50 Jahre Faust-Debütaufnahme

Polydor wollte etwas Wildes

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Das Schwarzweiß-Bild zeigt sechs Männer auf einem Feld. Sie tragen das Haar länger, zum Teil tragen sie Bart.
Die Band Faust 1971: Als Uwe Nettelbeck auf die Musiker zukam und sagte, Polydor wolle ein Experiment machen, hieß die Antwort, „wir machen auch Experimente“. © Universal Music
Von Sky Nonhoff |
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Die deutsche Band „Faust“ gilt heute als Legende des „Krautrock“. Vor 50 Jahren, am 21. September 1971, spielten sie ihr erstes Album ein. Über eine wegweisende Band, einen visionären Sound – und einen der größten Stunts der Musikgeschichte.
Gunther Wüsthoff ist einer von sechs Musikern, die der Hamburger Autor und Pop-Subversive Uwe Nettelbeck im Frühjahr 1971 zusammenbringt. Er erinnert sich: "Der kam rein: 'Ich bin Uwe Nettelbeck, die Polydor will ein Experiment machen und sucht Leute, die Musik machen. 'Ja', haben wir gesagt, 'wir machen auch Experimente'."
Der Typ, der gerade geklingelt hatte, trug eine zerrissene Jeans und ein Batik-Shirt. Er hatte einen Plan und hielt sich nicht lange mit großen Vorreden auf. Dem Label-Giganten Polydor leierte er die Banknoten gleich bündelweise aus dem Kontor.

State of the Art in Wümme

Kurz darauf befindet sich die frisch gegründete Band – Faust heißt sie – in einem eigens für sie eingerichteten State of the Art-Studio im niedersächsischen Weiler Wümme, um nicht weniger als die Underground-Hits von morgen aus der Taufe zu heben.
"Wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass wir keine klassisch ausgebildeten Musiker sind", sagt Gunther Wüsthoff: "Man kann so ein Projekt der Freiheit und des freien Zusammenspiels nicht professionell machen. Denn, wenn man da fünf Musiker von der Musikhochschule hinsetzt, fällt denen nichts ein, weil sie keine Noten haben. Und das wollte die Polydor ja gar nicht. Die wollte was Wildes haben – und das hat sie gekriegt."
Bassist Jean-Hervé Peron sah es als einvernehmliches Geben und Nehmen: "Das Ganze ist ein Spiel zwischen den Idealisten – die Musik machen, vollkommen rücksichtslos, kompromisslos – und den Businessmenschen, die diese Musik verkaufen wollen. Die haben ganz klar ganz andere Regeln, ganz andere Ziele. Aber beide Seiten brauchen sich gegenseitig."
Was die sechs freien Radikalen der Plattenfirma monatelang verschweigen: Dass sie in Wümme nichts anderes tun, als Revolution zu üben, das Musik-Establishment krass kalkuliert vor den Kopf zu stoßen – mit einem irgendwo zwischen Progrock, Kifferwahn, grenzüberschreitenden Cut-up-Collagen und genialischen Momenten oszillierenden Anti-Pop.

Das Debütalbum und die Verkäuflichkeit

Dem im Herbst 1971 erscheinenden Debütalbum, schlicht "Faust" betitelt, fehlt entsprechend, nun ja, die gewisse Verkäuflichkeit. "Es wurde dann ja ein Gerangel um, 'Macht ihr nun mal was Kommerzielles oder nicht?'", erinnert sich Gunther Wüsthoff: "Also, wir haben dann 'Mal eher nicht' gesagt, weil, wir wollten einfach als freie Menschen ernst genommen werden."
Und nach dem zweiten Album, dem es ebenso an Hits mangelt, wird die Band achtkantig gefeuert.

Im Schloss von Richard Branson

Doch Manager, Strippenzieher und Hype-Maschine Uwe Nettelbeck hat vorgesorgt, dreht sie gleich darauf dem späteren Plattenmogul und Multimilliardär Richard Branson als die neuen Beatles an.
In dessen Schlösschen Manor House nahe Oxford fühlen sich Faust aber nicht recht wohl, auch deshalb, weil der ebenfalls anwesende Pop-Weltstar in spe Mike Oldfield beim abendlichen Dinner gern Schäferhund spielt und die Bandmitglieder unterm Tisch in die Waden beißt.
Branson findet das allerdings entschieden weniger irre als die Aufnahmen, die die Faust-Musiker ihm präsentieren. Jedenfalls heißt es kurz darauf, und nicht besonders herzlich: Good bye.
Dass Faust bei ihren Gigs mit Presslufthämmern, Zementmischern und Flipperautomaten auftraten, gehört zur selben Geschichte, ebenso wie Gunther Wüsthoffs schöner Satz: "Alles war Musik für uns, alles bis hin zur Klospülung."

Erfinder des "Krautrock"-Begriffs

Und genau darum ging es bei Faust, einem Projekt, das immer ein Sound ungekannter Möglichkeiten sein wollte: So wie jenes spezifisch neodeutsche Genre, das dann "Krautrock" genannt wurde, auch und nicht zuletzt nach dem gleichnamigen Song auf dem vierten und letzten Faust-Album.
Die Dimension dieses Begriffs hat Faust-Bassist Jean-Hervé Peron so zusammengefasst: "Ich kann nur sagen: Ha, ha, ha! Krautrock ist so ein breiter Begriff, so ein Riesenschirm, wo so viele verschiedene Stile gesammelt werden, die es damals gab. Wir sind eben eins davon. Eins von Tausenden, one in a million, die in den 60ern, den 70ern sich für eine neue Gesellschaft engagiert haben – weil es nötig war."

Im Oktober erscheint das Album beim Label Bureau B neu innerhalb einer 8-CD-Box: "Faust: 1971-1974 50 Jahre Faust (Ltd. 8-CD / 7-LP + 2 Singles)

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