42-Stunden-Woche

Mehr arbeiten statt später in Rente?

05:33 Minuten
Ein Hochhaus mit erleuchteten Fenstern gibt den Blick in zahlreiche Büros frei.
42 Stunden pro Woche sollten die Deutschen laut einem Vorschlag des Wirtschaftswissenschaftlers Michael Hüther arbeiten. © Unsplash / Vladimir Kudinov
Nora Bossong im Gespräch mit Jana Münkel |
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Zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten statt Rente mit 70 - das schlägt der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther vor, um das Rentensystem als Ganzes zu erhalten. Keine gute Idee, findet die Autorin Nora Bossong.
Wie lässt sich das Rentensystem erhalten, wenn die Einnahmen sinken? Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hat dazu jetzt einen Vorschlag gemacht. Demnach sollten die Deutschen nicht mit 70 in Rente gehen, sondern lieber ihre Regelarbeitszeit um zwei Stunden pro Woche erhöhen. Bei einer 40-Stunden-Woche wären dies also 42 Stunden.
Der demografische Wandel werde sich bald sehr deutlich bemerkbar machen, verteidigt Hüther seine Idee: Bis 2030 werden drei Millionen Menschen weniger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, so die Kalkulation: "Uns fehlen damit auch 4,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr, am Ende des Jahrzehnts."

"Keine Denkverbote"

Er zählt die Alternativen auf, die seiner Meinung nach möglich, aber nicht ideal sind: Die Produktivität anderweitig steigern - "ein langer und zäher Prozess" - oder das Rentenalter erhöhen - 2030 werde das Einstiegsalter bereits bei 67 liegen.
Eine weitere Möglichkeit sei, die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften zu erhöhen. Dies müsste aber Hüthers Berechnung zufolge zahlenmäßig auf einem sehr hohen Niveau passieren, um den Mangel an Arbeitskräften auszugleichen.
Deshalb, so der Wirtschaftsexperte , dürfe es "keine Denkverbote" geben und sei es naheliegend, zu schauen, wie es andere Länder in Europa machen, etwa die Schweiz oder Schweden. In der Schweiz sei die Arbeitszeit bereits um zwei Stunden pro Woche verlängert worden, in Schweden um eine Woche - "und die haben sogar eine höhere Lebenserwartung als wir".

Ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Die Gewerkschaften halten wenig von Hüthers Idee - für sie ist es nicht hinnehmbar, die Lasten der demografischen Entwicklung allein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufzubürden. Der IW-Chef sieht das anders: "Wer soll es denn sonst tragen? Es ist ja ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir müssen dann einfach hinnehmen, dass wir weniger haben."
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, hält eine Erhöhung der Arbeitszeit für machbar.© picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Im Übrigen, betont Hüther, spreche er nicht von einer "42-Stunden-Woche", sondern von "zwei Stunden mehr". Letzteres bezieht sich darauf, dass etliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aktuell gar nicht 40 Stunden pro Woche arbeiten.
"Und die zwei Stunden mehr werden natürlich auch bezahlt. Das ist ja klar: Das ist ja nicht irgendeine Einsparmaßnahme, sondern wird zu den gegebenen Löhnen bezahlt." Das wiederum stärke nicht nur die Einkommensgrundlagen aller, sondern "auch die Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft".

"Gibt es überhaupt so viel Arbeit?"

Die Autorin Nora Bossong dagegen hält wenig von diesem Vorschlag. Die Frage sei, "gibt es überhaupt so viel Arbeit, dass 42 Stunden Sinn machen?" Sie beobachtet in Diskussionen eher den Aspekt, dass es mehr bringe, Doppeltätigkeiten abzuschaffen und ökonomischer mit der Zeit zu haushalten.
"Ich erlebe es häufig, wenn ich mit Büros zu tun habe, dass Stunden manchmal auch abgesessen werden, damit man die Stundenzahl voll kriegt, aber die Produktivität überhaupt nicht steigt."
Die Autorin Nora Bossong sitzt in nachdenklicher Pose auf einem Podium.
Mehr Arbeit pro Woche als politische Forderung? Kein attraktives Wahlprogramm, findet die Schriftstellerin Nora Bossong.© picture alliance/dpa | Gerald Matzka
Als Selbstständige tut sich Bossong schwer mit Zeitvorgaben, wie sie der Wirtschaftswissenschaftler vorschlägt. Sicher ließen sich auf diese Weise mehr Lohnstunden anhäufen, so Bossong - "aber es muss eben auch effektiv sein. Wir haben nichts davon, wenn Leute sich den Hintern breit sitzen, aber nicht wirklich etwas bewegen."

Flexibilität ist der Schlüssel zum Wandel in der Arbeitswelt

Gerade jetzt stelle sich die Frage neu, was Arbeit sei und welchem Wandel sie unterliege. Flexibilität sei der Schlüssel dazu, da sie "ganz viele unterschiedliche Lebensrealitäten und auch Vorstellungen davon, wie Work-Life-Balance aussehen kann" vereinen könne.
Auch kann Bossong sich nicht vorstellen, dass eine Partei gerne eine 42-Stunden-Woche in ihr Programm aufnehmen würde: "Es scheint mir nicht so das klassische Wahlkampfthema oder Wahlkampfgeschenk zu sein."
(ckü/mkn)

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