400 Jahre Zeitungsgeschichte

Von Günter Beyer |
Die ersten Zeitungen bestanden nur aus einer Seite und waren kleiner als ein A4-Blatt. Die Inhalte ähnelten denen von heute. Das Bremer Institut für Presseforschung besitzt die umfassendste Sammlung der deutschsprachigen Presse des 17. Jahrhunderts, die nun in einer Ausstellung zu sehen ist.
Straßburg, im Jahre 1605. Woche für Woche schreibt ein gewisser Johann Carolus wichtige Neuigkeiten zwei Dutzend Mal säuberlich von Hand ab und verkauft die Zettel an Interessierte. Dann hat er eine folgenreiche Idee, erzählt Holger Böning, Sprecher des Instituts für Presseforschung an der Universität Bremen:

" Dieser Johann Carolus, der diese handschriftlich vervielfältigte Zeitung hergestellt hat, hat sich eine Druckerpresse gekauft und sich überlegt, dass es doch vielleicht praktischer sein könnte, diese Zeitung statt abzuschreiben, zu drucken. Und das ist die Geburt der Zeitung gewesen."

Die Idee des Johann Carolus machte bald überall in Europa Schule. Das Bremer Institut für Presseforschung besitzt mit seinen Originalen und 60.000 Mikrofilmen die umfassendste Sammlung der deutschsprachigen Presse des 17. Jahrhunderts. Da lag es nahe, 400 Jahre Zeitungsgeschichte in einer umfangreichen Ausstellung Revue passieren zu lassen.

Während die Wochenendausgaben heutiger Zeitungen als großformatige, pfundschwere Pakete daher kommen, bestanden die ersten Blätter des 17. Jahrhunderts nur aus einer einzigen Seite im Quartformat, kleiner als ein DIN-A4-Bogen. Aber die Inhalte ähnelten schon damals denen von heute.

Holger Böning: " Da wurde man informiert über die wichtigsten politischen Ereignisse und die wichtigsten militärischen Ereignisse der Welt. Diplomatische Nachrichten. Also das, was man heute "hohe Politik" nennen würde."

Drei Umstände beflügelten den Siegeszug der Zeitungspresse.

Holger Böning: " Im 16. Jahrhundert bildet sich im Deutschen Reich ein flächendeckendes Postnetz heraus, und damit ist die Voraussetzung gegeben, dass eine regelmäßig erscheinende Zeitung erscheint."

Zweitens war es mit Lettern und Handpresse möglich, schnell und in vergleichsweise hohen Auflagen Informationen zu verbreiten. Und schließlich hatte der Zeitgeist - Humanismus und Aufklärung - einen regelrechten Heißhunger nach aktueller Information entfacht. Die Zeitungen erschienen bald öfter, berichtet Astrid Blome, die zusammen mit Holger Böning und Studierenden die Ausstellung vorbereitet hat:

" Erstmals täglich erschien 1650 eine Tageszeitung, und zwar in Leipzig. Allerdings muss man sagen, dass es auch davor schon Städte gab wie zum Beispiel Hamburg, wo mehrere Zeitungen, bis zu acht, gleichzeitig erschienen, und man auch schon jeden Tag eine Zeitung haben konnte."

Schon recht früh erkannten pfiffige Verleger, dass man mit einer Zeitung gleich zweimal verdienen kann: Man nimmt Geld von den Lesern, und man lässt sich Anzeigen von den Inserenten bezahlen.

Holger Böning: "Anzeigen hatten die Zeitungen auch im 17. Jahrhundert schon - nicht ganz von Beginn an, aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten schon viele Zeitungen Anzeigen, und es kommt dann vor allem im 18. Jahrhundert das so genannte "Intelligenzblatt" dazu, das waren Anzeigenblätter, die vorwiegend aus Anzeigen und obrigkeitlichen Bekanntmachungen bestanden."

Großes Gewicht legt die Ausstellung auf die regionale Zeitungsgeschichte, die allerdings durchaus verallgemeinert werden kann. Das 19. Jahrhundert ist in Deutschland das Jahrhundert der demokratischen Freiheitsbestrebungen - und es ist das Jahrhundert der Zeitung. Vom Zensor eingeschwärzte Textstellen verraten, wie die Obrigkeit die freie Meinungsäußerung unterdrückte. Andererseits bilden sich mächtige Verlage heraus. In Bremen etwa wurde der Drucker Carl Schünemann mit seinen Blättern zum Dirigenten der öffentlichen Meinung.

Holger Böning: " Man weiß über Schünemann, dass er mit einer Spielkartenfabrik angefangen hat, und da inzwischen das Zeitungsgeschäft für Drucker zu den wohl lukrativsten Geschäften gehörte, bemühte er sich von Beginn an darum, auch eine Zeitung in die Hand zu bekommen."

Die Gelegenheit war da, als Bremen nach 1810 für drei Jahre zum napoleonischen Kaiserreich gehörte und die neuen Herren Existenzgründungen nach Kräften förderten. Als der Senat wieder das Sagen hatte, wurde Schünemanns Zeitung zwar verboten, aber im Vorfeld der Revolution von 1848 konnte er die angesehene "Weser-Zeitung" gründen, politisch ein Organ der liberalen Kaufleute.

Das späte 19. Jahrhundert brachte den Aufstieg der Arbeiterpresse mit zahlreichen, oft kurzlebigen Titeln. Die Nationalsozialisten schließlich beendeten 1933 die Zeitungs- und Meinungsfreiheit. Unter Lebensgefahr erschien sporadisch eine illegale, mit Wachsmatrizen vervielfältigte Widerstandspresse. Die Gleichschaltung der Presse hat nicht verhindern können, dass eine Zeitung zum sehr persönlichen Dokument werden kann. Auf einem Exemplar der nationalsozialistischen "Bremer Zeitung" hat jemand handschriftlich notiert, was Goebbels'Presse nicht wahr haben wollte:

" "Am Freitag, 6. Oktober 1944, 19 Uhr Alarm. 20 Uhr Großangriff. Innenstadt völlig zerstört, auch Baumwollbörse, Lloydgebäude, Hillmanns Hotel.Auch mein Betrieb."

Die Papierknappheit der ersten Friedensmonate nach 1945 sorgt für kuriose Fußnoten der Zeitungsgeschichte. "Der Aufbau", Organ der "Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus", wird ausgerechnet auf der Rückseite von Briefbögen der "Deutschen Arbeitsfront" gedruckt.
Übrigens: Kaum ein Industrieprodukt lässt sich nach seinem Gebrauch - wenn die Lektüre beendet ist - noch so vielseitig weiter verwenden wie die Zeitung.

Astrid Blome: " Wir haben Beispiele vom Einwickeln von Briketts bis zum Ausstopfen von Schuhen, wir haben einen Erpresserbrief produziert, Hütchen gefaltet, Schlangen, Spielzeug für Kinder und ähnliche Dinge ... "

Nicht zu vergessen: das stille Örtchen, wo früher, bevor dreilagige Flauschpapiere zum Einsatz kamen, allemal... Zeitungspapier zur Hand war.