Wettlesen um den Bachmann-Preis beginnt
Heute beginnt in Klagenfurt das Wettlesen um den Bachmann-Preis. In seiner Eröffnungsrede forderte der Schriftsteller und Ex-Juror Burkhard Spinnen mehr Mut: Die Jury solle riskantere Texte wählen und nicht nur auf den "Tageserfolg" setzen.
Sie war nicht zu übersehen. Stefanie Sargnagel – Bloggerin, Aktivistin, Schriftstellerin – trug auch bei der Eröffnung der "40. Tage der deutschsprachigen Literatur" ihre rote Baskenmütze. Das ist halt das Autorenmodell des 21. Jahrhundert: Die Marke muss gepflegt werden. Und manchmal muss auch nachkorrigiert werden.
"Deutschland sucht den Superstar für Streber" hatte sie im Vorjahr noch über den Bachmannpreis gespottet, als sie als Berichterstatterin in Klagenfurt war, jetzt ist sie selbst dabei. Eine junge Schriftstellerin, die nicht aus einer Schreibschule kommt, sondern aus dem Internet, die keine Romane schreibt, sondern ihre Geschichten in Facebook-Postings unterbringt: Kein Wunder, dass Stefanie Sargnagel in den Tagen und Wochen vor Beginn des Wettbewerbs kräftig durch die Medien gegangen ist.
Und jetzt auch noch das: Bei der Auslosung der Lesereihenfolge zog Stefanie Sargnagel, die eigentlich Stefanie Sprengnagel heißt, die ungeliebte Startnummer 1 – und muss am Donnerstag als erste lesen. Das ist doch mal ein interessanter Auftakt: In den Texten, die man bisher von ihr kennt, gelingt es Stefanie Sargnagel unter anderem, mit leichter Hand einen Bogen zu spannen von der guten, alten Wirklichkeit, in der Menschen in prekären Jobs arbeiten und eher alltägliche Probleme haben, zu der anderen, neuen Wirklichkeit, die auf Namen wie Facebook oder Twitter hört und in der es sich auch mehr oder weniger gut leben oder arbeiten lässt.
Immer wieder exotisch anmutende Kandidaten
Dass beim Wettlesen um den Bachmann-Preis Autoren und Autorinnen dabei sind, die nicht fest verankert sind im klassischen Literaturbetrieb, ist allerdings nichts Neues: In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren gab es immer wieder leicht exotisch anmutende Kandidaten. Die Internet-Auskennerin Kathrin Passig, der Cartoonist Tex Rubinowitz, der Popmusiker Peter Licht, sie alle haben in Klagenfurt gelesen und Preise für ihre Texte bekommen, und zwar für Texte, auf die man sich auch außerhalb des engeren Feuilleton-Zusammenhangs schnell einigen konnte.
Es ist die Zeit, für die ganz besonders ein Name steht: Burkhard Spinnen. Der Schriftsteller war von 2000 bis 2014 Mitglied der Jury der "Tage der deutschsprachigen Literatur", sieben Jahre davon als Sprecher der Jury. Es ist die Zeit, in der der Wettbewerb offener und populärer geworden ist und in der Klagenfurt von den Bloggern an die digitale Welt angeschlossen wurde – eigentlich eine gute Zeit.
Trotzdem ist Burkhard Spinnen, der in diesem Jahr als hochverdienter Ex-Juror die "Klagenfurter Rede zur Literatur" halten durfte, nicht ganz glücklich mit den Veränderungen während seiner Amtszeit: "Dürfte ich dem Bachmann-Preis etwas wünschen, dann wünschte ich ihm in Zukunft mehr riskante Texte und die Bereitschaft der Jury, deren Risiko mit zu tragen. Ich weiß sehr gut, wie groß die Versuchung ist, Texte auszusuchen, die das Potenzial zum größten gemeinsamen Nenner haben... Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es auf Dauer die beste Überlebensversicherung des Bachmannpreises sein wird, wenn er das Risiko der Kunst über den Tageserfolg stellt." Das sind die mahnenden Worte, mit denen Burkhard Spinnen im Jubiläumsjahr – 40. Jahre Bachmann-Preis – das Wettlesen eröffnet. Also: Mehr Risiko, weniger Kalkül, weg von der Show, zurück zum Text, Literatur pur.
Das ORF-Theater in Klagenfurt ist in diesem Jahr passenweise ganz schlicht dekoriert: Weiße Vorhänge verhüllen die Wände, strahlend weiße Sessel warten auf die Juroren und Jurorinnen. In diesem Ambiente ist alles möglich. Und Stefanie Sargnagel darf’s als erste ausprobieren.