40 Jahre Bear Family Records

Musikalische Welterkundung

Richard Weize, Chef des Musiklabels Bear Family Records, steht in seinem Archiv.
Richard Weize, Chef des Musiklabels Bear Family Records, steht in seinem Archiv. © picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Von Harald Mönkedieck |
In der niedersächsischen Provinz betreibt Richard Weize seit 40 Jahren das Label Bear Family Records. Dessen Spezialität sind aufwändig restaurierte Wiederveröffentlichungen und musikhistorische CD-Boxen von Jazz bis Country. Angefangen hat alles mit seiner, wie er es nennt, "bekloppten" Sammelwut. Weizes hervorragend recherchierte Werkschauen wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Der Weg zu Bear Family Records führt von Bremen ins nordöstliche niedersächsische Umland – in die Samtgemeinde Hambergen, eine knappe Dreiviertelstunde entfernt.
Ein alter Bauernhof dient Firmengründer Richard Weize als "Bärenhöhle", ein Bürogebäude nebst Lager, einige Kilometer entfernt, ist zweiter Ort des operativen Geschäfts. Der als Mann klarer Worte bekannte Firmengründer begegnet dem Gast im geradezu legendären Erscheinungsbild: Nickelbrille, Jeans-Latzhose, Pferdeschwanz.
Richard Weize ist lange im Geschäft, doch er hat nicht alles allein gemacht:
"Also ich sag mal so: Ich habe mich im Grunde genommen um das Kaufmännische eigentlich nie gekümmert. Es hat mich von Vornherein nie interessiert, interessiert mich heute noch nicht. Ich habe immer erst das Produkt gemacht und habe dann gesagt – friss Vogel oder stirb."
Richard Weize hat viel gearbeitet in seinem Leben, unentwegt und ohne Unterlass. Auf mehrere Tausend Veröffentlichungen hat er es mit Bear Family gebracht, darunter auch Spektakuläres wie die Grammy-nominierte Box "Black Europe", eine Dokumentation schwarzer Musik in Europa vor 1927, oder "Beyond Recall" – ein Projekt über jüdisches Musikleben im Berlin der 1930er-Jahre.
Richard Weize ist Jahrgang 1945 – und erinnert sich im Gespräch an die Zeit, in der er als Jugendlicher zum Fan und Sammler wurde. Es ging um Amerika, um Rock’n’Roll und - vor allen Dingen – um Country.
"Da man ja kein Geld hatte, tauschte man natürlich Platten mit Freunden und Bekannten aus. Das ist ‘ne Sache, die prägt einen. Auch die Suche nach Sachen, was ja heute gar nicht mehr der Fall ist. Heute ... au ja, das soll toll sein? Ja, dann kuck‘ ich mal bei iTunes oder geh mal eben ins Internet – und dann hab ich das. Das nimmt ja die Spannung weg."
Richard Weize, Chef des Musiklabels Bear Family Records, steht in seinem Büro.
Richard Weize, Chef des Musiklabels Bear Family Records, steht in seinem Büro.© picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Weize wuchs auf in einem Familienbetrieb, einer Traditionsbuchhandlung im niedersächsischen Bad Gandersheim. Die Frage nach dem Ursprung von Sammelei und Interesse an Historie beantwortet er mit der Geschichte seiner Mutter, die einst als Hobby-Chronistin die Geschichte von Familie und Heimatstadt dokumentierte. Kostbares Wissen, dass mit ihrem Tode verloren ging.
"Bekloppte" – in Weizes Sprachgebrauch sind das Leute wie er selbst. Menschen, die dokumentieren und die sammeln.
"Ich hab meine Mutter immer veräppelt für den Quatsch, den sie da macht und wen das denn eigentlich interessiert. Um später mal festzustellen, dass ich genau das Gleiche mache, bloß auf anderer Ebene. Es scheint genetisch bedingt zu sein, Bekloppter zu sein."
Der Weg von Richard Weize führt über Umwege zur eigenen Firma. Der Briefkopf der heimischen Buchhandlung erlaubt es ihm, Schallplatten bei US-Großhändlern zu bestellen. Er verkauft sie gewinnbringend weiter.
Nach Ausbildungen als Schlosser und Dekorateur folgt eine Zeit des Wagemuts. In den Sixties wird der Kaffeetrinker Weize Weinverkäufer in England. Peu à peu etabliert er - zurück in Deutschland - sein Musik-Business. Zunächst in Bremen, auch mit Ladengeschäft, dazu kommt der Versandhandel.
Die Siebziger-Jahre bringen ein neues Interesse an "Country". Künstler wie Waylon Jennings und Willie Nelson werden hip. Die US-Kontakte intensiveren sich, der Mann aus Deutschland erhält Zugang zu Archiven amerikanischer Traditionslabels wie Capitol und Columbia.
Viele Projekte führen ihn immer wieder über den Atlantik. Für die Box zum Firmenjubiläum huldigt ihm auch US-Musikprominenz:
"Das finde ich schon toll. Ich finde es toll, wenn Ry Cooder … hast Du das Lied gehört?" (lacht)
Musik: Ry Cooder – Bear Family Song
Doch mit den vielen – Zitat Weize – "Lobhudeleien" kommt auch der Wechsel. Nach 40 Jahren Bear Family räumt der Oberbär einen Teil seines Reviers: Detlev Hoegen ist einer der beiden neuen Inhaber des Unternehmens mit heute gut 20 Mitarbeitern.
Blues-Experte Hoegen ist seit vielen Jahren als Musikunternehmer aktiv, den eigenen Mailorder verschmolz der Wahl-Bremer schon Anfang des Jahrtausends mit dem von Bear Family, das Label Crosscut Records gehört ihm bis heute.
Die fundamentalen Veränderungen im Geschäft mit Tonträgern hat Detlev Hoegen intensiv miterlebt. Es war nicht einfach, doch man hatte Glück:
"Das Wort 'brutal' trifft’s sehr genau. Es hat sich dermaßen viel verändert in der allgemeinen Musikwelt, dass nichts mehr ist wie 1995. Die digitale Revolution hat dieses Geschäft ganz nachhaltig beeinflusst. Wir bei Bear Family haben dabei das große Glück, das wir in einer sehr stabilen und sehr treuen Nische sitzen. Das ist eine kleine Szene, aber diese kleine Szene ist erstaunlich stabil."
Man bedient heute mit dem Angebot des zum Online-Shop umfunktionierten Mailorders eine weltweite Kundschaft im fünfstelligen Bereich und Hoegen blickt respektvoll in Richtung des Firmengründers:
"Das ist natürlich eine extreme Lebensleistung, die man nicht hoch genug bewerten kann. Aber natürlich merkt auch Richard, dass die Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen ist, dass er natürlich zwangsläufig zurückschrauben muss."
Richard Weize sitzt vor einer Bärenskulptur.
Richard Weize sitzt vor einer Bärenskulptur.© picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Detlev Hoegen plant, dieses Lebenswerk so umfangreich zu erhalten wie möglich. Die Existenz seiner Mitarbeiter zu sichern; bei gleichzeitiger Erweiterung der Inhalte, zum Beispiel durch Reggae und afrikanische Musik, dazu Genre-Dokumentationen aus jüngeren Jahrzehnten. Einige Kilometer entfernt sitzt Richard Weize derweil in seinem Büro und reflektiert über das Phänomen der selektiven Erinnerung:
"Ich habe vieles einfach vergessen. Ich weiß nicht, ob ich das verdränge … Manchmal kommen ein Paar Sachen noch wieder hoch. Ich kann mich eigentlich an nichts wirklich Schlechtes erinnern. Mein ganzes Leben war eigentlich gut."
Richard Weize wird dem Unternehmen als Berater erhalten bleiben. Und dann gibt es ja auch noch dieses Objekt namens "Sammlung". Dazu einen selbst ernannten "Bekloppten", der sie im Laufe seines Lebens zusammengetragen hat. Richard Weize – ein bärenstarkes Original.
"Es gibt ja auch normale Leute, es gibt ja nicht nur Bekloppte. Die kommen dann an und dann sehen die meinen Stall hier und sagen: 'Du, hör mal zu, was machst Du mit Deinen ganzen Singles?' Von denen hab ich nur lächerliche hunderttausend, dreißigtausend LPs, zehntausend Schelllacks. Dann sagen die: 'Ja und, was machst Du denn damit?' Dann kuck ich die an und sage: 'Wenn ich in Rente bin, dann spiele ich und höre ich mir das alles noch mal an. Und nebenbei lese ich dann noch meine zehntausend Bücher.' Dann kucken die mich an und dann sagen die: 'Das kannst Du doch gar nicht.' Und dann sage ich: 'Siehste, ein Sammler ist bekloppt. Der freut sich, das zu haben. Und wenn er es braucht, dann greift er zu."
Musik: Ry Cooder – Bear Family Song
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