50 Jahre danach: vom Kombinat Schwarze Pumpe zum Industriepark

Von Viola Simank |
Der erste Spatenstich zur Gründung des Energiekombinats Schwarze Pumpe erfolgte am 31. August 1955. Vor den Toren Hoyerswerdas entstand damit eines der spektakulärsten Industrieprojekte der DDR. In den produktivsten Zeiten lebten und arbeiteten dort 16.000 Menschen. Nach 1990 überlebte der Standort als "Industriepark", auf dem sich neben dem modernen neuen Kraftwerk mehr als 80 Firmen angesiedelt haben. Das einstige "Haus der Berg- und Energiearbeiter" ist zur "Lausitzhalle" geworden und heute wieder das kulturelle Zentrum in Hoyerswerda.
Seit fast 40 Jahren spielt Dieter Tannhäuser im Blasorchester von Schwarze Pumpe Trompete. Der 56-Jährige ist Betriebsingenieur und kam Ende der 60er Jahre in das Kombinat. Das Werksorchester von damals gibt es heute noch – nur heißt es nun "Orchester Lausitzer Braunkohle". Es ist Dienstagabend und damit Probenzeit für die etwa 50 Musiker.

Dirigent: "Aus den blauen Mappen die 65 zum Einblasen, die "Rauschenden Wälder""

Dieter Tannhäuser: "Nach der Wende wurden wir vom Betrieb auch erst mal weiter unterstützt. Aber es gab immer so Ansätze, na ja, wir können es uns nicht mehr leisten, und wie machen wir das. Wir haben erst einmal weiter geprobt auch, bis wir dann dazu gekommen sind, das es dann zur eigenen Vereinsgründung kam, das heißt wir wurden als eingetragener Verein geführt aber weiterhin mit Unterstützung des Betriebes. Und die wurde uns immer wieder versichert und bis zum jetzigen Zeitpunkt aufrechterhalten."

Das Energie-Unternehmen Vattenvall, das das neue Kraftwerk in Schwarze Pumpe betreibt, hat damit - wenn man so willl – die kulturelle Nachfolge des Kombinates angetreten und unterstützt das ambitionierte Amateur-Orchester finanziell. Viele der Musiker sind wie Tannhäuser schon seit Jahrzehnten mit dabei und wie er im Vorruhestand. Doch das Schicksal des Standorts Schwarze Pumpe beschäftigt sie noch immer:

Dieter Tannhäuser: "Mit Schwarze Pumpe ist eigentlich die gesamte Region hier verbunden gewesen. Das hat sich zwar nach der Wende ein bisschen geändert, weil ja sehr viel in Pumpe zugemacht worden ist, d. h. das Kraftwerk wurde zugemacht, das Gaswerk wurde zugemacht, die Kokerei wurde zugemacht. Es sind eben Tatsachen geschaffen worden, und an denen muss man sich eben orientieren. Mit dem gesamten Arbeitskräfteabbau ging es ja los und das war ne schwierige Phase eigentlich, so dass man eigentlich froh sein muss, dass am Ende noch was übrig geblieben ist."

Geblieben sind 3500 von ehemals fast 15.000 Beschäftigten, von denen ein großer Teil in den Vorruhestand geschickt wurde. Die drei alten Kraftwerke sind abgerissen worden, ebenso zwei von drei Brikettfabriken, das Gaswerk hat sich zum Abfall-Verwertungszentrum gewandelt. Aus dem einen großen Kombinat sind so durch Privatisierung und Ausgründungen etwa 80 kleine und mittelständische Betriebe geworden: Der Standort Schwarze Pumpe hat sich zum modernen Industriepark rund um den Bergbau entwickelt. Hier gibt es Arbeit für Ingenieurbüros, Maschinen-Werkstätten, Entsorgungsfirmen, Labore und Logistikunternehmen.

Zu denen zählt auch die Transport- und Speditionsgesellschaft TSS – es ist die ehemalige Fahrbereitschaft des Gaskombinats Schwarze Pumpe.

Fred Beckmann: "Mein Name ist Fred Beckmann. Ich bin eingesetzt hier als Sicherheitsingenieur für diese Firma, bin im ehemaligen Gaskombinat seit 1978. Früher war es mehr innerbetrieblicher Transport gewesen, da waren die festen Aufgaben da. Jetzt sind auch die Aufgaben da, aber um die muss man kämpfen und nicht nur für diesen Standort sondern Republikoffen, damit die Räder rollen die auf dem Hof stehen."

Der 52-Jährige hat als Kfz-Schlosser in Schwarze Pumpe angefangen, schließlich Verkehrsingenieurwesen studiert und am Ende unter anderem Kraneinsätze logistisch betreut.

Fred Beckmann: "Es ist anspruchsvoller geworden, auf jeden Fall. Und man merkt mehr, das was man vorbereitet, plant. Also man hat selber mehr Einfluss drauf, wie es gemacht wird und man ist natürlich bestrebt, das so gut als möglich zu machen. Und dann kommt dann eben so ne Gefühle eben auf, das man stolz ist auf die Arbeit und das ist eigentlich das wichtigste. Die Aufgaben sind verantwortungsvoller geworden und man muss sich dieser Verantwortung stellen."

Sein Chef, Gerd Nowak, leitet seit 1992 die TSS, die hauptsächlich Transporte für das Kraftwerk und die Brikettfabrik übernimmt: Pro Jahr bewegen die 130 Mitarbeiter rund 250.000 Tonnen Braunkohlenstaub. Zwölf Leute hat Nowak im vergangenen Jahr neu eingestellt - das Unternehmen steht gut da.

Gerd Nowak: "Die Wende hat uns natürlich sehr viel gebracht. Und wenn andere sagen, die sind traurig, dass hier alles abgerissen worden ist, dann sage ich, ich bin zufrieden. Nicht weil das Werk abgerissen ist, aber wenn es stillgelegt wird, dann soll man es auch abreißen, dann soll man keine Industriebrachen hier stehen lassen. Denn wenn was stehen bleibt, verrottet es. Erst mal haben wir gewusst, dass da nicht viel Geld mit zu verdienen war. Zu DDR-Zeiten ja, da gab’s Devisen dafür, aber hinterher doch nicht mehr. Das hört sich alles ein bisschen kalt an, aber – mittlerweile hab ich's gelernt, dieses Kosten-Nutzen-Denken – das wär' nie was geworden. Natürlich ist es tragisch, wenn da Leute ihr Leben lang darin gearbeitet haben und die Fabrik wird abgerissen, aber das ist das Leben."

In Schwarze Pumpe war das zu DDR-Zeiten gut organisiert. Auf dem vier Mal drei Kilometer großen Gelände gab es neben den Industrieanlagen auch eine Fleischerei, eine Getränkeproduktion, eine große Poliklinik mit Bettenhaus und natürlich mehrere Großküchen – 15.000 Leute mussten schließlich im 3-Schicht-System versorgt werden. Neben dem leiblichen Wohl sorgte das Kombinat jedoch auch für die kulturelle Betreuung seiner Belegschaft.

Das Werksblasorchester beispielsweise wurde schon 1959 gegründet, vier Jahre nach der Grundsteinlegung des Kombinats. Die Musiker wurden für Proben oder Konzerte von der Arbeit freigestellt, der Dirigent war hauptamtlich im Kombinat beschäftigt, erinnert sich Hornist Helmut Scheibe. Auch er spielt seit mehr als 30 Jahren im Orchester:

Helmut Scheibe: "Wir waren als Orchester ja nicht allein für Kultur verantwortlich, Schwarze Pumpe hatte zum Beispiel auch ein sehr bekanntes Kabarett, die Hornissen. Es gab dort Artistengruppen, es gab Tanzgruppen, es gab ein Fanfarenzug, es gab wirklich eine ganze Reihe von Kulturgruppen, die man dort gefördert und unterstützt hat und die am Ende auch für das Unternehmen das Renommee aufgebessert haben."

Das Orchester ist jedoch das einzige Ensemble, das es immer noch gibt. Mit modernerem Repertoire und viel Enthusiasmus hat es die Veränderungen überstanden. Und so proben Helmut Scheibe und seine Kollegen immer noch in den Räumen der Lausitzhalle in Hoyerswerda – auch sie ein Überbleibsel des alten Gaskombinates. Vor gut 20 Jahren wurde sie als "Haus der Berg und Energiearbeiter" gebaut und komplett vom Kombinat finanziert. Seit der Eröffnung 1984 leitet Michael Renner das Haus, erst als Abteilungsleiter Veranstaltungen, heute als Geschäftsführer.

Michael Renner: "Wir haben ja hier einen regelrechten Ansturm erlebt, wir waren ja nicht nur ein Kulturhaus schlechthin, sondern für damalige Zeiten modern. Und es haben einfach Dinge stattgefunden, die vorher gar nicht hier möglich waren, also für Ballett-Aufführungen hatten wir einfach keinen Saal dafür oder die Unterhaltungsproduktionen. Die Bevölkerung hat es sehr gut angenommen, und wir sind ja hier immer Anhänger von Abkürzungen, wenn Sie heute einen älteren Hoyerswerdarer fragen, ja Lausitzhalle, weiß ich, aber eigentlich sagen alle noch HBE, das heißt "Haus der Berg und Energiearbeiter", das ist halt irgendwo drin, ist für mich aber auch ein Signal, das es angenommen wird, dass es so verwurzelt ist die Bezeichnung, ein Zeichen, das es angenommen wird."

Vieles hat sich inzwischen geändert – doch der Pausengong spielt noch immer das Glück-Auf Motiv des Steigerliedes, einer alten Bergmannsweise. Gut 800 Besucher haben im großen Saal Platz – das Haus ist das kulturelle Zentrum der Region geblieben. Natürlich gehört es heute nicht mehr zu Schwarze Pumpe - 1992 ist es ausgegründet worden und seitdem eine GmbH. Von den ehemals 125 Mitarbeitern gibt es noch zwölf.

Michael Renner: "Was kontinuierlich fortgesetzt werden konnte, ist die Theaterbespielung und die Bespielung mit Konzerten, Sinfoniekonzerten. Nach wie vor natürlich die Unterhaltung, also Schlager, Volksmusik. Was hinzugekommen ist, weil das war in der DDR nicht entwickelt, dieser Tagungsmarkt. Wir haben hier mit dem Kongresshotel gleich nebenan dafür gute Bedingungen."

Auch hier wird das 50-jährige Jubiläum von Schwarze Pumpe mit Ausstellungen und verschiedenen Veranstaltungen gefeiert. All das hat unter anderem der Traditionsverein "Glück auf Schwarze Pumpe" organisiert – ein Verein, der die Geschichte des Standortes lebendig halten will. Die etwa 100 Mitglieder, ehemalige Beschäftigte von Schwarze Pumpe, wollen jedoch auch seine künftige Entwicklung begleiten und fördern, sagt Vereinsmitglied Karl-Heinz Markgraf:

"Was passiert in SP in den nächsten Jahren. Das ist eigentlich meins, worüber ich nachdenke. Und manche die ein bisschen älter sind und schon 1991 nach Hause gegangen sind, weil sie das Alter erreicht haben oder aus anderen Gründen, die denken natürlich auch ein bisschen anders, die denken eben die 80er Jahre waren die besten. Ich hab aber die Besten, hab ich erlebt, 14 aktive Jahre von 1990 an, und das ist eigentlich mein richtiges Berufsleben geworden dann, ohne das ich das andere wegwerfe, sondern die Erinnerung sind schon stark."

Seit drei Jahren ist der 58-Jährige im Vorruhestand. Ab und an kehrt er noch an seinen alten Arbeitsort in Schwarze Pumpe zurück, sei es, um alte Kollegen zu treffen oder Veranstaltungen des Vereins zu organisieren.

Zurzeit werden gerade die alten Betonstraßen saniert – nach 50 Jahren Dauerbelastung durch schwere Transporte dringend notwendig. Wenn Markgraf durch das Gelände fährt, vorbei an den alten und neuen Gebäuden sowie den Brachflächen, erinnert er sich noch gut, wie er hier so manchen Abriss organisiert hat. Denn der Ingenieur hat nach der Wende den Rückbau der Altanlagen geleitet:

Karl-Heinz Markgraf: "Über die Jahre habe ich das natürlich hautnah erlebt. Ich hab', beginnend mit dem Zurückfahren der Anlage, die Kündigungsgespräche fast alle selbst gemacht mit dem Betriebsrat zusammen und den Institutionen. Da ging einem das schon unter die Haut, wenn es sich um Personen handelte, die aus der Sozialauswahl gehen mussten, weil das meistens die guten Leute waren, im mittleren Alter und dann hat die die Sozialauswahl getroffen. Manche haben natürlich auch gesagt, ich könnte noch bis 65 meine ganze Kraft einsetzen und jetzt schmeißen sie mich raus – die Worte sind ja auch deutlich gefallen. "

Trotz allem – es ist ein Standort mit Zukunft, findet Markgraf und nicht nur er. Die Bedingungen für eine Industrieansiedlung seien gut: Wasser, Abwasser, Strom, Dampf, ein Schienennetz, alles ist vorhanden. Nur die Anbindung an die Autobahn bleibt das Sorgenkind – sie ist eine knappe Autostunde von Schwarze Pumpe entfernt. Dafür aber gibt es seit der Wende noch eine Besonderheit: Die Landesgrenze zwischen Sachsen und Brandenburg geht mitten durch den Industriepark:

Karl-Heinz Markgraf: "In den ersten Jahren hatte es schon Probleme. Die Bergämter, der Standort unterliegt ja der Bergaufsicht, die haben sich auch neu etabliert in Brandenburg und Sachsen, und mancher Rückbau, mancher Behälter, da ging die Landesgrenze durch. Und da wurde in der ersten Zeit, ehe wir uns zusammengerauft haben, wurde das eine Genehmigungsverfahren in Brandenburg bestätigt und das andere in Sachsen. Wir mussten also nach Sachsen einreichen und nach Brandenburg einreichen. "

Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Und so mancher Betrieb nutzt jetzt sogar bewusst die Wahlmöglichkeit, sich im brandenburgischen oder sächsischen Teil niederzulassen – schließlich haben beide Länder eine unterschiedliche Wirtschaftsförderpolitik. Die Gemeinde Schwarze Pumpe, die liegt auf jeden Fall in Brandenburg. Ihr Name - so die Legende - hat übrigens überhaupt nichts mit Kohle zu tun - , sagt Markgraf:

Im 17. Jahrhundert sind die Schweden durchs Land gezogen und die Leute hatten dann mittlerweile durch Räubern und Plündern die Faxen dicke und da war ein ganz schlauer, der hat sich was einfallen lassen und hat einfach an der Heeresstraße, wo die sich immer verlustiert haben, hat der einfach eine Pumpe aufgestellt, also ein Wasserloch mit einer Pumpe und die wurde schwarz angestrichen. Und das hieß zu dem Zeitpunkt, dass die Pest umgeht. Und nachdem man das gesehen hat, hat man einen Riesenbogen darum gemacht, um diesen Ortsteil und später wurde dann der Name Schwarze Pumpe für den Ort aus dieser Historie gewählt.
Die Schweden sind trotzdem wieder gekommen - wenn auch ein paar Jahrhunderte später und in friedlicher Absicht: Der schwedische Konzern Vattenfall betreibt schließlich das neue Kraftwerk und sichert dem Standort das Überleben.

Gut 160 Meter ragt der Energie-Klotz in die Höhe, seine aluminiumbeschichtete Außenhaut glänzt in der Sonne und aus den beiden großen Kühltürmen steigt still und weiß der Wasserdampf. Zwölf Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebau Welzow wandeln die Turbinen des Kraftwerks, das zu den modernsten Europas zählt, jedes Jahr zu Strom. Seine riesigen Hallen scheinen fast menschenleer – denn nur gut 20 Leute halten in einer Schicht die Anlagen in Gang. Insgesamt hat das Werk mehr als 300 Beschäftigte.

Auf dem 161 Meter hohen Kraftswerksturm, der auch für Besucher geöffnet ist, hat man den besten Überblick über das Gelände. Die letzten Meter allerdings geht es nur zu Fuß – auch für Kraftwerkschef Norbert Schulze:

"Sie stehen jetzt auf dem höchsten begehbaren Aussichtspunkt von Brandenburg, dem Aussichtsturm auf dem Kraftwerk Schwarze Pumpe und Sie können hier auf das gesamte Industriegelände Schwarze Pumpe / Spremberg schauen. Ganz markant sind zwei Punkte, das sind einmal die Brikettierung, die Veredlung, hier wird Kohle veredelt zu Briketts, Brennstaub und Wirbelschichtkohle und Sie sehen die neuansässige Papierindustrie, die Papierfabrik Hamburger."

Im vergangenen Jahr wurde für sie der Grundstein gelegt, jetzt läuft der Probebetrieb – neben dem Kraftwerk ist sie die größte Neuansiedlung in Schwarze Pumpe und gibt Hoffnung für die Zukunft des Standortes. Die sieht auch für das Kraftwerk gut aus.

Norbert Schulze: "Solch Kraftwerk wird ja für 40 Jahre mindestens gebaut, und wir haben erst acht Jahre rum, also können sie sagen, 32 Jahre werden wir noch gut produzieren und je nachdem wie die Situation ist, werden wir noch ein paar Jahre drauflegen können. Der Standort ist deswegen weiterhin interessant."

Die Menschen von "Pumpe", wie die Einheimischen den Standort kurz nennen, hören solche Perspektiven gerne. Denn in der strukturschwachen Region, die von Abwanderung und hoher Arbeitslosigkeit gebeutelt ist, ist der Industriepark immer noch einer der größten Arbeitgeber. Trotz aller Veränderungen prägt er noch immer das Leben der Menschen zwischen Spremberg und Hoyerswerda.

Karl-Heinz Markgraf: "Auf Marktplatz triffst du Menschen aus Schwarze Pumpe, und die unterhalten sich gerne, wenn du mal leise zu hörst, über das was sie früher gemacht haben, und was sie heute machen. Und da heraus wird der Name Schwarze Pumpe in der Bevölkerung eng verbunden sein und bleiben, egal wie viel Leute wir hier mal noch sind."