40 Jahre Punk: Was geblieben ist

Ein Nachruf auf den Punk

Tony Parsons , aufgenommen im Oktober 2015, auf der 67. Frankfurter Buchmesse, in Frankfurt/Main (Hessen).
Vom Punk-Journalist zum Brexit-Verfechter: Autor Tony Parsons. © dpa picture alliance / Uwe Zucchi
Von Robert Rotifer |
Vor 40 Jahren schrieben die Punk-Journalisten Tony Parsons und Julie Burchill das Rock-Establishment in Grund und Boden. Heute gehören sie zur neo-nationalistischen Brexit-Fraktion. Zwei von vielen Alt-Punks, die ihre Jugend verraten haben. Zorn, revolutionäre Energie sind passé.
England 2016: Eine konservative Regierung, die Königin sitzt immer noch auf ihrem Thron, und, natürlich, Brexit, der neue Nationalismus. Es ist, um eine klassische Redewendung der Pop-Kritik zu verwenden, als wäre Punk nie passiert. Vier Jahrzehnte her und lange vergessen ist das Lob der Anarchie, der Zorn auf das Establishment, die revolutionäre Energie, die man allgemein mit Punk verbindet. Oder war das alles bloß ein Missverständnis?

Erst Punk-Journalist, dann Brexit-Verfechter

"Es ist nicht vorstellbar, dass diese stolze Insel, auf der seit tausend Jahren kein fremder Eroberer gelandet ist, demütig der EU ihre Unabhängigkeit abtreten könnte: die Freiheit, für die andere Generationen gekämpft haben und gestorben sind."
"Als ein schrecklich konservativer Parlamentarier, der in der EU bleiben wollte, erzählte, sein halb-deutscher Sohn sei beim Vernehmen des Referendum-Ergebnisses in Tränen ausgebrochen, war mein Vergnügen vollkommen. Die britische Demokratie: Seit 1918 bringt sie Kinder zum Weinen."

Diese beiden Sätze stammen von Tony Parsons und Julie Burchill und wurden rund um das britische Referendum über den Verbleib in der EU veröffentlicht. Parsons' Kolumne erschien im Boulevard-Blatt "The Sun", die von Julie Burchill im rechtsgerichteten Traditionsmagazin "The Spectator". Vor 40 Jahren waren diese beiden das Glamour-Paar des jungen Punk-Journalismus beim "New Musical Express", dem NME.
Gemeinsam schrieben sie damals Woche für Woche den Punk herbei und das Rock-Establishment in Grund und Boden. Heute dagegen gehören sie beide zur neo-nationalistischen Brexit-Fraktion des britischen Meinungsjournalismus.

Rechtspopulismus spielt mit Bruch von Tabus

"Ich werde zurückkommen, um euch daran zu erinnern, was es heißt, britisch zu sein. Dies ist unser Land, unsere Fahne, unsere Monarchie. Die funktioniert zwar im Moment nicht so gut, aber wir sollten die Nutzlosen loswerden und die Guten behalten."
"Und wer sind die Nutzlosen?", fragte ein Journalist nach.
"Prince Charles, und solange Elizabeth ihn vom Thron fernhält, macht sie einen guten Job."
Was immer man von John Lydons Ansichten hält, er versteht es zu provozieren. Und 2002, zur Zeit dieser Äußerungen, stand er wieder einmal an vorderster Front.
Denn hinter ihm wartete schon die Welle des Rechtspopulismus, der mit dem Bruch politisch korrekter Tabus spielt. Selbst die Anti-Establishment-Parolen bedienen heute Donald Trump und Nigel Farage.
Doch der Verlust der Unschuld der Provokation ist nur einer der Gründe, warum der seit dem Urknall vor 40 Jahren wieder und wieder gehörte Ruf nach dem neuen Punk heute so sinnlos klingt. Der neue Punk, das waren angeblich Techno, Grunge, Filesharing, die Libertines, Grime, soziale Medien, es gab die ironisch benannten Daft Punk, die eigentlich Neo-Disco machten und dann ihrerseits von LCD Soundsystem im Post-Punk-Revival referenziert wurden, aber nichts davon hatte je auch nur annähernd dieselbe Bedeutung wie Punk vor 40 Jahren.

Revolution mit drei Akkorden

Das Punk-Fanzine Sniffin' Glue druckte damals seine legendäre Kurzanleitung: Hier sind drei Akkorde, jetzt gründe eine Band. Und The Adverts nannten ihre Debüt-Single überhaupt gleich "One Chord Wonders", Ein-Akkord-Wunder.
DIY, Do It Yourself, der dem Punk innewohnende Geist der Selbstermächtigung hat sich seither allerdings längst zu Tode gesiegt. Denn was ist schon dran, wenn jeder seine eigene Soundcloud haben kann, und fast ein jeder neuer Laptop mit semi-professioneller Studiosoftware geliefert wird? Viv Albertine spielte einst bei den Slits und kämpfte damals hart darum, als Frau in einer Band anerkannt zu werden. Aber sie sieht keinen Sinn darin, dass ihre eigene Tochter ihrem Beispiel folgen sollte.
"Ehrlich gesagt, als junge Frau würde ich heute nicht in einer Band sein wollen. In der ersten Welt ist Musik nicht mehr revolutionär, sie wurde als Medium von der westlichen Konsumgesellschaft absorbiert, und Rockmusik wird nie wieder diese radikale Kraft sein. Dasselbe ist schon mit der Dichtung, dem Ballett, der klassischen Musik und dem Theater passiert. Wir hatten unsere 60-Jahre Rebellion, jetzt ist die Zeit für eine neue radikale Form. Ich bin nicht nostalgisch. Ich bin froh, damals gelebt und das getan zu haben, aber weinen wir nicht darum. Was soll es? Weiter geht es!"
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