50 Jahre Mondlandung

Der neue Himmel liegt im inneren Universum

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Ein Mann fotografiert den Mond mit seinem Smartphone.
Internet und Digitalisierung haben den Blick auf die Welt grundlegend verändert, so Peter Glaser. © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Beobachtungen von Peter Glaser · 18.07.2019
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Die erste Mondlandung war auch ein Moment der Ernüchterung: Auf einmal war erreicht, was zuvor wie eine Utopie wirkte. Seitdem hat die Raumfahrt ihre Strahlkraft verloren, meint der Autor Peter Glaser. Die Zukunftsvisionen von heute seien digital.
In einer monumentalen Reportage anlässlich der ersten bemannten Mondlandung beschreibt der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer einen sonderbaren Stimmungsabfall im NASA-Kontrollzentrum in Houston. Noch während die verwaschenen Live-Bilder von Neil Armstrong zu sehen sind, der sich zugleich etwas hölzern und federnd über den Erdtrabanten bewegt, mischt sich eine unaussprechliche Katerstimmung in die allgemeine Euphorie. Niemand wagt das Gefühl dahinter zu benennen, dass nämlich der Höhepunkt des ganzen gigantischen Raumfahrtprojekts gerade überschritten wurde, schrieb Mailer.
Eine andere Vorstellung als ein ungebremster weiterer Siegeszug des technischen Fortschritts war undenkbar. Noch heute verfolgen uns aus dieser Zeit die immer gleichen zwanghaften Vorstellungen von Mondstationen und Marskolonien, obwohl sich in Wahrheit auch nach 50 Jahren noch nicht einmal das Problem zufriedenstellend lösen hat lassen, wie man in der Schwerelosigkeit eine Toilette benutzt, ohne einen Großalarm zu riskieren.

Von der Sphäre der Religion in die Regionen der Machbarkeit

In den 50er-Jahren hatte sich der Himmel in ein technisches Problem verwandelt. Er hieß nun Weltraum und hatte sich aus der duftigen Sphäre der Religion in die Regionen der Machbarkeit begeben. Wozu bemannte Raumfahrt und der mit ihr verbundene immense Aufwand gut sein soll, war für den deutschen Raketenwissenschaftler Eugen Sänger schon früh klar.
Er sagte: "Die Frage nach dem Sinn solcher Unternehmen hat Papst Pius XII. im Herbst 1956 gegenüber Teilnehmern des Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom mit der offiziellen Erklärung beantwortet: 'Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen.' "
Mit Griffen in den Götterhimmel der alten Griechen überflügelte das amerikanische Raumfahrtprogramm nun das der Sowjets - Merkur, Gemini, Apollo. Kurz davor war im deutschen Fernsehen Major Cliff McLane mit dem schnellen Raumkreuzer Orion VII zur ersten Raumpatrouille gestartet – für mich war das als technikfaszinierter kleiner Junge nur eine andere Perspektive auf dieselbe fantastische Realität.

Ein von Superlativen besessenes Publikum

"Als Publikum sind wir besessen von ersten und schnellsten Dingen", schreibt die kanadische Journalistin Elizabeth Howell in dem Raumfahrtmagazin "The Space Review". Das gilt auch für Mondlandungen. Erinnert sich irgendjemand an die zweite Mondlandung? Oder an die letzte, Apollo 17? An den Namen des letzten Menschen, der bisher seinen Fuß auf die Mondoberfläche gesetzt hat?
Als die Ära der Space Shuttles begann, war der Zauber verflogen. Raketenstarts waren banal geworden, ein bisschen als würde man die Abfahrt eines ICE übertragen. Der Absturz der Challenger fügte der bisweilen religös anmutenden Technik-Verehrung tiefe Risse zu. Das eigentliche Produkt der Mondlandemission war längst eingefahren. Es war nie um Forschung und Vernünftigkeit gegangen, sondern immer nur darum, Wolkenkratzer zu bauen, die fliegen können.
Die bemannte Raumfahrt ist die Vollendung des Stahlhochbaus, so wie der Pyramidenbau im alten Ägypten die Vollendung der Steinbearbeitung war.

Internet als neue unendliche Weite

Nicht alle waren 1969 in Woodstock oder in Florida, um den Start von Apollo 11 zu sehen. Ein paar Leute blieben zu Hause, um das in Gang zu setzen, was wir heute das Internet nennen. Am späten Abend des 29. Oktober 1969 stand die erste Datenverbindung zwischen zwei unterschiedlichen, weit voneinander entfernten Computern.
Und damit begann zugleich die Erkundung eines neuartigen, gewissermaßen nach innen verlegten Universums. Das Internet ist die Demokratisierung des Versprechens der Raumfahrt, unendliche Weiten zu entdecken. Jetzt kann jeder mitfliegen, nicht nur eine Handvoll Astronauten.

Peter Glaser ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Bachmann-Preisträger und begleitet seit drei Jahrzehnten die Entwicklung der digitalen Welt. Er selbst schreibt über sich: "1957 als Bleistift in Graz geboren. Lebt als Schreibprogramm in Berlin." Er twittert als @peterglaser und bloggt in der "Glaserei" für die Neue Zürcher Zeitung.

© privat

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