Ist die Comic-Szene ein Machomilieu?
Nicht nur die Oscars, auch den "Grand Prix" der Comic-Welt begleitet eine Geschlechter-Debatte. Denn in diesem Jahr waren zunächst nur Männer für den bedeutendsten Comic-Preis in Europa nominiert. Auf dem Comicfestival im französischen Angoulême beschäftigt nun ein Sexismus-Skandal die Szene.
Mangastar Katsuhiro Otomo, Preisträger von 2015, hatte die Ehre, am Vorabend des Festivals seinen Nachfolger zu küren: Der "Grand Prix" 2016 von Angoulême geht an den belgischen Zeichner Hermann Huppen – ein verdienter Veteran des Genres, dessen Karriere in den 60er-Jahren beim Comicmagazin "Tintin" begann. Doch die Ehrung des belgischen Comic-Künstlers ist überschattet von dem Eklat, den Anfang Januar die erste Longlist der "Grand Prix"-Kandidaten auslöste: 30 Namen, ausschließlich Männer. Charlotte Heymans vom belgischen Comicverlag "Les impressions nouvelles" ist noch immer schockiert.
"Dass den Veranstaltern nicht aufgefallen ist, dass keine Frau nominiert war. Und dass sie überrascht tun, wenn man darauf aufmerksam macht, ist unmöglich. Gerade bei diesem international so wichtigen Festival, wo seit Jahren immer wieder auch über Geschlechtergerechtigkeit diskutiert wird, war diese Liste erstaunlich."
Angesichts des heftigen Streits um die Longlist und nach Boykottdrohungen auch renommierter männlicher Comiczeichner änderte die Festivalleitung in extremis das Verfahren für die "Grand Prix"-Auswahl. Nun dürfen alle Zeichnerinnen und Zeichner, deren Werke in Frankreich verlegt werden, frei für ihre Favoriten stimmen.
Hälfte der Comic-Leser sind Frauen
Der finnische Comicautor Kivi Larmola kommt seit 20 Jahren zum Festival nach Angoulême. Seine "Grand Prix"-Favoritin war die amerikanische Undergroundzeichnerin und Feministin Trina Robbins. Kivi Larmola meint, dass gerade Länder wie die USA oder Frankreich, in denen die Comic-Kunst eine lange Tradition hat, sich schwer tun mit der Anerkennung weiblicher Autoren.
"Dabei gibt es gerade dort viele großartige Comic-Künstlerinnen, die Ehrung verdienen. Dass jetzt über die Preisträgerinnen abgestimmt werden kann, ist wichtig. So können wir etwas ändern. Wir müssen begreifen, dass die Hälfte der Comic-Leser Frauen sind. Gebildete Frauen über 20! Comics sind nicht nur was für dumme kleine Jungs mit Rotznasen."
Festivalleitung versucht zu beschwichtigen
Die Festivalleitung in Angoulême ist jetzt peinlich bemüht, den Sexismus-Skandal um die "Grand Prix"-Nominierungen vergessen zu machen. So betont Festivalchef Franck Bondoux, dass überdurchschnittlich viele Frauen nominiert wurden für die anderen Auszeichnungen des Festivals, die "Fauves" für die besten aktuellen Comic-Produktionen.
"Da sind zehn Bücher von Künstlerinnen im Rennen, was einen Frauenanteil von 25 Prozent bedeutet. Und das, obwohl nur 13 Prozent der Comicautoren weiblich sind. Das Festival will also durchaus Frauen unterstützen. Aber, das ist sehr wichtig: die Autorinnen wurden wegen ihres Talents ausgewählt und nicht weil sie Frauen sind."
Ob sie auch zu den Gewinnerinnen gehören, wird sich am Samstagabend zeigen, bei der Preisverleihung zum Abschluss des Festivals.
Bisher nie gezeigte Originalblätter von Lucky Lukes
Dass Frauen letztlich das stärkere Geschlecht seien, meinte auch Hugo Pratt, der schon lange verstorbene italienische Altmeister des Comics und Schöpfer des legendären Helden Corto Maltese. Pratt und seinem Werk ist eine der großen Ausstellungen gewidmet, die das Festival dieses Jahr präsentiert.
Und noch eine legendäre Comicfigur wird in Angoulême groß gefeiert: Lucky Luke. Denn der coole Cowboy wird dieses Jahr 70 Jahre alt. "L’art de Morris" heisst die Ausstellung im nationalen Comic-Museum. Mit bisher noch nie gezeigten Originalblättern aus dem Nachlass wird nachvollziehbar, wie der Zeichner Maurice De Bevere, genannt Morris, Lucky Luke kreierte und über Jahrzehnte hinweg perfektionierte. Die Ausstellung ist übrigens eine späte Anerkennung des belgischen Zeichners beim Comicfestival von Angoulême. Einen "Grand Prix" hat Morris, der 2001 gestorben ist, dort nie gewonnen. Selbst begabte Männer können also gelegentlich übersehen werden im Herren-Club der Comicwelt.