Humanitäre Hilfe auf dem Prüfstand
54:21 Minuten
Vor 50 Jahren endete der sogenannte Biafra-Krieg in Nigeria. Der damalige Konflikt löste eine der größten humanitären Hilfsaktionen nachdem 2. Weltkrieg aus. Wie sieht Entwicklungszusammenarbeit heute aus? Welche Hilfe macht Sinn?
Expertinnen und Experten aus humanitären Organisationen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben am 15. Januar, dem 50. Jahrestags des Kriegsendes, zurück auf den Konflikt geblickt: Welche Lehren wurden aus dem Krieg gezogen? Haben womöglich Medien und Hilfsorganisationen in der Absicht, zu helfen, am Ende den Krieg verlängert?
Einer der Zeitzeugen war Emmanuel Ede. Er war eines der sogenannten Biafra-Kinder. "Wenn ich das heute sehe, in anderen Ländern, dann kommen die Erinnerungen ganz hoch", sagt er. Viele seiner Landsleute hätten ihre Heimat verlassen müssen.
"Wenn die Menschen geflohen sind, konnten sie die Felder nicht mehr bestellen. Und dann gab´s natürlich Hunger", erinnert er sich. Viele Kinder seien durch falsche Ernährung gestorben.
Eine Luftbrücke sicherte die Versorgung der Hungernden
Um die hungernde Bevölkerung zu versorgen, flogen zivile Luftfahrtgesellschaften Essen in die Krisenregion.
Jakob Ringler war mitverantwortlich für die Biafra-Luftbrücke. Flugzeuge mit Nahrung seien im Dunkeln auf schmalen Straßen gelandet, darüber hätten nigerianische Bomber gekreist, berichtet er. Nach UN-Schätzung seien so etwa eine Million Kinder gerettet worden, sagt er. "Eine Million ist leider fürchterlich schmerzhaft verstorben."
"Wenn die Luftbrücke eingestellt worden wäre, wäre die Opferzahl viel höher gewesen", glaubt Ringler. Schließlich habe der nigerianische Staatspräsident kein Geheimnis um seine Absichten gemacht: "Ein Volk auszuhungern, ist eine legale Kriegswaffe", zitiert Ringler den Staatschef.
Hannelore Hensle, die 1969 für das Diakonische Werk die Hilfseinsätze mitorganisierte, sagt: "Die Not war da und man hatte die Möglichkeit zu helfen. Also sollte man das auch tun. Weil sonst wird man auch unglaubwürdig."
Eine Geburtsstunde der humanitären Hilfe
Oliver Müller ist Leiter der katholischen Hilfsorganisation Caritas International. Noch heute gebe es ähnliche Probleme und Spannungsfelder wie damals, findet er: "Das spannende ist ja, dass man am Beispiel Biafra – so lange her – sehr viele Mechanismen und Problemfelder der humanitären Hilfe sehr genau nach wie vor ablesen kann."
Die humanitäre Hilfe habe sich entwickelt in den letzten Jahrzehnten, findet Bärbel Kofler, Beauftrage der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, etwa bei der Logistik oder der Koordinierung der verschiedenen Staaten. Dennoch habe der Humanitäre Weltgipfel 2016 in Istanbul gezeigt, dass noch "unheimlicher Bedarf" sei: "An besserer Koordinierung, an besserer Einbeziehung der lokalen Kräfte und der lokalen Helfer. Einer besseren Verknüpfung zwischen langfristiger Entwicklungsarbeit und humanitärer Hilfe."
Auch müsse gefragt werden, wie dauerhafte Unterstützung der Menschen vor Ort aussehen könne: "Da spielt die Frage Bildung eine ganz große Rolle, da spielt die Frage Sicherheit in solchen Communities eine große Rolle, da spielt die Frage der Gesundheitsvorsorge und vor allem auch der Betätigungsmöglichkeiten eine Rolle", sagt Kofler.
Entwicklungszusammenarbeit mit lokalen Kräften
Diakonie und Caritas arbeiten heutzutage vor allem mit Akteuren der lokalen Zivilgesellschaft zusammen. "Es sind die Helfer vor Ort. Und die zu stärken und deren Sicherheit zu garantieren, das sehe ich heute als eine der ganz große Herausforderungen", sagt Oliver Müller. Eine Verteilung von Nahrungsmitteln, "dass Güter reingeflogen und verteilt werden, fände in den allermeisten Konflikten heute nicht mehr statt."
"Wir machen zunächst eine Marktanalyse und schauen, was hat denn der Markt zur Verfügung? Kann man mit Geldmitteln helfen? Wir fragen immer zuerst 'Why not cash?'", erklärt Martin Kessler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Erst wenn der Markt nichts hergebe, könne man dann überlegen, was macht man? Bringt man Güter hinein?
"Wir machen zunächst eine Marktanalyse und schauen, was hat denn der Markt zur Verfügung? Kann man mit Geldmitteln helfen? Wir fragen immer zuerst 'Why not cash?'", erklärt Martin Kessler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Erst wenn der Markt nichts hergebe, könne man dann überlegen, was macht man? Bringt man Güter hinein?
Die Akteure sollten sich aber ihrer Machtposition bewusst sein, findet Tanja Müller, die an der Universität Manchester zu Entwicklungshilfe forscht. "Es geht darum, dass man sich bewusst macht: Man greift aus einer Machtposition, die auf Ressourcen basiert in einen anderen Lebenszusammenhang ein – und da muss man Entscheidungen treffen."
(ros)