Vergangenheitsbewältigung im spanischen Film
Die Erinnerung an die Zeit der Franco-Diktatur in Spanien liegt bis heute bleischwer auf dem Land, wirklich auseinandergesetzt hat man sich dort mit seiner Vergangenheit nicht. Doch einige Filmemacher versuchen zu zeigen wie die Zeit wirklich war.
The Beatles: Strawberry Fields Forever
Dieses Lied schrieb John Lennon 1966 bei Dreharbeiten in Andalusien für einen Englischlehrer aus der spanischen Provinz. So erzählt es zumindest der Spielfilm "Vivir es fácil con los ojos cerrados" (Es lebt sich leicht mit geschlossenen Augen). Das Road Movie um einen Lehrer und zwei Jugendliche auf der Suche nach John Lennon lief im vergangen Jahr in den spanischen Kinos und erzählt viel über das Spanien Francos, über bittere Armut, Hoffnungslosigkeit und eine latente Aggression. Javier Camara spielt den Englischlehrer, der versucht mit seinen bescheidenen Möglichkeiten in der bleiernen Atmosphäre jener Jahre ein freieres Leben zu führen:
"Der Film erzählt von vergangenen Zeiten, aber nicht für die Leute, die damals gelebt haben, sondern für die Menschen von heute. Er will daran erinnern, dass es weitaus schlimmere Zeiten als heute gab, dass die Diktaturen nicht nur enden, weil ein alter Herr in seinem Bett stirbt, sondern weil es viele unbekannte Helden gibt, tapfere Menschen, die auf ihre Weise versuchen,von unter her die Geschichte zu verändern."
Rückblick auf eine bedrohliche Zeit
Die Geschichte einer Zeit, die im Rückblick unsicher und bedrohlich wirkt, so etwa in dem sehr atmosphärischen Krimi "Isla Minima" über einen Serienmörder im Mündungsdelta des Guadalquivirs südlich von Sevilla. Im Jahre 1980, fünf Jahre nach dem Tod des Diktators, aber auch ein Jahr vor dem Putschversuch des Oberst Tejeros am 23. Februar 1981 war das gesellschaftliche Klima, so Regisseur Alberto Rodriguez, noch ganz stark von Angst geprägt.
"Man lebte mit zusammengebissenen Zähnen, das charakterisiert diese Zeit besonders: Diese allgegenwärtigen sozialen und politischen Konflikte, die Eskalation der Gewalt. Das war die Grundströmung für unseren Film, diese Zerrissenheit zeigt sich auch in den beiden Kommissaren, von denen jeder eine politische Richtung verkörpert."
Für den Produzenten des Films José Antonio Félez sind das große Themen, die im spanischen Kino noch viel zu wenig Beachtung finden:
"Das ist der kreative Ausgangsstoff: Konflikte, Schmerzen, Extremsituationen, das muss der Film umsetzen. Aber es ist eben nicht so, wie über Jahre hinweg von bestimmten politischen Kreisen behauptet wurde, dass Bürgerkrieg und Diktatur die Filmproduktion beherrscht hätten. Es ist nur ein ganz kleiner Teil. In einer Studie kam heraus, dass von hundert Filmen nur zwei indirekt, in irgendeiner Weise etwas mit Bürgerkrieg, Diktatur und den Folgen oder ihrer Vor- oder Nachgeschichte zu tun haben. Es ist ein sehr kleiner Prozentsatz, wenn man bedenkt, wie diese Zeit unsere Geschichte geprägt hat."
Vor wenigen Jahren noch versuchten spanische Produzenten, die Dramen von Diktatur und Bürgerkrieg für ein großes Publikum aufzuarbeiten: Filme wie "La voz dorminada" (2012) oder "Las trece rosas" (2007) waren aufwendig produzierte Melodramen, historische Bilderbögen, steril ausgeleuchtet, aber mit holzschnittartiger Moral. Diese großen melodramatischen Kostümfilme sind dem Rotstift der Krise zum Opfer gefallen und es hat eine gewisse Ironie, dass der Regisseur des Gefängnisdramas "Las trece rosas", Emilio Martinéz Lazaro, in den letzten Monaten mit "Ocho apellidos vascos" und dem Sequel "Ocho apellidos catalanes" die erfolgreichsten Komödien der spanischen Filmgeschichte in die Kinos brachte.
Oft sind es sehr persönliche Filmprojekte
Der spanische Filmemacher Pablo Llorca sucht in seiner Darstellung der Diktatur Alternativen zum großen kommerziellen Ausstattungskino. In seinem Film "El mundo que fue y el que es" (Die Welt wie sie war und die Welt wie sie ist) erzählt er mit minimalistischen Mitteln das Leben eines militanten Kommunisten von den Gefängnissen des Franco-Regimes bis in die Gegenwart. Er inszenierte die Zeit der Repression in zwei verlassenen Räumen eines ehemaligen Gefängnisses mit einem Minimum an Kostümen und Ausstattungselementen:
"Was mich interessiert hat, war dieser schmutzige, verwahrloste Aspekt der Nachkriegszeit, auch als Gegenpol zu anderen spanischen Filmen, wo die Protagonisten auch im Gefängnis immer mit frisch gewaschenen und gebügelten Hemden umherlaufen und wo man den Eindruck hat, dass selbst die Frauen in den franquistischen Todeslagern noch kurz vor ihrer Hinrichtung zum Friseur gegangen sind. Ich wollte dagegen den armseligen, schmutzigen Aspekt der Diktatur zeigen."
Der Bürgerkrieg, die Diktatur, und die Transición, der Übergang in die Demokratie sind Themen des unabhängigen Dokumentarfilms, der seit Beginn der Krise in Spanien sehr stark geworden ist. Oft sind es sehr persönliche Projekte, ohne Filmförderung und ohne Fernsehgelder entstanden und über Selbstausbeutung und Crowdfunding finanziert. Ausgangspunkt ist ganz oft die Befragung der letzten noch lebenden Zeitzeugen, etwa zur Bombardierung Barcelonas, zum Ende des Bürgerkrieges, über eine franquistische Umerziehungsanstalt in Asturien oder zu den anarchistischen Kollektivierungen im Spanischen Bürgerkrieg.
"Er ist wieder da" wäre in Spanien nicht möglich
Über diesen kurzen Sommer der Anarchie, 1936 bis 1939, spricht der Dokumentarfilm "Economia collectiva – Europas letzet Revolution", der seit Ende November über einen kleinen Verleih auch in einigen deutschen Kinos läuft. Für die 35-jährige Regisseurin Eulàlia Comas hat die spanische Gesellschaft noch immer kein ausgeglichenes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit gefunden:
"Es ist so viel Zeit vergangen seit dem Ende der Diktatur, aber die Vergangenheit ist immer noch ein Tabu. Während des Drehs merkte ich wie die Vergangenheit die Leute immer noch gefühlsmässig belastet, wie sie aber plötzlich auch sagten, das behältst Du bitte für Dich. Auch in den Familien, in den nachfolgenden Generationen herrscht oft noch eine Geheimniskrämerei vor. Das ist allerdings auch nicht weiter verwunderlich, denn wir leben immer noch in einem Land, in dem die Regierungspartei, die Partido Popular, sich bis heute geweigert hat, die Diktatur öffentlich zu verurteilen."
Auch vierzig Jahre nach Francos Tod sind Bürgerkrieg und Diktatur immer noch wichtige Themen für viele, oft jüngere, spanische Filmemacher. Das ist nicht verwunderlich, denn der Umgang mit der Vergangenheit spaltet die spanische Gesellschaft bis heute. Ein spanischer "Der Untergang", etwa über Francos mehrwöchige und vermutlich künstlich verlängerte Agonie auf der abgeschirmten Intensivstation in Madrid, oder ein "Er ist wieder da" mit einem wiedererwachten Franco, der mit altbekannten Sprüchen in einem Umfeld grenzdebiler Privatfernsehsender zum Medienstar wird, wären in Spanien nicht denkbar, in den Massengräbern des Regimes warten einfach noch zu viele Opfer auf ihre Identifizierung und ihre letzte Ruhestätte.