40 Jahre Punk (1): Die Vorläufer

Musik aus der britischen Desasterzone

Joe Strummer, Veteran des britischen Polit-Punk, aufgenommen bei einem Konzert am 8.6.2002 in London. Der Sänger und Gitarrist der Punk-Band The Clash, \fs12\ \fs16\der mit bürgerlichem Namen John Graham Mellor hieß, starb im Alter von nur 50 Jahren nach Mitteilung der Polizei am 23.12.2002 «plötzlich und unerwartet» in seinem Farmhaus in Somerset (Westengland). The Clash war 1979 mit der Single «London Calling» weltweit berühmt geworden. Die Band gab der Punk-Bewegung der 70er Jahre einen starken politischen Einschlag. Ihre Mitglieder wurden in Großbritannien häufig als «Rebellen mit politischem Engagament» bezeichnet.
Joe Strummer, Sänger der britischen Punk-Band The Clash. © picture alliance / dpa / epa PA Butterton
Von Robert Rotifer |
Im Auftakt unserer Wochenreihe geht es um die Vorläufer der Punk-Welle in Großbritannien Mitte der 70er-Jahre. Mit den Sex Pistols, The Clash und The Damned fing sie klein an und löste Großes aus.
Um zu verstehen, wo der britische Punk herkam, muss man sich erst einmal in das London der mittleren Siebziger hineinversetzen.
Die Euphorie der Sixties ist lange verpufft, das Land ist schwer verschuldet. 1976 stöhnt die Stadt unter dem heißesten Sommer des Jahrhunderts. Jon Savage, heute anerkannter Punk-Historiker, damals ein 22 Jahre alter Fanzine-Herausgeber, lief mit seiner Kamera durch die Straßen und dokumentierte die Szenerie.
"Ich habe einige Fotos, die ich in North Kensington, fünf Minuten von meinem Elternhaus schoss. Alles ist leer, es gibt viele Bombenlöcher, verlassene Baugründe und ganz am Schluss ein Bild der Stelzenautobahn, des Westway und darunter ein Graffiti: The Clash."

"Es war eine Wüste"

Jon Savage: "Das erinnert mich daran, wie wenig es damals gab. Sobald ich mit Punk zu tun hatte, fokussierte sich alles auf die Sex Pistols, The Clash, The Damned. Sonst gab es kaum was. Es war eine Wüste."
In einem Wochenschaubericht aus dem Rekordsommer 1976 findet sich ein Echo der düsteren Beschreibung von Jon Savage. Unser bestes Land, sagt ein Bauer vor einer verdorrten Weide, ist jetzt eine Wüste. Es ist eine Desasterzone, ganz so, als hätten wir eine furchtbare Flut.
Wochenschau: "Some of the best land in the country is now purely a desert. I believe that this is a disaster area, just as much as though we had terrific floods.”
Und die furchtbare Flut war bereits im Anrollen.

Die (Sch)Welle nach Übersee

Aus New York kamen Wellen bis nach London herübergeschwappt. Malcolm McLaren, der Manager der Sex Pistols, hatte sich zwei Jahre zuvor erfolglos als Manager der New York Dolls versucht und dabei einiges von der dort bereits bestehenden Punk-Szene aufgeschnappt. Er hatte sogar die weiße Gibson Les Paul von New York Dolls-Gitarrist Syl Sylvain nach Großbritannien mitgebracht und an den jungen Steve Jones übergeben, der bei den Pistols mit dieser Gitarre den Sound britischer Punk-Explosion prägen sollte.
Am 4. Juli 1976, ausgerechnet dem 200. Unabhängigkeitstag, kamen wiederum die New Yorker Ramones zu ihrem ersten britischen Gastspiel ins Roundhouse in Camden Town und legten der immer noch kleinen Londoner Szene das Tempo vor.

Heimischer Vorläufer des Punk

Aber der britische Punk war bei weitem nicht bloß ein Importartikel. Zu jener Zeit hätte man es nie zugegeben, zu wichtig war die Rhetorik des Punk als Stunde Null, doch es gab auch einen heimischen Vorläufer in Form der sogenannten Pub Rock-Welle. Bands, die dem aufgeblähten Stadionrock der müden alten Helden der Sechziger billige, energetische Gigs in der Kneipe um die Ecke entgegensetzten. Bands wie Dr Feelgood aus der Provinz von Essex.
Dr Feelgood, wie es Johnny Green, der Roadie der Clash später ausdrücken sollte, verhielten sich wie Johannes der Täufer zur Erscheinung der Sex Pistols. Mark Stewart, der spätere Sänger der Post-Punk-Band The Pop Group erinnert sich genau an diese Wachablöse:
"Wir sahen uns oft Pub Rock-Bands wie Dr Feelgood und Eddie and the Hot Rods an, aber die sahen nicht aus wie wir. Und dann sah ich plötzlich ein kleines Bild der Sex Pistols in Pullis, rosa Hosen, Plastiksandalen – genau das, was wir trugen. Zum ersten Mal gab es eine Band, die aussah wie wir."

Unkommerziellste Musik dieser Zeit

Die Sex Pistols und ihre erste Single im November 1976, "Anarchy in the UK"-der Zeitzeuge Pete Shelley erinnert sich an die Wirkung dieser Musik:
"Man kann sich heute kaum vorstellen, wie die Sex Pistols 1976 klangen. Punk ist heute so ein eingebetteter Teil der musikalischen Landschaft, aber damals war das die unkommerziellste Musik, die man machen konnte."
Von den Pistols inspiriert, sollte Shelley seine eigene Band, die Buzzcocks gründen. Ein Song wie "Anarchy in the UK" mochte vom Genuss an der Zerstörung handeln, aber im Namen dieses scheinbaren Nihilismus baute sich gehörig was auf.

In der Reihe "40 Jahre Punk" feiern wir vier Jahrzehnte einer künstlerischen Explosion in Musik, Mode und bildender Kunst.

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