Der Kult um Mao Zedong
Auch wenn seine politischen Kampagnen Millionen Menschen den Tod brachten - unter den meisten Chinesen wird Mao heute als Heiliger verehrt. Korruption und wachsende Ungleichheit im Land sind für die Neo-Maoisten Folgen einer Politik, die sich dem Kapitalismus angebiedert und Mao verraten hat.
Majestätisch thront Mao Zedong über seinem Volk. Mit einer Schriftrolle in der Hand blickt er runter auf den riesigen Mao-Zedong-Platz. Die Bronzestatue von Chinas Revolutionsführer ist ca. sechs Meter groß. Touristen, Schulklassen – alle sind sie nach Shaoshan in die zentralchinesische Provinz Hunan gereist, um Mao in seinem Geburtsort die Ehre zu erweisen. Wer einen Blumenkranz vor dem Mao-Denkmal niederlegt, der hört irgendwann seinen Namen über Lautsprecher.
Fahong Zhang ist umgeben von rund 30 Kindern, die alle gelbe T-Shirts und rote Halstücher tragen. Zhang ist Lehrer einer Schulklasse aus der Provinz Xinjiang. Sie sind rund 2000 Kilometer gereist. Lehrer Zhang läuft der Schweiß übers Gesicht. Ein Sommercamp zur patriotischen Revolutionserziehung, bei 36 Grad Celsius und fast 90 Prozent Luftfeuchtigkeit.
"Wir sind hier, um Mao zu ehren und dem Großen Vorsitzenden unsere Anerkennung zu erweisen. Wir wollen den Kindern etwas über Maos Leben und seinen revolutionären Geist beibringen. Mao steht für Patriotismus und Kampfgeist. Die jungen Leute heute, unsere Schüler aus der Mittelschule, die wissen wenig über Mao. Wir bringen sie hier her, damit sie mehr über Mao lernen."
Mao als bescheidener und selbstloser Führer
Der Ort Shaoshan ist eine gigantische Kultstätte für Genosse Mao. Mehrere monumentale Museums-Gebäude zeigen fast 10.000 Exponate über Leben und Werk des chinesischen Revolutionsführers und Staatsgründers. Maos Badehose, Maos Zahnbürste, Maos Pyjama. Angeblich hat er seinen Schlafanzug länger als 20 Jahre getragen und immer wieder nähen lassen. Zahnpasta soll er abgelehnt haben, weil sich sein Volk überwiegend keine leisten konnte. Mao als bescheidener und selbstloser Führer, so wird er hier präsentiert. Die Museumsführerin Peng Yitong führt die vielen Touristen durch die Ausstellung.
"Unsere Ausstellungen zeigen historische Tatsachen. Die Ausstellungsstücke sind alles originale Exponate. Wir präsentieren sie den Besuchern, um sie über die wahre Geschichte zu informieren. Wer zu uns kommt, erhält viele Details aus Maos Leben."
Details aus dem Alltag: eine Hälfte von Maos Bett war immer voller Bücher – stets hat er bis spät in die Nacht gelesen. Eine kritische Aufarbeitung der Geschichte sucht man hier aber vergebens. Der Große Sprung nach vorn, die Kulturrevolution – die politischen Kampagnen Maos, die Millionen Menschen Tod, Leid und Elend gebracht haben, werden in der größten Mao-Ausstellung Chinas ignoriert. Es geht um was anderes, sagt Zhao Peng, ein junger Museumsmitarbeiter.
"Das spielt nur am Rande eine Rolle. Wir streifen diese Themen, aber unsere Ausstellung ist im Wesentlichen eine Ausstellung über Maos Errungenschaften. Wir setzen den Schwerpunkt auf seine Erfolge."
Maos Geburtsort Shaoshan ist ein erzieherisches Gesamtkonzept. Und dazu gehört auch das Mao Jia Fandian. Übersetzt: Maos Familien Restaurant. Geführt von einer 87-jährigen Frau, die alle nur Madam Tang nennen. Sie ist eine ehemalige Nachbarin Maos und lässt es sich auch an diesem Abend nicht nehmen, ihre Gäste zum Essen persönlich zu begrüßen. Mit Mikrofon steht sie vor einer goldenen Büste Maos, an der Wand ein großformatiges Foto aus dem Jahr 1959.
Auf dem Foto sei sie diejenige, die das Baby auf dem Arm hält, die Frau neben Mao Zedong, erzählt sie den Gästen. Madame Tang trägt ein kurzes Kleid, auf dem bunte Vögel zu sehen sind. Ihre grauen Haare sind akkurat frisiert – und sie wirbelt mit ihrem Stock in der Luft herum, wenn sie etwas besonders betonen will.
"Wir leben hier seit sechs Generationen. Als Mao geboren wurde, war meine Großmutter seine Hebamme. Nach der Geburt hat sie geholfen, ihn zu pflegen. 1959 ist Mao das erste Mal nach Shaoshan zurückgekehrt. 33 Jahre, nachdem er seinen Heimatort verlassen hatte. Er kam damals nachts an und ist gleich morgens zum Grab seiner Mutter. Danach kam er zu uns nach Hause."
"Ich wollte Mao und der Partei danken"
Madam Tang hat 1987 hat ihr erstes Restaurant in Shaoshan eröffnet – und hat das Konzept danach in viele andere Städte gebracht. Heute gibt es unter dem Namen Mao Jia Fandian mehr als 300 Restaurants in ganz China.
"Ich möchte Maos Gäste so gut wie möglich behandeln. Die Touristen in Shaoshan lieben den Geschmack unserer Gerichte. Ich habe das Restaurant nicht des Geldes wegen eröffnet, sondern um den Leuten zu dienen, wie Mao. Das war mein Antrieb. Ich wollte Mao und der Partei danken. Ohne sie würde ich mein Leben heute so nicht haben."
Ein Leben, das es zumindest finanziell gut mit ihr gemeint hat. Madame Tang ist mit der Idee, die Leib- und Hausgerichte Mao Zedongs zu servieren, reich geworden. Auf der Karte stehen rot-geschmorter Schweinebauch, stinkender Tofu, scharf gedünsteter Fischkopf und frittierte Auberginen mit grünen Bohnen. Mao wäre das Wasser im Munde zusammen gelaufen.
"Alle unsere Gerichte hat Mao auch Zuhause gegessen. Ich wollte seine Lieblingsgerichte in der ganzen Welt bekannt machen. Mao hat die vier Geschmacksrichtungen sauer, süß, bitter und scharf geliebt. Mao war einmalig. Ich werde ihn mein Leben nicht vergessen und vermisse ihn sehr."
Im Restaurant von Madame Tang hängt ein großer Fernseher an der Wand, auf dem alte Revolutionslieder flimmern. "Mao Zedongs Gedanken sind wie die Sonne, die immer scheint." So heißt es in dem Song. "Wenn wir die Meere durchqueren, dann verlassen wir uns auf den Steuermann." Eine Hymne auf Mao Zedong, ein Klassiker des revolutionären und patriotischen Liedgutes in China.
Politik Maos - zu sieben Teilen gut, zu drei Teilen schlecht
Die Kommunistische Partei Chinas hat sich Anfang der 80er-Jahre offiziell zur Politik Mao Zedongs geäußert. Die sei zu sieben Teilen gut und zu drei Teilen schlecht gewesen, so die Formel von damals. Eine Debatte über Maos Verfolgungskampagnen, seine politischen Verbrechen und die Millionen Opfer sind aber auch heute in China tabu. Die politischen Eliten verteidigen Mao als glorreichen Staatsgründer. Und es gibt sogar die, die sich mehr Mao in der heutigen Politik wünschen.
Um Mao Zedong zum 40. Todestag zu ehren hat Sima Nan für sich und seine Begleiter den so genannten Langen Marsch durch insgesamt elf Provinzen organisiert.
Der Lange Marsch von 1934/35 gilt als zentraler Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas. Mit der Neuauflage will Sima Nan an Maos Politik erinnern, die er für uneingeschränkt gut hält.
"Das wichtigste Vermächtnis des Vorsitzenden Mao ist, dass er das Schicksal der chinesischen Nation verändert hat. Bevor Mao auf die Bühne trat, war China wie ein Haufen loser Sandkörner. So schwach, dass wir von anderen Nationen nur umher geschubst wurden. Mao hat das geändert: Er hat das Volk vereint, seitdem sind wir eine aufstrebende Nation. Keiner traut sich mehr, uns herum zu schubsen."
Eine Formulierung, die man immer wieder in China hört. Mao als Gründervater der Volksrepublik, der die Chinesen aus einer Jahrhunderte langen Phase des Elends herausgeführt hat.
Über die dunkeln Kapitel der Mao-Zeit soll nicht geredet werden
Aber die Neo-Maoisten verehren Mao fast wie einen Gott. Sie trommeln nostalgisch für eine Zeit, in dem das kommunistische China angeblich noch gut und rein war.
"Viele Dinge, die wir im heutigen Leben hassen, gab es zu Maos Zeiten nicht. Das ist der Grund, warum so viele Menschen in meinem Alter den Vorsitzenden Mao so sehr vermissen. Es gab Zeiten, in denen Maos Gedanken bei Seite geschoben und vernachlässigt wurden. Sie waren keine Leitideen mehr für unser Land. Im Zuge der Politik der Öffnung, der Reformen und der Marktwirtschaft dachten einige, Maos Ideen sind Vergangenheit. Aber seit Partei- und Staatschef Xi Jinping im Amt ist, werden Maos Gedanken wieder mehr betont. Sie haben wieder den Status einer Leitidee."
Die Korruption, die wachsende Ungleichheit in China – für die Neo-Maoisten sind das Folgen einer Politik, die sich dem Kapitalismus angebiedert und Mao verraten hat. Die Mao-Linken oder Neo-Maoisten betreiben einen ideologischen Mao-Kult.
Und der ergänzt den eher unpolitischen Alltagskult um Mao Zedong, den es seit Jahrzehnten gibt: Mao-Porträts zieren in China Schaufenster und Kioske. Taxifahrer hängen sich kleine Mao-Bilder wie einen Schutzengel an den Rückspiegel ihres Autos.
Der Mythos Mao ist allgegenwärtig. Kritik daran ist von der Führung in Peking unerwünscht, sagt die Dissidentin Dai Qing.
"Es hat bislang keine sorgfältige und gründliche Aufarbeitung dessen gegeben, was Mao als Revolutionär und als Staatsführer alles angerichtet hat. Richtige oder gute Sachen genauso wie falsche Dinge oder sogar Verbrechen. Ich meine eine Aufarbeitung, wie es sie zum Beispiel in Deutschland gegeben hat. Mao wird immer noch als großer Führer oder sogar Gott angesehen. Das System, das Mao erschaffen hat, lebt in China weiter. Seine Kameraden waren und sind immer noch die Partei und die Menschen an den Schaltstellen der Macht in China. Und diese Situation haben wir auch heute noch."
Die Kommunistische Partei gibt zwar Fehler zu, will aber nicht, dass die Menschen über die dunklen Kapitel der Mao-Zeit reden. Die Partei ist besorgt über den Ruf Maos und tut alles, um ihn zu verteidigen. Auch, weil Maos Revolution der heutigen Parteiführung die Legitimation zur Alleinherrschaft verschafft hat.
(jde / huc)
(jde / huc)