen erkennen konnte. Drei Gänge, 170 Quadratmeter groß, 3 Meter hoch. Man nannte sie Vogelherdhöhle, bekannt war sie in der ganzen Gegend als abgelegene Partylocation, erzählt Hermann Mader. Er selbst war als Jugendlicher dort beim Feiern.
Hermann Mader: "Da war es so üblich, in der Mainacht, dass man mit dem Leiterwagen losgezogen ist, eine Kiste Bier rein, ein paar Grillwürstchen, paar Holzscheite, ist dann gelaufen, ist dann irgendwo spät nachts an der Höhle angekommen, hat sich ein Feuer gemacht, hat das Bier getrunken, hat dann geschlafen bis zum nächsten Tag und ist nach Hause gegangen. Und wir waren auch nicht die einzigen in dieser Höhle. Man ist da auch zusammen gesessen, also verschiedene Clans würde man sagen in der Steinzeit, es war eine wunderschöne willkommene Partyhöhle muss man sagen Und man wusste nichts über die Bedeutung der Höhle."
Es war ja auch nichts zu sehen. Die Höhle war leer und um die Feuerstellen lagerten sich Zigarettenkippen, Bierdosen und Scherben ab. Ablagerungen der Party-Kultur der Neuzeit. In diesem Sediment hätte ein Archäologe der Zukunft die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Lonetals der letzten 90 Jahre ablesen können. Allein die Flaschenverschlüsse könnten die Geschichte des Aufschwungs erzählen. Vom Bügelverschluss über den Kronkorken zum Sektkorken.
Hermann Mader: "Bevor die Industrie kam waren wir arme Bauerndörfer. Und dann kam die Industrie, hat Arbeitsplätze geschaffen, Wir haben zahlreiche Zuzüge gehabt von Menschen, also keine organische Entwicklung. Und jetzt wissen wir natürlich, wie wir abhängig sind, wir sind stolz auf die Industrie, die wir haben. Aber wir wissen auch: Große Abhängigkeit."

Die Region braucht Highlights, eine Identität

Jederzeit könnte so ein Betrieb verkauft werden, schließen oder seinen Standort verlagern. Ein dauerhaftes Standbein der Region könnte der sanfte Tourismus sein, hofft Hermann Mader. Aber was gibt es schon zu sehen, außer hügeligen Magerwiesen, Wacholderbüsche und karge Landschaft. Die Region braucht Highlights, eine Identität. Zum Glück gibt es Professor Nicholas Conard. Der US-Amerikaner und Archäologe an der Uni Tübingen ist auf die Idee gekommen, 80 Jahre nach der ersten Grabung den damaligen Abraum nochmals zu durchsuchen. Das war 2004. Conard rückte mit seinem Grabungsteam an, und machte sich an die Arbeit.
Ewa Dutkiewicz kniet auf der nackten Erde, mitten in einem Gitternetz aus weißen Schnüren, die sind dicht über der Erde gespannt, exakt im rechten Winkel zueinander und im Abstand von 50 Zentimetern. Eine wichtige Hilfe bei archäologischen Grabungen.
"Am allerwichtigsten ist es, die Orientierung bei der Grabung zu haben. Das hat man früher gerne gemacht, dass man einfach irgendwo Loch gemacht hat, die Sachen rausgeholt hat und froh war, dass man irgendwas schönes gefunden hat. Heutzutage wollen wir sehr viel über den Kontext wissen, wie die Stücke zueinander liegen, was liegt beisammen, auch einfach mehr Geschichte zu rekonstruieren."
Bei Grabungen in den Bodenschichten der Steinzeit gibt es keine Architektur, an der man sich orientieren kann, keine Balken, keine Fundamente, keine Straßen. Weil der Boden schon tausende Male gefroren und getaut ist, sind viele Fundstücke wie Knochen oder Steinklingen gewandert. Wichtig ist es deshalb, die Funde dreidimensional zu erfassen, sagt Ewa Dutkiewicz.
"Also ich weiß den x, den y und den z –Wert jedes einzelnen Objektes. Und wenn ich diese Punktwolken irgendwann mal plotte, erkenne ich im Nachhinein Strukturen, wo ist ein Platz, wo jemand Steine geschlagen hat, wo könnte die Zeltwand gestanden haben, wo war die Feuerstelle."
Und genau auf diese systematische Weise hat Ewa Dutkiewicz als Mitglied im Team von Professor Nikolas Conard den ganzen Abraum unterhalb der Vogelherdhöhle akribisch durchsucht. Zwei Sommer lang. Jeweils von Mai bis Oktober. Hermann Mader, der damals noch Landrat war, war natürlich gespannt auf das Ergebnis
Hermann Mader: "Und am Ende der Grabungskampagne 2006 hab ich ihn angerufen und hab gesagt: 'Herr Conard, wie sieht´s aus, was gibt’s zu berichten von der Grabungskampagne.' Dann sagt er: 'Herr Mader, spektakuläre Funde am Vogelherd.' Dann sag ich: 'Herr Conard, Klasse! Und was ist es?' 'Ja Herr Mader, ich hab Ihnen ja gesagt: Spektakuläre Funde am Vogelherd.' Ich hab' dann nicht mehr rausbekommen, dann die örtliche Presse, die übergeordnete Presse, die haben alle bei ihm angerufen, und immer nur die Aussage: Spektakuläre Funde am Vogelherd."
Fünf Monate lang spannt Professor Conard Landrat Mader und die gesamte Presse auf die Folter. Dann endlich die Präsentation der Funde, wieder in Tübingen. Hochspannung, Blitzlichtgewitter und ein denkwürdiger Auftritt des weltgewandten Nicolas Conard.

Ein Archäopark im Ortsteil Stetten bei Niederstotzingen - für den Mammut

Hermann Mader: "Und da hat er dann dieses Mammut wirklich in Szene gesetzt. Er hat mit weißen Handschuhen der Weltöffentlichkeit dieses Mammut vom Vogelherd präsentiert, als hätte er die Mona Lisa. Ja und da sieht man einfach mal wieder den Unterschied zwischen den Schwaben und den Amerikanern. Der Amerikaner hat uns auf die Folter gespannt. Ich glaube, wenn es ein Schwob' gefunden hätte, dann hätte er gesagt: 'Ha ja, wir haben wieder so ein Mammutle im Vogelherd g'funda!´"
Diese Mammut ist tatsächlich nicht in Tübingen im Museum gelandet, sondern im eigens dafür errichteten Archäopark im Ortsteil Stetten bei Niederstotzingen. Das Besucherzentrum ist einer Höhle nachempfunden. Ein sichelförmiger Bau aus Beton, die Vogelherdhöhle gegenüber sieht man durch die Panoramascheiben. Im hinteren Teil, in der sogenannten Schatzkammer leuchtet eine Vitrine, darin das kleine Mammut, nicht größer als eine Streichholzschachtel. Endlich etwas, worauf die Region stolz sein kann.
Hermann Mader: "Und das hat immer gefehlt. Auch hier in dieser Stadt Niederstotzingen. Da konnte sich nie ein Stolz entwickeln, auf die Funde, die ja Weltrang haben. Es ist ein Kulturgut von Weltrang."
Schulklassen drängeln sich darum, Gäste aus der ganzen Welt bestaunen, wie findig die Ostälbler vor 40.000 Jahren hier schon waren. Und immer noch sind, behauptet Hermann Mader.
Hermann Mader: "Die Region Ostwürttemberg und insbesondere der Kreis Heidenheim hat ja die höchste Patentdichte, fast bundesweit. Und ich behaupte immer wieder, dass sich das eben über 40.000 Jahre erhalten hat. Vielleicht ist die Umgebung, die kreativ macht hier auf der Ostalb. Diese figürliche Kunst war nichts anderes als ein Patent. Oder die erste Flöte, muss man sich mal vorstellen war vor 40.000 Jahren wir haben eigentlich gar nichts dazu gelernt. Die haben eine Rohr genommen oder einen Rundstab ausgehöhlt und ein paar Grifflöcher rein gemacht und da hat sich in 40.000 Jahren nichts verändert."
Bei uns führt die Autobahn direkt über das Lonetal, wenn man Richtung Süden fährt. Und da sind diese Hinweisschilder Lone-Tal Eiszeit-Höhlen und Eiszeitkunst. Und immer wenn ich da von dieser Brücke heruntergeschaut habe, dann sind in mir wirklich Bilder entstanden und ich hab die Leute da gesehen, mit ihren Tierherden und habe mir vorgestellt, wie die in der Eiszeit gelebt haben.
Gabriele Dalferth mit selbstgebauter Flöte aus Mammut-Elfenbein
Gabriele Dalferth mit selbstgebauter Flöte aus Mammut-Elfenbein© Deutschlandradio / Gerhard Richter

Instrumente, wie sie vor 40.000 Jahren gespielt wurden

Gabriele Dalferth hat ihre langen, grauen Haare zu einem lockeren Zopf geflochten. Sie wohnt am Rande von Königsbronn, in einem alten Bauernhaus. Drinnen ist es gemütlich und warm, draußen pfeift ein kalter Wind um das malerische Fachwerkhaus mit den blauen Fensterläden und wildem Wein am Giebel.
Gabriele Dalferth: "In unserem Garten, da geht so eine Schneise durch von Ost nach West, und schon im September erfriert der wilde Wein und wenn wir manchmal aus dem Pfingst-Urlaub zurückkommen Anfang Juni, da war auch schon wieder Frost über den neuen Austrieben. Also von daher sage ich schon immer: In meinem Garten darf nur wachsen, was in der Eiszeit auch gedeihen würde. Alles andere geht ohnehin ein."
Auch drinnen in der Stube geht es um Eiszeit, aber weniger ums Klima, mehr um den Klang. Gabriele Dalferth baut Instrumente, wie sie die Menschen vor 40.000 Jahren wohl gespielt haben. Vorbild sind die Funde aus den Höhlen ringsum.
Gabriele Dalferth holt ein Instrument aus ihrer Sammlung. Ein Schwirrholz. Das ist ein flaches Stück Holz oder Knochen, festgebunden an einem langen Stück Leder, Gabriele Dalferth wirbelt das Holzstück im Kreis, im Luftstrom fängt es an zu "singen".
Die Decke des Bauernhauses ist tatsächlich sehr niedrig. Vor 25 Jahren hat Gabriele Dalferth es gekauft und gemeinsam mit ihrem Mann renoviert. Kleine Räume, alte Balken, ein urtümlicher Küchenherd mit Holzfeuerung sind die Relikte eines harten Lebens auf der schwäbischen Alb. Noch die Vorbesitzerin hatte es nicht leicht im rauen Klima.
Gabriele Dalferth: "Das war eine Frau mit mehreren Kindern, der Mann war schon gestorben und die hat eigentlich versucht die Familie von Ihrem Garten her zu ernähren. Dann hatte sie noch ein Schwein, ein paar Hasen, ein paar Enten, Hühner. Und das musste eigentlich reichen, auch in dieser Zeit noch zum Überleben. Sie hatte eine kleine Rente von ihrem Mann, aber nicht zu viel, musste ihre Familie durchbringen auf diese Weise. Hatte auch nur einen Ofen. Ich hab mir auch sagen lassen, die hat dann im Winter mit Handschuhen schon im Bett gelegen und mit Mütze."
Heute gibt es eine moderne Zentralheizung im Haus, es ist gemütlich warm und ohne zu frieren kann Gabriele Dalferth ihrer Leidenschaft nachgehen. Die Musiklehrerin gehört zu einer kleinen Gruppe von experimentellen Archäologen, die Urzeit-Instrumente nachbauen.
Die älteste Eiszeitflöte ist aus einem Gänsegeierknochen. Andere sind aus den Knochen von Schwanenflügeln. Das sind alles dünne Hohlknochen. Gabriele Dalferth hat sich ein paar davon besorgt, sie von innen gereinigt, Löcher hineingebohrt und ein Mundstück geschnitzt.
"Wenn ich jetzt irgendwie hier so versuchen würde, da kommt kein Ton raus."
Gabriele Dalferth experimentiert gerne herum, probiert, was die Menschen vor 40.000 Jahren vielleicht auch schon probiert haben könnten. Vogelfedern gab es damals auch, und wenn man deren Federkiel spaltet, und geschickt anbläst, kann man damit auch einen Klang erzeugen. Ähnlich wie beim heutigen Rohrblatt.
"Wie bei einer Klarinette oder bei einer Oboe. Und es würde die Klangcharakteristik natürlich ganz stark verändern. Das wurde auch schon gemacht. Ich hab jetzt hier mal so an einer Flöte, man kann das mit einer Vogelfeder machen, die müsste ich jetzt ewig einweichen, aber einfach mit so einem Röhrchen geht es praktisch auch. Wenn ich das reinstecke, mit so einem Rohr."

"Musik muss denen sehr wichtig gewesen sein"

Ganz besonders stolz ist Gabriele Dalferth auf ihre selbstgebaute Flöte aus Mammut-Elfenbein. Als Vorbild dienen auch hier die Funde aus den Höhlen. Mehrere Wochen hat die Lehrerin daran gearbeitet. Sie hat nur Steinklingen dafür benutzt, Werkzeuge also, die unsere Vorfahren nachweislich auch schon verwendet haben. Damit hat sie ein Stück Mammut-Elfenbein zurecht geschnitzt, gespalten, ausgehöhlt, Löcher rein gebohrt und beide Hälften mit Birkenpech wieder zusammengeklebt.
Gabriele Dalferth: "Das Elfenbein arbeitet viel stärker als Holz. Wenn ich das nicht nachträglich umschnüre, so wie ich das hier gemacht habe, dann wandert die Flöte in jede Richtung weg. Also das ist wirklich richtig schwierig, die dicht zu kriegen. Ja. Und so eine Flöte, das dauert einfach Tage das herzustellen. Das ist irgendwie der Beweis, Musik muss denen sehr wichtig gewesen sein."
Wenn Gabriele Dalferth in einer Melodie versinkt, wie sie vielleicht an den Feuerstellen der Eiszeitmenschen schon gespielt wurde, dann fallen ihr Geschichten ein, wie sie auch damals schon passiert sein könnten. Aus einer Geschichte hat sie ein Buch gemacht.
Gabriele Dalferth: "Hauptakteure sind Liria und Athiko. Liria ist ein Mädchen und die treffen sich zufällig unterwegs und die Liria, die spielt immer nur auf einer Eiszeit Flöte sozusagen. Sie sitzt immer am Fluss und spielt allein auf einer eiszeitlichen Flöte. Und die anderen Kinder haben da wenig Verständnis dafür, weil sie nicht mit den anderen Kindern spielt, und wollen jetzt dahinter kommen. Was ist das?"
Das Kinderbuch heisst Liria und Athiko von der Mammuthöhle. Auf dem Titelbild stehen tatsächlich zwei Kinder in zotteligen Felljacken und ledernen Hosen vor dem Eingang einer Höhle, Speere in der Hand. Im Buch sind noch viele andere Fotos von Urmenschen in einer Eiszeitlandschaft. Für dieses Foto-Shooting haben Gabriele Dalferth und 25 Freunde und Bekannte die Geschichte von Liria und Athiko in Bildern nachgestellt. Sie haben sich möglichst authentische Kleider genäht und sich als Höhlenmenschen verkleidet. Eine Reise rückwärts in eine unbekannte Modewelt.
Gabriele Dalferth: "Klar die mussten warm angezogen sein, die mussten viele viele Felle haben, aber was man zum Beispiel gefunden hat. In den Nachgrabungen traten über 350 doppelt gelochte mini-kleine Perlen, doppelt gelochte Perlen zu Tage und die sind wahrscheinlich auf irgendwelchen Kleidung auf genäht worden. Und wenn man diese winzigen Perlen sieht, dann müssen sie bestimmt irgendwie auf jeden Fall unten drunter Kleidung gehabt haben, wo diese feinen Knöpfe dann auch zu Geltung kamen. Wenn man sie in so grober Fell-Kleidung rein nähen würde, würden die einfach verdeckt werden. So verändert sich auch das Bild, durch die Funde, die man macht."
Mit ihrem Sohn, der Filmmusik komponiert, hat Gabriele Dalferth eine CD aufgenommen. Nur auf Eiszeitinstrumenten gespielt, und so etwas wie der Soundtrack einer Zeit, in der die Menschen anfingen, Kunst zu erschaffen.
Ulrich Trittler betreibt in Herbrechtingen die Adler Apotheke. Hinter dem eigentlichen Ladengeschäft liegt sein Garten, gewundene Wege führen von Beet zu Beet.
"Also ich hab hier eine saure Ecke und da hab ich hier die Bärentraube in Gesellschaft mit der Preiselbeere, und das ist ne ganz interessante Gesellschaft, die Preiselbeere hat interessanterweise als Beerensaft eine sehr positive Wirkung auf die Blase, während die Bärentraube als Blatt eine wunderbare Alternative ist zu einem Antibiotikum bei einer Harnwege-Entzündung."

Bären fraßen diese Beeren vor ihrem Winterschlaf

Gerade die Bärentraube hat es ihm angetan. Nicht nur wegen der Heilwirkung ihrer fleischigen Blätter, sondern mehr wegen ihrer Geschichte. Die Bärentraube ist ein uraltes Heilkraut. Auch die Indianer Nordamerikas nutzten sie, sogar die Bären kannten ihre Wirkung.
"Die Bären fraßen sehr gerne vor ihrem Winterschlaf diese Beeren. Und für viele indianische Stämme war das ein Ausdruck, dass diese Pflanze Bärenkräfte birgt. Ganz aktuell wird das bei uns als Blatt verwendet, als Tee – übrigens auch bei den Indianerstämmen. Man braucht etwas Überwindung den zu trinken, also aus Spaß trinkt man den nicht."
Seit den jüngsten Funden an der Vogelherdhöhle interessiert sich Trittler auch für die Pflanzen der Altsteinzeit, besorgt sich die Forschungs-Ergebnisse der Archäobotaniker, liest nach, welche Pflanzenreste und Pollen sie rund um die Höhlen gefunden haben. Das beflügelt seine Phantasie.
"Ich bin der Überzeugung, dass die Altsteinzeitmenschen ein ungeheures Wissen über Pflanzen hatten. Zum Beispiel die Latschenkiefer ist bei mir auch eine Pflanze, die ich hier hab. Und die wurde auch sehr viel gefunden, in der Nähe der Höhlen. Spekulation: War es eine Inhalationstherapie? Fragezeichen, aber bitte, das als Spekulation…"
Solches Wissen und solche Überlegungen gibt Ulrich Trittler gern weiter. Jedes Jahr führt er 20 bis 30 Gruppen durch den Garten und zeigt ihnen heutige Heilpflanzen, und solche die es hier vor 40.000 Jahren schon gegeben hat.
In einem Nebenraum seiner Apotheke stapeln sich altertümliche Blechdosen und Pappkartons. Manche sind hundert Jahre alt, schon sein Vater hat darin Pflanzenteile gelagert. Auch heute sind alle Behälter gut gefüllt mit getrockneten Blättern, Blüten und Beeren. Daraus mischt Ulrich Trittler Tees. Eine neue Kreation ist der Eiszeittee. Darin sind Holunderblüten, Hagebutte, Brombeerblätter und Weißdorn.
"Weißdorn ist absolut nachgewiesen in der Steinzeit und ist aber eine hochaktuelle Pflanze bei Herzbeschwerden."
Auf der blau weißen Papierpackung ist – natürlich - das Mammut vom Vogelherd abgebildet. Ein ganzer Stapel dieses Eiszeittees liegt als Highlight im Kundenraum. in einer extra Schale. Das wirkt verkaufsfördernd und stiftet wieder ein Stück regionale Identität.
"Die Menschen hier die reagieren auch mit Begeisterung, dass wir hier so eine kulturelle Einmaligkeit haben und meiner Meinung nach gehört die Erforschung der Pflanzen der damaligen Zeit – wenn es möglich ist – auch dazu."
Leider fehlt Ulrich Trittler dazu gerade die Zeit. Die Ladenglocke klingelt und er muss einen Kunden bedienen. Aber wenn der 52jährige irgendwann in Rente geht, dann würde er sich den Heilkräutern unserer Vorfahren gern ausgiebig widmen. Eintauchen in eine fremde vergangene Welt.
"Also das wär für mich so eine richtige Traumbeschäftigung, das nennt sich ja die experimentelle Archäologie, das ein bisschen damit zu verbinden. Und weil ich das Wissen hab, das nicht nur seit den Urmenschen, sondern auch seit den Urtieren - die Schimpansen, hat jeder einzelne Stamm hat ein eigenes Heilpflanzenwissen, und das ein bisschen mit den Forschern zu besprechen, oder sowas, das würde mich unendlich faszinieren."
Ulrich Trittler hat schon Feuer für die Eiszeit gefangen, und er gibt seine Begeisterung in der Adler Apotheke weiter. Gleich nebenan hat Michael Rompf sein Optikergeschäft. Große Schaufenster, im hellen Licht glitzern dutzende Brillengestelle.
In der kleinen Werkstatt neben dem Verkaufsraum spannt Michael Rompf ein Stück Elfenbein in eine kleine Tischfräse.
"Also es ist ungefähr so hart wie ein Knochen, sehr starr und man kann es wirklich nur mit gröbsten Methoden bearbeiten."
Vorsichtig dreht Michael Rompf an den Rädchen der Elektrofräse, aus dem rechteckigen Block wird langsam der Bügel einer Brille. Rompf ist einer der ganz wenigen in Deutschland, der Brillen aus Elfenbein herstellt. Das Material stammt aus Sibirien, von Mammuts, die tausende Jahre lang im Permafrost eingefroren waren. Im Zuge der Klimaerwärmung taut der Boden auf, pfiffige Händler bergen die riesigen Stoßzähne und verkaufen sie.
"Und es ist natürlich ein Material, was nicht dem Artenschutzabkommen unterliegt, weil die Art nicht mehr existiert."
Auch die Mammuts im Lonetal sind längst ausgestorben, aber durch so eine Brille aus Stoßzahn kann man sie noch sehen, meint Rompf mit einem Augenzwinkern.
"Das ist genau, als wenn sie sich ein Auto kaufen wollen, ein ganz bestimmtes, das sehen sie auf einmal überall in der Stadt. Und so ist das dann mit der Mammutbrille. Wenn man einmal den Mammutgedanken aufgenommen hat, dann lässt einen das nicht mehr los, gerade hier im Lonetal, wo wir wissen, dass hier die Mammuts durchgelaufen sind, überlegt man ziemlich häufig, wie es denn wäre, wenn heute noch so ein Mammut so da stehen würde."
Michael Rompf ist Mitglied im Bund der Selbständigen in Herbrechtingen. Um das Geschäftsleben ein wenig anzukurbeln gab es sogar eine Mammutwoche, anlässlich eines Archäologenkongresses im benachbarten Heidenheim. Höhepunkt der Mammutwoche war der verkaufsoffene Sonntag.
"Also es waren sehr, sehr viele interessierte Leute, die halt mit Kindern in den Laden reingekommen sind. Und bei uns das Mammutelfenbein mal anfassen konnten. Der Herr Mader hat hier einen Vortrag gehalten rund ums Thema Mammut. Wo es gefunden wurde und was das alles für die Region bedeutet. Und wie die Entwicklung der Region in den nächsten Jahren aussehen kann. Voraussetzung ist halt, dass wir das Thema alle weiterleben. Also, und ich geb' mein Bestes, dass es so ist."
Michael Rompf nimmt den Brillenbügel aus der Fräse und begutachtet ihn. Eine feine Maserung in grau und grün durchzieht das Material, ein bisschen wie Holz. Rompf
schaltet die Polierscheibe ein und glättet den Bügel.

Brille aus Mammut-Elfenbein ab 600 Euro

Genau wie vor 40.000 Jahren poliert ein Homo Sapiens das Elfenbein auf Hochglanz. Nur nicht mit der Steinklinge, sondern mit der Maschine.
Zwischen 600 und 3500 Euro kostet so eine Brille. Mammutkunst zum Kaufen und Mitnehmen. Michael Rompfs Beitrag zur neuen eiszeitlichen Produktlinie.
Ein einsamer Wanderer geht durchs Lonetal. Groß und aufrecht, mit einem grauen Bart. Seine Blicke schweifen über die Hänge auf der Suche nach Höhlen, in denen Menschen wohnen können. Aber große Öffnungen sind hier keine mehr zu finden. Hermann Glatzle sucht deshalb nach kleinen Löchern im Hang, gerade groß genug für einen Fuchs oder einen Dachs.
Hermann Glatzle: "Weil solche Löcher möglicherweise ein ganzes Höhlensystem infolge hinter sich haben und es einfach aufgrund von der Erosion, von der Verwitterung der Höhleneingang zugeschüttet wurde."
Genau wie die Vogelherdhöhle. Von der war auch nur ein Dachsloch zu sehen, bis Hermann Mohn, der Mundartdichter und Heimatforscher 1932 die wahre Bedeutung erkannte. Und genau wie Mohn damals, sucht Glatzle heute nach Tierbauten, in der Hoffnung, dahinter eine unbekannte Höhle zu finden. Er muss nur den Fuchs- und Dachs-Spuren nachgehen und schauen, wo am Hang sie enden. Das geht am besten im Winter, bei Neuschnee. Das ist rutschig und anstrengend für den Pensionär.
"Die Gefahr bestand, dass wenn man da die Hänge rauf und runtergeht, dass man ins Schwitzen kommt und wenn man dann vor Ort sich länger aufhält, weil man Messungen macht, Daten aufnimmt dann ist man schon eine halbe Stunde oder länger beschäftigt und kühlt dann aus. Bei Wind war's manchmal ganz schön kritisch. Also da habe ich schon manchmal auch gefroren."
Aber die Strapazen haben sich gelohnt. Hermann Glatzle faltet eine breite Landkarte auf, darauf das 30 km lange Lonetal, inklusive der Seitentäler. Die Karte reicht über zwei Tische im Cafe des Archäoparks. 145 Stellen hat der Hobby-Archäologe darauf markiert, mit exakten GPS-Daten und eingeteilt in Farben.
"Die Gelben hier, das sind Tierbauten, aber mit wahrscheinlich keinem interessanten Hohlraum dahinter. Die Blauen, das sind Höhlen, und für Menschen eventuell benutzbare Löcher, und das Rote sind sogenannte Abris oder Felsüberhänge, die sind breiter als tief."
Diese Vorarbeit von Hermann Glatzle ist für die Archäologen sehr wertvoll. Aufgrund der Empfehlungen haben sie die letzten fünf Grabungsorte ausgewählt. Allerdings ohne Erfolg. Hermann Mader, der Ex-Landrat wartete vergeblich auf sensationelle Funde.
Hermann Mader: "Jetzt haben wir halt fünf Null-Nummern geschoben, aber man weiß jetzt zumindest, dass es Höhlen gibt, die nicht von Menschen besiedelt waren. Die letzte war ein Hyänenhorst, Die ganze Höhle war voll von unten bis oben mit Wildpferde-Knochen, allerdings keine Artefakte. Also nichts, was von Menschenhand geschaffen ist."

Es gibt Laugen-Wildpferdle und Sekt

Nicht so schlimm findet Hermann Mader. Es gibt ja noch genug andere mögliche Fundstellen. Noch hundert Jahre Arbeit für die Archäologen. Vorerst geht es darum, sagt der Vorsitzende des Fördervereins Eiszeitkunst im Lonetal, das Mammut vom Vogelherd noch bekannter zu machen. Heute zum Beispiel startet eine neue Marketingaktion. Ein paar Dutzend Gäste sind in den Archäopark gekommen, es gibt Laugen-Wildpferdle und Sekt. Hermann Mader greift zum Mikro.
"Unser Mammut wächst, von 37 Millimeter auf 900 Millimeter."
Vor ihm steht tatsächlich eine Mammutherde, 42 Plastikmammuts, knapp einen Meter hoch. Schüler und Künstler haben die Nachbildungen des ältesten von Menschhand geschaffenen Kunstwerks quietsch-bunte Phantasiefelle gemalt.
Als Hingucker sollen sie vor den Geschäften und in den Einkaufs-Passagen der Orte ringsum Aufmerksamkeit erregen. Aber das Mammut soll noch in einer ganz anderen Liga spielen, verkündet Hermann Mader. Das Mikro streikt, technisch ist er jetzt in der Steinzeit, davon lässt er sich aber nicht abhalten, im Gegenteil seine Stimme wird noch lauter, noch überzeugter.
"Und damit komme ich auf das Thema Weltkulturerbe, Ich werde immer wieder gefragt, wie weit ist das? Vor fünf Jahren hat man die erste Resolution im Kreistag gefasst, und im letzten Jahr hat die Kultusministerkonferenz der Länder entschieden, unter 34 Anträgen, die in Berlin lagen, das die Höhlen des Achtals und des Lonetals auf Platz eins sind."
Wo vor 40.000 Jahren die Menschen hier Tierfiguren aus Elfenbein geschnitzt haben, entfaltet sich gerade die Kultur des 21. Jahrhunderts. Auf dem Buffet stehen Mammuts aus Hefeteig, davor stehen bunte Werbe-Mammuts aus Plastik. Der Vorsitzende des Handels- und Gewerbevereins bekommt zum Dank für sein Engagement ein Mammut aus Plüsch. Das Mammut aus dem Lonetal ist nicht mehr aufzuhalten.
Hermann Mader: "Ich hoffe und ich wünsche uns, dass wir den Weg zum Unesco Weltkulturerbe gemeinsam und geschlossen gehen, und ich glaube, das was heute geschieht, ist auch wichtig, ein wichtiges Signal für die Verantwortlichen in Paris, dass sie sehen, die Menschen in der Region stehen hinter ihrem Mammut, sie stehen zur Wiege von Kunst und Kultur im Lonetal und das ist entscheidend."