Schlamm, Rocker und eine geplünderte Kasse
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Was passiert, wenn drei Leute ohne Ahnung ihr eigenes Rockfestival auf die Beine stellen wollen? Das Love & Peace vor nunmehr 50 Jahren war eine Katastrophe. Aber eine so große, dass es bis heute ein Popmythos ist.
Im Sommer 1970 hatten drei Kneipiers aus Kiel die Idee, Rockfans und Hippies aus ganz Europa zur deutschen Antwort auf Woodstock zum Love & Peace Festival auf die Ostseeinsel Fehmarn zu locken. Drei Tage beste Rockmusik für 28 Mark im Vorverkauf, die damals linken St. Pauli Nachrichten feierten die Koalition von Pop und Sex.
Von Petersdorf Richtung Flügger Leuchtturm, kurz vor Sulsdorf dann rechts ab und durch Püttsdorf hindurch Richtung Strand: Da kommt dann die Wiese, auf der vor fünfzig Jahren das deutsche Woodstock stattfinden sollte – und im Schlamm der Ostseeinsel Fehmarn abschmierte.
Beate Uhse sponserte das Festival
Beim Bauern Störtebecker hatten die drei ziemlich naiven Kneipiers aus Kiel besagte Wiese angemietet. Beim nahegelegenen Campingplatz fünfzig Toiletten. Hundert Klohäuschen wurden aufgestellt und 60.000 Eintrittskarten gedruckt.
Dreißig bis vierzig Bands sollten am ersten Septemberwochenende auftreten. Neben einer kunterbunten Mischung aus deutschen Jazzrock-, Drogen- und Politbands vor allem internationale Stars: Ten Years After, Colosseum, Taste, Ginger Bakers Air Force, Procol Harum, Sly & The Family Stone, The Faces. Und vor allem: Jimi Hendrix!
Beate Uhse sponserte das Festival mit 200.000 Mark und erschien mit ihren drei Söhnen auf der Festivalwiese, gab Autogramme und verteilte kostenlose Kondome. Eine eigentlich klasse Idee war die Drehbühne, die Umbaupausen verhinderte.
Dummerweise nutzte die nicht allzu viel, denn am ersten Festivaltag, dem Freitag, hatte es angefangen zu regnen. Und zu stürmen. Die Bühne stand halb unter Wasser, und Sandy Denny, die Sängerin der dritten Festivalband Fotheringay, bekam dauernd Stromschläge vom Mikrofon, also wurden die Auftritte erstmal abgebrochen.
Dann kamen die Rocker
Den 30.000 Besuchern fehlte es natürlich an allem: Waschräumen, genügend Toiletten, genügend Essen. Dumm war auch, dass aus Hamburg 180 Rocker angereist waren, die für Randale sorgten, bis die Veranstalter den größten Teil auszahlte und nach Hause schickte – und den Rest als Ordner anheuerte: Aber die reichten, um unter den Jugendlichen und sogar unter den Musikern Angst zu verbreiten.
Auch die Veranstalter bekamen es mit der Angst zu tun, denn die geplanten Kosten des Unternehmens hatten sich vervielfacht, aber gerade einmal die Hälfte der Karten war verkauft. Einige Künstler wie John Mayall und Joan Baez hatten inzwischen abgesagt. Andere fuhren ab, ohne zu spielen. Die meisten Bands spielten trotzdem.
Nur: Wenn sie spielten, dann blies der im Spätsommer übliche Nord-Ost-Wind den Sound von den Zuschauern weg. Zum Beispiel bei Canned Heat, denen drei Tage zuvor ihr Gitarrist und Sänger Blind Owl Wilson an einer Überdosis Barbituraten weggestorben war: Deshalb spielten sie zwei Stunden lang traurigen Bluesrock, wobei ein Roadie die Beckenständer des Schlagzeugs festhalten musste, damit der Sturm sie nicht umwarf.
Hendrix' letztes Konzert mit Band
Sonntagmorgens hatten die Rocker dann Teile der Bühne als Feuerholz verheizt – aber sie war noch bespielbar. Und als um eins tatsächlich Hendrix erschien, rissen die Wolken auf und die Sonne kam heraus. Ein magischer Moment soll das gewesen sein.
Dass dies sein letzter offizieller Auftritt mit Band vor seinem Tod zwölf Tage später sein sollte, das wusste da noch niemand. Aber als Hendrix mit dem Hubschrauber vom Festivalgelände geflogen wurde, da packten auch die meisten Zuschauer.
Dabei war es nicht so, dass alle Festivalbesucher über die miserable Organisation und das Wetter enttäuscht waren. Aber als die zwischenzeitlich vor den Rockern – die sie nicht auszahlen konnten – geflüchteten Veranstalter dann unter Polizeischutz wieder zur Festivalwiese zurückkehrten, war das Organisationszentrum abgebrannt, der Kassenwagen umgefallen, die Kassen aufgebrochen und das restliche Bargeld verschwunden.
Als letzte Band hatte nämlich eine Protestkapelle aus Berlin gespielt, ihr erstes Konzert überhaupt, und deren Sänger Rio Reiser forderte wohl das Publikum auf, den Veranstalter "ungespitzt in den Boden zu hauen". Angeblich eskalierte die Situation bei dem Song "Macht kaputt, was euch kaputt macht".
Ob das stimmt, weiß keiner mehr. Aber es macht sich gut als Popmythos.