"Manche dachten, wir kommen aus dem Urwald"
Vor 50 Jahren kamen 10.000 südkoreanische Krankenschwestern nach Westdeutschland. Sie sollten eine Lücke im Gesundheitssystem schließen. Im Frankfurter Römer hielt der Initiator der "Krankenschwesternaktion" eine berührende Rede.
Kurz bevor ein Chor koreanischer Krankenschwestern ein Volkslied aus der Heimat anstimmt, zieht Tong Mira ein altes Schwarzweiß- Foto aus ihrem deutschen Pass. Es zeigt fünf junge Frauen in weiten koreanischen Gewändern vor einem VW-Bus. Es ist der 31. Januar 1966 - fast auf den Tag genau vor 50 Jahren. Nach 24 Stunden Flugreise sind die fünf süd-koreanischen Krankenschwestern in Frankfurt am Main angekommen. Das Altenpflegeheim, in dem sie arbeiten sollen, lässt sie mit dem VW-Bulli abholen. Tong Mira war damals 24 Jahre alt:
"Das war im Grunde genommen für uns traurig. Es war Winter, immer nur grau. Wir hatten hier Schichtdienst, in Korea nicht. Wir hatten nur grau, wenn wir aufgestanden sind und grau, wenn die Arbeit zu Ende war. Das war ein bisschen bedrückend."
Heimweh und schlechte Standards
Zunächst für drei Jahre lang verpflichteten sich ab 1966 insgesamt 10.000 süd-koreanische Krankenschwestern zum Dienst im westdeutschen Gesundheitswesen der Nachkriegszeit. Das Heimweh war riesengroß bei den jungen Koreanerinnen, die alle ohne Familie gekommen waren. Doch da damals ein Flug von Frankfurt nach Seoul acht Monatsgehälter gekostet hat, war an einen schnellen Besuch in der Heimat nicht zu denken. Dazu kam die Enttäuschung über die schlechte Ausbildung, die ihre deutschen Kolleginnen in der Pflege damals hatten.
Tong Mira: "Dieser Krankenschwesternstandard war nicht so. Wir waren international und damals Deutschland war nicht international. Wir haben das nicht gewusst. Wir haben gedacht, Deutschland sei eine Hochkultur und die Krankenschwestern auch. Aber die Krankenschwestern waren wie Helferinnen. So der Standard. Dadurch waren wir ein bisschen enttäuscht."
Kinderarzt und Radiologe Sukil Lee gab den Anstoß
Der Mann, der vor 50 Jahren den Anstoß dafür gab, dass schließlich Tausende gut ausgebildete koreanische Krankenschwestern nach Deutschland kamen, ist der koreanische Kinderarzt und Radiologe Sukil Lee. Er arbeitete damals in der Kinderstation der Uni Mainz. Weil die Kinder dort immer schrien, stellte er fest: Es fehlt an Pflegepersonal. Das holte er kurzerhand aus seiner Heimat.
Ein Jahr später wurde Lee unter dem falschen Verdacht, seine sogenannte "Krankenschwester-Aktion" sei im Auftrag Nordkoreas erfolgt, vom südkoreanischen Geheimdienst aus Mainz entführt. Vier Wochen später war er wieder frei.
Beim Empfang der Stadt Frankfurt am Main gestern Abend hielt der heute 87 Jahre alte Mann im Rollstuhl eine kurze Rede, die die mehr als 100 koreanischen Krankenpflegerinnen und ihre Angehörigen im Kaisersaal des Römers sehr berührte:
"Wer hatte geglaubt, dass diese Aktion einen so großen Erfolg haben würde. Sodass schließlich bis 1971 mehr als 10.000 Krankenschwestern nach Deutschland kamen."
Mehr als ein Drittel ist geblieben
Fremdenfeindlichkeit habe man Ende der 60er-Jahre in Frankfurt am Main nicht erlebt, erzählt Tong Mira. Auch nicht in den Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ein Grund, warum mehr als ein Drittel der Koreanerinnen bis heute in Deutschland blieb und Familien gründeten:
"Immerhin – wir sind ja als Arbeitskraft gekommen, aber sie haben nie auf uns heruntergeguckt. Im Gegenteil, sie haben uns immer Mut gemacht."
Die Leute seien sehr hilfsbereit gewesen, auch wenn es manchmal sehr merkwürdige Vorstellungen darüber gegeben habe, woher man denn gekommen sei:
"Manche haben gedacht, wir kommen aus dem Urwald. Sie haben gefragt: Habt ihr Autos? (lacht) Jetzt denken sie mal, Korea, was für eine hohe Technik! Allerdings – damals war es nicht so. Wie es in Deutschland war nach dem Krieg, war es bei uns auch."
100 Dollar pro Monat – das war damals das süd-koreanische Bruttosozialprodukt, das eine Person erwirtschafte. Heute sind es 30.000, berichtete gestern Abend der südkoreanische Generalkonsul Young-hoon Kim. Sein Land habe von den Transferleistungen der Krankenschwestern aus Deutschland genauso profitiert wie das deutsche Gesundheitswesen von deren Arbeitskraft, so sein Fazit.
Und spätestens, als die koreanischen Krankenschwestern des "Frankfurter Harmony- Ensemble" in den traditionellen Gewändern deutsches Liedgut anstimmten, war klar: die jetzt 50 Jahre andauernde Geschichte der ehemaligen Gasterbeiterinnen im Gesundheitswesen ist eine gelungene Integrationsgeschichte.