Kicken gegen das Vorurteil
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Vor 50 Jahren hob der DFB das Verbot des Frauenfußballs auf. Zwar kämpfen nun bereits schon sehr lange auch Damen-Mannschaften im offiziellen Spielbetrieb, doch bis heute sehen sich die Frauen und ihre Teams Klischees ausgesetzt.
"Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt. Aber dass wir drei Mal Europameisterinnen waren, weißt du schon, oder? Nicht? Stimmt, es waren ja auch acht Mal."
Mai 2019: Im Vorfeld der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Frankreich produziert der Werbepartner der deutschen Fußballfrauen diesen Spot:
"Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an, sondern vor allem gegen Vorurteile. 'Frauen sind zum Kinderkriegen da.'"
Gleichermaßen ironisch wie selbstbewusst grenzt sich die Frauennationalmannschaft darin vom sogenannten starken Geschlecht ab: "Wir brauchen keine Eier. Wir, wir haben Pferdeschwänze. – Wie bitte? What?"
Die Anerkennung fehlt immer noch
50 Jahre Frauenfußball: Das ist eine Erfolgsgeschichte. Das ist aber auch immer noch der fortwährende Kampf um Anerkennung. Sportlich wie gesellschaftlich.
"Ja, wir müssen, glaube ich, geduldig sein und dass Vereine das vielleicht als selbstverständlich ansehen, dass die Frauen dazugehören."
"Wir müssen noch einige Hürden nehmen, klingt ein bisschen wie eine gesprungene Schallplatte, aber dass wir halt in den Medien so gar nicht vorkommen, bei der Sportschau so gar nicht vorkommen, obwohl es relativ einfach ist, 20 Sekunden vom Spitzenspiel zu zeigen, dann ist das aus meiner Sicht noch nicht wirklich gleichberechtigt."
Anja Mittag und Viola Odebrecht haben mehr als ein Jahrzehnt gemeinsam für die deutsche Frauennationalmannschaft gekickt. Sie sind Welt- und Europameisterin geworden, Anja Mittag auch Olympiasiegerin. Mittlerweile sorgen sie beim Zweitligisten RB Leipzig dafür, dass es weiter aufwärts geht mit dem Frauenfußball. Bei aller berechtigten Kritik findet Viola Odebrecht die Entwicklung, die ihr Sport seit 1970 vor allem in der Leistungsspitze genommen hat, enorm:
"Die Voraussetzungen für die Spielerinnen sind definitiv professioneller geworden. Trainingswissenschaftlich, wie die Trainer heutzutage ausgebildet sind, wie die auf den Platz gehen, mit den Mädels arbeiten, was die Leistungsdiagnostik angeht, was die taktischen Mittel angeht, wie die mit den Spielerinnen umgehen, die Analysen sind mehr geworden, das würde ich tatsächlich sagen, dass das der markanteste Unterschied ist, und natürlich sind im Endeffekt auch die Gehälter gestiegen."
Erinnerungen zweier Pionierinnen
Barbara Streuffert und Hannelore Ratzeburg gehören beiden zu den Pionierinnen des Frauenfußballs in Deutschland:
"Wir Frauen spielen Fußball, wer hätte das gedacht. …"
"Genauso war es, dass man richtig so von der Pike auf auf dem Hinterhof praktisch so ein bisschen geknödelt hat."
"… die Zeiten sind vorbei, da uns die Männer ausgelacht …"
"Wir waren ja alle fast erwachsene Frauen, und das sah bestimmt nicht toll aus, als wir gespielt haben, aber wir haben Spaß gehabt, und das war die Hauptsache."
"… wir fummeln durch die Reihen, das ist ne wahre Pracht, …"
"Bis die dann gesagt haben: ‚das Tor, was ihr kassiert habt, das habt ihr von einem Mädchen kassiert’. Ja, und da waren sie dann geplättet."
"… wenn wir so richtig stürmen, ihr Herren, dann gute Nacht, …"
"Ich wollte unbedingt spielen. Und ich wollte mich nicht damit abfinden, dass wir irgendwo so am Rande laufen, sondern dass für uns alles gleichwertig organisiert wird."
"… wenn wir so richtig stürmen, ihr Herren, dann gute Nacht. "
Die eine, Barbara, genannt Charly Streuffert, die später das soeben gehörte Lied komponierte und sang, gründet bereits 1969 eine Damenfußball-Mannschaft, wie es damals noch heißt.
Anfänge ohne den DFB
Ihre ersten Spiele finden quasi illegal statt, ohne Genehmigung des Deutschen Fußball-Bundes. Zuschauer kommen dennoch – vor allem Männer erwarten ein Spektakel.
"Wir hatten zum Beispiel eine recht vollbusige Dame im Team, und dann hat die den Ball mit der Brust gestoppt, und der plumpste dann so richtig vor ihr nieder, und dann kamen die Rufe aus dem Publikum: ‚jawoll, klemm ihn fest’, und alle solche Dinge, gut, da hat man selbst drüber gelacht, es war auch eine komische Situation, das war alles überhaupt nicht tragisch."
Als der DFB am 31. Oktober 1970 den Frauen erlaubt, unter seinem Dach organisiert Fußball zu spielen, schließen sich Charly Streuffert und ihre Mitstreiterinnen Tennis Borussia Berlin an. Auch ein Trainer findet sich schnell: Horst Nussbaum, ein ehemaliger Fußballprofi, der unter dem Künstlernamen Jack White auch als Schlagerproduzent Karriere macht. Seine ersten Übungseinheiten allerdings sind ein Reinfall.
"Jedenfalls saßen die alle auf der Erde, die Mädels, und da wurde dann ‚der Plumpsack geht um’ gespielt, und da habe ich gedacht: ‚ach du lieber Himmel’, das guckst du dir jetzt an, und beim nächsten Mal das Training, noch ein oder zwei Mal, und dann nimmst du davon wieder Abstand, weil ich da ganz andere Vorstellungen von hatte."
Charly Streuffert bleibt, es zahlt sich aus. Mit Tennis Borussia wird sie etliche Male Berliner Meister und Pokalsieger. Und verliert 1976 nur ganz knapp das Endspiel um die deutsche Meisterschaft gegen Bayern München.
"Wir haben ja zu der Zeit nur zwei Mal 30 Minuten spielen dürfen, das war ja: diese ganzen besorgten Funktionäre, ‚oh Gott, die armen Frauen‘, die könnten das nicht durchhalten, wir sollten ja auch mit einem kleinen Ball spielen auf kleine Tore und ohne Stollenschuhe und ‚ach du liebes bisschen‘."
Erst Punktspiele, dann Pokalwettbewerb
Die andere Pionierin des Frauenfußballs, Hannelore Ratzeburg, gründet ihre erste Damenmannschaft in Hamburg, beim SV West-Eimsbüttel. Weil sie jedoch nicht ganz so talentiert ist wie Charly Streuffert, konzentriert sie sich schon früh auf die organisatorischen Dinge. 1972 gehört sie zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im Hamburger Fußballverband.
"Erstmal wollten wir ja nur Punktspiele spielen, dann kam Pokalwettbewerb dazu, dann haben wir Mädchenspielbetrieb aufgebaut, weil ich gedacht habe, wenn es mir Spaß macht, dann müsste es doch jungen Mädchen und Kindern auch Spaß machen, und dann hätten sie auch die Möglichkeiten, wirklich erfolgreicher zu spielen, wenn sie in jungen Jahren anfangen, Fußball zu spielen, ich hatte von solcher Arbeit keine Ahnung, aber ich habe immer gedacht: das Hintertürchen ist da, es ist Ehrenamt, ich könnte gehen, wenn es gar nicht geht."
In einer Archivaufnahme von damals heißt es: "Wie bei einer neuen Mode machen immer mehr Frauen und Mädchen mit. In manchen Orten haben sich ganze Kegelklubs auf Damenfußball umgestellt. Der DFB hat diesen Fußball spielenden Amazonen seinen offiziellen Segen gegeben. Um damit, wie ein Fußballfunktionär erklärte, zu verhindern, dass Frauenfußball auf das Niveau von Damenringkämpfen absinkt."
Ratzeburg erzählt: "Das war jetzt nicht unbedingt: ‚Hurra, die Frauen kommen‘, und ‚Hurra, die spielen jetzt Fußball‘, sondern: ‚Das wird schon in zwei Jahren wieder vorbei sein, das ist so 'ne Modeerscheinung, ne, das ist ja im Moment alles so ein bisschen in Aufruhr, und die Frauen sind dann halt auch ein bisschen in Aufruhr, lass sie mal ruhig spielen, das läuft sich dann schon tot‘."
Vorurteile und Chauvisprüche
Lange Zeit kämpfen die Frauen mehr gegen Klischees und Vorurteile als um den Ball. Die verbalen Foulspiele in der Berichterstattung hören nicht auf. Die Fernseh- und Hörfunkarchive von ARD und ZDF sind voll von spöttischen Kommentaren aus den beginnenden 1970er-Jahren.
"Welche Mädchen und Frauen zieht es überhaupt zum Fußball? Sie, um einige Energien, ein paar Pfunde loszuwerden? In heißen Höschen, die mancher schon zu heiß sind? Sie vielleicht in der Hoffnung, die weite Welt des Fußballs verbreite angenehmere Düfte als die des Kochtopfs?"
"Was sind denn das für Mädchen, die das betreiben, und aus welchen Gründen tun sie das, häh?"
Legendär 1970 die chauvinistischen Einlassungen von Wim Thoelke, dem damaligen Moderator des Aktuellen Sportstudios im ZDF:
"Ja, sehen Sie, das ist das Schöne an Frauen, sie gehen auch mit einem Ball zart um. Junge, Junge, ja, die brauchen sich gar nicht aufzuregen, die Zuschauer, die Frauen waschen doch ihre Trikots selber. Wenn die Männer in den Schlamm fallen würden, das wäre schlimm, denn dann müssten die Frauen zuhause waschen. Decken, decken, nicht Tisch decken, richtig Mann decken, so ist Recht."
Das erste weibliche "Tor des Monats"
"Jetzt also haben sie es geschafft, auch auf dem Rasen hat das angeblich schwache Geschlecht endlich seinen Meister. TuS Wörrstadt."
Einen ersten wichtigen Meilenstein in der gesellschaftlichen Akzeptanz erlebt der deutsche Frauenfußball im September 1974.
"Fackelzug und 30-Mann-Kapelle waren im Heimatort bestellt, längst bevor der Endspiel-Schlusspfiff ertönte."
TuS Wörrstadt, ein kleiner Verein aus Rheinland-Pfalz, gewinnt das erste Finale um die bundesdeutsche Frauenfußballmeisterschaft. Viel wichtiger aber: Angreiferin Bärbel Wohlleben schießt im Endspiel ein Tor, das die Zuschauer der ARD-Sportschau zum ‚Tor des Monats‘ wählen. In fünf Jahrzehnten Frauenfußball erzielen insgesamt 14 Spielerinnen ein ‚Tor des Monats‘ – zuletzt Anna Blässe vom VfL Wolfsburg im Juli 2020.
Hasskommentare gegen Anna Blässe
"Essen ist fertüsch." "Okay. Komme." Mittag's bei Henning – Der Podcast mit Anja und Josey."
Seit Mai dieses Jahres produzieren die beiden ehemaligen Nationalspielerinnen Anja Mittag und Josephine Henning einen Frauenfußball-Podcast. Die Episoden sind unterhaltsam, die beiden berichten viel aus ihrem vergangenen Fußballerinnenalltag, sprechen aber auch ernste Themen an. Regelmäßig holen sie sich eine weitere Gesprächspartnerin vors Mikrofon, zuletzt Nationalspielerin Alexandra Popp. Und die hatte auch gleich ein Thema dabei, das ihr Sorge macht: die Kommentare in den sozialen Medien zum ‚Tor des Monats‘ ihrer Mitspielerin Anna Blässe.
"Da waren Hate-Kommentare drunter vom Allerfeinsten, fast nur eigentlich sind es Männer, die es nicht schaffen, den Frauenfußball zu akzeptieren und vor allem zu respektieren. Es einfach anzuerkennen, dass wir Fußball spielen und dass wir mit der gleichen Leidenschaft Fußball spielen wie es die Männer auch tun, und das finde ich einfach unfassbar traurig. Ja, das nervt mich gerade völligst. Wie man im Jahr 2020 …"
Henning: "Geht überhaupt nicht. 2020 und so was passiert noch?"
Popp: "Ja, richtig."
Der Vorfall zeigt: es wird noch dauern, bis es völlig selbstverständlich ist, dass Frauen kicken und Männer ihre chauvinistischen Kommentare für sich behalten. Anja Mittag hat sich entschieden, die Beleidigungen zu ignorieren.
"Klar ärgert es einen, aber man hat es so oft gehört, dass man ne gewisse Distanz dazu aufbaut oder findet und man sich denkt: Okay gut, du willst da keine Energie reinstecken, was willst du dich da aufregen? Das hast du 100 Mal gemacht, das ist es gar nicht mehr wert."
EM-Siegerinnen im eigenen Land
"Bereits in der 22. Spielminute hatte Ursula Lohn ihren ersten großen Auftritt: 1:0. Die 22.000 Zuschauer feuerten an, wollten mehr, und die Tore purzelten geradezu."
Rückblick: Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Frauenfußballs: der Gewinn des ersten EM-Titels 1989 im eigenen Land. Der Halbfinalerfolg gegen Italien wird live im Fernsehen übertragen – ein Novum. Das Finale gewinnt die deutsche Mannschaft mit 4:1 gegen Norwegen. Die damalige Mittelfeldspielerin und heutige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erinnert sich an die Euphorie vor dem Endspiel.
Voss: "Wir waren in Kaiserau untergebracht und fuhren dann von dort aus nach Osnabrück und kamen dann an, und da standen 3.000 Menschen vor den Toren und kamen gar nicht mehr rein, weil das Stadion ausverkauft war."
Archiv: "Wunderbar. Freude über Freude, ein wahnsinniger Erfolg für die deutsche Mannschaft."
Im Finale ebenfalls dabei: Silvia Neid. Ob als Spielerin, Co-Trainerin oder Bundestrainerin: Sie ist an allen elf Titeln beteiligt, die die deutschen Fußballfrauen seit 1989 erringen. Eine beeindruckende Bilanz.
"Europameister, das war natürlich was Tolles, dadurch war es der Durchbruch. Und eben auch: dass viele junge Mädchen angefangen haben, sich in den Vereinen anzumelden oder die Eltern haben es dann befürwortet oder erlaubt, dass sie in einen Verein gehen dürfen. Und damit boomte das halt ganz einfach, dieser Mädchen- und Frauenfußball."
Endlich eine Bundesliga
1990, ein Jahr nach dem Gewinn des EM-Titels, bekommen endlich auch die Fußballfrauen vom DFB ihre Bundesliga. Zweigeteilt, in Nord- und Süd-Gruppe, mit jeweils zehn Mannschaften aus der alten Bundesrepublik.
"Es war natürlich schon was Besonderes, dass der Frauenfußball an sich besser anerkannt wurde. Dass es auf einmal eine Frauen-Bundesliga gab, das war eigentlich schon das Allerhöchste der Gefühle."
Emmi Winkler ist Betreuerin bei der Übermannschaft jener Zeit, dem TSV Siegen. Zwischen 1986 und 1996 holt der Klub sechs deutsche Meistertitel und fünf Mal den DFB-Pokal. Die besten Fußballerinnen Deutschlands, darunter auch Silvia Neid, spielen im Siegerland, weil ortsansässige Unternehmer ihnen einen Arbeitsplatz verschaffen.
Am 16. Juni 1991 erlebt der deutsche Frauenfußball wieder mal eine Premiere: das erste Bundesliga-Endspiel. Im heimischen Stadion empfängt der TSV Siegen den FSV Frankfurt. 4.500 Zuschauer sind da, ein WDR-Reporter interviewt Emmi Winkler während des Spiels. Es ist die 34. Spielminute, gerade hat Siegen das 3:1 erzielt.
(Winkler 1991) "Ist super jetzt. Also mit zwei Toren Vorsprung, da sind wir schon so gut wie sicher. Das gibt unseren Mädels auch Auftrieb, ich denke, dass wir noch ein oder zwei.) Ja, juh, huuuuuh, geil, jetzt ist es, jetzt simmer deutscher Meister, hoffe ich, hoffe ich.
(Winkler 2015) "Ich war immer mit vollstem Herzen dabei. Wenn der mir nicht das Mikrofon unter die Nase gehalten hätte, wäre ich wahrscheinlich da rumgesprungen und quer über den Platz gelaufen oder irgend so was.
Kabinengesänge: "… TSV ist Meister, TSV ist deutscher Meister."
Frauenfußball in der DDR
Nach diesem Endspiel, das Siegen 4:2 gewinnt, wird die Frauen-Bundesliga auf elf Teams pro Staffel aufgestockt. Der Grund: zwei Mannschaften aus der ehemaligen DDR stoßen hinzu – Wismut Aue und der USV Jena, bei dem Bärbel Friedel spielt.
"Ich erinnere mich an unser erstes Bundesligaspiel gegen Brauweiler, und wir gehen nach ein paar Minuten mit 1:0 in Führung, wo ich gedacht habe: ‚oh, so schwierig wird es wohl doch nicht werden’, aber dann haben wir noch 5:2 verloren, und, ja, es war einfach sehr faszinierend, Spiele gegen Bettina Wiegmann oder Maren Meinert, wo man klar unterlegen war, in allen Belangen, wo man sich aber trotzdem gefreut hat, wenn die einen auf dem Bierdeckel drei Mal geradeaus gespielt hat, dass man gegen sie spielen durfte."
Frauenfußball ist zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht olympisch. In der DDR wurde er daher nicht gefördert – es war kein internationales Renommee zu erzielen. Frauenfußball gehörte zum Freizeit- und Erholungssport. Offizielle Meisterschaften gab es in der DDR nicht. Der Wettbewerb um den inoffiziellen Meistertitel des Landes hieß ‚Bestenermittlung’.
Der Qualitätsunterschied zwischen Ost- und Westklubs im Jahr 1991 ist enorm. Der USV Jena beendet seine erste Saison in der vereinigten Frauen-Bundesliga auf dem letzten Platz. Zwei Siege, ein Unentschieden, siebzehn Niederlagen, Torverhältnis 14:71. Und auch sonst ist die Bundesliga Neuland für die Spielerinnen aus dem Osten.
"Dann waren das alles so Vereine, ohne jetzt despektierlich zu sein, Dorfvereine, wer wusste schon, wo Schmalfeld liegt. Irgendwo ganz weit im Norden, und als wir ankamen, graste dort angepflockt an das Geländer ein Ziegenbock. Und dann haben wir uns angeguckt und haben gesagt: ‚Oho, wo sind wir denn jetzt gelandet? Das ist also der goldene Westen’." (lacht)
Weniger Mädchen auf dem Platz
"Mädels, fünf Minuten noch!"
Ein Fußballplatz im Norden Berlins. Mehr oder weniger elegant dribbelt eine Gruppe junger Mädchen um die Hütchen auf dem Rasen. 2011, rund um die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land, ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs, ist die Euphorie groß. Der DFB investiert viele Millionen Euro in Schul- und Vereinskampagnen, die Mitgliederzahlen im Nachwuchsbereich steigen. Der Mädchenfußball boomt.
"Mädels, weiter geht’s noch, komm!"
Heute, ein Jahrzehnt später, ist Ernüchterung eingekehrt. Sind es 2010 bei den Mädchen bis 16 Jahren noch 8.665 Teams, die organisiert im DFB Fußball spielen, sinkt die Zahl bis 2020 auf 4.525. Ein dramatischer Rückgang – fast um die Hälfte. Viele Mädchen hören auf, wenn der Wechsel aus der U 17 in den Erwachsenenbereich ansteht. Wie zum Beispiel die heute 20-jährige Cara.
"Ich als 15-jähriges Mädchen war, glaube ich, noch nicht bereit, dann mit 30-Jährigen teilweise zu spielen, vor allen Dingen weil die einen ganz anderen Spielstil haben, und generell einfach ganz anders denken als 15-jährige Kinder, deswegen habe ich aufgehört, und teilweise vermisse ich es auch, aber ich bereue es nicht, dass ich aufgehört habe."
Auch die Bundestrainerin beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Martina Voss-Tecklenburg weiß: Gut organisierter Breitensport ist die Basis für ambitionierten Leistungssport.
"Ich glaube, wir müssen in dem Bereich einfach flexibler werden. Und da sind wir dran, das ist ein großes Thema im DFB, und ich glaube, wenn wir dort mehr Flexibilität im Spielbetrieb kriegen, mehr Möglichkeiten, adäquat den Mädchen in der Altersklasse Spielmöglichkeiten zu geben, dann werden wir auch dort wieder Zuwächse gewinnen."
"… mit einem vierfachen Schuss! Tor! Schuss! Tor! Latte! Scheiße! Kopfball! Tor!"
Deutsche Vereine investieren kaum
Deutschlands Spitzenfußball im Frauenbereich muss aufpassen, dass er nicht im Mittelmaß steckenbleibt. Seit dem Olympiasieg der Nationalmannschaft 2016 in Rio de Janeiro bleiben internationale Erfolge aus. Frankfurt, Potsdam, Wolfsburg: vorbei die Zeiten, in denen Vereine aus der Bundesliga die Champions League dominierten. Die großen Klubs in England, Spanien und Frankreich, die man auch aus dem Männerfußball kennt, haben längst aufgeschlossen. Seit Jahren investieren sie mehr Geld in den Frauenfußball als deutsche Vereine.
"Investieren!"
Mit einer Ausnahme. Ein Klub aus Sachsen macht mit bei dieser Entwicklung. Und mischt so die Frauenfußballwelt in Deutschland auf: RB Leipzig.
"Zusammengefasst kann man das schon so sagen, dass wir gerne Champions League spielen wollen, deswegen: wir können uns, was die finanzielle Unterstützung angeht vom Verein, definitiv nicht beschweren."
Viola Odebrecht, 2003 Weltmeisterin, leitet seit Sommer 2019 die Frauen- und Mädchenfußballabteilung beim Klub des österreichischen Energydrink-Produzenten. Das Projekt ist ambitioniert. Die Frauenmannschaft will nach oben. Dabei ist sie gerade erst in die Zweite Liga Nord aufgestiegen, liegt dort allerdings nach drei Siegen in den ersten drei Saisonspielen vorne.
Individuelles Training für die Spielerinnen
"Weiter, weiter! Umschalten! Tore machen!"
Drei Männer und fünf Frauen umfasst das Trainer- und Funktionsteam. Mit dabei: Anja Mittag.
"Meine Einheiten werden vormittags angeboten, genau, dann arbeite ich individuell an Schwerpunkten, die mit den Spielern ausgearbeitet sind, und versuchen dann halt, individuell quasi die Spielerinnen besser zu machen. Das kann mal Ballkontrolle sein, das kann Torschuss sein, das kann Kopfball sein, Handlungsschnelligkeit sein, das kann Schulterblick sein, das kann Passspiel sein, je nachdem wo die Spielerin ihre Schwächen sieht. Oder wir als Trainerteam."
Es findet ein regelmäßiger Austausch mit dem Trainer- und Scoutingstab der Männer statt. Und als absolutes Highlight dürfen die Fußballerinnen auch ein 300.000 Euro teures Hightech-Trainingsgerät nutzen – das ‚Soccerbot three-sixty‘, mit dem sich Spielszenen in 3-D simulieren lassen.
"Du stehst drin in so nem 360-Grad-Kreis, das sind dann so Leinwände, da wird etwas drauf projiziert, verschiedene Spieler, und daraufhin musst du dann Entscheidungen treffen, kannst mit dem Fußball gegen 'ne Wand passen und kriegst zurück, und dann musst du wieder eine neue Entscheidung treffen, das können wir zum Beispiel auch nutzen einmal die Woche, und wir können hier auch, ich für mein Individualtraining, die Trainingsplätze nutzen, zu Vormittagseinheiten, das finde ich schon, dass wir da sehr gut unterstützt werden für 'ne erste Mannschaft in der zweiten Frauenbundesliga."
Die Aufbruchstimmung in Leipzig passt gut ins Konzept des DFB. Der will die Frauen-Bundesliga attraktiver machen und wieder mehr Zuschauer ins Stadion bekommen. In der letzten regulären Saison vor Ausbruch der Corona-Pandemie lag der Schnitt bei 833 pro Spiel. DFB-Präsident Fritz Keller fordert daher von allen Männer-Bundesligisten, dass sie mehr in den Frauenfußball investieren.
400.000 Euro für die Frauen, 110 Millionen für die Männer
Wenn schon, dann richtig, heißt die Devise bei RB Leipzig. Zumal die kolportierten 400.000 Euro, die der Brauseklub zurzeit im Jahr in die Frauenmannschaft steckt, im Verhältnis zum Männeretat in Höhe von 110 Millionen sowieso nur Peanuts sind.
"Wir sind in der 2. Liga, wir kriegen die finanzielle Unterstützung, die wir benötigen, und dass wir jetzt nicht nächste Saison auf einmal fünf Pernille Harders einkaufen, ist auch logisch, …"
Pernille Harder, mehrfache Welt- und Europafußballerin aus Dänemark, bei Chelsea London unter Vertrag und mit einem Jahresgehalt von 170.000 Euro eine der bestbezahlten Spielerinnen der Welt.
"… wir wollen uns Schritt für Schritt weiterentwickeln, für viele unserer Spielerinnen, die sehr jung sind, wäre es gar nicht so gut, wenn wir jetzt uns meinetwegen mit den Großen in Deutschland messen, weil die einfach auch noch Entwicklungsjahre benötigen, bis sie das volle Potenzial ausspielen können, ausschöpfen können, deswegen: Das ist eigentlich gar nicht unser Ziel."
Keine kostspieligen Zukäufe, Viola Odebrecht wollen es aus eigener Kraft schaffen. Klar ist aber auch: Mit den gewünschten sportlichen Herausforderungen wird auch der finanzielle Handlungsrahmen weiterwachsen. Viola Odebrecht richtet ihren Blick schon in die Zukunft. 50 Jahre Frauenfußball, ja, das ist eine Erfolgsgeschichte, sagt sie, aber sie findet auch: Da geht noch was.
"Die professionellen Strukturen, die die Männer haben mit ihren Nachwuchs-Leistungszentren, mit den Akademien, dass die Jungens sich alle keine Gedanken mehr machen müssen, ‚soll man sich wirklich komplett auf den Sport konzentrieren können‘, das wären natürlich schon Strukturen, die wir uns im Frauenfußball auch wünschen würden."
"Eine andere Art, Fußball zu spielen"
Vielleicht ist es aber auch ganz gut, dass der Frauenfußball den kommerziellen Wahnsinn des Männerfußballs mit seinen aberwitzigen Ablösesummen nicht mitmacht. Findet jedenfalls eine der Pionierinnen des Frauenfußballs in Deutschland vor 50 Jahren, Hannelore Ratzeburg, heute DFB-Vizepräsidentin.
"Das Leben verändert sich, der Sport verändert sich, wir haben zu Anfang sicherlich Sport in der Nische, als Randsportart gespielt, wir stehen im Schatten sicherlich auch des Männerfußballs, aber wir haben ein eigenes Profil. Und das ist das, was in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird: Warum kommen denn Menschen und sagen: ‚Wir gucken uns gern Frauenspiele an‘? Es ist einfach eine andere Art, Fußball zu spielen. So einfach ist es."