Maos betörende Rhetorik
Vor 50 Jahren zettelte Mao Zedong die Kulturrevolution an, um seine schwindende Macht zurückzuholen. Dafür hetzte er die Massen, vor allem die Jugend, gegen alle vermeintlichen Volksfeinde auf - mit einer vor Gewalt strotzenden Sprache. Und seine Propaganda wirkt bis heute.
Ein in China bekanntes Propaganda-Plakat aus dem Jahre 1970 zeigt junge Rotgardisten. Sie winken dem Betrachter aus einem Zugfenster heraus begeistert mit ihren Mao-Bibeln zu. Das Poster glorifiziert die Landverschickung im Rahmen von Maos Kulturrevolution: Massenhaft sind damals gebildete junge Leute aus den Städten in ländliche Provinzen entsandt worden, um das harte und entbehrungsreiche Leben der chinesischen Bauern kennen zu lernen.
Eine von ihnen war Cao Yifei aus Shanghai, die für elf Jahre in die Mandschurei verbannt war, von 1968 bis 1979.
"Das war ein Wendepunkt in meinem Leben", klagt die heute 68-Jährige.
"Ich habe die besten Jahre meines Lebens nichts lernen können, keine Schule besuchen, nicht studieren können. Intellektuell war das ein Totalausfall!"
Wenigstens hat Cao Yifei nichts von den Gewalt-Eskalationen jener Jahre zu spüren gekriegt.
Mao Zedong war Mitte der 60er-Jahre der Überzeugung, dass eine abgehobene Bürokratenklasse die Macht in China übernommen hatte. Dem wollte er eine Revolution der Volksmassen entgegen setzen. Politik, die Partei, vor allem aber Kulturinstitutionen und das Bildungssystem sollten erneuert werden – von unten. Dafür hetzte er die Massen auf, vor allem die Jugend, entfesselte ihre Gewalt gegen alle vermeintlichen Volksfeinde.
Maos betörende Rhetorik, in der Mao-Bibel zwischen zwei Buchdeckel gebracht, und die Propaganda-Lieder der Kulturrevolution wirkten. Auch bei Cao Yifei:
"Jeden Morgen wachte ich mit diesen beiden Liedern auf: 'Der Osten ist rot' und 'Diese Seereise bedarf eines guten Kapitäns'. Das brauchte man nicht mühsam auswendig lernen. Das hatte man schnell verinnerlicht, weil es jeden Tag erklang!"
"Seine Wortwahl bewirkte eine Art Schwarze Magie"
Der Kultursoziologe Professor Zhu Dake von der Tongji-Universität in Shanghai hat sich eingehend mit der Propaganda der Kulturrevolution beschäftigt. Für ihn ist die Rhetorik der Schlüssel zum Verständnis.
"Schon die Sprache strotzte vor Gewalt, von Anfang an", sagt Professor Zhu Dake.
"Die Studenten benutzten Phrasen wie 'macht sie nieder', 'hängt sie auf', 'ins Grab mit ihnen' oder 'fackelt sie ab'."
Denunziationen, Verleumdungen, Misstrauen, Grausamkeit, Mord, Umerziehung, Deportationen waren an der Tagesordnung. Besonders unkontrolliert wütete Maos Jugendorganisation, die "Rote Garde". Aufgestachelt durch Worte ihres Idols, attestiert der Kulturkritiker:
"Seine Wortwahl bewirkte eine Art Schwarze Magie", so Zhu Dake.
"Die Leute glaubten wirklich, Maos Worte würden sie vor Gift und Schmerzen schützen! So legte er das Fundament für die kultische Verehrung seiner Person. Wie Hitler verstand er es, die großen Plätze zu bespielen!"
Bis heute kann sich auch Cao Yifei, die während der Kulturrevolution gelitten hat und keinerlei Sympathien für Mao hegt, der betörenden Wirkung seiner Worte nicht entziehen:
"Man muss ihm zugestehen, dass er ein großer Dichter war, ein Mann des wohlgesetzten Wortes", sagt sie, "deswegen habe ich meine Mao-Bibel bis heute aufgehoben!"
"Maos Worte sind nicht verstummt!"
Professor Zhu Dake bestätigt, dass der Mao-Kult von gestern sein mag, die Rhetorik aber noch lebt:
"Maos Worte sind nicht verstummt! Sie sind das größte Problem im Nachgang der Kulturrevolution: Sie haben sich in der Gesellschaft gehalten und finden sich heute massenhaft auch im Internet, in Online-Debatten ganz normaler Leute!"
Darin sieht der Kulturkritiker die größte Gefahr: Dass die aggressive Klassenkampf-Rhetorik Maos in die Umgangssprache eingeflossen ist und ihre Macht erneut entfalten könnte.
"Solange diese Sprachkultur noch existiert", so Professor Zhu Dake, "so lange kann die Kulturrevolution auch wieder ausbrechen. Wir sind an einem Scheideweg!"
Soweit würde die Zeitzeugin Cao Yifei nicht gehen. Sie beklagt eher, dass die Kulturrevolution offiziell weiterhin totgeschwiegen wird, nie von der Gesellschaft aufgearbeitet wurde. Und speziell junge Leute, die solche Phrasen dieser Tage schick finden, nichts über deren Ursprung wissen:
"Nur eine Generation später weiß unsere Jugend nichts mehr über die Kulturrevolution, will darüber auch nichts wissen", klagt sie. Deshalb hat sie selber ihr Schweigen gebrochen. Lange haben Zeitzeugen im Alter von Cao Yifei nicht über die dunklen zehn Jahre reden wollen. Besonders, wenn sie selber in Gewalttaten verstrickt waren. Seit kurzem ändert sich das – aus naheliegendem Grund:
"Die Kulturrevolution war ein lächerliches und verrücktes Desaster!", so die 68-Jährige.
"Unsere Nation hat sich mit diesem Zeitabschnitt nie auseinander gesetzt. Es ist nichts daraus hervorgegangen, was man auch nur im Entferntesten als gut bezeichnen kann!"
Am 16. Mai 1966 begann die Kulturrevolution. Zehn Jahre später endete sie offiziell mit Maos Tod.