Sibylle Anderl studierte Physik und Philosophie in Berlin und promovierte in Bonn im Fach Astrophysik, um danach in Grenoble zu Fragen der Sternentstehung zu forschen. Seit der Doktorarbeit ist sie international in die Wissenschaftsphilosophie der Astrophysik involviert. Seit Anfang 2017 arbeitet sie als Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Feuilleton.
Warum die Landung keine Lüge ist
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Vor 50 Jahren betraten die ersten Menschen den Mond. Seither ranken sich Verschwörungstheorien um die Landung. Nicht alle sind abstrus, kommentiert die Astrophysikerin Sibylle Anderl. Um das Jubiläum müssen wir aber uns nicht sorgen.
500 Millionen Menschen saßen damals wie gebannt an den Fernsehgeräten und wurden Zeugen, wie die ersten Menschen den Mond betraten. Eine halbe Million Mitarbeiter der Nasa hatten diesen Erfolg möglich gemacht. Wenn man sich diese Zahlen der an der Mondlandung direkt oder indirekt beteiligten Menschen vor Augen führt, dann erscheint der Zweifel an der Mondlandung als eine besonders verrückte Variante einer Verschwörungstheorie. Und trotzdem stellte 2013 fast jeder zehnte Amerikaner die Echtheit der Mondlandungen in Frage – Tendenz offenbar steigend. Wie kann das sein?
Verschwörungstheorien fallen auf fruchtbaren Boden
Ein wichtiger Grund dafür liegt sicherlich im kritischen Duktus von Verschwörungstheorien: Die Bereitschaft, den mehrheitlich geteilten Überzeugungen zu widersprechen und alternativen Theorien anzuhängen, fällt heute in Zeiten Internet-basierter Echokammern auf fruchtbaren Boden. Legitimiert wird sie nicht selten mit dem Wert des skeptischen Zweifels, der als Ausgangspunkt der Suche nach alternativen, noch besseren Erklärungen schließlich auch Leitbild der Wissenschaften sein sollte.
Und ja, so viel muss man den Verschwörungstheoretikern zugestehen: Die jeweils verfügbaren empirischen Daten sind immer mit mehreren verschiedenen Theorien vereinbar. Das ist das berühmte Phänomen der Unterdeterminiertheit. Schon John Stuart Mill beschrieb es Mitte des 19. Jahrhunderts: Eine wissenschaftliche Hypothese kann nicht deshalb als wahr gelten, weil sie alle bekannten Phänomene erklärt. Denn das kann eine widerstreitende, eine alternative Hypothese oft genauso.
Fantasievolle Menschen könnten laut Mill sogar hunderte Erklärungsvarianten ersinnen. Wie kommen wir also dazu, einige dieser Erklärungen als fruchtbar auszuzeichnen und andere als unplausibel zu deklassieren? Rein logisch ist der Schluss von den empirischen Daten auf die beste Erklärung tatsächlich keineswegs zwingend. Gerade diejenigen Forschungszweige, die mit der Knappheit empirischer Daten zu kämpfen haben, kennen das Problem nur zu gut.
Soziales Handeln ist unvorhersehbar
An welchem Punkt trennt sich also die Spreu der Verschwörungstheorien vom Weizen der naheliegenden Erklärung? Nun, beim Mond ist es einfach. An vielen Stellen scheitert die Mond-Verschwörungstheorie an unserem physikalischen Wissen: Die vermeintlich zu tiefen Fußabdrücke, die verwirrenden Schattenwürfe, die angeblich auf dem Mond nicht funktionstüchtigen Kameras – all diese sind nur dann unverständliche Anomalien, wenn das Verständnis der physikalischen Mondbedingungen fehlt.
Das aber wohl wichtigste Charakteristikum von Verschwörungstheorien wurde 1948 von Karl Popper in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" beschrieben, der ersten prominenten und kritischen Auseinandersetzung mit diesem Begriff. Die These, dass gewisse Menschen oder Gruppen heimlich ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt haben, beruht demnach auf einer drastischen Überschätzung der Planbarkeit menschlicher Handlungen. Unser soziales Leben umfasst unzählige Menschen mit den verschiedensten Interessen und Ideen, ergibt sich aus unterschiedlichsten Institutionen und Traditionen. Das alles führt dazu, so Popper, dass sich menschliches Handeln kaum prophezeien lässt.
Vertuschungen kommen früher oder später ans Licht
Am Beispiel der Mondlandung illustrierte dies die wissenschaftliche Studie eines Physikers 2016. Anhand eines einfachen mathematischen Modells der menschlichen Fähigkeit, Informationen geheim zu halten, ermittelte David Robert Grimes, dass eine inszenierte Mondlandung spätestens nach vier Jahren hätte auffliegen müssen. Denn eines lässt sich dann vielleicht doch prophezeien: dass die Zeit menschliche Vertuschungsversuche früher oder später ans Licht bringt. Der Feier des Apollo-11-Jubiläums sollte also nichts im Wege stehen.