Balsam für die ostdeutsche Seele
Der 1. FC Magdeburg - 1965 gegründet - gehörte zu den Top Five des DDR-Fußballs, war regelmäßig in den europäischen Wettbewerben vertreten. Nach dem Mauerfall stürzte er in die unteren Ligen. Doch seit dem Sommer herrscht in Magdeburg Euphorie: Ein Aufstieg in die 2. Liga scheint möglich.
(Ausschnitt aus der Reportage zum Europacup-Finale 1974)
Hier wird nicht irgendein Tor gefeiert. Sondern das Siegtor von Paul "Paule" Seguin im Europacup-Finale 1974 gegen keinen Geringeren als den AC Mailand, bei dem Gianni Rivera und Karl-Heinz Schnellinger spielten, die von dem damals noch jungen Giovanni Trapattoni trainiert wurden.
Der Europacup-Sieg: bis heute ein sensationeller Erfolg, denn das Team trat nur mit Spielern aus dem früheren Bezirk Magdeburg an, also dem nördlichen Teil Sachsen-Anhalts. Trainiert wurde die Mannschaft von dem mittlerweile verstorbenen Heinz Krügel, den damals auch Vereine aus der Bundesrepublik gerne engagiert hätten.
"Diese Leistung meinerseits – ich bilde mir darauf was ein – weil was geschafft habe, was ich früher als Jugendlicher erträumt habe. Denn ganz Magdeburg wurde nicht durchs Thälmannwerk bekannt, sondern durch den Fußball des 1. FC Magdeburg."
Dessen offene Art war so manchem SED-Funktionär jedoch ein Dorn im Auge, weshalb er zwei Jahre nach dem Europapokalsieg ein lebenslanges Berufsverbot erhielt. Erst nach dem Mauerfall wurde Heinz Krügel rehabilitiert. Zu Saisonbeginn haben ihm Magdeburger Fans auf dem Stadionvorplatz ein Bronze-Denkmal errichten. Bezahlt wurde es mit sogenannten Krügel-Aktien, die man zu einem Preis von knapp 20 Euro erwerben konnte.
Am 22. Dezember 1965 wurde der 1. FC Magdeburg im früheren Kulturhaus "Ernst Thälmann" gegründet, initiiert von der Führungsetage des DDR-Sportbundes, dem DTSB und dem ostdeutschen Fußballverband. Die Idee war es, den DDR-Fußball internationaler und wettbewerbsfähiger zu machen, weshalb man Vereine wie Lokomotive Leipzig, BFC Dynamo oder eben Magdeburg aus der Taufe hob.
"In den 50er Jahren war dieser Verein bei Motor Magdeburg-Mitte organisiert, später beim SC Aufbau Magdeburg und wir sind 1965 als erster Fußball-Club der DDR gegründet worden. Und unsere Vereinsfarben sind Blau-Weiß",
so Reinhard Lehmann in einem Interview des DDR-Rundfunks. Er war der Club-Präsident in den Wende-Jahren. Der 1. FC Magdeburg gehörte zu den Top Five des DDR-Fußballs, war regelmäßig in den europäischen Wettbewerben vertreten. Bayern München, Arsenal London, Barcelona, Turin oder PSV Eindhoven sie alle waren Gast im früheren Ernst-Grube-Stadion.
"Das haben uns wenige zugetraut"
Nach dem Mauerfall kam der Absturz. Die Mannschaft zerfiel, wichtige Spieler verließen den Verein in Richtung Westen. Goalgetter und Rekordauswahlspieler Joachim Streich beispielsweise ging gemeinsam mit Dirk Schuster – heute Trainer des Bundesligisten Darmstadt 98 – nach Braunschweig.
Lange dümpelten die Blau-Weißen in den unteren Ligen, man spielte gegen Meuselwitz, Plauen oder Neustrelitz. Doch seit dem Aufstieg in die 3. Liga im Früh-Sommer dieses Jahres herrscht in Magdeburg eine riesige Euphorie. Das Team ist drauf und dran sich als Aufstiegskandidat für die 2. Liga zu mausern. Balsam für die ostdeutsche Börde-Seele.
Jens Härtel: "Wir haben ein unglaubliches Jahr erlebt",
unterstreicht der Vater des Erfolgs, der 46-jährige Trainer Jens Härtel. Zusammen mit dem jetzigen Augsburger Trainer Markus Weinzierl oder Roger Schmidt - Bayer Leverkusen – hat er 2011 die Fußball-Lizenz erworben.
"In dieser Liga sind wir gut angekommen, haben noch nie mit zwei Toren Unterschied verloren, die Spiele waren alle knapp. Das wir das so geschaffen haben, das haben uns wenige zugetraut und die Atmosphäre hilft uns natürlich. Diese Stadt, die lebt Fußball, die liebt Fußball. Und da macht es im Erfolgsfall sensationellen Spaß hier Teil dieser Geschichte zu sein."
3300 zahlende Mitglieder hat der Verein. Im Durchschnitt kommen knapp 18.000 in die 27.000 Zuschauer fassende und mit einer Rasenheizung ausgestatte Fußball-Arena. Aber von Europapokal-Abenden wagt nicht mal der kühnste Fan zu sprechen. Denn, so ehrlich muss man sein, wirklich wirtschaftlich konkurrenzfähig - ohne Großsponsor, mit derzeit über 50 Klein-Sponsoren - ist der 1. FC Magdeburg derzeit nicht.