450. Geburtstag

Sein statt Nichtsein

Das Geburtshaus von William Shakespeare in Stratford-upon-Avon
Geburtshaus William Shakespeare © picture-alliance/ dpa / MAXPPP
Von Gabi Biesinger |
Die britische Kleinstadt Stratford-upon-Avon verdient gut an ihrem berühmtesten Sohn William Shakespeare. Eine von acht Arbeitskräften arbeitet im Shakespeare Business. Auch wer etwas verkaufen will, tut es in seinem Namen und bietet Shakespeare-Kekse, Shakespeare-Schokolade oder Shakespeare-Eis an.
David Gunnell trägt einen eleganten schwarzen Herrenhut, einen schwarzen Mantel, über dem Arm baumelt ein schwarzer Stockschirm. So könnte er gut als Banker in der Londoner City unterwegs sein. Aber David Gunnell verdient sein Geld nicht mit Wertpapieren sondern mit der Vermittlung von Geschichte. An diesem sonnigen Vormittag führt er eine kleine Besuchergruppe durch seinen Heimatort Stratford-upon-Avon und deutet auf eine Brücke über den Fluss:
"Unsere Brücke aus dem 15. Jahrhundert. Wenn Sie romantisch veranlagt sind, können Sie sich vorstellen, wie William Shakespeare damals darüber ging….
Oh, habe ich gerade Shakespeare zum ersten Mal erwähnt? Tut mir leid, aber Sie werden den Namen heute noch öfter hören, er ist ein bisschen dominant in dieser Stadt."
Ein Ehepaar aus Ostlondon, ein pensionierter Fotograf aus der Gegend und ein junger Brasilianer haben sich bei Fremdenführer David Gunnell am Ufer des Avon eingefunden. Cäsar, der Brasilianer, ist dick eingemummelt, trägt Skihandschuhe und Fellmütze:
"Mit dem kühlen Wetter in England fühle ich mich nicht sehr wohl. Aber sonst ist es hier ganz zauberhaft, die Menschen in Stratford sind sehr freundlich und hilfsbereit."
Herkunft des Idols
Cäsar ist Kinderbuchautor. Nach Europa ist er gekommen, um in Italien eine Buchmesse zu besuchen. Vorher wollte er aber unbedingt den Ort kennenlernen, aus dem sein Lieblingsschriftsteller kommt:
"Ich liebe seine Verse, diese Poesie, die in all seinen Stücken steckt. Er ist für mich der größte Schriftsteller überhaupt…"
Die kleine Gruppe hat inzwischen die Hauptstraße erreicht. David Gunnell bleibt neben dem Rathaus vor einer Filiale der Bank HSBC stehen. Er deutet auf das prachtvolle Mosaik über dem Eingang der Bank, das Shakespeares Konterfei zeigt. Und darüber in Stein gemeißelt, ist eine Szene des Kaufmanns von Venedig zu sehen:
"Das ist die Szene, in der der Geldverleiher Shylock von seinem Schuldner ein Pfund Fleisch seines eigenen Körpers verlangt. So werden die Kunden heute nicht im Zweifel darüber gelassen, was ihnen passieren könnte, wenn sie diese Bankfiliale betreten."
Dass Shakespeare in Stratford dominant ist, ist nicht übertrieben. Shakespeare Hotel, Shakespeare Pub, Shakespeare Tea Room. Clive Depper ist im Geburtshaus von Shakespeare für die Organisation der Führungen und Bildungsprogramme zuständig. Das Haus wird Birthplace genannt, auch wenn es nirgendwo einen eindeutigen Beweis gibt, dass Shakespeare dort wirklich geboren wurde, erklärt Clive schmunzelnd.
Stratford wäre nicht, was es ist
Aber es ist einfach sehr wahrscheinlich. Und Clive Depper weiß zu schätzen, was der Barde, wie sie Shakespeare hier gerne nennen, dem Örtchen Stratford beschert. Ohne den Dichter wäre Stratford nicht, was es ist:
"Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber wenn Sie sich Evesham angucken, ein paar Kilometer von hier am Fluss Avon: So verschlafen wäre unser Ort auch, wenn wir Shakespeare nicht hätten. Es ist gar keine Frage, dass er Geld in die Stadt bringt."
Clive Depper ist immer wieder fasziniert, mit welcher Ehrfurcht Besucher aus aller Welt dem Dichter begegnen. Er erinnert sich an eine Chinesin, die ganz alleine in dem Zimmer stand, in dem Shakespeare vermutlich geboren wurde und fragte, ob sie einen chinesischen Segen sprechend dürfe:
"Ja bitte, natürlich. Kurze Zeit später fing sie an zu weinen, ich dachte, sie fühlt sich nicht gut. Aber dann war sie mit dem Gebet fertig, sie verbeugte sich und sagte: Danke, dass die Welt William Shakespeare haben durfte. Da habe ich gespürt, welche Bedeutung das Phänomen Shakespeare für diese Frau gehabt hat."
Gut drei Millionen Besucher strömen jedes Jahr in den 27.000 Einwohner Ort. An trubeligen Sommertagen stehen sich in den kleinen Räumen in Shakespeares Geburtshaus 4000 Menschen gegenseitig auf den Füßen. Das Fenster von Shakespeares Geburtszimmer fiel schon vor langer Zeit den ersten Auswüchsen des Massentourismus und einer cleveren Vermarktungsidee zum Opfer schildert Clive Depper. Die Originalscheibe wurde inzwischen entfernt und in einen Schaukasten im Nachbarzimmer verlagert. Kreuz und quer eingeritzt in das antike Glas findet man hunderte Namen:
"Schon in früheren Jahrhunderten kamen Fans von Shakespeare und besuchten sein Geburtszimmer. In dem Haus wohnte mal eine Mieterin, Mrs. Hornby. Sie ermunterte die Besucher, ihren Namen in das Fenster zu ritzen. Dafür verlieh sie gegen eine kleine Gebühr ihren Diamantring. Das ist zweifellos der Beginn der Tourismusindustrie in Stratford."
Theater im Garten
Durch den gepflegten Garten des Hauses schiebt sich eine Schulklasse nach der anderen. Natascha findet es besonders aufregend mit den Schauspielern, die im Garten unterwegs sind, ein kleines Stück einzuüben. Und am Ende des Vormittags hat sie auch ein Lieblingsstück vom berühmten Shakespeare. Die Elfjährige findet es sehr romantisch, wie Romeo und Julia füreinander sterben:
Martin, Jen und Robert heißen die drei Schauspieler, die in zeitgenössischen Kostümen durch den Garten tollen, mit den Schülern arbeiten oder Besuchern auf Zuruf spontan einen Vers oder eine Szene proklamieren oder ein Liedchen singen:
Selbst ungewöhnliche Stücke, wie Coriolanus hat Martin drauf, auch wenn das eher selten verlangt wird:
Natürlich kann man sich die Frage stellen, wo hört ansprechende historische Bildung auf und wo fängt künstlicher Kitsch im Sinne von Disneyland an? Clive Depper meint, das sei in der Tat eine Gratwanderung:
"Seit fünf Jahren haben wir die Schauspieler im Garten, weil Besucher kritisiert haben, dass sie in keinem der Shakespeare Häuser in der Stadt Shakespeare wirklich erleben konnten. Und in der ursprünglichen Umgebung eine Kostprobe seines Werks zu hören, das ist doch überwältigend."
Gummiente und Shakespeare-Star-Wars
Im Souvenirshop am Ausgang des Geburtshauses gibt es natürlich die dicke Shakespeare-Gesamtausgabe im edlen Einband. Der Bestseller ist allerdings eine gelbe Gummi-Ente für die Badewanne, im Shakespeare-Look, mit Wams und Kragen. Die Ente hat einen eigenen Facebookauftritt und trägt unter den Arm geklemmt den Spruch: To quack or not to quack. Sehr beliebt ist auch gerade ein amerikanisches Buch, das die Science-Fiction-Saga "Star Wars" im Stil von Shakespeare nacherzählt, erklärt Verkäufer Rory Keegan:
"Der Autor kriegt den Stil und die Sprache von Shakespeare ganz gut hin. Wir verkaufen gerade hunderte Exemplare davon."
Geraldine Collinge ist eine der Direktorinnen der Royal Shakespeare Company. Die renommierte Theatertruppe bespielt allein in Stratford drei Theater und ist darüber hinaus viel auf Tournee. Die gelbe Plastikente als Souvenir, das wäre nicht so ihr Ding lacht Geraldine. Aber Shakespeare als Star-Wars-Version auf die Bühne zu bringen, könnte sie sich durchaus vorstellen:
"Wenn ein Regisseur das so umsetzen möchte, warum nicht! Wir haben gerade den Sommernachtstraum bei Google Plus live und online übertragen. Mit Romeo and Julia haben wir weltweit das erste Twitter-Schauspiel aufgeführt. Und wenn einem Regisseur eine Starwars Version vom Sommernachtstraum vorschweben würde, warum nicht. Man soll niemals nie sagen."
Geraldine ist vor allem fasziniert, wie Shakespeare Eingang gefunden hat, ins englische Alltagsleben und die Sprache und wie viele zeitlose Themen er berührte:
"Uns ist oft gar nicht bewusst, welche Begriffe oder Bilder Shakespeare uns geschenkt hat. Wenn man den Sommernachtstraum nimmt, da gibt es Düsteres und Leichtes wie Feen, aber es ist ein schwieriger Text. Es geht um globale Erwärmung und die Umwelt, um Feminismus, Geschlechtsidentität – so viele Fragen, die uns heute noch bewegen."
Die Gefühle des Menschen beschreiben
Wenn man jemanden fragt, ganz gleich ob Engländer, Touristen, Experten oder Bewunderer, dann haben viele eine sehr ähnlich lautende Erklärung, warum Shakespeare fast 400 Jahre nach seinem Tod die Menschen noch so berührt: Weil er die Gefühle und die Natur des Menschen so vielschichtig beschrieben hat. Christine aus Tübingen studiert nicht weit von Stratford an der Uni Warwick und hat mit ihrer Cousine Juliana einen Tagesausflug in die Shakespeare Stadt gemacht. Sie steht am Grab des Barden im Altarraum der Holy-Trinity-Kirche und studiert die Kopie von Shakespeares Sterbeeintrag im Kirchregierter, die dort an der Wand hängt:
Christines Cousin studiert Literatur, hat selber schon in Shakespeare Stücken auf der Bühne mitgespielt und findet – manchmal war er etwas ausschweifend.
In Stratford kann es leicht passieren, dass man in der Hauptstraße plötzlich einer voll ausstaffierten Queen Elizabeth I gegenüber steht. Die Schauspielerin ist von Shakespeare’s Birthplace aus auf dem Weg, um die Kinder in einer Schule zu überraschen, als sie auf das Grüppchen von Fremdenführer David Gunnell stößt. Brasilianer Caesar möchte unbedingt ein Foto zusammen mit der rothaarigen Königin im prächtigen Gewand und der Frisur mit der hohen Stirn. David erzählt derweil vor einer leeren Grünfläche die Geschichte vom "New Place", dem kostspieligen Haus, das Shakespeare sich kaufte als er viel Geld verdient hatte und in dem er auch starb. Aber 150 Jahre nach seinem Tod fiel das Haus dem Ansturm seiner Verehrer zum Opfer. Dem Geistlichen, dem es später gehörte, gingen die Touristenströme auf die Nerven:
"Die Verehrer kletterten über die Mauer, und pflückten sich Äste von dem Maulbeer-Baum, den Shakespeare gepflanzt hatte. Der Besitzer ließ den Baum fällen, verkaufte das Holz. Und der Käufer schnitzte daraus Shakespeare-Souvenirs – allerdings – erstaunlicherweise – viel mehr, als ein einziger Baum wohl hergegeben hätte. Aber die Fans belagerten weiter das Haus. Und als die Stadt dann noch die Steuern erhöhte, ließ der Besitzer es einfach abreißen."
Romeo und Julias Sexshop
Shakespeare Kekse, Schokolade, Eiscreme. Die Eisbude wirbt mit einer Karikatur des Barden – in der einen Hand ein Softeis, in der anderen Hamlets Totenschädel. Das Spielwarengeschäft heißt sinnigerweise: "Much ado about toys" und Geraldine Collinge von der Royal Shakespeare Company erinnert sich sogar noch an eine andere, ganz spezielle, Geschäftsidee:
"Es gab da den Sexshop, der 'Romeo und Julia' hieß. Der hat aber schnell wieder dicht gemacht. Kein Wunder. Ich meine, wussten die wie die Geschichte endet? Wussten die, wie alt die beiden waren?"
Gärtner Philip Griffin hat gerade die Blumenbeete in dem gepflegten kleinen Park am Hafenbecken des Avon geharkt. Jetzt schiebt er eine Schubkarre mit Unkraut zu seinem kleinen Laster. Ihm gehen die Menschenmassen, die am Wochenende durch den kleinen Ort trampeln, und auf den Wiesen lagern, manchmal auf die Nerven:
"Im Sommer verstopfen die Touristenbusse die Stadt. Stratford ist verkehrstechnisch darauf gar nicht darauf eingestellt. Und dann der ganze Müll. Klar kann man sagen, damit verdienen wir schließlich unser Geld, wenn wir hinter den Touristen aufräumen, aber es ist sehr viel Müll. Ich persönlich könnte auf Shakespeare verzichten. Aber ich weiß, die Stadt kann es nicht."
Dass die Einwohner von Stratford durchaus auch einen Preis dafür zahlen müssen, dass sie vom Erbe des Barden profitieren, findet auch Paul Rushdon. Er klettert die Stufen des Ausflugsschiffes Jennifer May hinab. Der Computerexperte hilft manchmal seinem Freund Colin, dem das Boot gehört:
Hass-Liebe mit Shakespeare
"Die meisten Einheimischen empfinden wohl eine Hass-Liebe. An den Wochenenden tummeln sich hier tausende Menschen. Um fünf Uhr nachmittags ist die Stadt ein totales Chaos. Aber ein Fluch ist Shakespeare sicher nicht. Andererseits glaube ich nicht, dass viele von den Leuten, die hierher kommen, Shakespeare wirklich noch leidenschaftlich lesen. Er ist einfach ein Event."
Irgendwann auf dem Stadtrundgang bleibt Fremdenführer David Gunnell mit seiner Gruppe vor einem unscheinbaren Optikergeschäft stehen. Er deutet auf das gepflegte cremefarbene Haus. Auch von diesem Ort aus ging eine Erfolgsgeschichte von Stratford hinaus in alle Welt schmunzelt er. Und ausnahmsweise hat sie mal nichts mit dem Barden zu tun:
In dem cremefarbenen Haus wurde die Fernsehsendung "Teletubbies" geboren. Die drolligen Kinderfiguren aus dem Teletubbieland machten ihre Entwicklerin reich, und finden wie die Verse des Barden aus Stratford Fans in allen Winkeln der Erde. David Gunnell kennt sogar die Namen auf Chinesisch und Russisch.
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