Markus Ziener, ist Autor, Journalist und Hochschulprofessor in Berlin. Er war Korrespondent in Moskau und Washington und berichtete mehrere Jahre aus dem Mittleren Osten. Zuletzt erschien von ihm der Roman "DDR, mon amour" (PalmArtPress, Berlin 2018).
John Lennon, mein Beschützer
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Am heutigen Dienstag vor 40 Jahren wurde John Lennon vor seinem Haus in New York ermordet. Schock und Trauer über seinen Tod trafen viele Fans hart und wirkten lange nach. Dem Journalisten Markus Ziener half der Musiker und Ex-Beatle durch seine Jugend.
Mein John Lennon ist nicht tot. Jedenfalls nicht wirklich. Er ist immer noch da, weil ich mit ihm aufgewachsen bin. Die Begleiter der frühen Jugend vergisst man nicht. Das ist ähnlich wie bei den ersten Freundinnen und Freunden. Sie bleiben einfach, egal, ob sie noch leben oder nicht, ob man noch mit ihnen Kontakt hat oder nicht. Ich bin mir fast sicher, dass sie es sein werden, an die man denkt, wenn das eigene Leben einmal zu Ende geht.
Mein John Lennon ist der, der mich schützte vor den bissigen Kommentaren zu Hause über meinen Musikgeschmack. Über die von Langhaarigen gespielte Gammlermusik. In solchen Momenten dachte ich, dass John Lennon sowas jetzt nun mal gar nicht kümmern würde - und stellte die Ohren auf Durchzug.
Lennon half immer
Mein John Lennon ist der, dessen Musik ich auflegte, wenn es mir schlecht ging, wenn mich der Teenager-Blues übermannte und ich nicht mehr weiter wusste. Lennon half immer. Weil ich stets bei ihm fand, was mich gerade umtrieb. Zu Liebe, zu Frust, zu idealistischen Träumen. Dann hörte ich "Jealous Guy" oder "Steel and Glass" oder "Imagine".
Einmal hätte ich ihn fast sehen können. Als blutjunger Kerl stand ich tatsächlich vor dem Dakota in New York, diesem riesenhaften Appartementblock an der Ecke 72. und Central Park in Manhattan. Ich blickte an der Fensterfront hoch und dachte, dass da mein Held da irgendwo sein müsste. Ich sah ihn nicht, vielleicht war er gerade beim Brotbacken, seiner damaligen Lieblingsbeschäftigung, und nach ein paar Minuten ging ich weiter die Upper West Side hoch. Zehn Monate nach meinem Besuch lebte John Lennon nicht mehr, erschossen von einem Verrückten ziemlich genau da, wo ich gestanden hatte.
Kassettenrekorder mit Bandsalat
Raue Songs hat er geschrieben, zarte Songs, auch ziemlich sentimentale Songs. Oder er hat einfach Pause gemacht. Auch da war es ihm egal, was die Welt von ihm dachte. Fünf Jahre lang hat er keine Platte veröffentlicht, nur dann und wann klimperte er im Dakota auf dem Klavier herum und nahm ein paar Songs auf seinem Kassettenrekorder auf. Ich hatte auch so ein Ding, einen von ITT Schaub-Lorenz, bei dem es ständig Bandsalat gab.
Ob John Lennon dann auch den nächstbesten Bleistift nahm, damit in die Spule piekste und das Band vorsichtig wieder aufwickelte? Mein John Lennon tat das. Er war ja irgendwie mein Kumpel.
Der Kerl imponierte mir auch dann, wenn ich kaum ertrug, was er sagte. Etwa, dass er nichts mehr mit den Beatles zu tun haben wollte. Auch darin war er roh und direkt: Wenn Ihr in Erinnerungen schwelgen wollt, dann legt doch einfach die alten Platten auf, sagte er mal in einem Interview. Es ist doch nur eine Rockband, die sich aufgelöst hat und keine Katastrophe. Lennon wollte sich dem medialen Hunger nach einer Wiedervereinigung der Band entziehen. Er tat das auf brutalstmögliche Art. Und ich lernte, dass das Leben mehr ist, als einer Rockgruppe hinterherzulaufen. Weil Lennon so viel mehr war als ein Rockmusiker.
Bei Lennon war das Private politisch
Er war einer, für den es keinen Unterschied gab zwischen der großen Politik und dem eigenen individuellen Leben. Bei Lennon war das Private politisch. Es kam bei ihm darauf an, wie man lebte, was man tat oder unterließ, dass man eine Meinung hat, eine Haltung, dass man mutig ist. Lennon gelang das - und es gelang ihm auch wieder nicht. Mal war er wohl unausstehlich, und mal entglitt ihm auch ganz ordentlich das eigene Leben. Aber das war es ja gerade, was mich an ihm faszinierte. Nicht perfekt zu sein.
Ich war damals fest davon überzeugt, dass dieser John Winston Lennon noch eine lange Weile mein Zeitgenosse sein würde. Und nun sind seit seinem Tod an diesem 8. Dezember 1980 schon unglaubliche 40 Jahre vergangen.
Die Songs von Paul ein bisschen besser machen
Wenn sein Freund Paul dieser Tage wieder eine neue Platte herausbringt, dann werde ich sie mir natürlich kaufen, sie hören und da und dort denken, wie das wohl klänge, wenn sein Kumpel John noch lebte, ob der dann, 80-jährig, zu Paul sagen würde: Hey, alter Junge, Du hast ganz schön viel Kitsch fabriziert, mach das doch mal so. Und dann würde er ihm einen Akkord oder eine Liedzeile zurufen, per Telefon oder Zoom aus dem Dakota und Paul würde sich in sein Studio verziehen und seine nächsten Songs ein bisschen besser machen.
Mein John Lennon ist nicht tot. Er lebt weiter in meiner Fantasie. Ich will auch gar nichts Neues mehr wissen über ihn, auch keine weiteren skurrilen Anekdoten, an die sich einstige Weggefährten plötzlich zu erinnern glauben. Ich will nicht, dass mein Lennon auf ein paar Zeilen auf Wikipedia zusammenschnurrt. Mein John Lennon ist größer.