50 Jahre Watergate-Affäre

Auftakt zur Selbstzerstörung der US-Demokratie

Schwarzweißaufnahme von Präsident Nixon an einem Rednerpult, der mit dem Finger Richtung Publikum zeigt.
Erst durch Richard Nixons Machtmissbrauch wurde aus einem Einbruch ein Verfassungsskandal, meint Volker Depkat. © picture alliance / AP Photo / Charles Tasnasi
Ein Einwurf von Volker Depkat · 17.06.2022
Juni 1972: Einbruch im Büro der Demokratischen Partei. Der republikanische Präsident Nixon verhindert die Spurensuche, muss aber zwei Jahre später zurücktreten. Mit „Watergate“ beginnt die Krise der US-Demokratie, meint der Historiker Volker Depkat.
Der Watergate-Einbruch war ein Verbrechen, aber noch kein Verfassungsskandal. Dazu wurde die Sache erst, als US-Präsident Richard Nixon, der mit der Planung des Einbruchs selbst wohl nichts zu tun hatte, seine exekutive Macht als Regierungschef dazu nutzte, die Aufklärung des Verbrechens durch das ihm unterstellte FBI zu verhindern.
Von heute aus betrachtet, steht „Watergate“ am Beginn einer Systemkrise der amerikanischen Demokratie, die im vergangenen Jahr mit dem Sturm von Anhängern des ehemaligen Präsidenten Donald Trump auf das US-Kapitol einen Tiefpunkt erreichte.
Diese Krise wird im Kern dadurch vorangetrieben, dass gewählte Inhaber öffentlicher Ämter, die ihre Macht den Verfassungen und Gesetzen der USA verdanken, sich über eben diese rechtlichen Grundlagen hinwegsetzen, um eigene politische Interessen zu verfolgen.
In ihrem Amtseid hatten Nixon und Trump geschworen, die Verfassung der USA zu beschützen. Tatsächlich haben beide eben diese Verfassung im Vollzug ihrer Amtsführung massiv beschädigt.

Zunehmende Ideologisierung der US-Politik

Nixon und Trump sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Seit Watergate lässt sich auf allen Ebenen des politischen Systems der USA ein schleichender Prozess beobachten, in dem handelnde Politikerinnen und Politiker danach streben, ihre immer ideologischer werdenden politischen Programme ohne Rücksicht auf die Folgen für die Verfassungsordnung der USA durchzusetzen.
Ideologisierung von Politik heißt, dass immer weniger um sachorientierte Lösungen im Sinne des Allgemeinwohls gestritten wird, sondern um die Legitimität von Lebensstilen.
Soll es Unisex-Toiletten geben? Sollen Homosexuelle heiraten dürfen? Haben Frauen ein Recht auf Abtreibung? Das sind nur einige der Debatten, die seit Mitte der 1970er-Jahre geführt werden. In ihnen wurden zunehmend moralische Grundsatzpositionen bezogen und immer weniger rationale Argumente ausgetauscht.

Unversöhnlicher Streit über „amerikanischen“ Lebensstil

Diese systemzerstörende Ideologisierung von Politik ist Ergebnis der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in eine Vielzahl von sozial-moralischen Milieus seit den 1960er-Jahren.
Im Schatten der von Schwarzen, Frauen, ethnischen Minderheiten und Homosexuellen damals erstrittenen Emanzipationsgewinne, aber auch im Lichte der migrationsgefügten, ethnisch-kulturellen Pluralisierung ihrer Gesellschaft, streiten Amerikanerinnen und Amerikaner immer unversöhnlicher darüber, wessen Lebensstil der eigentlich „amerikanische“ sei und wer das Recht habe, darüber zu bestimmen.
So gründet denn die sich seit rund 50 Jahren beschleunigende Ideologisierung von Politik einerseits in der sozial-moralischen Spaltung der US-Gesellschaft entlang vieler Bruchlinien. Andererseits hat eine zunehmend ideologisierte Politik eben diese sozialen Spaltungen für die eigenen Interessen ausgenutzt und dadurch die Spaltung der Gesellschaft weiter vorangetrieben.

Moralische Polarisierung zersetzt die Demokratie

Dieses Muster wurde erstmals in der Watergate-Affäre sichtbar: Der Zweck des Watergate-Einbruchs war es, kompromittierende Informationen über gemäßigte Präsidentschaftsbewerber der Demokraten zu erhalten.
Diese wollte das Nixon-Lager dann nutzen, um die Gemäßigten zur Aufgabe zu zwingen und damit den Weg frei zu machen für die Nominierung des links von der Mitte stehenden Reformpolitikers George McGovern. Dieser würde es Nixon einfacher machen, gegen „Liberale“ zu polarisieren und sich selbst als Vertreter einer „schweigenden Mehrheit“ zu positionieren, die die Gleichstellung der Schwarzen aufhalten, die Frauen wieder zurück an den Herd schicken und die Herrschaft von Recht und Gesetz garantiert wissen wollte.
Diese moralische Polarisierung gegen andere Lebensstile hat seitdem immer schärfere Konturen gewonnen und gefährdet inzwischen die US-Demokratie ernsthaft.

Volker Depkat, geboren 1965, ist Historiker und Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählen die Geschichte Nordamerikas in kontinentaler Perspektive von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart und die Geschichte der europäisch-amerikanischen Beziehungen seit dem Beginn der europäischen Expansion. Seine 1996 in Göttingen entstandene Dissertation war zum Thema "Amerikabilder in politischen Diskursen. Deutsche Zeitschriften, 1789-1830" (Stuttgart 1998). 2021 ist sein neues Buch „American Exceptionalism“ in den USA erschienen.

Der Historiker und Professor für Amerikanistik Volker Depkat
© Jasmin Falk

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