50 Jahre Welt-Hindu-Rat

Ein bitter-müdes Lachen für Gandhis Pazifismus

Eine Statue der indischen Gottheit Ganesha
Eine Statue der indischen Gottheit Ganesha. © AFP / Indranil Mukherjee
Von Antje Stiebitz |
Die hindunationale Vishwa Hindu Parishad, der Welt-Hindu-Rat, ist global gut vernetzt und auch in Deutschland ansässig. Zwei Vertreter reden über Vorurteile, mit denen sie sich konfrontiert sehen, und über ihr Verhältnis zum Islam.
Frankfurt-Rödelheim. Das Eingangstor zum Tempel der Vishwa Hindu Parishad steht halboffen. Unscheinbar von außen. Doch wer durch den kleinen Innenhof bis in den Tempelraum gelangt, dem bietet sich die Farbenpracht der indischen Götterwelt dar. Gekleidet in Orange, Pink und Gold stehen sie alle auf einem Podest: Die göttlichen Liebespaare Krishna und Radha, Ram und Sita, aber auch die auf einem Löwen reitende Durga und der Elefantengott Ganesh.
Jeden Sonntag findet hier eine Aarti, eine Andacht statt. Um den Priester ist nur eine Handvoll Gläubige versammelt. Heute ist Krishna Janmashtami, der Geburtstag des Gottes Krishna und damit ein Festtag, aber die eigentliche Geburtstagsfeier wird erst am Abend groß gefeiert. Krishna Janmasthami findet nach dem indischen Kalender entweder im August oder September statt. Vor 50 Jahren genau an diesem Tag gründete eine Gruppe von Männern im damaligen Bombay die Vishwa Hindu Parishad, kurz VHP.
Die VHP ist eine hindunationalistische Organisation und bedeutet übersetzt soviel wie "Welt-Hindu-Rat". Welt-Hindu-Rat? Wird hier aus Frankfurt-Rödelheim die Weltreligion Hinduismus mit ihren rund 800 Millionen Gläubigen dirigiert? Nein, aber der VHP-Tempel in Frankfurt-Rödelheim ist ein Baustein der global agierenden und gut vernetzten Organisation.
Die VHP will die vielfältigen hinduistischen Religionen einigen, ihnen eine gemeinsame Stimme geben und die Interessen der Hindus gegenüber dem Staat und gegenüber anderen Religionen vertreten. Der Welt-Hindu-Rat wird nicht gewählt. Seine Legitimation ist sein Einsatz für die Sache des Hinduismus. Der Geschäftsmann und Generalsekretär des Tempels Vasant Bhatia erklärt das so:
"Wir unterrichten Kinder, lehren ihnen unsere Religion, unsere Mantras und erziehen sie zu verantwortungsbewussten Bürgern."
Auf der Agenda der VHP stehen nicht nur Programme für Bildung und Gesundheit, sondern auch der Schutz der hinduistischen Tradition. Um diese zu bewahren, wenden sie sich gegen die Bekehrung von Hindus zum Christentum oder zum Islam. Sie sprechen sich gegen die Migration von Muslimen aus Bangladesch nach Indien aus. Und verwehren sich gegen muslimischen Terror.
Was die VHP fordert, das hört sich zunächst einmal relativ harmlos an. Ein religiöses und soziales Programm, das außer einigen anti-muslimischen Spitzen erst einmal kein Aufsehen erregt. Schaut man aber genauer hin, wird deutlich, wie politisch brisant das Programm der VHP ist. Die VHP wird meist in einem Atemzug mit dem RSS, einer radikal-hinduistischen Kaderorganisation genannt. Wer VHP-Mitglied ist, ist oft auch im RSS organisiert. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er ebenfalls die rechtskonservative Bharatiya Janata Party, kurz BJP, unterstützt. Die BJP stellt seit Mai den amtierenden indischen Premierminister Narendra Modi. Modi war lange Regierungschef im Bundesstaat Gujarat, wo es während seiner Amtszeit zu brutalen Übergriffen gegen Muslime kam, mit hunderten Toten. Am Wahlsieg Modis und der BJP hat auch der Welt-Hindu-Rat seinen Anteil:
"Natürlich, wenn unsere Partei, die BJP, mobilisiert und dafür kämpft, gewählt zu werden, dann liegt es auch in unserer Verantwortung sie dabei zu unterstützen."
Religiös-politische Zwitterwesen
Modis BJP und ihre Schwesterorganisationen VHP und RSS sind religiös-politische Zwitterwesen, die die Politik Indiens nach hinduistischen Regeln ausrichten wollen. Heftig umstritten sind sie aber vor allem, weil sie gegen Muslime Front machen.
Aus der Küche schallt Hindi-Pop durch den Innenhof. Auf einem Tisch stapeln sich bereits Schüsseln mit verschiedensten Gemüsegerichten für das abendliche Festmahl. Vasant Bhatia trägt gerade einen großen Topf mit Suppe über den Hof. Er ist bereit über die VHP zu sprechen, weiß aber, wie heikel das Thema ist. Genauso wie Vasudevan Raghavan. Der IT-Spezialist unterrichtet im Tempel die Bhagavad Gita, eine der zentralen heiligen Schriften im Hinduismus. Negative Medienberichte über die VHP, den Welt-Hindu-Rat, halten die Beiden entweder für eine anti-hinduistische Verschwörung oder für mangelndes Verständnis gegenüber dem Hinduismus.
Raghavan:"Die Zeitungen und Journalisten mögen das Engagement der VHP nicht. Die westlichen Regierungen mögen es nicht, weil sie ein Interesse daran haben, das Christentum in ärmeren Ländern zu verbreiten. Also finanzieren diese Regierungen die Zeitungen, damit sie negative Geschichten über Hindus schreiben."
Bhatia:"Die Medien machen Propaganda gegen uns, weil sie Angst haben."
Raghavan:"Die Menschen sollten den Hinduismus betrachten, wie die Hindus es tun. Das Problem mit den Menschen aus dem Westen ist, dass sie den Hinduismus durch ihre Filter betrachten und sich nicht die Mühe machen, ins Wasser zu springen, um zu sehen, wie sich das Wasser anfühlt."
Das heutige Indien, so Vasudevan Raghavan, könne man ohne einen Blick auf die indische Geschichte nicht verstehen.
Raghavan:"Die Muslime haben Indien fast 800, 900 Jahre beherrscht. In dieser Zeit wurden viele Menschen massakriert und getötet. Danach kamen die Briten und blockierten das Land. Dann kam die Unabhängigkeit."
Bhatia:"Die Kongresspartei hat sich in ihrer 60-jährigen Regierungszeit nie um die Hindus gekümmert. Sie haben immer nur von Säkularismus gesprochen. Sie haben nie davon gesprochen Bildung zu den Armen zu bringen. Sie haben nie über Frauenrechte gesprochen. Sie haben nur fleißig ihre eigenen Taschen gefüllt."
Das Hinterzimmer des Tempels ist tausende Kilometer von Indien entfernt. Und trotzdem: Hunderte Jahre der Fremdherrschaft, der Erniedrigung und Demütigung haben Traumata hinterlassen. Dazu die Erfahrung, dass auch die indische Regierung nach der Unabhängigkeit kaum etwas besser machte. Enttäuschung, Frustration und Wut über eine verfahrene Situation in Indien brechen hervor und stehen neben Trauer und Scham spürbar im Raum:
Raghavan:"Sie haben dieses Trauma nicht selbst erlebt. Das Problem mit den Europäern ist, dass sie nicht erlebt haben, was die indischen Hindus erlebt haben. Wenn ich als Schuljunge meine Geschichtsbücher gelesen habe, musste ich immer weinen."
Bhatia:"Ich schäme mich, wenn alle über Indien als ein armes Land sprechen."
Hinduismus zu tolerant
Die Beiden kommen zu dem Schluss, dass der Hinduismus viel zu tolerant und zu wenig durchsetzungsfähig gewesen war. Die Akzeptanz anderer Religionen hätte ihnen nur Nachteile und Leiden beschert. Für den Pazifismus Mahatma Gandhis hat Vasudevan Raghavan nur noch ein bitter-müdes Lachen übrig:
Raghavan:"Ehrlich, ich habe keinerlei Respekt für Gandhi. Gandhi hat die Hindus verraten. Gandhi war vor allem daran interessiert, dass Hindus und Muslime zusammenleben, damit die Kongresspartei über ein ungeteiltes Land regieren kann. Er scheiterte und das war der Grund, dass Pakistan gegründet wurde."
Bhatia:"Ich versuche ja nur zu sagen, dass ich jetzt nicht mehr herumgestoßen werde. Genug. Wir sind von allen herumgestoßen worden."
Raghavan:"Jetzt haben wir eine Regierung, die mit den Hindus sympathisiert, und wir erwarten, dass sich die Dinge verändern."
Seit der Wahl Narendra Modis hat die Angst unter den Muslimen zugenommen. Die Zeitung "Der Indische Express" etwa spricht von einem Anstieg der religiösen Konflikte im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh. Sobald die Gewalt eskaliert, ist das Leid auf beiden Seiten hoch. Letztlich geht es aber nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um soziale. Und hier, so behaupten die Hindus seien die Muslime durch Minderheitenrechte lange bevorzugt worden.
Der Publizist Dominik Müller schreibt in seinem Buch mit dem Titel "Indien. Die größte Demokratie der Welt?":
"Dass die Hindunationalisten mit ihrer Politik in den letzten zwei Jahrzehnten Erfolg hatten, ist kein Zufall. Es gelang ihnen, das Vakuum auszufüllen, das durch die Aufkündigung des postkolonialen Konsenses entstanden war. Der besagte, dass alle Inderinnen und Inder irgendwann am Wohlstand und Fortschritt teilhaben würden."
Und fährt etwas später fort:
"Die Hindunationalisten sind gewissermaßen der Kitt, der den korrupten Eliten des Landes Macht und Wohlstand sichert. Sie suggerieren den niederen Kasten einen vermeintlichen gemeinsamen Kampf und lenken soziale Unzufriedenheit um in Hass auf andere Religionen und Minderheiten."
Im Hof hat sich die Gruppe der Tempelbesucher zusammengefunden. Eine der Frauen wäscht die Figur des kleinen Krishnas und kleidet sie für seinen Ehrentag neu ein. Im festlichen Gesang der Frauen zu Ehren Krishnas rücken die alten Traumata in den Hintergrund.
Literatur:
Dominik Müller: Indien. Die größte Demokratie der Welt? Marktmacht, Hindunationalismus, Widerstand, 2014 Assoziation A, Berlin/Hamburg
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