40 Jahre "Slow Train Coming"

Als Bob Dylan zum Missionar wurde

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Bob Dylan singt und spielt Gitarre
Bob Dylan bei einem Konzert im Juli 1981 in Bad Segesberg. Kurz darauf veröffentlichte er sein drittes religiöses Album "Shot of Love". © picture-alliance / Cornelia Gus
Von Harald Mönkedieck |
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Songtexte, die wie christliche Predigten klangen: Mit dem am 20. August 1979 veröffentlichten Album „Slow Train Coming“ schockte Bob Dylan viele Fans. Doch die Hinwendung zum Glauben kam nicht so plötzlich, wie es schien.
"Es mag der Teufel sein oder der Herr / Doch irgendwem musst du dienen": Viele Dylan-Fans trafen die strengen Zeilen im Refrain von "Gotta Serve Somebody" auf dem Album "Slow Train Coming" vor 40 Jahren wie ein Schlag. Es schien sowohl mit der linken Ideologie des alten Folk-Revivals als auch mit der Persönlichkeit von Bob Dylan selbst unvereinbar. Der war zuvor nicht durch religiöse Bedürftigkeit hervorgetreten.
Doch die Zeiten hatten sich geändert. Seit Ende 1978 hatte man die neuen Songs geprobt. Ab April ‘79 dann die Aufnahmesessions in Muscle Shoals, Alabama. US-Autorin Amanda Petrusich bettet das damalige Geschehen in den Liner Notes zur Dylan-Box "Trouble No More" in die allgemeine Lage der US-Gesellschaft ein: Man hatte in den 70ern eine Hinwendung zu krassem Individualismus erlebt. Die Generation der 60er fühlte sich verletzt und verloren. Man suchte Zuflucht und Heilung – auch im evangelikalen Christentum.

Dylans Weg zu Jesus

Auch Bob Dylan steckt mit 37 Jahren nach gescheiterter Ehe in einer Krise. Doch völlig abrupt kommt seine Konversion nicht: Schon das ‘78er-Album "Street Legal" bietet Songs, die weltliche und religiöse Lesarten erlauben. Dann wird es eindeutig: Ein Fan wirft ihm im November ’78 ein Silberkreuz auf die Bühne. Der Sänger nimmt es an sich. In einem Hotelzimmer in Arizona folgt eine Epiphanie, die von Dylan als körperlich spürbare Präsenz Gottes erlebt wird. Er spricht öffentlich über seine Hinwendung zu Jesus, lässt sich taufen.
"Wir sprechen darüber, was ‚Gott‘ ist. Der Weg zu Gott führt über Jesus. Das muss man verstehen, das muss man erleben", sagte Dylan im November 1980 über seinen Glauben.
Bibelstudien in der – auch für Menschen jüdischer Herkunft offenen – christlichen "Vineyard Fellowship" in Kalifornien folgen. Als Dylan danach als musikalischer Prediger mit religiösem Furor auf die Bühne geht, wendet sich ein Teil seines Publikums von ihm ab.
Auf einem Konzert 1980 in den USA beschwert sich ein Zuschauer: "Er hat über Religion gesprochen, er hat gepredigt. Deshalb bin ich gegangen." "Er stinkt", findet ein anderer. Und ein weiterer ärgert sich: "Ich habe 26 Dollar für diese Show bezahlt. Ich hätte genauso gut in einen Gottesdienst gehen können."

Songtexte voller Bibelbezüge

Der apokalyptische Sänger ruft in seinen Konzerten nun die Ermüdeten auf, sich auf den rechten Weg zu begeben. Er verkündet seine Erlösungsvisionen mit enormer Intensität. Er orientiert sich vor allem auf dem 1980er-Album "Saved" an schwarzer Gospel Music und gibt viele Bekehrungskonzerte. In den Songs wimmelt es vor Bibelbezügen. Erst die Tour zum dritten religiösen Album "Shot Of Love" lässt 1981 eine Öffnung zu. Weltliches Repertoire kehrt allmählich zurück. Der Prediger hat seine Arbeit getan.
Literaturwissenschaftler Heinrich Detering erkennt im historischen Geschehen das Schema einer pietistischen Bekehrung: Sündenerkenntnis, Bekenntnis, Reue, Umkehr, Wiedergeburt. Der Dylan-Experte ist ebenso klar in seiner Gesamtbewertung:
"Also ich denke, es ist eine höhere Banalität, zu sagen, dass Dylan von seinen allerersten Anfängen an ein tiefreligiöser Künstler gewesen ist. Es gab immer wieder die sehr intensive Auseinandersetzung mit der jüdisch-christlichen Tradition – und dieser Bindestrich ist fast das Wichtigste an diesem Ausdruck. Denn sein Christentum war immer ein Jüdisches, und sein Judentum von Anfang an immer auch ein Messianisches, das ins Christliche hinüber gehen wollte."

Zurück zur amerikanischen Song-Tradition

Seine innere Stimme führt Bob Dylan im neuen Jahrhundert zurück an einen vertrauten Ort: zur amerikanischen Song-Tradition. Das "American Songbook", das neu zum Glaubens- und Gebetsbuch wird, wie er selbst in einem Interview sagt. Heinrich Detering rekapituliert:
"In den letzten 20 Jahren ist Dylans Religiosität, wo sie sich explizit äußert in Texten, sehr stark in Richtung auf das gegangen, was man vielleicht negative Theologie nennen könnte. ‚Ain’t Talking‘ ist so ein Fall: Also ein Song, der gewissermaßen die diesseitige Welt ausschreitet, nichts als Sünde findet – Sünde ist ein sehr wichtiges Schlüsselwort für Dylan, glaube ich: ‚Politics of sin‚ – und weiß: Das kann es nicht gewesen sein. Dies alles ist nur die Negativform von etwas Positivem, das dahinter ist, was wir jenseits erwarten."
Und wer 2019 in ein Dylan-Konzert ging, der konnte es wieder hören – am Ende des regulären Sets: "You gotta serve somebody". Gelassener, freundlicher, nicht weniger bestimmt.
Oder, wie der Musiker selbst schon 1980 sagte: "Solange mir klar ist, wer ich bin, und das nicht damit verwechsle, wer ich sein sollte, dürfte alles okay sein."
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