Im Zeichen von Zunge und Mittelfinger
Bekannt wurden KISS durch ihr schrilles Outfit: grell geschminkt, mit gewagten Kostümen und Plateaustiefeln. Martin Risel fragt sich, wie sie es geschafft haben, seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Rockbands zu gehören. Eine Antwort: die Scharen von Fans.
Erschreckende Bilder aus deutschen Stadien erreichen uns in diesen Tagen: In München und Gelsenkirchen degradieren sich Zehntausende ansonsten harmloser Bürger und mutieren zu Rockmonstern – nur, um ihren Idolen irgendwie nachzueifern und zu huldigen.
Geboten wird musikalisch bedeutungsloser und aus der Zeit gefallener Glamrock im Stile von längst dahingeschiedenen Bands wie T. Rex und The Sweet, vielleicht noch einen Zacken schärfer und in der Darbietung derber. Wieso um Himmels Willen - und meinetwegen auch der Hölle Willen - tun sich die Menschen sowas an? Wieso kam es in den vergangenen 40 Jahren zum Phänomen KISS?
Erstens: Schaffe und sammele Memorabilia, möglichst viele.
Gene Simmons: "Wir haben tatsächlich fast den ganzen KISS-Kram in einer Kammer aufbewahrt, jedes Stück, das wir in die Hände bekamen. Besonders von den Live-Shows seit den 70ern."
Der Grundschullehrer Gene Klein alias Gene Simmons und der Taxifahrer Stanley Eisen alias Paul Stanley lernen sich 1972 in New York kennen und beschließen, zusammen Musik zu machen. 1973 das erste KISS-Konzert, 1974 das erste Album. Der Rest ist Geschichte.
Zweitens: Zeige Nähe zu deinen Fans und siehe: Sie gründen sogar eine KISS Army
Ausgiebige Truppenbetreuung dann z.B. vor zehn Jahren mit der sogenannten KISS Convention Tour:
Gitarrist Tommy Thayer: "The KISS Convention war wie ein reisendes Museum, das wir nach Amerika und Australien gebracht haben. Da konnten die Leute neun Stunden mit der Band verbringen und eine Retrospektive sehen mit Kostümen und altem Vintage Equipment."
Musik: Hotter than hell
Der Titelsong vom zweiten Album sagt 1974 alles: KISS ist heißer als die Hölle. Also zelebrieren sie das Spucken von Blut und Feuer, das Sprühen von Funken und das Flambieren von Gitarren zu einer Zeit, als die Bandmitglieder von Rammstein und Lordi noch Blockflöte im Kindergarten spielen.
Viele, viele Rockmusiker bis hin zu den Ärzten finden KISS sogar musikalisch toll, nennen sie als Vorbilder. Ich weiß nicht warum.
Die Band geht auseinander, zeigt sich mal unmaskiert, kommt wieder zusammen.
Drittens: Lasse Deine Fans mitleiden in der Trennung, mitjubeln im Comeback.
"Die Band ist wieder zusammen, die alten Zeiten rollen wieder, bewegt euch, Jungs …"
Und so brechen KISS immer wieder Zuschauerrekorde – in Japan und Brasilien und Castrop-Rauxel. Und werden - nach Beatles und Stones – zu der Band mit den meisten Goldenen Schallplatten. Über 100 Millionen Alben haben sie verkauft. Wie das?
Viertens: Auch wenn Du mal – wie Gene Simmons - ein Solo-Album "Asshole" betitelst, sei auch zwischendurch mal freundlich zu Deinen Fans, wenigstens kurz.
Gene Simmons spricht deutsch: "Guten Tag, Deutschland. Mein Name ist Gene Simmons und ich kann sprechen ein bisschen Deutsch, ich habe gelernt auf der Schule. Und das ist Eric Singer, mein Freund. Although tonight he'll be meine Freundin."
Geschlechter- und Gender-Debatten will ich hier nicht anzetteln. Der Mann ist mit inzwischen 64 längst darüber erhaben. Und hat vor drei Jahren mit seinen Jungs das jüngste Studioalbum veröffentlicht. Und wenn sie früher – wir erinnern uns - heißer als die Hölle sein wollten, lassen KISS da die Option: Hölle oder Hallelujah.
Also, fünftens: Lasse Deine Fans auch mal was entscheiden, Mitbestimmung rules.
"Hey, alright, I know, everybody’s got rock’n’roll to move, ya..."
So ein neues Album ruft dann auch die Medien auf den Plan, so läuft das im Business.
Sechstens: Mache Dir die Moderatoren zu Untertanen.
Thomas Gottschalk: "Sie sind Kult: Eric the Cat, Tommy the Faceman, Paul the Starchild und Gene Simmons ist The Demon. Zusammen sind sie KISS. Say yeah und I was made for loving you – this is KISS!"
Gottschalk kriegt sich gar nicht mehr ein: KISS Live bei "Wetten, dass?" im Jahre 2010.
Siebtens: Schaffe medialen Mehrwert durch dortige Einbeziehung der Fans.
In diesem Fall sollten sich 1500 dieser Jünger vor der Halle versammeln.
Gene Simmons: "Sie haben Makeup und unsere Klamotten getragen, alles handgemacht. Jede Band da draußen weiß: KISS-Fans sind legendär."