Mit viel Mut gegen Willkür und Armut
22:57 Minuten
Die Hoffnungen flogen hoch, als Simbabwe vor 40 Jahren unabhängig wurde. Heute träumt Farmer Peter von einer Biogasanlage, Paul will in Australien studieren und Samantha kämpft für die Meinungsfreiheit. Sie alle trotzen den massiven Problemen im Land.
Im Video des Satirekanals Bustop TV stehen eine junge Frau mit kurzen Haaren und türkisem Kopftuch und ein Mann mit Bauarbeiterhelm und Warnweste vor einer Backsteinmauer. Erst unterhalten sie sich locker in Shona, der am weitesten verbreiteten lokalen Sprache in Simbabwe. Dann kippt die Stimmung: Der Mann holt mit seinem Schlagstock aus und drischt auf die schreiende Frau ein.
In Simbabwe war jedem klar, wen der Mann in Bauarbeitermontur eigentlich darstellen soll: einen Polizisten, der plötzlich gewalttätig wird. Kurz nach der Veröffentlichung des Videos verschwindet die Hauptdarstellerin Samantha Kureya. Als sie wieder auftaucht, berichtet sie, wie vermummte, bewaffnete Männer sie zu Hause abgeholt und zwölf Stunden lang geschlagen hätten; sie zwangen sie, aus einer Pfütze zu trinken.
"Sie sagten, ich sei zu jung, um die Regierung zu kritisieren. Wir haben deine Sketche gesehen, die Filme, die du machst, du machst dich über die Regierung lustig, dafür bist du zu jung."
Ich treffe Samantha sechs Wochen danach zu Hause in einem Vorort der Hauptstadt Harare. Sie ist immer noch angeschlagen und konnte noch nicht wieder vor der Kamera stehen.
"Hier in Simbabwe haben wir Meinungsfreiheit, aber keine Freiheit, nachdem man seine Meinung gesagt hat. Dann holen sie dich."
Entführungen in staatlichem Auftrag
Auf der halbstündigen Fahrt zu Samantha habe ich vieles von dem gesehen, womit sie sich satirisch auseinandersetzt: Die langen Schlangen an den Tankstellen – wenn es gerade Benzin gibt, dort warten oft Hunderte Autos. In WhatsApp-Gruppen sagen viele Simbabwer einander Bescheid, wenn sie irgendwo einen Tanklaster sehen. Überall am Straßenrand sind Menschen zu Fuß unterwegs. Weil die Fahrpreise sich binnen zwei Jahren verzwanzigfacht haben, können sie sich den Minibus nicht mehr leisten. Wenn sie über diese Themen in ihren Videos spricht, gibt es neue Probleme, sagt Satirikerin Samantha Kureya:
"Sie ziehen alles Mögliche ins Politische. Wenn man sagt, dass es keinen Strom gibt, finden sie, du redest über Politik. Wenn du sagst es gibt kein Wasser, finden sie, du redest über Politik. Wenn du sagst, Brot ist teuer, sagen sie, du redest über Politik. Worüber können wir noch sprechen?"
Auch der Menschenrechtsaktivist Makomborero Haruzivishe ist vor einigen Monaten einer Entführung nur knapp entgangen. Vergangenes Jahr wurden laut der Organisation Zimbabwe Peace Project 67 Regierungskritiker verschleppt, die meisten tauchten binnen eines Tages wieder auf.
Die Täter werden verschont
Dass die Trupps mit ihren Maschinengewehren nicht längst verhaftet wurden, ist für den Aktivisten ein Indiz, wer dahinter stecken könnte:
"Die Polizei in Simbabwe ist sehr effizient, sogar Diebe kann sie in Windeseile fassen. Wenn du eine illegale Waffe besitzt, bemerken sie das sofort. Die Tatsache, dass diese Leute nach so vielen Entführungen noch frei herumlaufen, ist ein Beweis dafür, dass es sich um staatliche Agenten handelt."
Seit ein paar Monaten gehen die Entführungen zurück, dafür kommt es häufiger zu Festnahmen. Im Februar wurde Haruzivishe zwei Mal selbst festgenommen:
"Ich war zum Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant. Etwa 15 bewaffnete Polizisten stürmten das Restaurant und nahmen mich fest."
Er erzählt, wie die Polizisten ihn sechs, sieben Stunden festhielten und schlugen, bevor sie überhaupt den Grund dafür nannten: Wegen einer nicht genehmigten Demonstration wird Haruzivishe die Aufwiegelung der Öffentlichkeit vorgeworfen.
Er erzählt, wie die Polizisten ihn sechs, sieben Stunden festhielten und schlugen, bevor sie überhaupt den Grund dafür nannten: Wegen einer nicht genehmigten Demonstration wird Haruzivishe die Aufwiegelung der Öffentlichkeit vorgeworfen.
"Ich bin in meinem Leben schon 31 Mal verhaftet worden, aber kein einziges Mal verurteilt worden. Weil es keine Beweise gab, weil alle Verfahren politisch motiviert waren."
Das System Mugabe lebt auch nach seinem Tod weiter
Der Landsitz der ehemaligen Herrscherfamilie Mugabe in Zvimba, Ende September. Hinter dem ausladenden einstöckigen Gebäude stehen drei große weiße Zelte. Sie spenden Schatten für die rund 250 Trauergäste. Viele tragen weiße T-Shirts mit dem Konterfei des ehemaligen Machthabers Robert Mugabe. Helfer stellen große Schwarzweißfotos des Verstorbenen auf. Ein Leichenwagen bringt den Sarg, in eine simbabwische Flagge gehüllt. Nach einer katholischen Messe wird der Sarg in den Innenhof des Hauses gefahren und dort herabgelassen.
Am 6. September 2019 starb Robert Mugabe im Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus in Singapur. Auch nach seinem Tod polarisiert er die Bevölkerung: Die einen sehen in ihm einen Freiheitshelden, der Simbabwe vor 40 Jahren in die Unabhängigkeit führte, ein gutes Bildungssystem aufbaute und mit der Landreform der 2000er endgültig dafür sorgte, dass das fruchtbare Land und die Bodenschätze den Simbabwern gehören.
Die anderen sehen in ihm einen skrupellosen Diktator, der das einst florierende Land herunterwirtschaftete. Viele, die Mugabe innerhalb oder außerhalb der Regierungspartei Zanu-PF Konkurrenz machten, wurden ermordet oder verschwanden spurlos. Im November 2017 drängte das Militär Mugabe aus dem Amt. Aber es hat sich seither nichts verändert, sagt Menschenrechtsaktivist Makomborero Haruzivishe:
"Ja, Mugabe musste gehen. Aber für mich ging es damals nicht nur um die Person Mugabe. Es ging auch um das System Mugabe. Die Person Mugabe wurde vom System Mugabe zu Fall gebracht – und das System Mugabe ist immer noch da."
Viele können sich nur eine Mahlzeit am Tag leisten
Nachdem die Armee den Greis Robert Mugabe abgesetzt hatte, installierte sie ihren Wunschkandidaten Emmerson Mnangagwa als Nachfolger – ein Weggefährte Mugabes, ein Mann von inzwischen 77 Jahren. Unmittelbar nach dem sanften Putsch keimte dennoch in Simbabwe die Hoffnung auf einen politischen Neuanfang. Zwei Jahre später ist davon nichts mehr übrig: Seit Mnangagwas Amtsübernahme gab es mehrere tödliche Einsätze von Soldaten gegen die eigene Bevölkerung. Das Militär gewann insgesamt an Macht, die Grundrechte der Bürger sind weiterhin ständig bedroht. Statt eines Neustarts rutschte die Wirtschaft unter Mnangagwa immer tiefer in den Abgrund, viele Menschen können sich nur noch eine Mahlzeit am Tag leisten.
Wenn man durch Simbabwe fährt, sieht man ein heruntergewirtschaftetes Land: Fabriken sind geschlossen, die Infrastruktur ist marode. Im Zentrum der Hauptstadt Harare erinnern noch einige Bürotürme aus den 80er-Jahren daran, dass das nicht immer so war. Am Niedergang trägt die Politik Mugabes großen Anteil, glaubt der bekannte simbabwische Wirtschaftsanalyst John Robertson:
"1997, also 17 Jahre nach der Unabhängigkeit, erklärte Robert Mugabe die landwirtschaftlich genutzten Flächen zum Eigentum des Staates. Das war wie bei den Sowjets oder im chinesischen Kommunismus. Natürlich war das kommunistische China 1997 schon längst ein anderes Land als in den 1970ern, als Robert Mugabe lernte, wie dessen Wirtschaftssystem funktionierte."
Das Land ist fruchtbar, doch die Felder liegen brach
Damals waren sich die meisten einig, dass eine Landreform notwendig war: In der britischen Kolonie Rhodesien hatte sich die weiße Minderheitsbevölkerung das meiste Agrarland gesichert. Nach der Unabhängigkeit Simbabwes sollte auch die schwarze Mehrheit angemessen zum Zug kommen. Allerdings verteilte Mugabes Regierung, nachdem Tausende weiße Farmer teils mit Gewalt vertrieben worden waren, das Land hauptsächlich an ihre Günstlinge – und nicht unbedingt an die besten Landwirte. Das größte Problem für Farmer ist jedoch, dass sie das neu verteilte Land nur pachten, statt es zu besitzen. Das reicht den Banken nicht als Sicherheit für dringend benötigte Kredite.
Gilbert hat gerade eine Lkw-Ladung Kraftfutter für die Schweinefarm seines Chefs abgeholt, ich darf mitfahren zur Farm zwei Stunden westlich von Harare. Das Land draußen ist eben und fruchtbar – trotzdem liegen viele Felder brach. Auf anderen wächst Getreide oder Mais. Ab und zu begegnen uns klapprige alte Mähdrescher und Traktoren. Dann kommen wir an auf der Farm von Peter Musavayi.
Gilbert hat gerade eine Lkw-Ladung Kraftfutter für die Schweinefarm seines Chefs abgeholt, ich darf mitfahren zur Farm zwei Stunden westlich von Harare. Das Land draußen ist eben und fruchtbar – trotzdem liegen viele Felder brach. Auf anderen wächst Getreide oder Mais. Ab und zu begegnen uns klapprige alte Mähdrescher und Traktoren. Dann kommen wir an auf der Farm von Peter Musavayi.
Der 45-jährige Farmer führt mich direkt in seinen Schweinestall:
"Jede Woche bringe ich zwischen 20 und 40 Schweine zum Markt – abhängig davon, wie groß der Wurf war. Der einzige Grund, warum ich wirtschaftlich überlebe, ist die große Anzahl meiner Schweine. Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit den Preisen. Und wenn ich ein Nebenerwerbsbauer mit fünf oder zehn Schweinen wäre, würde das zum Überleben nicht reichen."
Farmer Peter bekommt für ein Kilo Schweinefleisch nur 60 Cent
Zwischen 300 und 500 Schweine hat Musavayi, die Zahl ändert sich ständig. Die anderthalb Tonnen Futter, die sie pro Tag verschlingen, stammen größtenteils von den eigenen Feldern – nur bestimmte Nahrungsergänzungsmittel kauft er zu. Das ist ein Vorteil, denn seine Erlöse sind wegen der Inflation immer weniger wert: Pro Kilo Schweinefleisch bekommt Musavayi 30 Simbabwe-Dollar, das sind inzwischen umgerechnet nur noch 60 Euro-Cent.
"Als Händler kriegt man es mit der Angst zu tun – wenn du nicht sofort in bar bezahlt wirst, kommst du nicht über die Runden. Innerhalb von einem oder zwei Tagen sind deine Einnahmen nur noch halb so viel wert, es ist eine galoppierende Inflation."
Auch seine 30 Arbeiter spüren, wie ihr Geld immer rasanter an Wert verliert. Deshalb gibt Musavayi ihnen zusätzlich zum Gehalt Gemüse und Fleisch aus eigener Produktion. Die Männer und ihre Familien dürfen auf dem Farmgelände wohnen, mittags wird für alle gekocht.
"So wie die Wirtschaft sich entwickelt und die Preise immer weiter steigen, geht es meinen Leuten, glaube ich, besser als den Menschen in Harare: Die müssen ein Taxi oder einen Bus zur Arbeit nehmen, sämtliches Essen und alles kaufen und vielleicht sogar Miete zahlen."
Paul träumt vom Studium in Australien
Ein lauer Oktoberabend in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt im Südwesten Simbabwes. Ich treffe den 30-jährigen Elektrotechniker Paul Tongofa, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, weil er Repressalien fürchtet. Er hat mit seiner Frau und der drei Jahre alten Tochter entschieden: Sie wollen auswandern, nach Australien. Elektrotechniker werden dort gesucht, und Tongofa ist bereits in der finalen Runde des Visaprozesses. Er hat sich für Australien entschieden, weil dort schon Verwandte leben. Auf die Frage, warum er fort will aus Simbabwe, holt Paul Tongofa etwas weiter aus:
"Ich bin der Jüngste in meiner Familie, ich bin auf dem Land aufgewachsen. 2008 war ich in der Abschlussklasse der Highschool, in der sechsten Klasse. Wenn man in der Geschichte Simbabwes nachliest, war 2008 das schlimmste Jahr. Wir hatten keine Lehrer, wir mussten uns selbst den Stoff beibringen."
2008 hatte es schon einmal eine Wirtschaftskrise mit Hyperinflation gegeben; die blauen Banknoten über einhundert Billionen Simbabwe-Dollar sind heute ein begehrtes Souvenir für Touristen. Die Wirtschaft stabilisierte sich erst wieder, als die Regierung Mugabe den US-Dollar als Zahlungsmittel zuließ.
Für Paul Tongofa bedeutete die Krise, dass seine Eltern sich nicht leisten konnten, ihn zur Universität zu schicken. Über Umwege bekam er schließlich einen Ausbildungsplatz beim staatlichen Energieversorger ZESA.
Hoffnung auf einen Neubeginn
"Meine Träume wurden 2008 zerstört. Aber es ist okay, jetzt bin ich in der Elektrikbranche und es macht mir bisher Spaß. Aber ich würde mich gerne weiterbilden und Elektroingenieur werden. Hier in meinem Land kann ich das aber gerade nicht – wegen der wirtschaftlichen Probleme könnte ich nicht einmal die Studiengebühren zahlen. Deshalb habe ich gedacht, ich versuche, nach Australien auszuwandern und dort meine Träume wahr werden zu lassen."
Ein paar Monate später ist Tongofa mit seiner Familie in Australien angekommen. Die Familie hat in Adelaide ein kleines Haus gemietet. Dort muss Tongofa sich erst einmal auf die Zulassungsprüfung vorbereiten, damit er als Elektrotechniker in Australien arbeiten darf. Das könnte sich wegen der Coronapandemie länger hinauszögern. Und trotzdem ist Tongofa zufrieden mit seiner Situation:
"Hier habe ich zwar noch keinen Job, aber ich fühle mich nicht mehr gestresst. Ich mache mir keine Sorgen, was morgen passiert oder was ich mache, der Stress ist weg."
Junge Leute sollen die alte Garde ablösen
Für Tongofa fühlt sich der Weggang richtig an – für Simbabwe ist der Brain Drain junger, gut ausgebildeter Leute fatal. Allein im Nachbarland Südafrika leben Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Simbabwer, dort gelten sie als fleißige und talentierte Arbeitskräfte. Der Aktivist Setfree Mafukidze sagt:
"Grundsätzlich sind viele von uns jungen Leuten nicht zufrieden damit, wie sich unser Land bisher entwickelt hat."
Mit seiner Organisation YARD will der 39-Jährige das ändern, indem er junge Menschen an Politik heranführt. 40 Jahre nach Simbabwes Unabhängigkeit sind Regierung, Kabinett und Parteiapparat der herrschenden Zanu-PF immer noch fest in der Hand der damaligen Veteranen – alte Männer, die einen Generationswechsel bislang nicht zulassen.
Mit seiner Organisation YARD will der 39-Jährige das ändern, indem er junge Menschen an Politik heranführt. 40 Jahre nach Simbabwes Unabhängigkeit sind Regierung, Kabinett und Parteiapparat der herrschenden Zanu-PF immer noch fest in der Hand der damaligen Veteranen – alte Männer, die einen Generationswechsel bislang nicht zulassen.
"Wir brauchen junge Leute, die sagen: Ich bin bereit, mich in den Rat wählen zu lassen, ich bin bereit, zu führen. Sie müssen in der Lage sein, anzutreten, die Posten zu gewinnen und die Parteien anzuführen, damit sie die Parteien modernisieren."
Die Jugend soll nicht mehr darauf vertrauen, dass die alte Garde sie anführt, findet Mafukidze. Er glaubt, dass sich Simbabwe politisch und wirtschaftlich modernisieren muss, um die vielen Probleme zu lösen. Probleme, die den Alltag für Menschen wie den Schweinezüchter Peter Musavayi so schwierig machen.
Die Jugend soll nicht mehr darauf vertrauen, dass die alte Garde sie anführt, findet Mafukidze. Er glaubt, dass sich Simbabwe politisch und wirtschaftlich modernisieren muss, um die vielen Probleme zu lösen. Probleme, die den Alltag für Menschen wie den Schweinezüchter Peter Musavayi so schwierig machen.
Mit eigenem Biogas dem Stromausfall trotzen
Die unberechenbare Stromversorgung zum Beispiel. Er ist auf Elektrizität angewiesen, um Wasser aus dem Tiefbrunnen hochzupumpen, und für die Tiefkühltruhen voller Fleisch.
Weil aus der Leitung nur selten Strom kommt, nutzt er einen Generator. Der schluckt mindestens 20 Liter Diesel am Tag. Um davon unabhängiger zu werden, will er künftig die Energie aus einem Abfallprodukt seiner Schweinezucht nutzen:
"Wie nennt ihr das in Deutschland, Gülle? Ich denke darüber nach, unterirdische Tanks zu bauen und mein eigenes Biogas zu produzieren. Damit habe ich weniger Probleme mit Strom."
Es sind wohl auch Ideen wie diese, mit denen viele Simbabwer der Krise trotzen. 40 Jahre nach der Unabhängigkeit sind wohl weder die Bodenschätze noch die fruchtbaren Äcker das wahre Kapital Simbabwes – es sind seine Menschen.