Auschwitz, Bonn, Jerusalem
Im Jahr 1965 nahmen die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf - 20 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Aber die Schatten der Geschichte sind noch lang. Eine Bestandsaufnahme ein halbes Jahrhundert später.
"Wir haben Stimmen von draußen gehört: 'Juden! Die Deutschen verlassen das Lager!' Alle, die in den Baracken waren, rannten raus. Wir hörten Schüsse und sofort danach Schreie von Verletzten. Schreie von Verletzten! Ein Durcheinander von Sprachen. Vor allem Jiddisch. Irgendwie, mit meinen letzten Kräften, kroch ich zur Mauer zu einem Fenster, und ich zog mich zum Fenstersims hoch, um zu sehen, was draußen geschieht. Und dann sah ich. Und das ist ein Anblick, den man nicht vergessen kann. Berge von Erschossenen. Berge von Erschossenen."
Yisrael Aviram in einem Zeitzeugen-Gespräch mit Vertretern der Internationalen Schule für Holocaust-Studien Yad Vashem über die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Aviram, geboren 1926 in Lodz, Polen. Überlebender von Auschwitz. Reiste 1946 nach Palästina aus.
Letzter Wehrmachtsbericht vom 9.5.1945: "Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen."
Zwi Schnabel: "Der Krieg in ganz Europa beendet, heißt die Überschrift des 8. Mai."
Zwi Schnabel. Geboren 1922 in Deutschland. Ist zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Palästina ausgewandert. Im April 1985, 40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, berichtete er für einen deutschen Radiosender über den Jahrestag des Kriegsendes in Israel. Darin zitierte er eine nicht näher benannte hebräische Tageszeitung vom 8. Mai 1945:
"'In diesen Tagen des Sieges für alle Völker der Welt, kann es für uns Juden keine Stunde der Freude mehr geben. Auch wenn unsere besten Söhne im gemeinsamen Kampfe mit den Alliierten zu diesem Siege beigetragen haben, müssen wir heute empfinden, dass wir Juden diesen Krieg verloren haben so wie keine andere Nation der Welt.' Und weiter heißt es: 'Die Juden in Palästina, die vor sechs Jahren noch als die Pioniere des europäischen Judentums galten, sind jetzt allein geblieben. Von uns hängt jetzt die Zukunft des jüdischen Volkes ab. Unsere erste Pflicht ist es, die Reste des jüdischen Volkes in die Heimat zu bringen.' David Ben-Gurion übrigens, der spätere Gründer des Staates Israel, war an diesem Tage in London. In einer scharfen Rede verlangte er von den Engländern, die Einreisebeschränkungen des berüchtigten Weißbuches aufzuheben und eine Million Juden ins Land zu lassen. Die Verbitterung über die Engländer in diesen Tagen kann natürlich nicht in einem Atemzug genannt werden mit den Gefühlen der Juden Palästinas den Deutschen gegenüber. Ich weiß nicht, ob man es Hass nennen konnte. Es war mehr eine tiefe Abscheu, eine allerfassende Verachtung dieser unmenschlichen Gräuel, der Wunsch, die Deutschen nie wiederzusehen."
Aharon Appelfeld: "Ich kam 1946 nach Israel. Ich war im Ghetto, im Lager und in den Wäldern. Danach kam ich hierher ins Land."
Aharon Appelfeld, Schriftsteller, geboren 1932 in der Nähe von Czernowitz, in einem Gespräch in Jerusalem im November 2014.
"Auf dem Weg verlor ich meine Mutter, sie haben sie ermordet. Meinen Vater haben sie in ein anderes Lager gebracht. Ich habe den Krieg fast durchgehend alleine erlebt. Und ich wollte am Leben bleiben. Und als ich nach Israel kam, ich war damals dreizehneinhalb, kam ich ohne Sprache. Die Sprache meiner Mutter war Deutsch, die Sprache des Ortes, an dem ich gelebt hatte, war Rumänisch, auf dem Weg lernte ich auch ein wenig Ukrainisch und Russisch. Ich war sprachlos."
Michael Krupp: "Nach '45 kamen wir von Ostpreußen in den Westen, in die Goslarer Gegend. Wir hatten Glück, wir haben den letzten Zug über die Elbbrücken genommen und nachher wurden die gesprengt."
Michael Krupp. Evangelischer Theologe und Judaist. Geboren 1938 in Elbing in Polen. Wohnt seit 1969 in Jerusalem.
"Und jedenfalls waren wir da erstmal alleine im Westen. Dann kam mein Vater nach. Und hier waren wir in einer sehr schwierigen Situation, weil mein Vater von den Amerikanern eingestuft worden ist als Opfer des Nazismus und alle anderen Leute waren Nazis gewesen, in der ganzen Gegend. Das war eine reine braune Gegend. Und die Amerikaner hatten ihn eingesetzt zum Bürgermeister, zum Schulhaupt und so weiter. Und das hat ihn sehr unbeliebt gemacht. Wir alle haben in der Landwirtschaft gearbeitet, aber zwei meiner Schwestern sind 1945 und 1946 gestorben. Einfach an Unterernährung und der fehlenden medizinischen Versorgung. Alle haben gemeint, ich wäre der nächste. Aber zum Glück habe ich überlebt - dies war eine sehr schwere Zeit und von daher fängt meine Israelliebe an. Denn ich hatte die Bibel gelesen, schon als 6-Jähriger, 7-Jähriger, und diese Welt von Abraham, Isaak, Jakob, das war meine Welt. In der lebte ich und die Umwelt um mich herum und dieses furchtbare Elend, das auch in diesem Dorf zu spüren war, mit den Fremdarbeitern, die herumzogen und die Bauernhöfe in Brand steckten, die sie geschunden hatten, mit Jugendbanden, die es gab. Das war eine sehr schwere Zeit und das war meine Flucht in diese Traumwelt der Bibel und dann hörte ich 1948, da war ich genau zehn Jahre alt, dass der Staat Israel gegründet worden ist, was ich mit großer Begeisterung aufnahm, weil ich es mir gar nicht vorstellen konnte. Man hatte zwar nicht über diese Sachen geredet, aber ich dachte, alle Juden wären ermordet worden. Und nun gab es anscheinend doch noch Juden."
Die Gründung des Staates Israel
David Ben-Gurion: "Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert."
David Ben-Gurion. Geboren 1886 als David Grün in Plonsk. Wanderte 1906 von Polen nach Palästina ein. Am 14. Mai 1948 verlas er die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel im Kunstmuseum in Tel Aviv.
"... und verkünden hiermit kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel – des Staates Israel."
Konrad Adenauer: "Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermesslichen Leides bewusst, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde."
Bundeskanzler Konrad Adenauer am 27. September 1951 vor dem Bundestag in Bonn.
"Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern."
Paul Löbe: "Deutschland ist nach der Überzeugung der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestages die sittliche Verpflichtung, sich mit ganzer Kraft um eine Aussöhnung mit dem Staate Israel und den Juden in aller Welt zu bemühen."
Paul Löbe, Alterspräsident des Bundestags und Abgeordneter der SPD, antwortete auf die Erklärung Adenauers.
"Und zwar kommt es dabei uns Deutschen zu, den ersten Schritt auf diesem Wege zu tun. Wir Sozialdemokraten werden deshalb den eben angekündigten Schritt der Bundesregierung von Herzen unterstützen und hätten es begrüßt, wenn er schon früher und mit noch größerer Entschiedenheit getan wäre. Die verbrecherischen Machthaber der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben die jüdischen Deutschen und die Juden in Europa unmenschlich verfolgt und sechs Millionen Menschen, Männer, Frauen, Kinder, Greise, nur wegen ihrer jüdischen Abstammung ermordet. Wir wollen dieses unermessliche Leid nicht vergessen."
Felix Elieser Shinnar: "Im Haag war in den ersten Tagen die Verhandlungssprache Englisch."
Felix Elieser Shinnar. 1905 in Stuttgart als Felix Schneebalg geboren. Emigrierte 1934 nach Palästina. Leitete die israelische Delegation bei den Verhandlungen in Oud-Wassenaar, einem Vorort von Den Haag.
"Auf der Gegenseite war Prof. Böhm der Delegationsleiter. Sein Vertreter war Otto Küster aus Stuttgart. Am zweiten Tag schob mir Otto Küster einen Zettel herüber, auf dem etwa stand: ‚Aus Ihrem Englisch glaube ich einen schwäbischen Akzent herauszuhören. Habe ich Recht?“ Kurz, es stellte sich heraus, dass Otto Küster Recht hatte. Ich bin in Stuttgart geboren, ging dort zur Schule, aber mehr als das, es ergab sich, dass wir in demselben Realgymnasium von damals, dem heutigen Dillmann-Gymnasium, waren, und Otto Küster, der ein Jahr jünger ist als ich, in dieselben Klassen ging, dieselben Lehrer hatte wie ich."
Unterzeichnung des "Wiedergutmachungsabkommens" im Rathaus von Luxemburg am 10. September 1952 morgens um 8 Uhr - zu einer geheim gehaltenen Stunde – durch Konrad Adenauer und Moshe Sharett, den ersten israelischen Außenminister.
Moshe Sharett: "Es war dies ein historischer Akt, der dem freien Nachkriegsdeutschland Ehre einbrachte und der sich für Israel zu einer Quelle wichtigster, konstruktiver Hilfe ausgewirkt hat. Das moralische Verdienst, das sich die deutsche Bundesrepublik dadurch errang, hat sie in erster Linie Dr. Adenauer zu verdanken. Ich möchte auch den Anteil der sozialdemokratischen Partei erwähnen und ich persönlich tue es mit einer besonderen Genugtuung. Ihre tatkräftige Unterstützung trug entscheidend zur endgültigen Bestätigung und Inkraftsetzung des Abkommens bei."
Hermann Ehlers: "Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt."
Verkündung des Abstimmungsergebnisses durch Bundestagspräsident Hermann Ehlers am 18. März 1953.
"Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 238, mit Nein 34 bei 86 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf über das Abkommen vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel angenommen in dritter Beratung."
Umstrittene Verhandlungen
Felix Shinnar, Leiter der israelischen Delegation bei den Verhandlungen um das Luxemburger Abkommen, 1973 im Deutschlandfunk:
"Sie wissen, dass es sehr umstritten war in der öffentlichen Meinung, ob der Staat Israel mit der Bundesrepublik diese Verhandlungen führen sollte oder nicht. Dieser Unterschied war deutlich bei der Frage, ob das verhandelte Abkommen akzeptiert werden und ratifiziert werden sollte. Hier hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es auf beiden Seiten eine Verpflichtung war, dies zu tun. Auf Seiten des Staates Israel deshalb, weil Israel als der Staat, in dem die Opfer des nationalsozialistischen Regime ihre Heimat fanden, die Pflicht hatte, sich den Schaden ersetzen zu lassen, der durch dieses Regime angerichtet wurde, um so die ungeheure Aufgabe des Aufbaus dieser Heimat und der Schaffung einer Existenzgrundlage für diese Opfer zu bewältigen. Auf der anderen Seite war es eine Verpflichtung der Bundesrepublik, die diese in einer freiwilligen, von Verantwortungsbewusstsein getragenen Bereitschaft einging, und die dadurch bekundete, dass die Bundesrepublik als rechtsstaatliche Gemeinschaft wieder als gleichwertiges Mitglied in die Familie der Völker zurückzukehren gesinnt war."
Aharon Appelfeld, Schriftsteller, Überlebender der Shoah. War zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens über die sogenannte "Wiedergutmachung" 30 Jahre alt:
"Da ich im Ghetto, im Lager, in den Wäldern aufgewachsen war, hatte ich keine historische Perspektive, sondern eine persönliche Perspektive. Wenn es Brot gibt, bin ich satt. Wenn man mir einen Teller Suppe gibt, bin ich froh. Meine Perspektive war die des Überlebens."
Nachum Goldmann: "Für Israel, besonders in jenen schwierigen finanziellen Zeiten, war das Abkommen geradezu eine Rettung."
Nachum Goldmann, geboren 1895 in Weißrussland, langjähriger Präsident des Jüdischen Weltkongresses und Vermittler des Luxemburger Abkommens zwischen Israel und Deutschland.
"Für Hunderttausende Juden, Opfer des Nazismus, hat dieser Vertrag die Möglichkeit gegeben, ein neues Leben anzufangen, in jedem Fall aber eine bedeutende Verbesserung ihrer Lage herbeizuführen. Historisch gesehen, und darin liegt vielleicht die größte Bedeutung, hat dieser Vertrag eine einmalige Präzedenz geschaffen und damit, dass Deutschland diesen Vertrag unterschrieben hat, hat es neues internationales Recht geschaffen auf einer höheren moralischen Ebene, was für die Zukunft von größter Bedeutung für andere Minoritäten, verfolgte Gruppen sein könnte."
Menachem Begin: "Ihr Deutsche nennt die Reparationsleistungen jetzt 'Wiedergutmachung'."
Menachem Begin, Gründer der konservativ-nationalistischen Cherut-Partei, entschiedener Gegner des Wiedergutmachungsabkommens.
"Wenn ich dieses deutsche Wort höre, wisst Ihr eigentlich, was die Bedeutung dieses Wortes im Hebräischen ist? Sie geben uns 800 Millionen Dollar. Sie haben nicht nur sechs Millionen Menschen ermordet, Frauen und Kinder, sie haben unser Volk auch beraubt um Hundert Milliarden Dollar, Geld, Gold, Häuser und dafür geben sie uns 800 Millionen Dollar. Und das nennt sich 'WIEDERGUTMACHUNG'? Das soll wiedergutmachen, was Ihr dem jüdischen Volk angetan habt? Brauchen wir Euer Geld? Wir haben hier stolze Juden, die Unterstützung bekommen können, sie werden überleben! Wir brauchen kein deutsches Geld!"
Walter Eytan: "Ich denke an so manchen israelischen Minister, der von Versöhnung, von Verständnis, sogar von bloßem Kontakt überhaupt nichts wissen wollte. Und der, all jene, die anders gesinnt waren, mit Wut bekämpfte."
Walter Eytan, 1910 in München geboren, Staatssekretär im Israelischen Außenministerium in den ersten Jahren des israelisch-deutschen Dialogs. Im Gespräch mit dem Journalisten Rolf Vogel im Deutschlandfunk.
"Man sagt, dass die Zeit heilt. Auf jeden Fall trägt die Zeit zur Heilung bei. Ich erinnere mich noch an das erste deutsche Schiff, das einen israelischen Hafen anlief und später an das erste Schiff, dem erlaubt wurde, die schwarz-rot-goldene Fahne zu hissen und an das erste deutsche Besatzungsmitglied, das autorisiert wurde, während des Aufenthaltes eines Schiffes im Hafen an Land zu gehen. Dies waren die ersten Schritte zu einer Normalisierung. Nicht nur unserer Verhältnisse, sondern unserer ganzen Begriffswelt. Und jeder Schritt musste damals mühsam erkämpft werden."
Aharon Appelfeld, Schriftsteller, Jerusalem:
"Dies ist ein heroisches Land. Es muss ein heroisches Land sein. Ein Land von jungen und starken Menschen. Es gab keinen Ort für die Shoah. Es sei denn, man war Ghettokämpfer oder Partisan. Aber es gab ein paar Menschen, die ich schätze, die interessant fanden, was ich schrieb. Martin Buber, Gershom Sholem. Niemand wollte meine Bücher verlegen und hören, was ich zu erzählen hatte. Nicht einmal mit einer Empfehlung von Buber. Niemand wollte das. Man sagte mir: 'Du bringst den Tod mit Dir, wir müssen aber leben. Möchtest Du, dass unsere Kinder über den Tod lesen?' Und das, obwohl ich niemals über den Tod geschrieben habe. Ich habe vielmehr über Menschen geschrieben, die überlebt haben und mit dem Leben zurechtkommen müssen."
Michael Krupp: "Ich fuhr 1959 nach Israel."
Michael Krupp, evangelischer Theologe und Judaist in Jerusalem.
"Und jetzt war eben die Frage, woher ich komme. Es war natürlich ein Schock für meine Gesprächspartner, wenn sie hörten, dass ich ein Deutscher bin. Denn nach dem Krieg war ihnen kein Deutscher begegnet. Ich war sozusagen der erste Deutsche nach dem Holocaust, den sie sahen. Das war immer sehr schwer. Vor allem für meine Gesprächspartner. Ich kam dann ins Kibbuz, die ersten 14 Tage haben wir eigentlich gar nicht geredet. Man merkte, ich wollte, sie wollten, aber wir wussten nicht, wie wir das anfangen sollten. Und dann gab es plötzlich diese antisemitischen Schmierereien zum ersten Mal im Winter 1959 in Köln. Und dann kamen sie alle an und brachten mir Zeitungsausschnitte, was da steht. Da war das Eis sozusagen gebrochen. Da stand an der Synagoge in Köln 'Juden raus!', 'Jude verrecke!' und 'Hitler hatte Recht' oder so etwas. Seitdem war ich überall eingeladen, vor allem in den Familien."
14. März 1960. Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion trifft in New York zum ersten Mal den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, und erklärt:
"Ich habe mich gefreut, Kanzler Adenauer zu begegnen. Mein Volk kann seine Vergangenheit nicht vergessen. Aber wir erinnern uns nicht an die Vergangenheit, um über ihr zu brüten, sondern, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Ich habe in diesem Sommer in der Knesset gesagt, dass das Deutschland von heute nicht das Deutschland von gestern ist. Nach meinem Treffen mit dem Kanzler bin ich mir sicher, dass meine Einschätzung zutreffend war. Ich wünsche dem deutschen Bundeskanzler allen erdenklichen Erfolg bei seinen Bemühungen, Deutschland auf den Weg der Demokratie und internationalen Zusammenarbeit zu führen."
Gabriel Bach. Geboren 1927 in Halberstadt. 1938 Emigration nach Amsterdam. 1940 Einwanderung nach Israel. 1961 ist Bach Stellvertretender Ankläger im Eichmann-Prozess:
"Als diese Richter den Saal betraten mit dem Hoheitszeichen des Staates Israel, das hinter ihnen an der Wand prangte, und als dieser Mann, dessen ganzes Bestreben auf die Zerstörung des jüdischen Volkes zielte, aufstand und vor dem souveränen Gericht des souveränen jüdischen Staates Israel stand, wurde die Bedeutung der Gründung des Staates Israel mir klarer denn je zuvor."
Generalstaatsanwalt Hausner: "Ich stehe vor Ihnen, Hohes Gericht, um Adolf Eichmann anzuklagen."
Gideon Hausner. Geboren 1915 in Lemberg in der Ukraine, Chefankläger im Eichmann-Prozess.
"Und ich stehe hier nicht allein. Mit mir stehen zu dieser Stunde sechs Millionen Kläger. Aber sie können nicht auf ihren eigenen Füßen hier stehen, mit einem anklagenden Finger auf den Mann im Glaskasten zeigen und ausrufen 'Ich klage an!'"
Ohne individuellen Austausch geht es nicht
Teddy Kollek, Staatssekretär von David Ben-Gurion und später langjähriger Bürgermeister von Jerusalem, 1973 im Deutschlandfunk:
"Ich glaube, wenn wir eines Tages beschlossen haben, an Deutschland heranzutreten und Reparationen zu verlangen und wenn Deutschland beschlossen hat, Reparationen zu bezahlen und wir benützen deutsche Maschinen, dann kann das uns zwar nicht helfen zu vergessen, was in der Hitlerzeit geschehen ist. Das kann unsere Generation nicht vergessen. Ich weiß nicht, ob es die nächste Generation vergessen kann, aber dann wäre es sehr hypokritisch, wenn man zu gleicher Zeit individuell nicht mit Deutschen in Kontakt käme."
Amos Oz: "Ich hielt es schon für möglich, aber vielleicht nach 300 Jahren."
Amos Oz, Schriftsteller, über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland vor 50 Jahren im Deutschlandfunk.
"Ich gehörte damals zu den Demonstranten. Ich dachte, es sei zu früh. Ich fand, man müsse wenigstens warten, bis die ganze Generation der Nationalsozialisten nicht mehr lebt."
RIAS Berlin: "Die Zeit im Funk. Guten Abend meine Damen, guten Abend meine Herren."
11. August 1965. Bericht des RIAS Berlin über die Ankunft des ersten deutschen Botschafters in Israel, Rolf Pauls.
"Im politischen Teil unserer Sendung hören Sie: Tel Aviv. Ein schwieriger Beginn, Ankunft des ersten deutschen Botschafters in Israel… Tel Aviv. Der erste Botschafter der Bundesrepublik in Israel traf heute auf einem Flugplatz in der Nähe von Tel Aviv ein. Gleichzeitig flog der israelische Botschafter in Bonn, Ben Natan, nach Paris ab, um von dort in die Bundeshauptstadt weiterzureisen. Um 15 Uhr 50 landete Dr. Rolf Pauls, der erste Botschafter der Bundesrepublik in Israel, in einer Air France Maschine auf dem Flugplatz Lod bei Tel Aviv. Zwischen Korrespondenten und einer Handvoll Polizisten kam Dr. Pauls in den Presseraum des Flugplatzes, wo er mir für die deutschen Hörer folgende Erklärung abgab: 'Wir beginnen unsere Arbeit in Israel mit großer Zuversicht und wir hoffen und wünschen von ganzem Herzen, dass die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen unseren beiden Ländern zum Segen gereichen und dem Frieden im Nahen Osten dienen möge.'"
Salman Shazar: "Wir sind uns alle der besonderen Bedeutung dieses politischen Aktes tief bewusst."
Salman Shazar, 1889 geboren in Weißrussland, beim Empfang des Beglaubigungsschreibens des ersten deutschen Botschafters. Jerusalem am 19. August 1965.
"Die Überreichung dieses Beglaubigungsschreibens heute in Jerusalem beweist, dass selbst die dunkelste der Nächte mit dem Anbruch der Dämmerung enden muss. Selbst in den bösesten Tagen der Vernichtung haben die Gepeinigten und Gequälten unseres Volkes nie ihren Geist der menschlichen Würde und ihren unerschütterlichen Glauben an die Zukunft verloren. Das Wort, das ein Dichter Jahre zuvor geschrieben hatte, bestätigte sich: 'Ich habe meinen Gott gerettet und mein Gott rettet mich.'"