König Lear, Macbeth und das Zelluloid
Orson Welles, Leonardo DiCaprio, die Simpsons: Die Stoffe des englischen Dramatikers William Shakespeare haben das Medium Film von Anfang an geprägt, sagt der Düsseldorfer Anglist Friedrich Unterweg. Nicht zu letzt, weil sein Werk bis heute aktuelle Themen behandelt.
Dieter Kassel: Patrick Wellinski hat diese Ausschnitte aus sechs Shakespeare-Verfilmungen aus ungefähr 80 Jahren zusammengestellt. Das sind sechs aus ja so in etwa 400 bis 500, je nach Zählweise. Und da sind die Filme, die sich mit der Figur Shakespeare beschäftigen und die Fernsehsendungen, in denen er irgendwie auftaucht, noch gar nicht mitgezählt. Shakespeares bevorstehenden 450. Geburtstag nehmen wir deshalb zum Anlass, um über seine Wirkung auf den Film zu reden, mit Friedrich Unterweg, er ist Anglist an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, wo er seinen Studenten immer wieder Shakespeare auch sehr räumlich nahebringt, fährt gerne in die überfüllteste Kleinstadt Englands, nach Stratford-upon-Avon, und zeigt immer wieder auch Ausschnitte oder ganze Stücke aus den Verfilmungen von Shakespeare. Deshalb wollen wir mit ihm jetzt gerne reden. Einen schönen guten Tag, Herr Unterweg!
Friedrich Unterweg: Guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Der älteste Ausschnitt, den wir gerade gehört haben, das war in dem Falle auch der erste, ansonsten war es nicht unbedingt chronologisch, das war ein Ausschnitt aus dem Jahr 1935, "Ein Mittsommernachtstraum" von Max Reinhardt und William Dietrle. Waren denn Shakespeare-Verfilmungen also quasi von Anfang an ein Teil der Filmgeschichte, begann diese Liebe schon so früh?
Stoffe, die den Materialhunger des neuen Mediums stillen
Unterweg: Ja, das kann man wohl sagen. Ich glaube, die ersten Annäherungsversuche oder, wenn man so will, zarte Bande hat es mit den Anfängen des Mediums gegeben, obwohl man in den ersten Jahren dann nicht wirklich von Verfilmungen sprechen kann, vielmehr hat es so kleine Theaterszenen, Rolleninterpretationen oder so pantomimische Aktionen auf Zelluloid gegeben, die meist kaum länger als drei Minuten waren. Das war so der Materialhunger des neuen Mediums, der damit dann gestillt wurde.
Aus dieser Zeit haben wir so etwa 50 Filme, die von Shakespeare inspiriert sind, aber nicht wirklich Werkverfilmungen sind. Und dann haben wir den Stummfilm, als er länger wurde, und da zeichnet sich dann ab, dass vor allen Dingen Deutschland erst mal eine Rolle spielt, während sich USA, Frankreich und England etwas zurückziehen von den Verfilmungen. Und wir haben eine frühe "Hamlet"-Bearbeitung von 1921, und da spielt Asta Nielsen die Hauptrolle, tatsächlich als Frau, wie Horatio dann am Ende erkennt. Und dieser Film, den Asta Nielsen auch produziert hat, war in Deutschland ein Gassenschlager und selbst später in Amerika erfolgreich. Auch der basiert allerdings mehr auf einer dänischen Sage als wirklich auf Shakespeares Tragödie.
Kassel: Man kann also nicht sagen, das war ein Verdacht, den ich ursprünglich hatte, dass die frühen Filme – wir reden jetzt von den Langfilmen, nicht von denen davor, die Sie schon erwähnt haben –, dass die frühen Filme doch eher abgefilmtes Theater waren und erst später haben sich Interpretationen entwickelt, das kann man so also gar nicht sagen?
Unterweg: Doch. Also die ersten, die ganz frühen Filme waren eben nur einzelne Szenen. Aber dann begann, tatsächlich auch initiiert durch namhafte Schauspieler, begann man, Theateraufführungen zu verfilmen. Bekannte Beispiele sind John Gielgud in den 60ern, ich glaube, 1964 mit seinem "Hamlet"-Film, in dem Richard Burton dann die Hauptrolle spielt, oder ein "Othello"-Film mit Laurence Olivier. Olivier und Gielgud waren beide berühmte englische Schauspieler und haben sich zum Teil selbst inszeniert. In den Filmen ist es dann noch so, dass man sich sklavisch an die Szenenabfolge in den Stücken hält und nur Bühnenschauspieler einsetzt, die eben sprachlich besonders geschult waren und schon durch die Bühne bekannt waren. Das wandelt sich dann erst später, so etwa mit Orson Welles in seinem "Julius Caesar", wo dann Marlon Brando zum Beispiel als Mark Anton zu sehen ist. Und hier werden dann zum ersten Mal die ganzen neuen Möglichkeiten des Films wirklich genutzt im Hinblick auf Kameraführung, Akustik, um zum Beispiel diese berühmten Forumsszenen spannend, realistisch zu gestalten und dann auch diesen Stimmungsumschwung des Volkes wirklich gut einzufangen.
Shakespeare verspricht großes Kino-Publikum
Kassel: Sie haben erwähnt, es gab eine Zeit, da war es vor allen Dingen der deutsche Film, der sich mit Shakespeare beschäftigt hat. Insgesamt gesehen hat sich aber auch Hollywood immer wieder für diese Stoffe interessiert und tut es bis heute. Haben Sie da eine Erklärung dafür, warum auch diese große Unterhaltungsfilmindustrie immer wieder so großes Interesse an Shakespeare hatte?
Unterweg: Ich denke, das liegt vor allen Dingen daran, dass Shakespeares Dramen so eine enorme Materialfülle bieten. Die sind in vieler Hinsicht zeitlos, ja, man kann so sagen, dem wahren Leben abgeschaut. Wenn wir zum Beispiel nur an die tragische Liebe eines jungen Paares denken, wie wir sie in "Romeo und Julia" finden, dieses Thema spricht ja auch heute noch Jugendliche an, das hat zum Beispiel die Baz-Luhrmann-Verfilmung von 1996 mit den Teenie-Stars DiCaprio und Claire Danes wirklich eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Meines Wissens ist das kommerziell gesehen die bislang erfolgreichste Verfilmung Shakespeares.
Und zum anderen sind Shakespeares Dramen natürlich Weltliteratur und liegen in zahlreichen Übersetzungen vor, wodurch den Filmproduzenten von vornherein ein großes Publikum gewiss ist. Und zudem haben viele Werke heute noch einen klaren Bezug zur aktuellen Zeitgeschichte. Wenn wir nur mal an die Frage der guten und schlechten Herrscher denken, die ja immer noch aktuell ist, die hat Shakespeare ja mehrfach behandelt in "Richard II.", "Richard III.", "Julius Caesar", "King Lear" und natürlich "Heinrich V." Gleiches gilt für Aspekte wie krankhafter Ehrgeiz, Korruption, Machtbesessenheit oder Vorurteile, die wir beispielsweise in "Macbeth", "Hamlet" und "Othello" finden.
Kassel: Es sind natürlich oft, nicht immer allerdings, aber oft die großen, bekannten Stücke, die auch auf den Theaterbühnen am häufigsten zu sehen sind. Aber wenn wir an eine noch relativ aktuelle – drei, vier Jahre jetzt her, 2010 – Shakespeare-Verfilmung denken, "Der Sturm", "The Tempest" mit Hellen Mirren, wenn ich mich daran erinnere: Das war nun so ein Fall, wo man sagen kann, da ging es nicht um Werktreue, da ging es nicht um Shakespeare einfach noch mal vermarkten, das war für mich doch eine relativ neue Interpretation.
Unterweg: Ja, das war es ganz sicherlich. Einmal schon durch die Besetzung der traditionell männlichen Figur Prospero durch Prospera, eben Hellen Mirren, und die Aufnahme dieser ganzen postkolonialen Thematik war das sicher eine herausragende Verfilmung. Wenn man sich überlegt, was ist eine gelungene Shakespeare-Verfilmung, dann ist das schwer zu beantworten. Aber ich denke, wenn Filmemacher, Regisseure Shakespeares Werke als Fundus sehen, als Quellen, aus denen sie schöpfen können, dann sind sie auf dem richtigen Weg. Im Grunde hat Shakespeare das nicht anders gemacht: Er hat die interessanten Sachen seiner Quellen geschickt verarbeitet. Und ich glaube, in dem Moment, wo man sagt, ich will sein Werk werktreu abfilmen, dann ist man wieder im Theater und dann sollte man eigentlich auch ins Theater gehen.
Ein Kinnhaken für den Dichter
Kassel: Wir reden heute Vormittag hier am Ostersonntag im Deutschlandradio Kultur mit dem Anglisten und Shakespeare-Experten Friedrich Unterweg über die Wirkung, die Shakespeare bis heute aufs Kino hat. Nun gibt es aber, wenn wir über wichtige Bildmedien reden, Herr Unterweg, natürlich nicht nur das Kino, sondern vor allem auch seit Jahrzehnten das Fernsehen. Taucht Shakespeare da auch in irgendeiner Form auf?
Unterweg: Ja, Shakespeare taucht tatsächlich im Fernsehen häufiger auf. Ich glaube, in Deutschland eines der bekanntesten Beispiele, auch wenn es vielleicht bei manchen untergeht, sind die "Simpsons"-Filme, die immer wieder auf Shakespeare Bezug nehmen. Shakespeare taucht als Figur auf, Shakespeare steht als Werkausgabe im Regal. Und es gibt diese herrliche Szene, wo Homer Simpson Bart auffordert, ihn zu rächen, als er "Hamlet" inszeniert und Mo dann der König ist. Das ist sehr, sehr witzig gemacht und gibt eine schöne Idee davon, was man mit diesem Stoff alles machen kann.
Kassel: "Simpsons", in Deutschland ein großer Renner. Es gibt ja noch eine Comedy-Serie, eine sehr ausführliche, ganz viele Staffeln, "Blackadder", in Deutschland mittelbekannt, in den englischsprachigen Ländern ein Riesenrenner. Ich habe mich kaum dran erinnert, aber da taucht er auch auf, ne?
Unterweg: Genau, da taucht Shakespeare auf, als Blackadder mal wieder auf einer seiner Zeitreisen ist. Da prallt er buchstäblich mit Shakespeare zusammen, der dann von Colin Firth dargestellt wird. Und in dieser Szene bittet er dann ganz dreist Shakespeare um ein Autogramm. Shakespeare ist etwas irritiert, dass er einen Kugelschreiber bekommt, und kaum hat er unterschrieben, verpasst ihm Blackadder dann einen schweren Kinnhaken als Bestrafung dafür, dass sich seit ungefähr 400 Jahren arme Schüler mit den seiner Meinung nach wenig komischen Stücken von Shakespeare herumplagen müssen.
Kassel: Damit haben wir, Herr Unterweg, hier einen kleinen Themenwechsel jetzt vollzogen. Wir haben am Anfang gesprochen über die Werke Shakespeares und wie sie direkt oder indirekt in Filmen verarbeitet wurden. Jetzt sind wir bei der Figur – und das gibt es ja nicht nur im Fernsehen. Es gibt ja auch Kinofilme, da geht es eigentlich nicht um die Stücke, sondern diese ja auch bis heute in einigen Teilen nicht ganz durcherforschte Figur William Shakespeare.
Spekulationen über die Verfasserfrage
Unterweg: Ja. Thematisch setzt sich damit natürlich in jüngster Zeit auseinander Roland Emmerich mit seinem "Anonymous"-Film, zuvor ist die Figur stärker beleuchtet worden in dem Film "Shakespeare in Love", der ja ein Riesenerfolg war. Ich meine, der hätte sieben Oscars bekommen. Der hat wesentlich mehr Anklang weltweit gefunden als "Anonymous". Es spekuliert mit der Verfasserschaftsfrage, dass also Shakespeare als jemand, der nicht aus einer gehobenen Schicht kam, wenig Schulbildung hatte, diese berühmten Stücke nicht hätte schreiben können, sondern dass das jemand mit höherer Bildung gewesen sein müsste. Und Emmerich verfolgt hier die Idee, dass Edward de Vere, ein Adeliger und zeitweiliger Liebhaber der Königin, die Stücke geschrieben hat. Da es sich für einen Adeligen aber nicht gehörte, so etwas Unterhaltsames zu verfassen, hat er sich dann jemand gesucht, unter dessen Namen die Stücke dann aufgeführt wurden.
Kassel: Aber ich habe doch insgesamt das Gefühl: Klar, "Anonymous" und "Shakespeare in Love" sind sehr prominente Beispiele für Filme über die Figur Shakespeare, aber dass, wenn man bedenkt, wie berühmt er ist, diese vielen Fragen rund um seine Persönlichkeit die Filmemacher doch ein bisschen weniger beschäftigt zu haben scheinen als seine Werke.
Unterweg: Ja, das, danke ich, liegt daran, dass ja vieles darin Spekulation ist. Zum Beispiel "Shakespeare in Love" basiert darauf, dass wir sogenannte dunkle Jahre oder verlorene Jahre in Shakespeares Biografie haben, die er dann sehr schön fantasievoll füllt. Der andere Punkt ist, dass bei den englischen Shakespeare-Spezialisten diese Frage der Verfasserschaft eigentlich eher sekundär ist. Man braucht auch einen entsprechenden Hintergrund, um das überhaupt verstehen zu können. Das war, glaube ich, der Grund, weshalb "Anonymous" in Deutschland nur ganz kurz gelaufen ist, weil die meisten mit dieser Thematik gar nichts anfangen konnten. Die wird ja hier nicht intensiv diskutiert.
Kassel: Der Anglist und Shakespeare-Experte Friedrich Unterweg von der Universität Düsseldorf war das über die große Bedeutung, die William Shakespeare in der Filmgeschichte von Anfang an hatte und bis heute hat. Herr Unterweg, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Unterweg: Ich danke Ihnen, Herr Kassel, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.